Im Fluglärmstreit zwischen Deutschland und der Schweiz ist ein Durchbruch gelungen. Die Delegationen der beiden Länder haben sich auf einen Staatsvertrag zum Flugverkehr einigen können, wie Bundesrätin Doris Leuthard vor den Medien in Bern erklärte.

«Wir sind mittel zufrieden», sagte Leuthard. «Wir haben einiges erreicht, aber natürlich nicht das Optimum.» Es handle sich um einen fairen Vertrag, beide Seiten seien an die Grenzen ihrer Kompromissbereitschaft gegangen.

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Für die Schweiz bedeutet dies, dass sie mehr Fluglärm über eigenem Gebiet hinnehmen muss. Konkret sieht der Kompromiss vor, dass Anflüge am Abend drei Stunden früher als heute über Schweizer Gebiet geführt werden dürfen, nämlich bereits ab 18 Uhr.

Im Gegenzug verzichtet Deutschland auf die Festlegung einer zahlenmässigen Begrenzung für Anflüge auf den Flughafen Zürich über deutsches Gebiet. Zudem können Flugzeuge werktags bereits eine halbe Stunde früher als heute Zürich über Süddeutschland anfliegen, nämlich bereits um 6.30 Uhr.

Lastenverteilung in der Schweiz offen

Damit wären von 6.30 bis 18 Uhr Anflüge von Norden her möglich, ab Wochenenden erst ab 9 Uhr. Diese Betriebsform tritt erst nach den erforderlichen Verlängerungen der Ost-West-Piste (Piste 28) und der Piste Nord (Piste 32) auf dem Flughafen Zürich in Kraft, spätestens aber 2020. Über die Pistenverlängerungen wird wohl das Zürcher Stimmvolk entscheiden können.

Wie die Lasten in der Schweiz verteilt werden sollen, ist noch offen. Bis 2020 werden es laut Leuthard rund 20'000 Anflüge sein, die umgelagert werden müssen. Ein Drittel der An- und Abflüge soll dann über der Schweiz stattfinden. Deutschland habe der Schweiz eine lange Übergangsfrist zugestanden, sagte Leuthard. Die Schweiz habe nun Zeit, eine faire Lösung für den Lastenausgleich im Landesinnern zu suchen.

Als mögliche Option in der Vereinbarung enthalten ist der umstrittene gekröpfte Nordanflug. Dabei fliegen die Flugzeuge beim Anflug nach Zürich entlang des Rheins auf Schweizer Gebiet, bevor sie in die Anflugschneise eindrehen.

Im Gegenzug für die lange Übergangsfrist ist die Schweiz bereit, die Flüge an Werktagen eine Stunde früher als heute über Schweizer Gebiet zu führen, sobald der Vertrag ratifiziert ist.

Parlamente entscheiden

Die neuen Regelungen werden in einem Staatsvertrag festgeschrieben. Dieser muss durch die Verkehrsminister der beiden Länder unterzeichnet werden. Damit der Vertrag in Kraft treten kann, müssen ihn die eidgenössischen Räte und der deutsche Bundestag ratifizieren. Leuthard will die Botschaft noch dieses Jahr ans Parlament leiten.

Unterlegen sind die betroffenen Landkreise in Süddeutschland. Deren Vertreter hatten auf eine zahlenmässige Begrenzung der Flugbewegungen gepocht, auf Basis der «Stuttgarter Erklärung». Für den Flughafen Zürich hätte dies bedeutet, dass nur noch 80'000 Anflüge über deutschem Gebiet möglich gewesen wären.

Dass die Zahl der Anflüge nun nicht begrenzt wird, wertet Leuthard als Erfolg. Damit werde dem Flughafen ein Entwicklungspotenzial gewährt. Bei 350'000 Bewegungen pro Jahr werde der Flughafen seine natürlichen, durch die Pistenverhältnisse gegebenen Grenzen erreicht werden. Bis zu diesem Punkt könne er wachsen.

Drohungen aus Deutschland

Der Vertrag, den das Schweizer Parlament vor mehr als zehn Jahren ablehnte, sah eine Begrenzung auf 100'000 Flugbewegungen vor. Nun ist eine Begrenzung durch mehr Sperrzeiten gegeben: Insgesamt gewährt die Schweiz Deutschland pro Woche zusätzliche 16,5 Stunden ohne Flugverkehr.

Leuthard rief in Erinnerung, dass Deutschland für den Fall, dass die Schweiz sich nicht auf einen Kompromiss eingelassen hätte, mit einer Verschärfung des geltenden Regimes drohte. Dies hätte der Schweizer Bevölkerung mehr Lärm gebracht als die nun erzielte Lösung, gab sie zu bedenken.

Die Lösung wurde nach fünf Verhandlungsrunden erzielt. Im Januar hatten Leuthard und der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer sich auf die Grundzüge einer Lösung verständigt und am Weltwirtschaftsforum in Davos eine Absichtserklärung unterzeichnet.

(tno/aho/sda)