Nestlé präsentiert zum Halbjahr harzige Zahlen. Die Einnahmen sind so langsam gewachsen wie zuletzt 2009 und auch der Gewinn ist hinter dem Vorjahr zurückgeblieben. Analysten hatten ein deutlich besseres Ergebnis erwartet. Nestlé müsste im zweiten Halbjahr deutlich anziehen und ein Plus von 5 Prozent leisten, um das selbstgesteckte Wachstumsziel von 4,2 Prozent für das Gesamtjahr zu erreichen. Ist das zu schaffen?

Eines der Probleme von Nestlé ist das historisch niedrige Preiswachstum. Der weltgrösste Lebensmittelhersteller tat sich im ersten Halbjahr deutlich schwer, in Märkten mit einer schwachen Währung mehr für seine Produkte zu verlangen. Das soll sich ändern. Finanzchef Francois-Xavier Roger will die Preise laut sda in Märkten wie Brasilien oder Russland stärker anziehen. «Wir haben etwa die Preise in Brasilien im Mai und Juni selektiv erhöht und werden dies nicht zurücknehmen», sagte Roger mit Blick auf einen möglichen Rückgang bei der Nachfrage.

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Erstens - Erholung beim Währungseffekt

Auch in Grossbritannien werde man die Preise aufgrund der starken Abwertung des britischen Pfundes im Nachgang zur Brexit-Abstimmung erhöhen müssen. Roger gehe davon aus, dass die Preise im zweiten Quartal 2016 den Tiefpunkt erreicht haben. Grundsätzlich ist Nestlé durch die Effekte zwar belastet,  aber weniger exponiert als andere.

Eine Dauerbaustelle von Nestlé ist der Währungseffekt. Da das Unternehmen seine Ergebnisse in Franken ausweist, frisst der starke Franken einen Gutteil der Verbesserungen durch Umrechnung wieder auf. Das ist weniger wichtig für die Produktionsstandorte selbst als für die Aktionäre. Im ersten Halbjahr haben die Wechselkurse mit einem Minus von 2 Prozent zu Buche geschlagen. Das ist allerdings deutlich weniger als in den Vorjahren – 2015 schmälerten die Währungseffekte das Ergebnis umt 7,4 Prozent und auch im Jahr vor dem Frankenschock waren es 4,4 Prozent.

Hier könnte in diesem Jahr eine Wende erreicht werden: Die Zürcher Kantonalbank rechnet damit, dass bei bleibenden Wechselkursen im zweiten Halbjahr der Währungseffekt erstmals seit 2012 marginal positiv sein könnte. Auch die steigenden Rohstoffpreise dürften für Rückenwind sorgen.

Zweitens – bessere Marge

Die Einschätzungen der Analysten fallen dennoch heterogen aus. Goldman senkte kürzlich das Kursziel für Nestlé auf 60 Franken. Morgan Stanley hat das Papier bei 85 Franken belassen, korrigierte aber die Gewinnerwartungen leicht nach unten. Die US-Investmentbanken schätzen den chinesischen Markt für Babynahrung in Erwartung massiver Überkapazitäten und erheblichen Preisdrucks zunehmend vorsichtig ein.

Auch Nestlé selbst bestätigt in seiner Mitteilung zum Halbjahr, der Markt für Nahrungsmittel und Getränke habe sich in China «beträchtlich» verlangsamt. ZKB-Analyst Patrik Schwendimann legt den Fokus hier auf die Marge: «Obwohl das Wachstum in China rückläufig und das Umfeld in vielen anderen Märkten nicht einfach ist, konnte Nestlé die Marge verbessern. Das ist keineswegs selbstverständlich.»

Drittens - Selbstvertrauen in die langfristigen Ziele

Die Marge ist für Schwendimann das stärkste positive Signal für Nestlé. Auch angesichts der Tatsache, dass der Lebensmittelriese seit Jahren hinter seinem Langfristziel von 5 bis 6 Prozent Wachstum zurückbleibt. Für den scheidenden Nestlé-Chef Paul Bulcke wird es nun das vierte Jahr in Folge, dass er diese Entwicklung bestätigen muss. Anleger sollten darauf aber nicht zu viel Gewicht legen, sagt Schwendimann. «Die Aktie wird teilweise zu stark verschmäht. Hätte Nestlé sein Marketingbudget und die Investitionen in Forschung & Entwicklung gleich belassen, wäre die Marge um 130 Basispunkte gestiegen. Dann wäre die Aktie durch die Decke gegangen.»

An der Börse kam die Verbesserung der operativen Margen um 0,3 Prozentpunkte auf 15,3 Prozent auch heute gut an. Nach der Vorlage der Zahlen lag das Nestlé-Papier um 0,8 Prozent im Plus bei rund 79 Franken und damit über dem Gesamtmarkt.

Nestlé denke langfristiger, und das sei richtig so. Das gelte auch für die Zukunft, wenn der neue CEO Ulf Schneider übernimmt. «Es wird auch 2017 nicht einfach sein, ein Wachstum von 5 bis 6 Prozent zu erreichen. Das Umfeld bleibt schwierig. Dennoch täte Nestlé gut daran, auf seine Stärke zu vertrauen und das langfristige Ziel beizubehalten», so Schwendimann.

Dezentralisierung zurückfahren

Das langfristige Wachstumsziel liegt in der Hand des Konzernchefs, Ulf Schneider könnte es damit nach seinem Wechsel auf den Spitzenposten anpassen. Der Ex-Fresenius-Chef hat von seinem Vorgänger einige Aufgaben mit auf den Weg bekommen. Das Unternehmen müsse in Zukunft auf Veränderungen der Märkte «schneller als bisher reagieren und das Portfolio anpassen», sagte Bulcke dem deutschen «Manager Magazin».

Ausserdem sei es wichtig, die Dezentralisierung zurückzufahren. «Wir müssen mehr Synergieeffekte nutzen und Skalenvorteile stärker realisieren», so Bulcke. Er verlangte gemeinsame Standards im Personalwesen, der Lohnbuchhaltung oder im Einkauf, um die Effizienz zu steigern. Auch «bei der Entwicklung neuer Produkte wollen wir verstärkt global zusammenarbeiten».

«Eine stärkere Zentralisierung wäre sinnvoll, die Marge von Nestlé hat noch viel Potenzial», meint dazu Schwendimann. «Allerdings ist es wichtig, diese Gratwanderung mit dem richtigen Fingerspitzengefühl anzugehen, um Freiheiten nicht falsch zu beschneiden.» Es sei wichtig, in so unterschiedlichen Märkten wie China, Indien oder den USA weiterhin auf das Knowhow vor Ort zu setzen.