Ihr Startup wurde einst in Zürich gegründet. Jetzt treffen wir uns in Prenzlauer Berg in Berlin. Was lief da schief?
Johannes Reck: Nichts. Rein rechtlich hat die Firma immer noch Sitz in Zürich. Die Zürcher Kantonalbank als eine der ersten Investorinnen ist immer noch dabei und hat in der jüngsten Finanzierungsrunde mitgezogen.

Aber 350 von 450 Köpfen sind heute in Berlin.
Als wir 2009 in Zürich starteten, war die Venture-Capital-Szene in der Schweiz kaum vorhanden. Die Bereitschaft von Investoren, über die Seed-Kapital-Phase hinaus zu investieren, war nicht da. Und es gab kaum Leute, die überhaupt das Risiko eingehen wollten, bei einem Startup anzuheuern.

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Zu wenig Venture Capital, zu wenig risikobereite Youngsters: Deshalb 2011 der Auszug nach Berlin?
So in der Art war es. Aber das hat sich geändert. Zum einen bauten die Grossbanken Personal ab und sind nicht mehr so attraktiv für Studienabgänger. Anderseits wuchs in der Schweiz im Schatten von Google eine starke Tech-Szene heran, etwa in den Bereichen Robotik und künstliche Intelligenz. Heute sind junge Schweizerinnen und Schweizer risikofreudiger. Vor ein paar Jahren aber war das überhaupt nicht der Fall.

Welche Rolle spielte es, dass Berlin hipper als Zürich ist?
Das spielte damals keine Rolle. Und heute erst recht nicht. Wir haben es heute leichter, Talente für den Standort Zürich zu rekrutieren als für Berlin. Weil die Schweiz bezüglich Lebensqualität, Landschaft, Verkehr und Gesundheitssystem fantastisch ist. Die Abschwächung des Frankens hilft da zusätzlich, auch wenn natürlich die Löhne weiterhin einiges höher sind als in Deutschland. Wenn man als Startup das Geld hat, Leute einzustellen, ist Zürich heute eine der attraktivsten Städte in Europa. In wichtiger werdenden Technologien wie maschinellem Lernen, künstlicher Intelligenz, komplexer Datananalyse findet man in der Schweiz mehr Talente als in Berlin.

Für Hightech Zürich, für Lowtech Berlin?
Kann man so sagen. Berlin ist aber weiterhin der richtige Firmenmittelpunkt für uns. Weil wir als weltweit tätiges Touristikunternehmen grösser denken müssen. So brauchen wir etwa einen grossen internationalen Kundendienst, der auch in der Content-Redaktion in 15 Sprachen funktioniert. Das ist in der Schweiz in dieser Tiefe nicht verfügbar. Wir finden beispielsweise in Berlin sehr viel schneller und kostengünstiger ein Team von Portugiesisch sprechenden Menschen als in Zürich. Berlin ist daher fürs operative Geschäft besser geeignet. Die heutige Berliner Belegschaft von 350 Köpfen wird deshalb nächstes Jahr um etwa 100 bis 200 wachse

ETH-Spin-off Getyourguide wurde 2009 von ETH-Absolventen in Zürich gegründet. Das Unternehmen vermittelt online Tickets für touristische Touren und Attraktionen und ist globaler Leader in einem Markt mit 150 Milliarden Franken Jahresvolumen. Für 2018 plant das Unternehmen mit 14 Millionen verkauften Tickets. Getyourguide setzt gegen 500 Millionen Franken um. Firmenwert: rund 400 Millionen Dollar.

Sie bauten 2017 wieder ein zwanzigköpfiges Zürcher Team auf. Ihr Forecast?
Wenn wir schnell genug die richtigen Köpfe finden, wächst das in den nächsten zwei bis drei Jahren auf ein Team von fünfzig bis hundert Spezialisten.

In den frühen Tagen schrammte Getyourguide oft an der Pleite vorbei. Wie oft?
Zwischen 2010 und 2014 waren wir einmal im Jahr pleite. Meistens im November und Dezember, weil dann die Reisebuchungen nach unten gehen und uns der Cash fehlte. Es war ein wildes Jonglieren mit den Fragen: Bezahlen die Touristikunternehmen? Oder die Löhne? Oder nichts davon? Aber wir rappelten uns jedes Mal wieder irgendwie auf.

Zu jener Zeit umfasste die Firma dreissig bis fünfzig Köpfe. Wie agierten Sie, wenn die Klammheit ins Hause stand?
Gründer müssen in der Startup-Frühphase verschiedene Jobs machen: Kriegskasse füllen, Tagesgeschäft führen, Rekrutieren. Wenns eng wird, muss man einen Shift machen. Weniger Leute einstellen, stärker für die Kriegskasse sorgen. Das Team sollte von diesem Spagat möglichst wenig mitbekommen. Das würde eher zu Panik als zu besserer Arbeit führen.

Wie lautet Ihr Masterplan aktuell?
Die Firma jedes Jahr verdoppeln.

Wie das?
Wir wandeln uns vom reinen Ticket-Vermittler hin zu einem Player, der die Touren und Attraktionen selber mitbestimmt. Zusätzlich zur Technologie wird auch unsere Marke stärker eingesetzt vor Ort.

Busse mit Getyourguide-Logo, Tourguides mit Ihrer Marke auf der Brust?
In dieser Art. Wobei unser Engagement darüber hinaus geht. Einerseits stellen wir den Attraktionen vermehrt unsere Technologie zur Verfügung, anderseits kreiert Getyourguide selber Angebote und Erlebnisse.

Wie muss man sich das vorstellen?
Nehmen wir einen unserer Topseller, den Vatikan: Heute gibt es dort eine Reihe identischer Touren. Als weltweit grösster Touren- und Attraktionsvermittler sitzen wir auf sehr vielen Daten und können dem Vatikan genau sagen, was wann gefragt ist.

Wem nützen diese Daten?
Wir können selber Angebote auflegen. Beispielsweise eine Führung in Schweizerdeutsch nur für Schweizer. Die Interessen sind nun mal unterschiedlich. Chinesen etwa haben meist nur einen grossen Wunsch: Das Selfie in der Sixtinischen Kapelle – möglichst alleine. Indem wir durch unser Wissen Touren massgeschneidert anbieten können, prägen wir das Produkt, das wir bisher bloss vermittelt haben. Wir können das, weil wir den direkten Draht zum Vatikan haben.

Wie sähe das in der Schweiz aus?
Touristen, die einen Trip auf den Titlis gebucht haben, werden in ihrem Hotel in Zürich im klimatisierten Getyourguide-Kleinbus abgeholt und nach Engelberg gefahren. Auf dem Titlis oben werden sie von unseren Tourguides betreut, je nach Kunde in Japanisch oder Mandarin oder jeder anderen gewünschten Sprache. Wir bringen sie an allen Schlagen vorbei bis zum Instagram-Spot, wo wir einen Getyourguide-Selfiestick zur Verfügung stellen.

Was ist der Sinn dieses Schrittes?
Kundenerlebnis verbessern. Marge optimieren. Und wir können, wie Uber, via Kundenbewertung herausfinden, welches die besten Tourguides der Welt sind.

Bei einer zehnjährigen Firma drängen die Investoren bestimmt auf einen baldigen Exit. Wohin geht die Reise?
Erklärtes Ziel ist ganz klar der Börsengang.

Wann?
Das steht noch nicht fest. Das Klima wäre derzeit gut, doch das ist es auch für eine weitere Kapitalaufnahme abseits der Börse. Kommt dazu: Wenn man an die Börse geht, wollen Investoren ein klareres Profitabilitätsprofil sehen. Wir sind aber immer noch voll in der Wachstumsphase.

Auf Deutsch: Getyourguide verbrennt nach wie vor Jahr für Jahr Geld?
Natürlich. Zurzeit geht es darum, weltweite Netzwerkeffekte zu erzielen. Mit mehr lokalen Partnern kommen wir zu mehr Kunden und zu mehr Daten.

Meistgebuchte Touren bei Getyourguide 2017 weltweit...

1 Vatikan, Rom

2 Burj Khalifa, Dubai

3 Eiffelturm, Paris

4 Louvre-Museum, Paris

5 Van-Gogh-Museum, Amsterdam

... und in der Schweiz

1 Titlis

2 Jungfraujoch

3 Züri-City-Tour

4 Panorama-Yacht Luzern

5 Chamonix-Mont-Blanc

Ein Verkauf an einen Branchenriesen wie Booking.com: ausgeschlossen?
Wir wollen unabhängig bleiben und den Tourismus für die nächsten zehn Jahre prägen. Wir haben jetzt Grösse, Reichweite und die finanziellen Möglichkeiten erreicht, um in der obersten Liga der Online-Touristik mitzuspielen.

Keine Angst vor Google?
Jedes Internet-Unternehmen ist gut beraten, eine gewisse Grundangst vor Google zu haben. Aber in diesem Falle glaube ich nicht, dass die Firma selber einsteigt. Weil es für Google attraktiver ist, über das Werbegeschäft am Boom zu partizipieren, statt selber operativ tätig zu werden.

In Ihrer internationalen Top Five taucht kein Disney-Park auf. Haben Ihre Kunden keine Lust auf Micky Maus und Co.?
Das haben sie bestimmt. Doch es ist uns bisher nicht gelungen, eine enge Beziehung zu Disney aufzubauen. Bezüglich Eintritte für Disney-Parks läuft unser Geschäft über Intermediäre. Tatsächlich versuchen wir schon lange, einen direkten Draht zu Disney zu kriegen. Bis heute leider ohne Erfolg.

Andreas Güntert
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