Das zweifelhafte Ansehen, das die Statistik in der Öffentlichkeit geniesst, beginnt damit, dass sie mit nackten Zahlen hantiert. Und die sind meistens «zu genau, um wahr zu sein». Zum Beispiel betrage die ständige Wohnbevölkerung 7 415 102 Personen, meldet das Bundesamt für Statistik in Neuenburg. Woher wissen das die Statistiker so exakt? Wenn sie Glück haben, leben heute «rund 7,4 Millionen Personen» in der Schweiz, während es drei Jahre zuvor «rund 7,3 Millionen» und fünf Jahre zuvor «rund 7,2 Millionen» gewesen sind.

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Das Publikum aber würde auf solch vage Angaben sehr misstrauisch reagieren. Also veröffentlichen die Statistiker ihre Zahlen so exakt, wie sie diese erheben. Das wirkt verlässlich – obschon höchstens die Daten zu den Geburten und Todesfällen zuverlässig sein dürften; die Daten zu den Ein- und Auswanderungen nähern sich der Wirklichkeit im besten Fall an. Nicht erfasst werden dabei die so genannten Sans-Papiers. Dabei handelt es sich um eine Population, die das Bundesamt für Migration früher auf «zwischen 50 000 und 300 000» geschätzt hat. Prompt wollte man es von links bis rechts genauer wissen. Also gab das Bundesamt eine Studie beim GfS-Forschungsinstitut in Auftrag. Sie ergab Folgendes: «Gemäss unseren Schätzungen lebten im Sommer 2004 maximal 100 000 Sans-Papiers in der Schweiz. Der eigentliche Schätzwert beträgt ziemlich genau 90 000 Personen mit einer Spannweite von fast ebenso genau 10 000.»

Eine ähnliche «Grobschätzung» liefert der österreichische Ökonomieprofessor Friedrich Schneider: Er kommt auf 82 000 illegale ausländische Beschäftigte in der Schweiz. Was diese tun, taucht in keiner Statistik auf – es geht um die berühmte Schattenwirtschaft, die zwar kein spezifisches Ausländerphänomen ist. Im Gegenteil: Die offizielle ständige Wohnbevölkerung hilft inoffiziell tatkräftig mit. Schneider rechnet deren Aktivität auf Vollzeitstellen hoch und kommt für 2005 auf «zirka 520 000», eine Zahl, die im Laufe dieses Jahres auf «zirka 493 000» sinken soll.

Als Spezialist für die systematische Schärfe im klassischen Unschärfebereich wird Friedrich Schneider nicht nur in der Presse häufig zitiert, sondern auch in wissenschaftlichen Zeitschriften. Warum kommen seine exakten Zahlen, erhoben mit «drei bis vier Methoden», publiziert für 120 Länder, so gut an? Weil sie etwas zu quantifizieren versuchen, was wir aus eigener Erfahrung bestens kennen, sei es vom Umgang mit Putzfrauen und Handwerkern her oder von Besuchen in Restaurants und Läden, wo Bares ohne Kassenzettel über den Tisch geht. Selbst ein SVP-Nationalrat hat schon Wanderarbeiter aus Osteuropa schwarz beschäftigt, ohne dass dies seiner Karriere geschadet hätte. Wir tun es (fast) alle: als Arbeitgeber, um tiefere Löhne auszuzahlen, als Selbständige, um weniger Steuern abgeben zu müssen, als Niedriglohnverdiener, um dank weniger offiziellem Einkommen zusätzliche Alimente, Subventionen an die Krankenkassenprämien oder Sozialhilfe zu erhalten.

Die Schattenwirtschaft hat mittlerweile eine Bedeutung erlangt, die alle offiziellen Statistiken in Zweifel zieht. Oder um es mit der Genauigkeit von Professor Friedrich Schneider zu sagen: Der Wert, den Schwarzarbeiter im Jahr 2005 in der Schweiz bar ausbezahlt erhielten, beläuft sich auf 38,7 Milliarden Franken. Addiert man diese Zahl zum Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz hinzu, steigt dieses um «sechs bis sieben Prozent». Es geht uns damit besser, als wir aus den Statistiken herauslesen können. Diese Dynamik liegt nicht im Sonnenlicht, sondern im Schatten.

Während das offizielle BIP in den letzten 30 Jahren lediglich um 38 Prozent wuchs, explodierte die Schattenwirtschaft nach den Messungen von Friedrich Schneider um 330 Prozent. – Es spricht einiges dafür, dass diese Zahlen «in etwa» zutreffen.