Wer den alten Dauerbrenner aus Silicon Valley anzapfen möchte und schnelles Geld mit Börsengängen im Technologiebereich machen möchte, der sollte mittlerweile den Blick eher auf Europa als auf die USA richten.

Während Unternehmen von Paris bis London und Berlin Kapital im Rekordvolumen aufbringen, sind die Kurse der Börsenneulinge in dem Monat nach ihrem ersten Schritt auf das Handelsparkett um 20 Prozent gestiegen. Damit stellten sie den Kursgewinn von 6,7 Prozent in den Vereinigten Staaten in den Schatten, jeweils basierend auf gewichteten Durchschnittswerten. Ein wichtiger Grund: die anfänglichen Bewertungen sind nur fast halb so hoch wie jene ihrer amerikanischen Pendants.

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Sprunghafter Anstieg der Startups in Europa

Hilfestellung von Staaten und Unternehmen führten in diesem Jahr zu einem sprunghaften Anstieg der Startups in Europa. Firmen wie der französischen Anbieter von Sicherheitssoftware Oberthur Technologies und die britische Geldtransferwebsite TransferWise Ltd. lockten 2015 insgesamt 9,4 Milliarden Dollar an. Mittlerweile gibt es dem Wagniskapitalgeber Atomico zufolge in Europa mehr Entwickler professioneller mobiler Anwendungen als in den USA.

«Für Anleger und Unternehmer gibt es vielfältige Chancen», sagt Mark Tluszcz, Chef von Mangrove Capital Partners, einem der ersten Unterstützer von Skype. «US-Unternehmen erhalten zunehmend hohe Bewertungen, doch am öffentlichen Markt, wo mehr Skepsis herrscht, werden die Investoren sagen: ’Moment mal, dieser Preis spiegelt nicht wirklich das Geschäft wider, das ihr habt.’ In Europa hat es dieses Phänomen nicht gegeben.»

Divergenz bei Kursentwicklung

In diesem Jahr haben insgesamt elf europäische Technologiefirmen einen Börsengang angekündigt oder bepreist, womit zusammen genommen 1,8 Milliarden Dollar aufgenommen wurden, wie von Bloomberg zusammengestellte Daten zeigen. Auf der anderen Seite des Atlantiks waren es 13 Firmen, die Aktien im Wert von 4,3 Milliarden Dollar verkauften.

Die Divergenz bei den Kursentwicklung dies- und jenseits des Atlantiks verdeutlichen die folgenden Beispiele aus der jüngeren Zeit: Die Aktie von CLX Communications AB, einem schwedischen Anbieter mobiler Kommunikationsdienste und - lösungen, schoss in dem Monat nach dem Börsengang um 49 Prozent in die Höhe, während der Could-Service-Anbieter Pure Storage Inc. in den USA nur auf ein Plus von 3,7 Prozent kam.

In Amerika fast drei Mal mehr «Unicorns»

Das Phänomen konzentriert sich auf den Technologiebereich. In anderen Branchen fielen die Gewinne in dem ersten Monat in etwa gleich aus. In den Daten sind Square Inc. und Match Group Inc. nicht enthalten, die seit ihrem Börsendebüt vor etwa zwei Wochen um mehr als 20 Prozent zugelegt haben.

Seit dem Jahr 2013 hat der Hype um Technologie-Startups in Amerika fast drei Mal mehr so genannte «Unicorns» (Einhörner) produziert als in Europa, also Unternehmen mit einer Bewertung in Milliardenhöhe. Doch das hat sie auch teuer werden lassen. Die in diesem Jahr an die Börse gegangenen Firmen kamen auf eine durchschnittliche Bewertung des rund 3,9-fachen der geschätzten Umsätze, basierend auf Daten von neun solcher Unternehmen, die verfügbar waren. Die Kennziffer belief sich bei den drei Firmen in Europa mit verfügbaren Zahlen auf 2,6.

Längere Sicht in Europa

Die Gründe für die hochfliegenden Bewertungen von privaten US-Technologiefirmen sind wohlbekannt: das Gerangel von Hedgefonds und Investmentfonds, Gelder in heisse Startups vor ihrem Börsengang zu pumpen, Eigentümer, die auf eine Übernahme warten, und das Aufkommen von Märkten für private Beteiligungen, an denen Insider ihre Aktien verkaufen können. In Europa nehmen die Anleger derweil eine längere Sicht ein, erklärt Fernando Chueca von Carlyle Group LP.

«Wenn man zu einem festgeschrieben Preis am IPO-Datum einsteigen kann, ist es egal, ob die Aktie an einem Tag fällt», sagt Chueca, Direktor von Carlyle Europe Technology Partners in London. «In Europa ist das eher umgekehrt. Anleger wollen in zwei, drei Jahren aussteigen, darum sind sie weniger habgierig, wenn es um die Preisfestlegung eines Unternehmens geht.»

Man muss den Markt kennen

Nach Einschätzung von Susan Anthony von Mirabaud Securities kann es sich jedoch auszahlen, den Fokus auf einen grösseren und entwickelten Tech-Markt zu legen wie in den USA. «Es gibt interessante Unternehmen in Europa, aber man muss ihren Markt kennen und das bringt in einem Sektor wie Tech ein zusätzliches Risiko mit sich», erklärt die Aktienanalystin. «Wenn es einen geringen Streubesitz gibt und man in schwierigen Zeiten aussteigen will, dürfte man einen hohen Abschlag hinnehmen müssen oder dazu nicht in der Lage sein.»

Doch für wagemutigere Investoren zeichnen sich Gelegenheiten ab. Oberthur will mit Unterstützung von Advent International Corp. in diesem Jahr den nach eigenen Angaben grössten Börsengang im Technologiesektor Europas wagen. Sigfox, Hersteller kostengünstiger WLAN-Netze, schaut sich nach einer Finanzierung von mindestens 200 Millionen Dollar um und erwägt den Schritt aufs Handelsparkett. Auch die deutschen Startups Hero Holding GmbH und SoundCloud planen das Börsendebüt.

«Als ich bei Mangrove anfing, glich Europa noch einer Wüste», sagt Tluszcz, «15 Jahre später gibt es Erfolgsgeschichten in jedem Land und das Kapital fliesst. Es hat noch nie bessere Zeiten für europäische Technologiefirmen gegeben.»

(bloomberg/ccr)