Stellen wir uns vor, der Staat würde Migros, Coop und Co. verbieten, jeden zweiten Montag Kunden zwischen 18 und 44 Jahren zu bedienen. Wie würden die Supermarkt-Chefs Fabrice Zumbrunnen und Joos Sutter wohl reagieren? Genau: Sie würden alles tun, um das Verbot subito wieder aus der Welt zu schaffen.

Nun aber zeigen Untersuchungen der UBS, dass die erwähnte Altersgruppe im Schnitt zweimal pro Woche eine fixfertige Mahlzeit online bestellt. Das heisst: Von 14 Mahlzeiten (7 Lunches, 7 Abendessen) besorgen sich die Jüngeren heute nur noch 12 im Supermarkt.

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Und wie reagieren Zumbrunnen und Sutter auf das, was auf ihr Geschäft ähnlich wirkt wie das fiktive Bedienverbot für die Altersgruppe? Genau: gar nicht.

Die 700-Millionen-Franken-Welle

Sie schauen zu, wie ihnen Lieferdienste wie Smood.ch, Eat.ch, Uber Eats oder Takeaway.com die Butter vom Brot nehmen. «Der No-Cooking-Markt», sagt E-Food-Experte Dominique Locher, «ist wie ein Tsunami. Ist er am Horizont, sieht man ihn nicht. Erst wenn er sich in Ufernähe auftürmt, nimmt man ihn wahr. Doch dann ist man schon sehr spät dran.»

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Klar ist: Der Tsunami drängt mit Wucht an die Ufer. Dieses Jahr dürfte der Umsatz der Online-Mahlzeitendienste auf gegen 700 Millionen Franken wachsen, wie neue Schätzungen von Locher und der E-Commerce-Beratungsfirma Carpathia zeigen (siehe Grafik).

Das Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr liegt demzufolge bei fast 60 Prozent – in einem Lebensmittelmarkt notabene, der als Ganzes seit Jahren bestenfalls minimal zulegt.

Der Markt für Fertigmahlzeiten boomt

Will heissen: Die 700 Millionen Franken für online bestellte Mahlzeiten fehlen anderswo – zum Beispiel in den Kassen der Supermärkte. Und die 700 Millionen sind nur die Spitze des Eisbergs: Telefonisch bestellte Pizzas, Burger und Bowls sind nicht darin enthalten. Eat.ch-Chef Dominic Millioud schätzte den Gesamtmarkt für Essenslieferungen kürzlich gegenüber dem «Blick» auf das Doppelte.

Sicher: Im Vergleich zum Gesamtmarkt mit Lebensmitteln – rund 39 Milliarden Franken – sind das bescheidene Summen. Aber der Markt der Lieferdienste für Fertigmahlzeiten ist in den letzten drei Jahren explodiert – und schneller gewachsen als das Geschäft der Online-Supermärkte, bei dem die Grossverteiler den Ton angeben.

«Die traditionellen Detailhändler sind auf ihr eigenes Geschäftsmodell fixiert – online und offline. Ich halte das für sträflich», sagt Experte Locher, der früher viele Jahre Chef bei der Migros-Tochter Le Shop war. Tatsache ist: Eat, Smood und Co. setzen heute mehr um als die zwei grossen Online-Supermärkte der Schweiz zusammen.

Erst eine Minderheit der Beizer dabei

Befeuert wurde der Boom zweifellos vom Lockdown, der als Massnahme gegen die Pandemie erfolgte. Das Wachstum im Bereich Food Delivery dürfte aber kein blosses Krisenphänomen sein.

Erstens, weil Millennials in der Schweiz dreimal häufiger online Mahlzeiten bestellen als die Generationen vor ihnen. Zweitens, weil heute erst ein Bruchteil der Gastronomen überhaupt im Liefergeschäft aktiv ist – in der Schweiz beziffern Schätzungen den Anteil auf 10 Prozent, in Europa spricht man von 25 Prozent.

Drittens wird die zunehmende Konkurrenz die teilweise hohen Lieferkosten drücken und Bestellungen damit attraktiver machen. Es heisst, diese Kosten könnten um 25 bis 40 Prozent sinken.

Viertens schliesslich wird sich die Einsicht mehr und mehr durchsetzen, dass auch der Einkauf im Supermarkt und das Kochen des Eingekauften etwas kostet, insbesondere Zeit und – je nach Talent am Herd – Nerven.

Klar ist: Der «Share of Plate» der Lieferdienste, wie Locher den Anteil an dem nennt, was in den Schweizer Haushalten von wem auf den Teller kommt, wird weiter steigen.

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