Wer kauft eigentlich eine Junghans-Uhr?
Matthias Stotz*: Was denken Sie?

Der Gymnasiallehrer im Cord-Anzug jenseits der 55. Wie falsch liegen wir da?
Nicht so falsch. Als wir in den neunziger Jahren mit Funk-Armbanduhren starteten, haben auch viele Lehrer und Ingenieure die Neuigkeit gekauft - und sind mit uns älter geworden, aber nach wie vor von der Technologie begeistert.

Bekannt aber ist Junghans heute vor allem für die Modellreihe, die einst vom Schweizer Designer Max Bill entworfen wurde. Ist auch eine Max Bill was für Träger von Cord-Anzügen?
Die Max Bill ist heute eine fast schon jugendliche Uhr. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Leute um die zwanzig ein solches Modell kaufen. Die Max Bill ist für alle, die sich mit Gestaltung und Design beschäftigen. Unsere Max Bill tragen Fotografen, Designer, Intellektuelle. Und obwohl die erste Armbanduhr bereits 1961 auf den Markt kam, ist sie heute unsere stärkste Linie. Und fast die angesagteste Uhr, die wir im Sortiment haben.

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Wie viele Uhren produzieren Sie im Jahr?
Wir stellen rund 60 000 Uhren pro Jahr her.

Mehr als Hublot!
Wenn Sie das sagen. Bei Junghans jedenfalls sind mehr als die Hälfte der Uhren mechanische Uhren. Allein von der Max Bill Automatic verkaufen wir gegen 10 000 Stück im Jahr.

Also braucht eine deutsche Uhrenmarke eben doch Schweizer Unterstützung?
Höchstens ein kleines bisschen. Max Bill war zwar Schweizer, aber stark von der deutschen Bauhaus-Philosophie geprägt, die sich auch in den Uhren widerspiegelt. Weitere Designimpulse haben wir auch aus Deutschland bekommen. So wurde die erste Funkarmbanduhr - die Mega 1 - vom Deutschen Hartmut Esslinger entworfen. Kennen Sie den?

Ähm, nein.
Die von ihm gegründete Firma Frog Design hat in den neunziger Jahren zum Beispiel auch den Apple Macintosh designt. Unsere aktuelle Kollektion wurde von unseren hauseigenen Designern gestaltet, um sowohl das Erbe von Max Bill fortzuführen als auch unsere Tradition aus den 1950ern und 1960ern wieder aufleben zu lassen. Was man heute als Retrotrend bezeichnet, ist bei uns die DNA. Die Max Bill haben wir 1997 wiederbelebt und spüren seither diesen Trend.

Junghans hat für ein Retro-Uhrenmodell vor ein paar Jahren einen Trendsetter-Preis bekommen.
Richtig. Da habe ich einen ordentlichen Schreck gekriegt. Ein Trendsetter-Preis für eine Meisteruhr, die einem authentischen Design der fünfziger Jahre nachempfunden wurde. Da dachte ich mir: Etwas stimmt nicht, in der Uhrenwelt! Aber für uns war das ein grosses Glück. Wir treffen heute mit unseren traditionellen Meistermodellen genau den Zeitgeschmack. Übrigens, unser Bestseller Max Bill war interessanterweise in den sechziger Jahren nicht wirklich erfolgreich. Erst heute ist das Design ein Verkaufsschlager.

Junghans-Uhren kosten zwischen 500 und 2000 Franken. Wieso so billig?
Vor ein paar Jahren hat mir jeder in der Branche gesagt, Uhren, die nicht mehr als 5000 Euro kosten, seien gar keine richtigen Uhren. Heute nehmen auch die Schweizer Hersteller unser Preissegment ernst. Die Zeiten haben sich geändert. Auch in der Schweiz sind viele Marken viel preisaggressiver geworden.

Also könnten Sie sich nun preislich nach oben bewegen. Nein, das wollen wir nicht. Wir stehen für bezahlbaren Luxus. Die Marke ist bekannt, sie hat Tradition. Und vom Design her können wir mit anderen Marken unbedingt mithalten.

Wir würden behaupten, Junghangs-Uhren hängen vom Design her viele Schweizer Marken ab.
Wenn Sie das als Eidgenossen sagen, ist es ja fast eine Majestätsbeleidigung. So etwas würde ich mir nie erlauben.

Zieht Made in Germany international so wie Swiss made?
Natürlich nicht ganz. Aber Made in Germany hat stark aufgeholt. Auch dank den Marken aus Glashütte, die zum Teil ja auch von Schweizer Unternehmen aufgekauft wurden. Klar ist: Made in Germany muss sich heute nicht mehr verstecken. Und ich getraue mich fast nicht, es zu sagen: Wir sind wohl der einzige Hersteller, der eine Swiss-made-Uhr im Sortiment versteckt.

Wie? Das verstehen wir nicht.
Ganz einfach: Wir bauen alle Uhren in Deutschland und verstehen uns als «die deutsche Uhr». Aber eine müssen wir in der Schweiz einschalen. Das heisst: Das Uhrwerk mit Zifferblatt und Zeigern wird ins Gehäuse endmontiert. Dieses Produkt ist dann nicht mehr «made in Germany». Wir müssen in der Schweiz einschalen, weil chronometergeprüfte Uhrwerke gemäss einer neuen Regelung nicht mehr exportiert werden dürfen, wenn sie nicht zur Uhr verbaut worden sind. Das zwingt uns dazu, eine Uhr im Programm zu führen, bei der wir auf dem Boden Swiss made schreiben und auf dem Zifferblatt steht dann «Made by Junghans» statt «Made in Germany». Nicht nur für uns, sondern auch für die Schweizer Uhrwerkehersteller stellt diese Regulierung, dass keine COSC-geprüften Werke mit Chronometerzertifikat ins Ausland verkauft werden können, einen Eingriff in den freien Wettbewerb dar. Wir haben versucht, mit der COSC – der offiziellen Prüfstelle für Chronometer - zu verhandeln. Aber wir hatten keine Chance.

Nicht nur die Franzosen kennen Industriepolitik, wir auch.
Na ja, es ist vor allem ein Eingriff in den freien Wettbewerb - und so etwas wird im heutigen Handelsrecht immer kritisch gesehen. Eine Bewertung steht mir nicht zu, aber gestört hat uns dies in unserer Arbeit schon. Jetzt sind wir ungewollt sogar noch etwas mehr «Swiss made» geworden, als wir uns vorgenommen hatten.

Wie lebt es sich eigentlich als Uhrenmarke im Schatten der Schweizer Marken?
Im Schwarzwald kommt der meiste Schatten vom Baum, nicht von Schweizer Marken. Im Ernst: Die Schweiz hat das grosse Verdienst, in den achtziger Jahren die Uhrmacherkunst wiederbelebt zu haben. Davon profitiert die ganze Welt, auch wir. Sonst gehen wir unseren eigenen Weg.

Erfolgreich?
Seit dem Neustart 2009 haben wir jedes Jahr schwarze Zahlen geschrieben und haben den Umsatz ungefähr verdoppelt. Zurzeit liegen wir bei rund 25 Millionen Euro Umsatz. Wir laufen aber noch weit hinter unserem Potenzial.

Verkaufen Sie auch mal eine Uhr in die Schweiz?
Warum denn nicht? Selbstverständlich! Die Max Bill ist auch in der Schweiz sehr beliebt. Sie gehört nicht nur zur Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art, sondern ist auch im Shop des Schweizer Landesmuseums. Und auch unsere Funkuhren verkaufen sich gut in der Schweiz.

Ihr Hauptmarkt ist aber Deutschland.
Ja. Wir machen zwei Drittel des Geschäfts im Heimatmarkt.

Und andere Länder?
Stark sind für uns zum Beispiel Japan, Österreich, Südkorea, Grossbritannien, Frankreich.

Und die Schweiz ist ein winziger Markt?
Ich würde eher sagen, ein erstaunlich grosser.

Apropos gross. Junghans war einst der grösste Uhrenhersteller der Welt.
Richtig. Erhard Junghans hat das Unternehmen 1861 gegründet - und vor allem seine Söhne haben es mit unglaublichem Maschinenbaugeschick geschafft, bis 1903 die grösste Uhrenfirma der Welt aufzubauen. Damals hatte die Firma 3000 Mitarbeiter und produzierte pro Tag 9000 Uhren. Die höchste Beschäftigungszahl erreichte Junghans 1944 mit 10 000 Mitarbeitern, in den sechziger Jahren waren es noch 6000.

Und heute?
Wir sind knapp 125 Mitarbeiter. Grundsätzlich strebte die Firma immer danach, technisch führend zu sein. Bereits in den neunziger Jahren hatten wird eine solarbetriebene Funkuhr im Sortiment, mit der man bezahlen und Türen öffnen konnte. 1999 bekam Junghans die grösste Einzelbestellung der Geschichte - aus Hongkong: 200'000 Uhren für das U-Bahn-Netz der MTR mit einer aufladbaren Ticketfunktion – die Octopus Watch.

Junghans hat die Smartwatch gebaut, als noch keiner wusste, was das ist?
Nur waren wir viel zu früh. Die Welt war noch nicht so weit. Auch Herr Hayek ist es damals mit seiner Swatch Access nicht besser ergangen. Flächendeckend konnte man mit der Uhr in der Schweiz leider nicht Ski fahren.

Wenn Sie in die Schweiz blicken: Gibt es hier Vorbilder für Sie?
Sicher. Was Patek Philippe oder Rolex aufgebaut haben und was für einen Wert diese Marken verkörpern, das beeindruckt mich als Mensch und Uhrmacher. Aber als Chef von Junghans messe ich mich nicht mit diesen Marken. Gerne hätte ich die Stückzahlen und die weltweite Distribution von Longines zum Beispiel. Aber wir sind ein kleines, privat gehaltenes Unternehmen. Da wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

Auch weil Ihnen die Schweizer Steine in den Weg legen?
Nein. Klar aber ist: Die Schweizer Konglomerate sind eine Übermacht. Wir müssen alles weltweit selbst aufbauen - sind aber auf gutem Weg. Das schönste Kompliment für mich ist, wenn Kollegen von anderen Herstellern unsere Uhren kaufen, weil sie ihnen so gut gefallen.

Nur Namen können Sie natürlich keine nennen...
Stimmt, das möchte ich lieber nicht.

Auf allen Uhren, die man abgebildet sieht, ist immer zehn nach zehn Uhr. Warum?
Ganz einfach. Man sieht das Zifferblatt sehr gut und die Zeiger zeigen ein Lächeln. Bei uns ist es aber nie zehn nach zehn Uhr, sondern achteinhalb nach zehn Uhr.

Für Junghans als Firma war es 2008 aber auch schon fünf vor zwölf.
Ich würde eher sagen, es war fünf nach zwölf. Wir waren insolvent.

Und damals wollte kein Schweizer Konzern Junghans kaufen?
Diese Chance haben die Schweizer verpasst. Ich glaube, wir hatten achtzig Interessenten, sind aber nur mit 15 in die Due Diligence gegangen. Unter ihnen waren auch etliche Schweizer. Aber dann kam die Finanzkrise - und die erwischte auch die Uhrenbranche, auch die Schweizer Uhrenbranche. Und plötzlich waren es nur noch drei Interessenten.

Welche?
Eine deutsche Investorengruppe. Ein Asiate. Und die Familie Steim, der die Firma heute gehört.

Aber keine Schweizer?
Nein. Damals war die ganze Branche auf Luxus getrimmt.


Damals war Junghans ein Sanierungsfall, heute ein kleiner, feiner Player. Jetzt aber stehen die Schweizer Schlange?
Nein, das nicht. Die Herren Steim wollen auch gar nicht verkaufen.

Wie würden Sie Ihre Uhren eigentlich beschreiben?
Ich sage immer: Eine Junghans ist parkettfähig. Egal, ob Sie Verwaltungsratspräsident sind oder Lehrer, Sie können die Uhr immer tragen. Jeder, der Ihre Junghans sieht, wird sagen: «Oh, schöne Uhr, die Marke kenne ich.» Man outet sich mit einer Junghans als bodenständiger, seriöser und stilvoller Mensch. Für die einen mag das langweilig sein, für andere ist genau das sehr chic.

Was wollen Sie in den nächsten fünf Jahren erreichen?
Wir wollen trittsicher wachsen und unsere Produkte in weitere Länder bringen. Derzeit sind es rund dreissig Länder. Wir gewinnen international immer mehr Top-Distributeure, die auch hochwertige Schweizer Marken vertreiben. Wenn wir jedes Jahr zwei, drei Länder neu erschliessen, wäre das doch schön.

Aber so gross wie Junghans in der Vergangenheit mal war, wird Junghans wohl nie mehr. Ein Frust für den Chef?
Nein. Es gibt noch viel zu träumen. Wenn ich daran denke, dass Junghans 1956 hinter Rolex und Omega der drittgrösste Chronometerhersteller der Welt war, darf ich noch ordentlich ambitioniert sein.

Stichwort E-Commerce: Wie sehr geht das bei Ihnen ab?
Wir haben seit dem Neustart digital ordentlich aufgerüstet. Unsere Website kann sich sehen lassen, wir sind in den sozialen Medien präsent. Wir haben für unsere Händler eine digitale Order-and-Service-Plattform aufgebaut. Und wir haben seit einem halben Jahr auch einen Online-Shop für die Endkunden. Noch ist der Umsatzanteil, der darüber läuft, sehr klein.

Aber stark steigend?
Na ja. Der beste Ort, eine Uhr zu kaufen, ist für mich immer noch der stationäre Fachhändler.

Glauben Sie also nicht an E-Commerce?
Ich glaube, das Thema wird immer wichtiger. Aber ich hoffe, dass der Fachhandel stark bleiben wird. Der grösste deutsche Juwelier und Uhrenhändler, Wempe, investiert momentan ja sehr stark in stationäre Geschäfte. Es scheint also durchaus eine Perspektive zu geben.

Und wann kommen Sie mit einem eigenen Geschäft an die Bahnhofstrasse in Zürich?
Vermutlich gar nicht.

Warum nicht?
Weil die allermeisten Mono-Brand-Stores ein Zuschussgeschäft sind. Und wir investieren lieber in die Substanz und Zukunft unserer Uhrenfabrik.

*Matthias Stotz ist seit 2009 Chef der deutschen Uhrenfabrik Junghans. Zuvor war er bei diversen Uhrenfirmen und Zulieferern tätig und hat ausserdem zwischen zwei Jobs Architektur studiert.

Andreas Güntert
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