Das Zeitalter der Steinzeit ist nicht aus Mangel an Steinen zu Ende gegangen, das Ölzeitalter wird nicht erst zu Ende gehen, wenn der letzte Tropfen Öl gefördert worden ist.» Das berühmte Zitat von Scheich Ahmed Yamani, als Ölminister Saudi-Arabiens von 1962 bis 1986 die zentrale Figur des internationalen Erdölgeschäfts, wurde über Jahre als Vision abgetan, deren Erfüllung noch Jahrzehnte auf sich warten lasse.

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Erst mit dem rasanten Preisschub der vergangenen vier Jahre und Rekordpreisen für Erdöl sieht sich die vom grenzenlosen Ölkonsum trunkene Mittelstandsgesellschaft der industrialisierten Welt seit wenigen Monaten mit der von Scheich Yamani prophezeiten Realität konfrontiert: Zwar geht uns das Öl noch während Jahrzehnten nicht aus. Allerdings deutet alles darauf hin, dass die Fördermengen kurz vor ihrem Höhepunkt stehen und dass es in Zukunft nicht mehr gelingen wird, diese der enorm anziehenden Nachfrage entsprechend weiter zu steigern. Auch wenn viele Erdöl fördernde Staaten nicht müde werden, die Fakten zu vertuschen, verdichten sich seit gut einem Jahr die Anzeichen, dass die Nachfrage nach Erdöl von den Anbietern schon in absehbarer Zeit nicht mehr befriedigt werden kann.

Für Aufsehen sorgt die Analyse des Amerikaners Matthew Simmons, der mit profunden Studien über die saudi-arabischen Erdölvorräte zwar den Zorn des saudischen Königshauses auf sich gezogen hat, dessen neustes Buch, «Twilight in the Desert», in der Diskussion um die Endlichkeit der Erdölvorräte weltweit aber ein breites Umdenken eingeleitet hat. Schmerzhaft für die Propheten des nimmer endenden Erdölflusses: Simmons geniesst nicht nur einen erstklassigen Ruf als Energieexperte, sondern lässt sich als Leiter einer in Houston beheimateten und auf die Energieindustrie spezialisierten Investment-Bank nicht in die Ecke pessimistischer Umweltaktivisten drängen.

Simmons zeigt in seinem detailreichen Werk auf, dass Saudi-Arabien als einzige Ölmacht mit noch nicht ausgeschöpften Förderkapazitäten kurz davor steht, den Höhepunkt seiner Fördermengen zu überschreiten. Seit auch Länder wie Venezuela oder Nigeria ihr Potenzial längst ausgeschöpft haben und da auch neue Technologien und neue Ölfunde seit bald drei Jahrzehnten zu keinen nennenswerten Steigerungen der Vorräte mehr führen, ist Saudi-Arabien wieder in den Mittelpunkt der Marktbeobachter gerückt. Die Versuche, die Abhängigkeit vom saudischen Erdöl einzudämmen, gelten weitgehend als gescheitert. Das Land, das nach Schätzungen über knapp ein Viertel der weltweiten Erdölvorräte verfügt, ist die einzige Öl fördernde Nation, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Lage war, der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden und durch Ereignisse wie den Irakkrieg entstehende Lieferengpässe mit steigenden Fördermengen auszugleichen und so eine Rezession der Weltwirtschaft zu verhindern.

Da bereits ein Grossteil der übrigen Öl produzierenden Staaten ihre Fördermengen längst nicht mehr steigern kann, hängt heute alles von Saudi-Arabien ab, ob das Angebot der Nachfrage auch künftig noch gerecht werden kann. Da die Saudis wie auch die übrigen Mitglieder der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten (Opec) seit Beginn der achtziger Jahre keine detaillierten Förderzahlen mehr veröffentlichen, haben Schätzungen von unabhängigen Experten wie Matthew Simmons an Gewicht gewonnen.

Am Beispiel der USA lässt sich nachzeichnen, wie stark die Abhängigkeit vom saudischen Öl ist. Zwar haben die Amerikaner in den vergangenen Jahren versucht, diese zu mindern, indem sie Kanada und Mexiko als wichtigste Öllieferanten verpflichten konnten. Doch zeigen deren vergleichsweise bescheidene Vorräte, dass auch die USA über kurz oder lang ihren ungestillten Ölhunger nur im Nahen Osten stillen können. Mexiko verfügt nach neusten Schätzungen noch über 14,8 Milliarden Barrel Vorrat, Kanada über 16,8 Milliarden. Vergleicht man diese Zahlen allein mit dem jährlichen Ölverbrauch der USA, der bereits bei weit über sieben Milliarden Barrel pro Jahr liegt, erweisen sich die Vorräte ihrer beiden Nachbarländer als wenig dauerhaft.

Selbst Venezuela, das mit 77 Milliarden Barrel über die grössten Ölvorräte der westlichen Hemisphäre verfügt, wird bei anhaltender Nachfrage nicht in der Lage sein, entstehende Lieferengpässe zu stopfen. Obwohl einige Marktauguren nicht müde werden, den derzeit rekordhohen Ölpreis zu grossen Teilen auf spekulative Tendenzen etwa durch Hedge-Funds abzuschieben, lässt sich ein wachsender Nachfrageüberhang als Hauptursache für den Preisanstieg nicht mehr verneinen. So zeigt ein Vergleich mit früheren Ölpreisschocks, dass zum ersten Mal nicht politische Ereignisse, sondern in erster Linie eine steigende Nachfrage für die hohen Ölpreise verantwortlich ist.

Während etwa Westeuropa seit der grossen Ölkrise Mitte der siebziger Jahre viel unternommen hat, um seine Abhängigkeit vom Erdöl zu drosseln, haben derartige Bemühungen in den USA nie richtig Fuss gefasst. Um einen Dollar Bruttosozialprodukt zu produzieren, benötigen die Amerikaner heute noch über 50 Prozent mehr Erdöl als die Europäer. Zwar sind die Fortschritte in Europa in grossem Ausmass auf die Verlagerung der industriellen Produktion in asiatische Billiglohnländer zurückzuführen, weil der wachsende europäische Dienstleistungssektor weit weniger Öl benötigt als energieintensive Industrien. Der Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Europa liegt aber in erster Linie im Benzinverbrauch auf den Strassen.

Während amerikanische Autos dank rekordtiefen Benzinsteuern gerne 20 Liter oder mehr pro 100 Kilometer verbrauchen, haben es in Europa Autos mit einem Verbrauch von auch nur der Hälfte davon bereits schwer. Kein Wunder, dass sich selbst das sonst kühl argumentierende britische Wirtschaftsmagazin «Economist» Anfang September mit harscher Kritik über die amerikanischen «Oiloholics» ausliess. «George Bush hat früher einmal die Lektion über Alkoholismus gelernt. Es ist nun Zeit für ihn, den Amerikanern auch den Weg aus dem ‹Oiloholism› zu zeigen», kommentierte das Magazin.

Wie lange die weltweiten Reserven noch ausreichen, hängt zwar sicher in starkem Masse von dem noch kaum vorhandenen Willen der Amerikaner ab, mittels höherer Benzinsteuern und weiterer Massnahmen zur Eindämmung des Erdölkonsums beizutragen Doch sind es vor allem die aufstrebenden Länder Asiens, die auf der Nachfrageseite die Grenzen des Ölkonsums aufzeigen. China etwa versucht mit allen Mitteln – selbst mit Investitionen in wenig Erfolg versprechende Ölförderprojekte in Zentralasien –, seine wachsende Nachfrage zu decken.

Hält man sich aber vor Augen, dass der Pro-Kopf-Verbrauch an Erdöl in China heute gerade mal bei einem Fünfzehntel dessen der Vereinigten Staaten liegt, lässt sich erahnen, wie sich die Nachfrage entwickeln wird. Der Internationale Währungsfonds etwa geht davon aus, dass aufstrebende Staaten wie China oder Indien in den nächsten fünf Jahren für drei Viertel der steigenden Nachfrage verantwortlich sein werden.

Irritiert zeigt sich der Westen vor allem darüber, dass die neue Preishausse beim Erdöl bisher zu keiner Rezession geführt hat, wie dies bisher bei Ölpreisschocks stets der Fall war. Dabei gibt es kein deutlicheres Indiz dafür, dass die Erdölpreise sich allmählich in die Richtung bewegen, die ihnen der Markt vorgibt. Glaubt man an die elementaren Grundsätze der Wirtschaftslehre, so ist es nur logisch, dass der Erdölpreis 2004 neue Rekordwerte erzielt hat, so wie die Nachfrage und der Verbrauch an Erdöl nie so gross waren wie in eben diesem Jahr. Und Anzeichen dafür, dass die Nachfrage in absehbarer Zeit gedrosselt werden kann, fehlen gänzlich. Und so findet Simmons’ These, wonach der Ölpreis pro Fass von heute 60 schon in wenigen Jahren auf über 200 Dollar steigen könnte, immer mehr Anhänger.

Allerdings besteht gerade darin auch die Gefahr, dass die Weltwirtschaft durch weiter steigende Preise arg unter Druck geraten könnte und dass sich inflationäre und rezessive Tendenzen nicht mehr aufhalten lassen. Wenig tröstlich wird es dann sein, wenn der Ölpreis durch eine weltweite Rezession wieder deutlich fällt. Um dies zu verhindern, müsste Saudi-Arabien in der Lage sein, seine Fördermenge massiv zu steigern. Seit allerdings Matthew Simmons’ Studie über die saudischen Ölreserven in der Branche allmählich Wirkung zeitigt, beginnen auch Experten in der arabischen Welt über die Nach-Öl-Ära nachzudenken.

So haben die Aussagen von Sadad al-Husseini, der bis 2004 an der Spitze der staatlichen saudischen Ölfirma Aramaco stand, wie ein Blitz eingeschlagen. Gegenüber der «New York Times» widersprach Husseini Aussagen seiner Nachfolger, wonach Saudi-Arabien in der Lage sei, die tägliche Fördermenge auf 15 Millionen Barrel zu steigern. Diese Menge wäre nötig, um der steigenden Nachfrage der kommenden Jahre gerecht zu werden.

Wie Simmons geht aber auch Husseini als einer der profundesten Kenner der saudischen Ölindustrie davon aus, dass das Land diese Menge kurzfristig zwar fördern könnte, dass diese Form der Überproduktion aber schon in unmittelbarer Zukunft zu gravierenden Problemen führen würde. Um das Öl zu fördern und einen Unterdruck in den grossen Ölfeldern zu vermeiden, werden nämlich Jahr für Jahr immer grössere Mengen an Wasser in die Felder gepumpt. Dabei besteht die Gefahr, dass diese übernutzt werden und grosse Teile des Öls plötzlich nicht mehr gefördert werden können. Dieses Phänomen ist aus zahlreichen Ländern bekannt. So sind die angeblich neuen Reserven, die in den ehemaligen Staaten der UdSSR gefunden wurden, in erster Linie auf alte, übernutzte Quellen zurückzuführen, die lediglich dank kostspieligen neuen Technologien über kurze Zeit nochmals Öl liefern.

Bekanntestes Beispiel für die Folgen von Überproduktion ist Oman. 2001 gelang es diesem Land noch, dank neuen Technologien und intensiver Förderung seinen täglichen Ausstoss auf 960 000 Barrel zu steigern. Doch der Niedergang folgte auf dem Fuss: Durch die Übernutzung spielten die Quellen plötzlich nicht mehr mit, und alle neuen Produktionstechnologien konnten den Niedergang nicht aufhalten. Nur drei Jahre später war Oman gerade noch in der Lage, drei Viertel seiner ursprünglichen Förderkapazitäten aufrechtzuerhalten, Tendenz sinkend.

Anstatt sich auf Energie sparende neue Technologien im Strassenverkehr zu konzentrieren, haben die beiden grossen Ölkonsumenten USA und China vor allem damit begonnen, die anhaltende Nachfrage politisch abzusichern. So hat China mit Saudi-Arabien und auch mit Venezuela neue Liefervereinbarungen getroffen. Und das Säbelrasseln der Vereinigten Staaten gegenüber Venezuela ist charakteristisch für den fehlenden Willen, sich auf die physikalische Realität sinkender Erdölreserven einzustellen. Obwohl Venezuelas Präsident Hugo Chávez mittlerweile zu den Erzfeinden der USA gehört, hoffen die Amerikaner fast blind, dass dessen Visionen von neuen Ölfeldern dem Orinoco-Fluss entlang das Ölzeitalter nochmals um einige Jahre verlängern könnten.

Daran ändert auch wenig, dass Hugo Chávez gelegentlich den US-Präsidenten öffentlich bedroht. Während der wöchentlich von Radio und Fernsehen übertragenen Sendung «Aló Presidente» lässt sich der 50-jährige venezolanische Staatschef und Anführer der «bolivarianischen Revolution» häufig einen Baseballschläger reichen, um fuchtelnd anzukündigen, er werde Mr. Bush durch einen ins Gesicht gepfefferten Ball ausser Gefecht setzen. Mit wachsendem Entsetzen muss die US-Regierung feststellen, dass hinter der Haurucksymbolik von Chávez mehr steckt als Grössenwahn und politisches Nüsternblähen. Die republikanische Kongressabgeordnete Connie Mack aus Florida beschreibt den neuen amerikanischen Albtraum in der drastischen Formel: «Hugo Chávez ist ein zweiter Fidel Castro – aber einer mit Erdöl.»

Als Staatschef der fünftgrössten Erdölnation der Welt kann sich Hugo Chávez seine provokative Widerborstigkeit leisten. Laut Opec fördert Venezuela täglich 2,6 Millionen Barrel – die staatliche Erdölgesellschaft Petróleos de Venezuela (PDVSA) behauptet allerdings, es seien 3,3 Millionen. Nach Schätzung des Banco Mercantil könnten die erdölbedingten Exporteinnahmen dieses Jahr bis zu 40 Milliarden Dollar betragen. Die Hälfte der Staatseinnahmen und rund ein Drittel des Bruttoinlandprodukts verdankt das Land derzeit der Erdölindustrie, wobei beinahe die Hälfte des Rohstoffes ausgerechnet vom viel geschmähten Feind aus dem Norden gekauft wird: 1,2 Millionen Barrel exportiert Venezuela täglich in die Vereinigten Staaten.

Einen offenen Konflikt mit seinem Hauptabnehmer kann sich Hugo Chávez bei aller flammenden Rhetorik im Moment also gar nicht leisten, und auch George W. Bush wird sich angesichts der notorisch instabilen Lage im Nahen Osten hüten, den unberechenbaren Herrscher über die grössten Erdölvorkommen der westlichen Hemisphäre unnötig zu provozieren. Dennoch ist das Zweckbündnis zwischen der Supermacht und dem südamerikanischen Land brüchig: Chávez orakelt immer wieder von einer bevorstehenden amerikanischen Invasion, weshalb er bereits mehrmals versichert hat, er werde den USA beim geringsten Anzeichen einer Aggression den Ölhahn zudrehen.

Um die Ernsthaftigkeit dieser Drohung zu unterstreichen, bemüht sich die venezolanische Regierung mit beachtlichem diplomatischem Aufwand, den Erdölhandel mit Ländern zu intensivieren, die in Zukunft zumindest teilweise an die Stelle der USA treten könnten. So wurden kürzlich mit Chinas staatlichem Erdölunternehmen PetroChina Vereinbarungen getroffen, die eine Erhöhung der venezolanischen Lieferungen und ein chinesisches Engagement bei der Erschliessung neuer Quellen vorsehen. Laut Rafael Ramírez, dem venezolanischen Energieminister und Präsidenten von Petróleos de Venezuela in Personalunion, sind ausserdem Kooperationen mit staatlichen Ölfirmen in Iran, Saudi-Arabien und Algerien geplant.

Ein rauer Wind weht hingegen den privaten ausländischen Erdölfirmen entgegen, denn nebst neuen Lizenzgebühren und höheren Steuern sollen die internationalen Unternehmen in Joint Ventures eingebunden werden, an denen der venezolanische Staat zu mindestens 51 Prozent beteiligt ist. Wahrscheinlich wird sich Hugo Chávez auch mit dieser Forderung durchsetzen. Denn es gibt vage Hoffnungen, wonach die Ölreserven entlang des Flusses Orinoco so bedeutend sind, dass sie Venezuela dereinst zu einem Exportriesen à la Saudi-Arabien oder Iran machen könnten – ein guter Grund für die ausländischen Ölmultis, das Anziehen der Steuerschraube mit zusammengebissenen Zähnen hinzunehmen.

Erdöl ist für Hugo Chávez mehr als ein Exportprodukt, es ist der Treibstoff seiner «bolivarianischen Revolution» und seiner aussenpolitischen Ambitionen schlechthin. Diese zielen darauf ab, die in Lateinamerika weit verbreitete Enttäuschung über die traditionellen politischen Parteien und deren als neoliberal und amerikahörig gebrandmarkte Wirtschaftspolitik auszunutzen, um eine grosse antiamerikanische Koalition zu schmieden.

Besonders eng ist das Verhältnis des venezolanischen Präsidenten zu seinem persönlichen Freund und politischen Ziehvater Fidel Castro. Chávez liefert dem «máximo líder» täglich 90 000 Barrel Erdöl zu Vorzugspreisen, was ihn zur Mensch gewordenen Überlebensversicherung der kubanischen Revolution macht. Im Gegenzug verbessern 14 000 kubanische Ärzte in den Elendsvierteln der venezolanischen Städte die Gesundheitsversorgung.

Aber Hugo Chávez gibt auch anderen Ländern gegenüber den Wohltäter. Ende Juni vereinbarte der Venezolaner mit Regierungsvertretern aus dreizehn karibischen Ländern die Gründung der Ölgesellschaft Petrocaribe, die für den Rohstoff lediglich 60 Prozent des Weltmarktpreises verlangen wird. Die Transportkosten sollen dabei zu Lasten Venezuelas gehen. Und um die guten Beziehungen zu Argentinien zu unterstreichen, kaufte Chávez dessen Regierung Anleihen im Wert von 500 Millionen Dollar ab.

Dieser wirtschaftspolitische Aktivismus wird durch die Tatsache beflügelt, dass in den kommenden eineinhalb Jahren in zahlreichen Staaten Lateinamerikas Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. In einigen Ländern, etwa in Mexiko und Bolivien, wird die Macht wahrscheinlich in die Hände der Linken übergehen. Nun sieht Hugo Chávez, der nach eigenen Worten bis 2021 regieren will, die historische Chance zur Verwirklichung seiner grossen Vision: einem linken lateinamerikanischen Bündnis, das die US-Hegemonie bekämpfen und der von der amerikanischen Regierung geplanten Freihandelszone eine sozialistisch angehauchte Alternative entgegensetzen soll, die sich auf «Solidarität und Gerechtigkeit» stützt. Das Kürzel für den Plan des venezolanischen Präsidenten lautet Alba – das spanische Wort für Morgenröte.

Dass es in der weltweiten Erdölindustrie allerdings bereits dämmert, sollten sich die Hoffnungen auf neue Ölfunde und neue Fördermethoden nicht erfüllen, zeigt ein Vergleich des jährlichen Verbrauchs mit den noch vorhandenen Reserven. Dabei muss erst noch berücksichtigt werden, dass die von vielen Ländern ausgewiesenen Reserven in der Branche angezweifelt werden. Dies liegt am System der innerhalb der Opec festgelegten Fördermengen. Diese sollen eine Überproduktion und einen damit einhergehenden Preiszerfall verhindern. Da viele Erdöl fördernden Staaten aber hauptsächlich vom schwarzen Gold leben, tendieren sie dazu, ihre Reservestatistiken zu schönen, um so höhere Förder- und Exportquoten zugesprochen zu erhalten.

Die offiziellen Reserven wurden Ende 2004 von den Staaten weltweit mit 1188 Milliarden Barrel Erdöl ausgewiesen. Der Verbrauch lag im selben Jahr bei 29,5 Milliarden Barrel, für 2005 dürfte dieser auf 31 Milliarden Barrel steigen. Bei gleich bleibendem Konsum bedeutet das, dass der Welt in 40 Jahren das Erdöl ausgeht, sofern keine bedeutenden neuen Quellen mehr gefunden werden.

Grosse Hoffnungen setzt die Erdölindustrie heute in den Norden der kanadischen Provinz Alberta. Rund 43 000 Menschen leben heute in Fort McMurray an den Ufern des Athabasca-Flusses. Die meisten von ihnen sind aus einem einzigen Grund in die Einöde gezogen: Ölsand. Hier und in der Umgebung liegen laut Schätzungen zwischen 180 Milliarden und 800 Milliarden Barrel in der Erde. Das ist mehr als alle bekannten Reserven in Saudi-Arabien zusammen.

Doch während in den bekannten Ölstaaten am Golf das schwarze Gold meist aus der Erde sprudelt, muss in Kanada mühsam gebaggert werden. Anders als das herkömmliche Rohöl ist der ölige Sand eine Mischung aus Bitumen, Sand, Wasser und Lehm. Riesige Maschinen holen das Gemisch aus der Erde. Aus einer Tonne Ölsand gewinnen die kanadischen Ölbarone etwa 80 Liter Rohöl.

Das schwarze Gold von Fort McMurray deckt derzeit etwa ein Viertel des Ölverbrauchs der Kanadier und hat die Provinz Alberta zu einer der wohlhabendsten des Landes gemacht. Kurzfristig ist der Ölsand also ein glänzendes Geschäft. Doch nur ein Fünftel der Ölsandvorräte lassen sich so gewinnen. Wegen des hohen Verbrauchs an Wasser und Erdgas bei der In-situ-Methode ist es fraglich, wie stark die Ölkonzerne auch langfristig auf Treibstoff aus kanadischem Ölsand setzen werden. Und niemand weiss genau, ob die abbaubaren Vorkommen in Alberta am Ende tatsächlich mehr als jene 180 Milliarden Barrel Öl betragen, von denen die Experten heute im Minimum ausgehen. Diese Menge würde zwar dem weltweiten Bedarf von fast sechs Jahren entsprechen. Aber die absehbare Rohölknappheit kann der kanadische Ölsand auf Dauer auch nicht aufhalten.

Die Hoffnungen auf die Ergiebigkeit kanadischen Ölsands basieren jedoch nach wie vor auf vielen ungelösten Problemen. Bereits vor 30 Jahren wurde in Australien die Förderung von Öl aus Schiefer ebenso euphorisch gefeiert wie heute die kanadischen Ölsandträume. Allerdings konnten die technischen Probleme nie gelöst werden, und die grösste Fördergesellschaft, die Southern Pacific Petroleum, kollabierte vor mittlerweile zwei Jahren. Obwohl bis zu 26 Milliarden Barrel Öl im australischen Schiefer stecken sollen, wagt es bis heute niemand mehr, in diese unsicheren Hoffnungen zu investieren.