Wir haben 14.10 Uhr. Zeit für ein Bier?
Philip Bucher: Nein, denn wir trinken kein Bier während der Arbeit.

Ziehen Sie das strikt durch?
Ja, aus Sicherheitsgründen. Das gilt sowohl für die Produktion als auch für uns im Büro. Aber heute gegen 17 Uhr werden die einen oder anderen wohl noch ein gemeinsames Feierabendbier nehmen.

Sind Sie in Fussball-WM-Stimmung? Sportliche Grossereignisse rechnen sich in der Regel für Bierbrauereien.
Jeder spürt das. Wir beliefern ein Public Viewing in Zürich, das sicher Zusatzumsatz generiert. Aber die Leute trinken in diesen Zeiten auch sonst mehr Bier, weil sie zusammen mit Freunden die Spiele anschauen und den Abend vielleicht noch gemeinsam verbringen.

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Vor fünf Jahren haben Sie Ihren gut bezahlten Marketingjob bei Geberit aufgegeben und auf der grünen Wiese eine Brauerei gebaut, die jetzt bereits zu den grössten der Schweiz gehört. Wie einfach war der Einstieg ins Metier?
Ich bin Betriebs- und Produktionsingenieur, der Bau einer Brauerei lag für mich daher nahe. Aber natürlich hat mir auch die Marketingerfahrung geholfen. Bier ist ein emotionales Produkt. Eine freche Marke, wie wir sie haben, bietet im Schweizer Markt viele Möglichkeiten.

Sie wechselten vom Toilettenbauer zur Brauerei. Wie oft mussten Sie sich Witze über dünne, gelbe Flüssigkeiten anhören?
Eigentlich gar nicht so viele. Die Geberitler haben vor allem Sprüche gemacht, weil ich jetzt dafür sorge, dass ihre Produkte häufiger gebraucht werden.

Name: Philip Bucher

Funktion: CEO Doppelleu Boxer

Alter: 44

Familie: Verheiratet, zwei Töchter

Ausbildung: Parallelstudium: MSc in Advanced Manufacturing Systems, Brunel University (London) und dipl. Betriebs- und Produktionsingenieur ETH Zürich, Dr. sc. techn. ETH

Karriere:

2003 bis 2009: Verkauf und Marketing bei Hilti

2009 bis 2012: Leiter Marketing bei Geberit

Brauer Philip Bucher: «Welchen Wert hat die Swissness bei Bier? Das hat noch niemand ausgetestet.»

Viele neue Brauereien entstehen als Hobby- oder Gasthausbetriebe. Sie starteten gleich mit einem grossen Neubau und einer nationalen Kampagne.
Ja. Wir hatten von Anfang an ein ausgebautes Konzept und die Markenwelt mit Chopfab und Doppelleu. Damit übersprangen wir die erste Phase einer traditionellen Brauereigründung.

Lief rückblickend alles nach Plan?
Es lief sogar besser als erwartet. Geplant war eigentlich, das Bier aus Winterthur zu werden mit Hauptzielmarkt in der Grossregion Zürich. Es zeigte sich dann aber, dass die Marke Chopfab auch in Bern, Basel oder Graubünden funktioniert.

Sie produzieren nur Spezialitäten, kein normales Lagerbier. Warum nicht?
Wir beschlossen gleich am Anfang, nur obergärige Biere zu brauen. Die vom Weizenbier bekannte Hefeart ist der Fingerabdruck unserer Biere und gibt ihnen einen gemeinsamen Charakter. Da passte ein untergäriges Lagerbier einfach nicht rein. Mittlerweile haben wir diesen Bierstil aber über die Brauerei Boxer ins Unternehmen geholt, mit der wir Anfang Jahr fusionierten. Jetzt sind wir komplett.

Ihre Strategie basierte auf einem alten Marketingtrick: Man nehme den Bierstil der hippen Mikrobrauereien und kombiniere ihn mit den Produktionsmethoden der Grossen. Darauf hätten eigentlich auch andere Brauereien kommen können.
Ja, das war naheliegend. Überall auf der Welt wächst das Segment mit obergärigen Spezialitäten am schnellsten. Lagerbiere dagegen, wie sie die Schweizer Brauereien mehrheitlich herstellen, sind meist rückläufig. Die Statistiken des Schweizer Brauereiverbandes bestätigen diesen Trend jedes Jahr aufs Neue.

Und warum hat es vor Ihnen niemand in der Schweiz getan?
Das hat wohl mit der Geschichte zu tun. Viele Brauereien haben Traditionen und Lagerbier ist ihr Brot- und -Butter-Produkt. Nachvollziehbar, dass die bestehenden Produkte ganz im Fokus stehen und auch müssen. Daneben noch eine Spezialitätenlinie wie Chopfab zu lancieren, wäre in diesem Kontext sehr schwierig. Ich denke auch, dass viele grössere Brauereien vor fünf Jahren schlicht das Potenzial dieser Biere noch nicht erkannt hatten.

Sie liessen in kürzester Zeit 99 Prozent der Brauereien hinter sich und sind jetzt die Nummer sechs im Schweizer Markt, korrekt?
Das ist so.

Wie viel Bier produzieren Sie pro Jahr?
Sie wissen doch, dass wir das nicht sagen.

Warum machen Brauereien ein so grosses Geheimnis um ihre Mengen?
Das ist eine gute Frage. Es ist in der Branche einfach üblich, dass man da nicht drüber spricht. Und so tun auch wir das nicht.

Mit der Fusion mit Boxer hat sich Ihr Ausstoss in etwa verdoppelt.
Ja, da haben sich zwei gleich grosse Partner gefunden.

Schreiben Sie schon Gewinn?
Wir sind rentabel. Und mit Boxer kam eine etablierte Brauerei dazu, die ebenfalls Gewinne schreibt.

Dann hatten Sie sicher auch schon Übernahmeangebote auf dem Tisch?
Wir hatten bis heute keine Übernahmeangebote. Ich denke, dass potenzielle Interessenten genau wissen, dass Unabhängigkeit und Schweizer Eigentümer zwei Puzzlesteine des Erfolgs von Doppelleu sind. Durch einen Verkauf würde Doppelleu geschwächt, und daher macht dies für einen Käufer strategisch wenig Sinn.

Die Winterthurer Brauerei Doppelleu wurde 2014 von Philip Bucher zusammen mit Geschäftspartner Jörg Schönberg gegründet. Das Gründungskapital stammte mehrheitlich von Bucher. 2017 fusionierte Doppelleu mit der Yverdoner Brauerei Boxer. Deren Hauptaktionäre, die Goldacher Löwengarten Holding und der Basler Peter Keller, sind seither an der Doppelleu Boxer AG beteiligt.

Doppelleu startete 2014 mit Bieren unter den Marken Doppelleu und Chopfab. Auf dem Areal einer Gas-Firma in Winterthur bauten die Investoren eine professionell ausgestattete Brauerei. Damit wählte Doppelleu einen für die Schweiz neuen Weg: Viele Schweizer Brauereien sind entweder etablierte Traditionsunternehmen oder neue, eher langsam gewachsene Unternehmen, die ihren Ursprung einst in Hobby- oder Gasthausbrauereien hatten.

Chopfab

Das «Chopfab»-Bier von Dopelleu Boxer ist beliebt.

Quelle: Matthias Göbel

Mit der Fusion mit Boxer erwarben Sie eine Produktpalette und ein Vertriebsnetz in der Romandie. Was war wichtiger?
Dass Boxer nur untergäriges Bier braut, hat perfekt gepasst. Aber selbstverständlich ging es auch darum, eine nationale Vertriebsorganisation zu etablieren. Wir haben so überhaupt erst den Einstieg in die Romandie geschafft und gleichzeitig Boxer in der Deutschschweiz gestärkt.

Sie haben die Boxer-Brauerei nach der Übernahme gleich einmal umgebaut.
Nein, nur die Abfüllanlage. Die Brauerei ist hochmodern. Die Füllerei dagegen war sehr alt, das warheikel. Sie können ein noch so gutes Bier brauen und es dann bei der Abfüllung vergeigen. Da geht es zum Beispiel darum, mit wie viel Sauerstoff das Bier in Kontakt kommt. Gerade bei Bieren mit viel Hopfen ist das wichtig, denn Sauerstoff kann diese Aromen zerstören. Eine neue Abfüllerei warzwingend – und auch schon vor der Fusion geplant.

War der Kapitalbedarf ein Grund dafür, dass Boxer die Eigenständigkeit aufgab?
Die alten Aktionäre hätten das schon finanzieren können, Boxer war eine gesunde Firma. Es wareher eine Generationenfrage. Die Eigentümer waren im Rentenalter und wollten das nicht mehr selber stemmen.

Warum brauen Sie Boxer nicht gleich in Winterthur? Sie hätten viel Geld gespart.
O nein, um Gottes willen! Das wäre genau der Fehler, den in der Schweiz schon so viele gemacht haben. Die Schliessung der Boxer-Brauerei wäre eine sichere Methode gewesen, den Wert der Marke zu vernichten. Ein Bier aus der Romandie gehört in die Romandie!

Wie leicht lässt sich das welsche Boxer in der Deutschschweiz vermarkten?
Boxer ist als Marke bereits sehr gut bekannt. Es gab einmal Zeiten, da verkaufte die Brauerei in der Deutschschweiz mehr Bier als in der Romandie.

Das ist lange her. In den neunziger Jahren ging Boxer pleite und musste neu aufgebaut werden. Wie kam es zum Einbruch?
Die ursprüngliche Strategie von Boxer war die des Kartellbrechers. Das Bierkartell regelte bis 1991, wer Bier in welchen Mengen an welche Restaurants liefern durfte. Boxer war der Wilde, der dieses Kartell schweizweit durchbrach. Als es aufgehoben wurde, ging der Kampf los. Boxer verlor seinen Vorteil als Kartellbrecher und die Regionalbrauereien spielten in ihren Gegenden die Nähe zu den Kunden aus.

1997 wurde Boxer neu gegründet. Sind diese Aktionäre auch nach der Fusion mit Doppelleu noch an Bord?
Boxer hatte drei Aktionäre. Einer ist vorletztes Jahr verstorben, die anderen beiden sind noch dabei.

Gibt es beim Bier einen Röstigraben?
Der Deutschschweizer ist vom deutschen Markt beeinflusst. Man mag herbere Biere vom Stil eines Pilsners. Die Romands sind eher aus dem frankophonen Raum inspiriert und stehen auf etwas weichere Biere. Unsere obergärigen Chopfab-Biere sind daher in der Romandie sehr beliebt. Speziell das Weizen, im Stil einer belgischen Blanche gebraut, ist unglaublich erfolgreich. Aber frappant unterschiedlich sind die Geschmacksvorlieben nicht, der Röstigraben ist auch beim Bier ein kultureller.

Sie sind ein Marketingprofi mit Auslanderfahrung. Wann wagen Sie sich mit Doppelleu an den Exportmarkt?
Craft Beer ist grenzenlos. Die Doppelleu-Linie liesse sich im Ausland sicher gut verkaufen. Bisher hatten wir keinen Fokus drauf, weil wir schon damit ausgelastet waren, den Schweizer Markt zu bedienen. Zudem ist das auch nicht ganz trivial. Jedes Land hat andere Vorschriften – auch innerhalb der EU. Spannend ist Boxer, schon nur wegen des Namens.

Weil sich Boxer auf Englisch besser aussprechen lässt als Chopfab?
Klar, Boxer ist ein international verständliches Wort. Zudem hat die Brauerei bereits Erfahrung. Eine Zeitlang exportierte sie relativ viel Bier nach China; dieses Beziehungsnetz besteht noch immer. Es wäre also eine Überlegung wert, wie man als Schweizer Marke den chinesischen Markt wieder aktiveren könnte. Wir wissen, dass da Potenzial besteht.

Die «Handelszeitung»-Redaktoren Marc Iseli (links) und Michael Heim im Gespräch mit Philip Bucher.

Exportieren Sie derzeit nach China?
Nein, wir haben das vor einem Jahr gestoppt. Wegen des Produktionsunterbruchs im Rahmen des Umbaus hatten wir da einen Engpass. Zudem wurde ja auch das Design geändert.

Müsste man im Ausland den Schweizer Absender stärker betonen?
Wir haben ja auf jeder Verpackung das Label «Swiss Craft Beer» mit dem Schweizerkreuz. Die grosse Frage ist aber: Welchen Wert hat die Swissness überhaupt bei Bier? Das hat noch niemand ausgetestet. Vielleicht ist sie ja tatsächlich viel wert.

Warum versuchte sich bisher praktisch keine Brauerei auf dem Exportmarkt?
Viele Kleinbrauereien definieren sich über ihre Region und kommen deshalb schon innerhalb der Schweiz nicht richtig voran. Die Grossen wiederum gehören den Konzernen Carlsberg und Heineken, die kein Interesse an einem Exportprodukt aus der Schweiz haben. Dieses würde bloss andere Konzernmarken konkurrenzieren.

Sie brauten auch schon extreme Biere wie ein bitteres Double IPA oder das leicht säuerliche Farmers Reward. Wie oft haben Sie danebengegriffen?
Von den Standard-Bieren der Chopfab-Linie sind alle noch im Angebot. Bei den spezielleren Bieren aus der Doppelleu-Reihe haben wir ab und zu auch Biere, die den Geschmack nicht so treffen. Aber diese sollen ja auch polarisieren. Sobald die Biere zu dunkel werden, verkaufen sie sich nicht mehr ganz so gut. Gleiches gilt für extreme Aromen.

Wie haben Sie es mit alkoholfreiem Bier? Die Nachfrage danach wächst weltweit.
Auch wir bieten alkoholfreies Bier an. Wir haben es vor allem für Sportveranstaltungen entwickelt, denn Sport und Alkohol verträgt sich nicht so gut. Aber auch Sportler mögen Bier, das nach Bier schmeckt. Wir sind beim alkoholfreien Bier unseren Wurzeln treu geblieben und haben mit einem Pale Ale einen eigenen Weg gewählt.

Brauer klagen gerne über Preisdruck. Wo ist die Schmerzgrenze für Spezialitäten?
Unsere Doppelleu-Biere kosteten einst 4 Franken und verkauften sich recht gut. Wir haben die Preise dann aber auf 3 Franken für eine 33cl-Flasche gesenkt. Das hat den Absatz stark angeheizt, was uns zeigt, dass es auch bei den Spezialitäten eine Preissensibilität gibt. Aber wir in der Schweiz können uns eigentlich nicht beklagen. Im Ausland haben Sie es mit ganz anderen Preisen zu tun.

Was für Biere mögen Sie privat?
Von unseren mag ich das Trüeb aus der Chopfab-Linie und von den Doppelleu-Bieren das Oakwood Red Ale am besten.

Spannender wäre die Konkurrenz.
In Skandinavien gibt es ein paar wilde Brauereien, die mir gut gefallen. Es ist spannend, zu sehen, was für innovative Brauer es im Ausland gibt. Wir können nicht alles selber erfinden und es wurde ja auch fast alles irgendwo schon mal gebraut. Da schauen wir natürlich, was anderswo gut läuft. Und was auch bei uns funktionieren könnte.

Wie oft sind Sie auf Spionagereise?
Die wichtigsten Spionagereisen habe ich noch als Marketingleiter von Geberit gemacht. Da war ich viel unterwegs und bekam so erst richtig Appetit auf Bier. Ich sah plötzlich, was in all diesen Ländern möglich war. Wir haben vor dem Start von Doppelleu Dutzende Biere degustiert und uns da einen guten Überblick verschafft, was Bier sein kann.

So dass beim Start schon klar war, was unter Doppelleu einst gebraut werden würde.
Ja. Das Sortiment von Chopfab und Doppelleu, so wie es nach drei Jahren auf dem Markt war, hatten wir schon vor dem Start auf dem Papier definiert.

Hatten Sie Vorbilder? Geschichte, Aufmachung und Sortiment erinnern ein wenig an die schottische Brewdog-Brauerei.
Wir haben vor dem Start diverse Brauereien im Ausland studiert. Brewdog ist eine extreme Brauerei, die so in der Schweiz wohl nicht funktionieren würde. Ihre Biere sind weit weg vom Mainstream. Wir haben uns eher an amerikanischen Craft-Brauereien orientiert, die auf der einen Seite stark gehopfte Spezialitäten wie India Pale Ale verkaufen, auf der anderen Seite aber auch leichtere Biere. Diese Palette vom Einsteiger-Craft-Beer bis zur Spezialität haben wir übernommen.

Brewdog hat eigene Bars. Wann kommen die Doppelleu-Pubs?
So was ist nicht geplant, überhaupt nicht. Einerseits sind die Gastronomen wichtige Kunden von uns und da wollen wir nicht als direkter Konkurrent auftreten. Und anderseits sehen wir unsere Kernkompetenz in der Herstellung von Bieren und nicht in der Gastronomie. Es gibt sehr gute Gastronomen in der Schweiz. Wir überlassen diese Arbeit lieber ihnen.