Liebe Leserinnen und Leser

Das Märchen hält sich hartnäckig, dass die Wirtschaft unser Parlament dominiere. Das denken nicht nur die Wähler der Linken, sondern breite Bevölkerungskreise. Die Anhänger dieser These tragen immer noch ein Bild mit sich herum, das in einer Zeit geprägt wurde, als der oberste Verbandsführer der Wirtschaft, der Präsident des Vororts (heute Economiesuisse), als «achter Bundesrat» galt. Tempi passati! Die Wirtschaft, die früher einmal mit einer Stimme sprach, hat sich massiv verändert.

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Längst laufen die Interessen der Binnenwirtschaft, zu der auch die Landwirtschaft zählt, und des internationalen Sektors mit den Finanzkonzernen und der Exportwirtschaft auseinander. Entsprechend unterschiedlich sind auch ihre jeweiligen politischen und wirtschaftspolitischen Forderungen.

Die Binnenwirtschaft ist, das dürfte inzwischen allgemein bekannt sein, sehr viel weniger produktiv als der internationale Sektor, der sich auf dem Weltmarkt bewähren muss. Dieser ist topfit, überzeugt mit hoher Wertschöpfung und kann entsprechend hohe Saläre zahlen. Und daraus wiederum wird über Steuern und Abgaben der Staat finanziert. Die Politik jedoch hätschelt die Schwachen, die klassischen Binnenmarktbranchen wie Landwirtschaft, Bau und Tourismus. Diese dürfen sich ausgiebig an den Honigtöpfen bedienen, die von den Exportbienen gefüllt werden. In der nach innen gerichteten Wirtschaft geht es gemächlicher zu, weil der Wettbewerb schwächer ausgeprägt ist. Die Unternehmen dieser Branchen freut das, können sie doch die Margen hoch halten. Die Konsumenten freut es weniger, sie leiden unter zu hohen Preisen.

Ein ziemlich unsinniger Zustand, für den unser Parlament die Verantwortung trägt, aber auch die Stimmbürger, die ihre Stimme kurzsichtig abgeben. Im Nationalrat ist die Agrarlobby mit 30 Köpfen vertreten, «der ehemalige Direktor des Bauernverbandes und der gelernte Landwirt Christoph Blocher nicht mitgezählt», wie Markus Schär in seiner Analyse schreibt. Zählt man die Bau- und die Tourismuslobby in den Räten noch hinzu, kommen immer wieder Mehrheiten zu Stande für Beschlüsse, die der Exportindustrie Schaden zufügen: Die Staatsquote wächst ohne Ende, auf den Weltmärkten leidet man unter dem WTO-Regime, weil unsere Landwirtschaft zu wenig schnell liberalisiert wird, denn unsere Maschinen und Dienstleistungen lassen sich in Schwellenländern nur verkaufen, wenn diese im Gegenzug landwirtschaftliche Produkte absetzen können. Kein Wunder, beklagte sich am letzten Swiss Economic Forum in einem geschlossenen CEO-Roundtable ein bekannter Unternehmer: «Die Exportindustrie hat im Parlament gar keine Lobby.»

Die Schizophrenie dieser Haltung wird noch deutlicher, wenn wir sehen, wie gefährlich abhängig wir von unserem ganz grossen Wohlstandsspender sind, dem Finanzsektor. Gut 15 Prozent trägt dieser zum Sozialprodukt bei und ein Viertel zu den Staatseinnahmen. Er steht und fällt mit den wenigen Topbanken und Versicherungskonzernen. Ziehen diese aus, ist es vorbei mit dem schweizerischen Wohlstand. Für Professor Thomas Straubhaar tickt hier «eine Zeitbombe». Weitere Verlagerungen bringen seiner Meinung nach «das ganze Land ins Rutschen».

Für die Schweiz gibt es nur eine Strategie: (fast) alles in den Dienst des internationalen Sektors zu stellen. Bald sind Wahlen. Und dort sind Weichenstellungen möglich.