Ein Vergleich über die letzten fünf Jahre zeigt: Einige der besten Geschäftsberichte dieses Jahres bewegen sich auch über längere Zeit unter den Spitzenreitern. Die SBB, diesjähriger Gesamtsieger, liegen im Fünfjahresvergleich auf Rang 7; die zweitplatzierte UBS im Fünfjahresranking auf Rang 4. Novartis, die im Mehrjahresvergleich obenauf schwingt, erreicht dieses Jahr den 7. Rang.

Wie kommen die Ergebnisse zustande? Sind die Berichte insgesamt besser geworden? Haben sich die Anforderungen geändert? Wie stehen die Schweizer Berichte im internationalen Vergleich da? Und welchen Einfluss hat die Bewertung unserer Experten? Niemand kann solche Fragen besser beantworten als die seit vielen Jahren treibenden Kräfte hinter unseren Bewertungsjurys: der Gestaltungsspezialist Peter Vetter, der die Bewertung der Darstellung durch eine Reihe bestausgewiesener Branchenprofis organisiert, und Wirtschaftsprofessor Rudolf Volkart, der mit seinen Assistenten am Bankeninstitut der Universität Zürich das Value Reporting, den Informationsgehalt der Geschäftsberichte, beurteilt.

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Peter Vetter war schon treibende Kraft beim ersten BILANZ-Rating vor über
15 Jahren. Heute leitet er die Agentur Coande, die er 1999 gegründet hat. Seit seiner Jugend befasst er sich mit Grafik und Gestaltung. Am Anfang stand eine Grafikerlehre, darauf folgte die Kunstgewerbeschule Zürich, wo er von Koryphäen wie Joseph Müller-Brockmann in Typografie oder Walter Käch in Kalligrafie unterrichtet wurde. 15 Jahre hat er in Italien gelebt und gearbeitet, 4 Jahre in New York, 11 Jahre war er Partner bei der Agentur Zintzmeyer & Lux, die sich heute Interbrand nennt.

Nicht nur als Juryleiter für die BILANZ beschäftigt sich Peter Vetter seit langem mit Geschäftsberichten. 15 Jahre lang hat er jenen des deutschen Nobelkarossenherstellers BMW produziert. An diversen weiteren Reports hat er mitgearbeitet. Für ihr Corporate Design engagieren ihn zudem weltweit eine ganze Reihe Unternehmen, in der Schweiz etwa die Bank Leu, das Zentrum Paul Klee oder die Stadt Rapperswil-Jona für ihre Fusion.

Coande, Peter Vetters Designagentur, befindet sich im Zürcher Seefeld – nicht weit vom Bellevue, direkt an der viel befahrenen Bellerivestrasse. Der Name setzt sich zusammen aus Communication and Design. Die Agentur selbst besteht aus einem einzigen grossen Raum. Hier arbeiten seine vier Angestellten um zwei grosse Tische herum an verschiedenen Computern. An einem weiteren Tisch in der Raummitte beantwortet Peter Vetter die Fragen des BILANZ-Journalisten.

BILANZ: Herr Vetter, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Geschäftsberichte über die letzten fünf Jahre?

Peter Vetter: Die Berichte sind insgesamt besser geworden. Vor fünf Jahren waren etwa 20 wirklich top, heute sind es über 40.

Hatte hier das BILANZ-Rating einen Einfluss?

Zweifellos hat das Rating etwas bewirkt. Viele haben sich an unseren Kriterien und Bewertungen orientiert, um es besser zu machen. Das Rating schafft auch Anreize dazu.

Den Unternehmen steht heute eine Vielzahl an Kommunikations-kanälen zur Verfügung. Welche Rolle spielt hierin der alljährliche Geschäftsbericht noch?

Der gedruckte Geschäftsbericht wurde schon mehrmals totgesagt. Doch je virtueller die Informationen werden, desto stärker steigt das Bedürfnis nach etwas Fassbarem und Höherwertigem wie einem Geschäftsbericht, der den Gesamtzusammenhang des Unternehmens darstellen und einen Ausblick in die Zukunft erlauben soll.

Peter Vetter glaubt, Zyklen in der Qualität der Berichte zu erkennen. Doch diese verliefen nicht parallel zu Konjunkturzyklen oder zum Geschäftsverlauf von Unternehmen: «Einen Geschäftsbericht zu produzieren, ist immer teuer, das gilt für schlechte nicht weniger als für gute», sagt Peter Vetter. Die Zeit der Interneteuphorie zum Beispiel sei eine Zeit besonders kreativer Berichte gewesen, damit sei unmittelbar danach leider Schluss gewesen. Doch schon vor dem Anziehen der Konjunktur, als die Grundstimmung noch schlecht war, seien die Berichte wieder deutlich besser geworden. Schwierige Zeiten, die ein grundsätzliches Überdenken ganzer Geschäftsstrategien erfordern, können genauso wie Phasen der Euphorie Anreize zu mutigen Neuerungen bieten.

Kreativität ist Herausforderung für Designer. Ist sie aber gleichermassen für Firmen gefragt, die mit dem Bericht ihre Aktionäre, Zulieferer, Kreditgeber, Kunden, Beschäftigten und die Öffentlichkeit informieren sollen? Vetter sieht hier keinen Widerspruch. «Ein Geschäftsbericht soll die Identität des Unternehmens möglichst angemessen widerspiegeln», sagt er. «Die Herausforderung besteht darin, dem Bericht stets neue Impulse zu geben, ohne diese Grundidentität zu verwischen.» Das ruft in der Tat nach kreativen Lösungen.

Die Corporate-Design-Richtlinien seien einst sehr rigid gewesen. Ganze Wälzer von Manuals hätten jedes Detail des Unternehmsauftritts festgelegt, erinnert sich Peter Vetter. Diese Zeiten seien zum Glück vorbei. Heute sind die Systeme viel differenzierter geworden, ohne dass die Notwendigkeit verkannt werde, einem Unternehmen ein für seine Kultur typisches Gepräge zu verleihen.

Doch die Qualität eines Designs lässt sich nicht so exakt messen wie die Länge einer Strecke oder das Gewicht eines Steins.

BILANZ: Wie objektiv ist das Gestaltungsrating der BILANZ?

Peter Vetter: Wir haben eine heterogene Jury mit Spezialisten unterschiedlichen Ursprungs. Neben erfahrenen Kämpen, die selber schon Hunderte von Geschäftsberichten gestaltet haben, arbeiten hier auch junge Cracks mit, die ganz neue Sichtweisen einbringen. Dadurch gewinnen wir ein beachtliches Mass an Objektivität.

Wie kommen Sie zu einem gemeinsamen Urteil?

Jedes Mitglied der Jury beurteilt jeden Bericht entsprechend vorgegebenen Kriterien, wie sie auch anderswo verwendet werden. Am Ende führen wir eine offene Diskussion über die so ermittelten Ergebnisse.

Auf der BILANZ-Homepage nehmen Sie zu den prämierten Geschäftsberichten kurz Stellung. Wie kommen diese Kommentare zustande?

Die Kommentare geben gekürzt die Meinung wieder, die sich in der Diskussion der Jury zu einem Geschäftsbericht ergeben hat. Auch hier erreichen wir so eine grösstmögliche Objektivität.

Von seinen Beschäftigungen im Ausland her ist Peter Vetter auch bestens mit ausländischen Geschäftsberichten vertraut. Die Schweizer brauchten hier den Vergleich nicht zu scheuen, meint er. Allerdings herrschten in anderen Ländern andere Massstäbe und Designkulturen vor. «Hierzulande würde es wohl kein deutscher Geschäftsbericht im Rating weit nach vorne schaffen», meint er, «umgekehrt wahrscheinlich auch nicht.» Davon abgesehen: Die 10 bis 20 Besten des BILANZ-Ratings gehören zur weltweiten Spitzenklasse, meint Vetter.

Selbst im Vergleich zu den Berichten der Wirtschaftsmacht USA kommen die Schweizer Berichte in Vetters Urteil im Schnitt besser weg. Was aber nicht für die besten US-Berichte gelte, die wahre Perlen seien. Ein Grund für dieses positive Urteil zur Gestaltung der Schweizer Berichte liegt darin, dass unser Land schon traditionell dem Design einen hohen Stellenwert einräumt: «Selbst was bei uns gestalterisch schlecht ist, ist im internationalen Vergleich beachtlich», meint Vetter.

Die Qualität eines Geschäftsberichts hängt nicht nur von der Gestaltung, sondern auch von der Aussagekraft seines Inhalts ab. Daher auch die Gesamtbewertung der BILANZ, die beide Aspekte gleich berücksichtigt. «Indem unser Rating beide Aspekte genau untersucht, wird es sehr viel differenzierter», begründet Vetter. «Die Unternehmen wollen sich auf beiden Gebieten verbessern.» Vollkommen trennen lassen sich die beiden Aspekte ohnehin nicht. «Die Aussagekraft von Daten hängt auch davon ab, wie sie dargestellt werden, und umgekehrt», betont Vetter.

Eine Einschätzung, der auch Rudolf Volkart zustimmt. Er ist für das inhaltliche Rating, das sogenannte Value Reporting, zuständig: Er und sein Team untersuchen – ebenfalls anhand einer Reihe vorgegebener Kriterien –, wie viel ein Geschäftsbericht über den derzeitigen und der erwartbaren künftigen Wert eines Unternehmens aussagt.

Volkart ist Direktor am Swiss Banking Institute der Universität Zürich und dort vor allem auf Corporate Finance spezialisiert. Zu dem Thema hat er ein Standardlehrbuch von mehr als 1000 Seiten verfasst («Corporate Finance»). Doch auch finanzielles Rechnungswesen allgemein, Unternehmenssteuern und Gebiete des Bankings gehören zu seinen Interessensgebieten. Solche Themen mögen vielen dröge und langweilig erscheinen. Das ändert sich schlagartig, wenn man Rudolf Volkart einmal in seinem Element erlebt. Kennzahlen, Firmenabschlüsse und rohe Daten erwachen bei ihm zum Leben. Plötzlich finden sich in ihnen je nachdem spannende, tragische oder witzige Geschichten.

Ein kühler, theoretischer Akademiker? Rudolf Volkart ist es nicht und will es nicht sein. «Ich habe die hemdsärmlige Art schon immer reizvoll gefunden», sagt er von sich selbst. Damit meint er, dass ihm die Nähe zur Praxis besonders am Herzen liegt. Neben seiner Universitätstätigkeit hilft er daher auch im Verwaltungsrat mittelständischer, nicht kotierter Unternehmen mit. «Die Bedeutung einer Theorie zeigt sich erst an ihrer Wirkung in der Praxis», begründet er.

Ebenfalls grossen Wert legt Volkart auf die Zusammenarbeit mit seinem Team. Zwischen dem Professor und seinen Assistenten herrscht ein vertrauter Umgang, der vom gemeinsamen Erkenntnisinteresse geprägt wird. Das Rating der Geschäftsberichte ist für ihn ein besonders schönes Beispiel dafür, was aus guter Teamarbeit entstehen kann.

Angesichts immer schnellerer Informationsflüsse und des Erfordernisses, dass Unternehmen alle börsenrelevanten Informationen «ad hoc», also sofort, und für alle zugänglich publizieren müssen, kann man sich fragen, welche Bedeutung die Daten in einem Geschäftsbericht überhaupt noch haben. Dazu kommt, dass die Berichte über ein Jahr Auskunft geben, das oft seit Monaten vorbei ist. Dennoch: «In keinem anderen Bericht findet sich für eine breite Öffentlichkeit eine vergleichbare Dichte an Informationen», verteidigt Rudolf Volkart den Status des Geschäftsberichts. «Für diesen erhebt ein Unternehmen systematisch alle relevanten Daten, hier befindet sich der Grundstock an wichtigen Informationen.»

Die immer strengeren gesetzlichen Rahmenbedingungen, die stets komplexeren Buchführungsvorschriften und die steigenden Anforderungen vonseiten der Börse oder durch Selbstregulierungsrichtlinien haben die Menge an zu publizierenden Daten gewaltig ansteigen lassen. Insbesondere bei international tätigen Konzernen. Geschäftsberichte wie jene von UBS oder Novartis sind heute dicke Wälzer.

BILANZ: Können wir heute mehr aus einem Geschäftsbericht herauslesen?

Rudolf Volkart: Leider nur bedingt. Die Berichte sind mit den neuen Anforderungen nicht besser geworden. Hier hat vielmehr ein Übersteuern stattgefunden.

Wären weniger Daten besser?

Nein, aber mehr Daten führen nicht automatisch zu einem besseren Verständnis der Gesamtsituation eines Unternehmens. Eine Erfolgsrechnung zum Beispiel hört beim Gewinn auf, dieser sagt aber nicht viel über die wahre Wertgenerierung eines Unternehmens aus. Zudem rechnen die Marktteilnehmer oft mit sehr primitiven Kennzahlen, wie etwa dem Return on Equity (ROE) oder den Earnings per Share (EPS). Diese Zahlen sagen alleine überhaupt nichts aus. Ein höherer ROE zum Beispiel könnte durch ein viel grösseres Risiko erkauft worden sein, was nicht zu einer Wertvermehrung des Unternehmens führt.

Wären also mehr Details hilfreich?

Wir müssen von der Rappenspalterei wegkommen. Es geht nicht darum, komplexere Datenkränze zu präsentieren, sondern darum, dem interessierten Publikum die Strategie zu erklären und Kennzahlen anzuführen, die zeigen, wo und in welchem Ausmass aus unternehmerischer Tätigkeit Wert generiert wird. Hier besteht noch ein deutliches Verbesserungspotenzial.

Rudolf Volkart will jedoch das Positive der Entwicklung der letzten Jahre herausstreichen. Das Rating durch sein Team wird bei den Unternehmen schliesslich ernst genommen und überwiegend positiv beurteilt. Es bietet dem Management auch eine Richtschnur dafür, was die Öffentlichkeit an Daten erwarten könnte. Zuweilen werden Daten veröffentlicht, die nichts über den Geschäftsgang des Unternehmens aussagen. Wenn etwa eine Bank publiziert, wie viel Papier ein durchschnittlicher Arbeitsplatz verbraucht, sagt das wenig darüber aus, wie profitabel sie arbeitet.

Das Rating von Volkart und seinem Team wirkt sich daher auch auf die Geschäftsberichte aus. Aus Rückmeldungen weiss Professor Volkart, dass der Kriterienkatalog seines Teams vielen als Hilfestellung zur Geschäftsberichtserstellung dient. Zudem werden die Berichte den Anforderungen an ein gutes Value Reporting insgesamt immer mehr gerecht. Selbst wer alles so gut macht wie immer, steigt im Rating ab, einfach weil andere sich ständig verbessern.

Schliesslich muss man dem Management auch nicht gleich unlautere Absichten unterstellen, wenn es Informationen zur strategischen Ausrichtung und zu den Werttreibern zurückhaltend preisgibt. Oft liegt das darin begründet, dass man die Konkurrenz darüber lieber im Ungewissen belassen möchte, erklärt Volkart. Ausserdem fürchte das Management manchmal, mit solchen Angaben in der Öffentlichkeit Missverständnisse zu provozieren und Erwartungen zu wecken, die letztlich in Enttäuschungen enden. Andererseits kann mit der Preisgabe solcher Informationen laut dem Wirtschaftsprofessor auf den Märkten das Vertrauen in das Unternehmen gesteigert werden. So lassen sich unter anderem direkt Kosten sparen. Weil dadurch das Risiko für die Kapitalgeber geringer wird, sinken die Kapitalkosten. Doch welches Argument dominiert? «Ein Transparenzniveau, das für alle Unternehmen gültig zu sein hat, gibt es nicht», sagt Rudolf Volkart. «Was angemessen ist, hängt von solchen Dingen ab wie der Grösse des Unternehmens oder von dessen Eigentümerstruktur.»

Vergleicht man die Schweizer Geschäftsberichte auch beim Value Reporting mit jenen anderer Länder, fällt das Urteil von Rudolf Volkart ähnlich positiv aus wie jenes von Peter Vetter bei der Gestaltung: «Vor allem die grössten Unternehmen gehören zur Weltspitze», sagt Volkart. Obwohl die Anforderungen an die Berichterstattung in den USA und auch in Deutschland strenger seien als in der Schweiz, könnten die Berichte aus unserem Land insgesamt gut mithalten.

Ob man mit Peter Vetter spricht, mit Rudolf Volkart oder mit den vielen anderen Mitgliedern der beiden Bewertungsjurys: Bei allen ist das grosse Engagement für eine hohe Qualität der Schweizer Geschäftsberichte deutlich spürbar. Mit dem Rating der BILANZ wollen sie vor allem zu besseren Leistungen motivieren und keineswegs jene frustrieren, die weniger gut abschneiden. Die Anerkennung, die diese Design- und Corporate-Finance-Spezialisten mit ihrem Rating über die Jahre aufgebaut haben, und die Fortschritte bei den Berichten selbst zeigen, dass sie mit ihrer Arbeit Erfolg haben.

Die vollständige Rangliste 1 bis 200, die Kommentare der Gestaltungsjury, die Liste der Jurymitglieder sowie Angaben zur Bewertungsmethodik finden Sie unter: www.bilanz.ch/geschaeftsberichte.

Markus Diem Meier
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