«Europa geht es viel besser als vor sechs Monaten.» Das sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem Magazin «Politico» und nennt auch gleich die Gründe für das Comeback.

Dessen Ursachen sieht er nicht innerhalb, sondern vorrangig ausserhalb der Gemeinschaft: Zum einen habe die Entscheidung der Briten für einen EU-Austritt vor einem Jahr die übrigen 27 Mitgliedsländer zusammenrücken lassen. «Und die Einlassungen des amerikanischen Präsidenten, die teilweise bedenklich waren, tragen dazu bei, dass die Europäer sich selbst neu entdecken und sich wieder näherkommen.»

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Wegweisendes Europa

Der Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Klima-Abkommen von Paris ist für die EU-Spitzenvertreter die neueste Steilvorlage, die Bedeutung der Staatengemeinschaft auf verschiedenen Politikfeldern hervorzuheben.

Die Entscheidung der USA werde die Entschlossenheit der EU nur verstärken, im Kampf gegen den Klimawandel voranzugehen, sagt etwa der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber. Seiner Kritik schliessen sich Liberale, Sozialdemokraten, Grüne und Linke im sonst oft zerstrittenen EU-Parlament an.

EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete sieht in Trumps Erklärung einen Weckruf für die statt eine Schwächung der EU: «Europa und seine starken Partner in der ganzen Welt werden den Weg weisen.»

Besser als Putin

Überspitzt könnte man schlussfolgern: Trump schafft ungewollt, was dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur teilweise gelungen ist: Die EU zusammenzuschweissen. Denn die gemeinsame Haltung der Union gegenüber Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts kam nur mit Mühe zustande.

Danach sorgten Griechenland- und Flüchtlingskrise sowie ein schleppender Konjunkturaufschwung dafür, dass immer mehr Europäer mit dem EU-Projekt haderten und Rechtspopulisten in vielen Mitgliedsländern einen Aufschwung erlebten. Dieser Trend ist vorerst gestoppt.

Ein Fussballturnier im Endstadium

Inwieweit die Abneigung vieler Europäer gegenüber Trump auch die Wahlen in Frankreich, den Niederlanden oder Österreich beeinflusst hat, ist schwer zu messen. In allen drei Ländern haben sich jedenfalls die pro-europäischen Kräfte durchgesetzt.

Junckers Kabinettschef Martin Selmayr twitterte nach der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten, dass dies das Halbfinale gewesen sei, nachdem im Viertelfinale die Niederlande stabile Verhältnisse bekommen habe und zuvor der Anpfiff in Österreich mit der Entscheidung für den Pro-Europäer Alexander Van der Bellen zum Präsidenten geglückt sei.

Dass es bei der Bundestagswahl im September um ein entscheidendes Finale für die EU geht, glaubt angesichts der Umfragewerte für die EU-kritische Alternative für Deutschland (AfD) mittlerweile kaum noch jemand.

Statt traurig nun kämpferisch

Trump eignet sich für die Europäer offenbar besser als Feindbild als das Brexit-Lager - denn seine Politik bei Klima, Handel, Immigration oder Russland ist viel weiter von den Positionen der EU-Spitzenpolitiker und vielen Europäern entfernt als jene der britischen Konservativen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dies erst vorige Woche nach seinem ersten Treffen mit dem US-Milliardär in Brüssel zum Ausdruck gebracht.

Sein kämpferischer Ton gegenüber dem US-Präsidenten unterscheidet sich deutlich von der Trauer, die er noch wenige Monate zuvor erkennen liess, als ihm die britische Regierung ihr EU-Austrittsgesuch übermittelte: «Wir vermissen euch jetzt schon», sagte er damals an die Briten gerichtet.

Dass das EU-Comeback angesichts von Trump und Brexit nur wenig Anlass zur Freude gibt, macht nicht zuletzt die Wirtschaft deutlich. Beide Faktoren trügen weiter zur Unsicherheit bei, beklagt beispielsweise der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann.

Die Politik der US-Führung sei noch «ein ziemliches Wischi-Waschi». Beim Thema Brexit habe für seinen Verband eine Sache oberste Priorität: Die Geschlossenheit der 27 EU-Staaten. Diese ist nun auch dank Trump erreicht.

Selbst auf Freunde kein Verlass

Höchstens der ungarischen Führung unter Ministerpräsident Viktor Orban könnte man eine gewisse inhaltliche Nähe zum US-Präsidenten unterstellen, denn sie fährt in Fragen der Immigration einen ähnlich rigiden Kurs und ist – anders als die rechtskonservative und ebenfalls EU-skeptische Regierung Polens – Russland zugeneigt.

Doch auch hier verlaufen die Beziehungen offenbar nicht störungsfrei, nachdem das US-Aussenministerium vehement gegen das ungarische Hochschulgesetz protestiert hat, das die Existenz der vom US-Milliardär George Soros finanzierten Zentraleuropäischen Universität in Budapest bedroht.

Zumindest schien Orban als einer der wenigen Teilnehmer des NATO-Treffens vorige Woche in Brüssel trotz der Spannungen zwischen der EU und den USA seinen Spass zu haben: Auf Fernsehbildern sieht man ihn feixend in der Nähe Trumps, als dieser rüde den Ministerpräsidenten Montenegros zur Seite stiess.

(sda/jfr)