Das Management der Credit Suisse hatte sich verliebt. Mit der Angebeteten Donaldson, Lufkin & Jenrette wollte es endlich zu den Top-Instituten Goldman Sachs, Morgan Stanley und Merrill Lynch aufschliessen. Zwei Jahre warben die Schweizer bei der Mutter Axa um die Hand von deren Wallstreet-Tochter. Im August 2000 waren sie am Ziel. «Innert dreieinhalb Wochen haben wir die Transaktion ausgearbeitet», schwärmte der damalige Konzernchef Lukas Mühlemann. Er sprach von einer «starken Kombination», dank der die Credit Suisse eine der führenden Investmentbanken der Welt werde.

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16 Jahre später muss CS-Konzernchef Tidjane Thiam genau wegen dieses Kaufs einen Milliardenverlust verkünden. Ein Grund dafür: 3,8 Milliarden Franken an Goodwill schreibt die Credit Suisse in der Jahresrechnung 2015 ab. Davon hauptsächlich betroffen: Die einst so heiss begehrte Braut Donaldson, Lufkin & Jenrette, kurz DLJ.

Experten fürchten Blasenbildung

Das Beispiel zeigt, wie gefährlich Goodwill in Unternehmensbilanzen sein kann. 128 Milliarden solcher immaterieller Werte versteckten sich in den Büchern der Schweizer Unternehmen im Geschäftsjahr 2014. Der Wert stieg in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich an. Experten sehen in der Entwicklung gar eine Blasenbildung und fürchten, dass eine ganze Welle von grossen Abschreibern droht.

Der Grund: Der Goodwill gibt die Differenz zwischen dem Kaufpreis eines Unternehmens und seinem Eigenkapital an. Er zeigt den Preis, den eine Firma bei einer Übernahme zu zahlen bereit ist, weil sie an zukünftig noch höhere Gewinne glaubt. Oder einfacher gesagt: Goodwill ist die Wette darauf, dass ein Kauf sich auch wirklich lohnt und in Zukunft höhere Erträge abwirft. Nicht immer gewinnen Unternehmen diese Wette.

Wette verloren

Die Credit Suisse verlor sie im Fall DLJ klar. Zuerst platzte nur wenige Monate nach dem Kauf des Wall-Street-Hauses die Dotcom-Blase, dann brach die Finanzkrise über die Märkte herein und das Investment Banking wurde immer weniger lukrativ. Der immense Kaufpreis von rund 20 Milliarden Franken liess sich nicht mehr rechtfertigen. Niemals hätte die Schweizer Grossbank das Geld hereinspielen können.

Das alles liegt Jahre zurück. Dass der Goodwill dennoch so lange in der Bilanz der Credit Suisse verweilte, liegt an den Rechnungslegungsgrundsätzen, welche die Bank anwendet. Die CS rapportiert nach den United States Generally Accepted Accounting Principles, kurz US-Gaap. Neben diesen gibt es noch die International Financial Reporting Standards (IFRS) und die Swiss Generally Accepted Accounting Standards. Die meisten Schweizer Konzerne rapportieren entweder nach US- oder internationalem Standard. Früher war das noch anders.

«Früher verschwand die heisse Luft»

Für die Behandlung von Goodwill bedeutet das: Während gemäss Schweizer Standard der Firmenwert nach einer Akquisition über eine gesetzte Anzahl von Jahren nach und nach abgeschrieben wird, kann er nach den anderen beiden Ansätzen unbegrenzt in der Bilanz verweilen. Die Unternehmen sind lediglich verpflichtet, jedes Jahr eine neue Wertbeurteilung vorzunehmen. Ergibt diese eine Minderung, muss abgeschrieben werden.

Im Jargon spricht man von einem Impairment, das man vornehmen muss. «Früher verschwand die heisse Luft nach und nach aus den Bilanzen», fasst Peter Leibfried zusammen. Er ist Professor an der Uni St. Gallen und Direktor des Instituts für Accounting, Controlling und Auditing. «Heute findet man das Elend dort teilweise noch nach über zehn Jahren vor.»

Management hat Einfluss auf Bewertung

Denn die Bewertung der Goodwill-Positionen wird zwar von unabhängigen Revisionsstellen – im Fall der Credit Suisse etwa der KPMG – vorgenommen. Dennoch hat das Management einen Spielraum und die Möglichkeit, die Bewertung zu beeinflussen – und im Zweifel Abschreiber zu verhindern oder zu forcieren.

«Bei den Impairment-Tests wird die Planung des Unternehmens für die nächsten Jahre mit einbezogen», erklärt Daniel Suter von der Unternehmensberatung PWC. Das heisst: Über die Gestaltung des Businessplans kann das Management Einfluss auf die Bewertung des Goodwills nehmen.

Swatch vorbildlich

Auch hier drängt sich das Beispiel der Credit Suisse auf: Unter Thiams Vorgänger, Brady Dougan, lag ein deutlich stärkerer Fokus auf dem Geschäftsbereich Investment Banking. Das ist nun anders. So begründete Thiam in einem Interview mit der «Sonntagszeitung» den Abschreiber denn auch mit der neuen Strategie, die statt dem Investment Banking eher das Private Banking und Wealth Management stärken soll. «Vorher gab es andere Businesspläne, die zeigten, dass der Goodwill werthaltig war», so der CS-Chef.

Fälle wie derjenige der CS dürften sich deshalb häufen. Denn der Anteil heisser Luft in den Schweizer Unternehmensbilanzen steigt kontinuierlich an. Von den SMI-Konzernen rapportiert einzig Swatch noch gemäss Swiss-Gaap und schreibt Goodwill planmässig ab. Bei anderen Unternehmen machen diese immateriellen Vermögenswerte mittlerweile einen bedeutenden Anteil der Bilanz aus. Beim Personaldienstleister Adecco etwa war der Goodwill im Geschäftsjahr 2014 fast so hoch wie das Eigenkapital des Unternehmens.

Quervergleich wagen

Peter Leibfried beobachtet diese Entwicklung mit Besorgnis. «Ich bin dafür, den Standard für die Buchhaltung wieder zu ändern.» Beim International Accounting Standards Board, das die IFRS-Standards festlegt, gebe es entsprechende Diskussionen. In gewisser Weise gebe es hier inzwischen Parallelen zwischen Real- und Finanzwirtschaft, so der HSG-Professor. Riskante Wetten auf besonders hohe zukünftige Gewinne seien nicht nur an den Börsen gefährlich, sondern auch bei Unternehmen. «Alle paar Jahre bauen sich da Blasen auf», so Leibfried. Geht es dann mit der Wirtschaft längerfristig bergab, drohen diese zu platzen.