Nein, knausrig war Larry Ellison noch nie. Besonders wenn es um seine Hobbys geht. Ob die Sammlung japanischer Kunst, der Ferrari-Fuhrpark oder der Gulfstream-Jet – der Chef von Oracle gibt sich gerne verschwenderisch. Seinem ausschweifenden Lebensstil und seinem Ruf als Lebemann macht er auch in diesem Jahr alle Ehre: Stolze 85 Millionen Dollar will der passionierte Segler springen lassen, damit seine Crew vom Team Oracle Racing im Herbst die Vorausscheidung im America’s Cup gewinnt.

Das Klischee vom schillernden Milliardär wusste der brillante Verkäufer Ellison jahrelang auch zum Wohl seines Unternehmens einzusetzen – bis jetzt. Mit der Rezession im Hightechsektor bockt plötzlich die lange Zeit durch Ellison auf Hochtouren gehaltene Geschäftsmaschine von Oracle. Auf einmal mehren sich Kundenklagen über unsaubere Verkaufspraktiken und schlechten Service bei dem nach Microsoft zweitgrössten Softwarekonzern. Wie etwa in Kalifornien: Für 95 Millionen Dollar wollte die Regierung Oracle-Software kaufen. Bei einer Überprüfung erwies sich der Vertrag jedoch als völlig überdimensioniert. Fast die Hälfte des Betrags wäre rausgeschmissenes Geld gewesen.

Der Deal wurde inzwischen gestoppt. Dass sich solche Negativmeldungen häufen, wundert Kenner der Szene nicht. «Oracle ist wieder voll und ganz eine Ellison-Company», sagt David Coursey, Chef des amerikanischen IT-Branchendienstes Anchor Desk. Seit zwei Jahren bestimmt Ellison, der noch 24 Prozent der Oracle-Aktien hält, wieder allein, wo es langgeht. Ray Lane, der lange Zeit fürs operative Geschäft zuständig war, hat nach diversen Querelen mit ihm Mitte 2000 entnervt aufgegeben. Die völlige Abhängigkeit des Unternehmens von Ellison erweist sich zunehmend als Fluch und Segen zugleich.

Vor allem in den Jahren des Aufbaus war der Erfolg von Oracle aufs Engste mit der Person des charismatischen Gründers Ellison verknüpft: Dank seiner angriffslustigen Art ist es ihm seit der Gründung 1977 gelungen, Oracle im Segment der Datenbanken zur Nummer eins zu machen, ja das Unternehmen zu einer der geläufigsten Marken in der IT-Welt aufzubauen. Immer mit vollem Einsatz dabei, jettete der Selfmade-Milliardär manchmal gar höchstpersönlich zu Kunden, um neue Verträge an Land zu ziehen.

Lohn der Rastlosigkeit: Seit Anfang der Neunzigerjahre hat Oracle nicht nur kontinuierlich beim Umsatz zugelegt – von 1,1 Milliarden Dollar auf rund 11 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2001. Auch der Profit sprudelte bis auf den Rekordwert von 6,3 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2000.

Seit dem weltweiten Einbruch der Konjunktur hat sich die Lage jedoch dramatisch gewandelt. Inzwischen drehen die Kunden jeden Dollar zweimal um, gerade bei den IT-Ausgaben. Das bekam auch Ellison schmerzhaft zu spüren. Zum ersten Mal fiel im Geschäftsjahr 2002 (per 31. Mai) Oracles Umsatz nach einer mehr als zehnjährigen Rekordserie hinter das Vorjahr zurück. Vor allem in dem für Softwarefirmen so wichtigen Neugeschäft musste Oracle Federn lassen.

Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Umsätze mit neuen Lizenzen um ein Viertel von 4,6 auf rund 3,4 Milliarden Dollar. Noch stärker traf es die Aktie: Erstmals seit drei Jahren notiert sie mit einem einstelligen Dollarbetrag und ist seit dem Höchststand von 46 Dollar im September 2000 um 80 Prozent abgestürzt.

In diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld muss Ellison andere Führungsqualitäten als während des Booms beweisen. Früher reichte es, dass er auf Veranstaltungen Oracles Produkte in den Himmel lobte und die Konkurrenten wie IBM oder Microsoft mit ein paar derben Sprüchen verhöhnte – die Kundschaft schmunzelte und unterschrieb.

Heute schrecken Ellisons Sprüche mehr ab, als dass sie zum Kauf animieren. Denn die Unternehmen suchen vor allem Seriosität. Ob Ellison dafür der richtige Mann ist, erscheint fraglich. «Auf Grund seiner Reputation bezweifle ich, dass er eine andere Geschäftsethik glaubwürdig personifizieren kann», meint dazu Rob Enderle, Chefanalyst der IT-Marktforschung Giga Information Group.

Ein Blick in Ellisons Vergangenheit stützt diese Ansicht. So ist sein Werdegang gepflastert mit einstigen Weggefährten, die aus Frust über seinen Führungsstil das Handtuch geworfen haben. Bekanntestes Beispiel ist Ellisons ehemaliger Starverkäufer Tom Siebel, der Oracle 1990 im Streit verliess, sich mit seinem eigenen Unternehmen selbstständig und seinem alten Boss das Leben schwer machte.

Vor zwei Jahren vergraulte Ellison mit Ray Lane sogar seinen wichtigsten Topmanager. Der verabschiedete sich, als Ellison ihm ins Tagesgeschäft funkte. Nur Monate später gab auch Lanes Nachfolger Gary Bloom bei Oracle seinen Ausstand, um Chef des Speicherspezialisten Veritas zu werden. Die Begründung: Er habe unter Ellison keine Perspektive.

Ein solch stetiger Aderlass an Managementexpertise ist an sich schlimm genug. Doch Ellison hinterlässt auch noch mit Begeisterung verbrannte Erde. Siebel? «Die werden zwischen Oracle und SAP aufgerieben.» Ray Lane? «Die Doppelspitze mit ihm hat nicht funktioniert.» Dass man sich gerade im Wirtschaftsleben oft noch ein zweites Mal trifft und dann möglichst nicht nur eisiges Schweigen herrscht, ist dem Mann mit dem – gemäss Ray Lane – «überdimensionalen Ego» völlig egal.

Ähnlich leichtfertig behandelt Ellison seine Kunden. Schon lange war Oracle bekannt für besonders aggressive Verkaufspraktiken. Wenn ein wichtiger Abschluss in Gefahr sei, klingle Ellison den zuständigen Verkäufer persönlich per Telefon aus dem Bett und mache ihm noch einmal verbal Dampf, heisst es.

Zuletzt heizte Ellison seinen Leuten offenbar zu doll ein. Im Frühling berichteten erstmals die US-Marktforscher der Meta Group über fragwürdige Vertriebspraktiken bei Oracle. In einem Fall sollte ein Unternehmen auf Grund der komplizierten Preismodelle 2,2 Millionen Dollar mehr für Oracle-Software bezahlen als ursprünglich vereinbart. Ähnliche Fälle publizierte das IT-Analysehaus Gartner. In den Querelen zwischen Oracle und seinen Kunden sieht Giga-Analyst Rob Enderle denn auch den Hauptgrund für den starken Einbruch im Neugeschäft. «Der Trend wird sich fortsetzen, wenn Ellison sein Image nicht repariert.»

Neben der Sanierung seines eigenen Rufs muss sich der Oracle-Gründer auch noch ums laufende Geschäft kümmern. Gefragt sind vor allem neue Umsatzquellen. Seine Strategie, den Datenbankkunden zusätzlich Unternehmenssoftware für das Kundenmanagement (CRM) oder das Finanz- und Personalwesen zu verkaufen, ist nicht aufgegangen. Im Wettbewerb mit Siebel, IBM und SAP ist das Geschäft mit den Anwendungen sogar stärker gefallen als das Kernsegment Datenbanken. Im letzten Geschäftsjahr entfielen auf das vermeintliche Wachstumssegment nur noch 21 Prozent des Umsatzes.

Trotzdem gibt sich Ellison optimistisch und verweist stolz darauf, dass ihm das Kunststück gelungen sei, die operative Marge in der schlimmsten Krise der IT-Branche von 39 auf 44 Prozent zu steigern. Für das künftige Wachstum muss einstweilen nicht einmal mehr der Markt wachsen, so seine These. Denn weil derzeit ähnlich wie in früheren Konsolidierungsphasen der Grossteil der Anbieter verschwinde, konzentrierten sich die IT-Ausgaben seiner Einschätzung nach zunehmend auf einige wenige Überlebende. Und zu diesen, da ist sich Ellison sicher, wird Oracle auf jeden Fall gehören.
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