Während zehn Jahren bereiste der kanadische Künstler Gregory Colbert die Welt. Er fotografierte an exotischen Orten wie Äthiopien, Namibia, Indien oder auf den Azoren wilde Tiere, die in Beziehung zu Menschen treten. Das so entstandene Projekt «Ashes and Snow» wurde erstmals 2002 an der Biennale in Venedig gezeigt – vor den Augen von Rolex-Chef Patrick Heiniger. Er entschied sich, für eine nicht bekannte Summe sämtliche grossformatigen Fotos Colberts zu kaufen. Ausserdem finanziert Rolex das Nomadic Museum, ein eigens für die Ausstellung gefertigtes gigantisches Museum aus Schiffscontainern und Karton. Seit Anfang März steht die Kunsthalle auf einem Pier am Hudson River in New York. Mitte Jahr reist sie mitsamt den Fotos von Colbert nach Los Angeles, später nach Peking und in den Vatikan.

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Colbert gehört unter Kunstsammlern zu den begehrtesten Fotografen überhaupt. Er verkauft seine Bilder direkt an Sammler und umgeht die Galerien. Der 45-jährige Künstler wuchs in Toronto auf. Er drehte zuerst Dokumentarfilme, bis er bei einem Film über Aids von Sponsoren gezwungen wurde, eine Szene mit zwei sich küssenden Männern herauszuschneiden. Danach entschied er sich, kein Geld mehr von Firmen anzunehmen. Colbert lebt in Paris, Schottland und New York. Seit 2000 betreibt er die Umwelt- und Tierschutzstiftung Bianimale Foundation.

BILANZ: Gregory Colbert, Sie fotografieren Tiere, die auf Menschen treffen. Am innigsten zeigen Sie Elefanten. Warum?

Gregory Colbert: Ich bin ein Elefant.

Einen Rüssel haben Sie nicht.

Als Kind hatte ich grosse abstehende Ohren. Starken Winden musste ich fernbleiben, sonst wäre ich wie Dumbo davongeflogen. Als ich vier Jahre alt war, schickte mich meine Mutter zum Schönheitschirurgen. Sie wollte mir die Schmach des Elefantenlebens ersparen.

Dann wurzelt Ihr Werk in einem Kindheitstrauma?

Im Gegenteil. Ich war stets stolz darauf, ein Elefant zu sein. Als Kind fühlt man sich den Tieren ohnehin noch nicht so überlegen. Man akzeptiert sie als seinesgleichen. Dasselbe tun nur noch Naturvölker. Für sie gibt es keine Barrieren zwischen Mensch und Tier. Wir stellen künstliche Barrieren auf, sogar innerhalb unserer eigenen Art, seien es ethnische, religiöse oder geografische Grenzen.

Sie zelebrieren harmonische Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Das ist ein Widerspruch zur Realität.

Wir sind die narzisstischste Art auf dem Planeten. Es gibt aber noch Kulturen, wo Beziehungen zwischen Mensch und Tier sehr harmonisch verlaufen.

Dann ist Ihre Sichtweise verklärend?

Ich bin ein vorsichtiger Optimist. Das Pendel wird zurückschlagen. Die Menschen werden erwachen, bevor sie die Welt komplett ausgebeutet haben.

Sie zeigen Asiaten und Afrikaner in Verbindung mit wilden Tieren. Dabei wirkt Ihre Kunst kolonialistisch.

Unser Blickwinkel ist total fokussiert auf die westliche Leinwand. Die Welt besteht aber nicht nur aus Beethoven, Brahms oder den Griechen. Wer Weisse sehen will, soll ins Museum of Modern Art.

Sind Sie ein Umweltaktivist oder ein Künstler?

Ich will etwas kreieren, das eine Wirkung hat, bei dem eine gewisse Dringlichkeit zu spüren ist. Ein Künstler hat eine grosse Verantwortung. Ich stehe am Morgen nicht auf und sage, jetzt mache ich Kunst für die Privilegierten.

Warum stehen Sie auf?

Um mit weiteren Tieren arbeiten zu können. Bald kommen die Orang-Utans dran. Darauf freue ich mich.

Sie verkaufen Ihre Fotos für über 100 000 Dollar. Es gibt derzeit kaum einen Fotografen, der für seine Bilder mehr erhält als Sie. Gleichzeitig geben Sie sich anspruchslos. Ist das nicht Heuchelei?

Es war stets mein Ziel, meine Sammler zu ruinieren, um auf weitere Expeditionen gehen zu können. Geld ist ein Instrument im Werkzeugkasten, das dich befreit. Ich will frei sein, um zu reisen. Sonst habe ich keinerlei soziale Ziele, ich will nicht im Zoo der Millionäre spielen. Ich bin nicht der tanzende Bär der gelangweilten Reichen.

Sie haben sich auf einem Pier in New York ein gigantisches Museum bauen lassen. Zehn Jahre lang haben Sie an Ihrer Ausstellung gearbeitet. Das kostet sehr viel Geld. Sie brauchen die Reichen.

Ein Künstler, der im Studio nackte Frauen oder Äpfel malt, braucht kaum Geld. Ich war bisher auf 33 Expeditionen. Das ist teuer. Ich helfe meinen Sammlern, mit ihrem Geld etwas Intelligentes zu tun.

Sie sind berühmt für die Aussage, nie Geld von Unternehmen anzunehmen. Nun hat die Schweizer Uhrenfirma Rolex Ihr Werk gekauft und finanziert Ihr Museum. Betreibt der selbstlose Gregory Colbert jetzt Ausverkauf?

Ich tue nichts, was mein Projekt gefährden könnte. Warum sollte ich? Das Projekt begleitet mich bis in den Tod. Ich will mir meine Lebensgrundlage nicht zerstören.

Wie kam der Rolex-Deal zu Stande?

Vor drei Jahren wurden meine Bilder erstmals an der Biennale gezeigt. Es gab kein Sponsoring, und es gab keine Verkäufe. 65 Privatjets brachten Sammler nach Venedig. Ich habe sie alle abgewimmelt. In der Ausstellung traf ich Rolex-Chef Patrick Heiniger. Er war 52 und sah aus wie ein 14-Jähriger, strahlte vor Freude. Er sagte: «Mach nichts mit diesen Bildern, wir müssen reden.» Tage später kam er zurück und fragte: «Was bringt den Elefanten zum Lächeln?» Ich sagte ihm, ich möchte das Werk zusammenhalten und ein nomadisches Museum kreieren, damit die Bilder um die Welt reisen können. Er kaufte die Sammlung und legte für das Museum Geld in meine Umweltstiftung.

Taugen Sie denn als Rolex-Werbeträger? Sie tragen nie eine Uhr.

Ich bin der schlechteste Posterboy, den man sich vorstellen kann. Heiniger ist das wohl egal. Er sagte mir, er sei in einem gewissen Alter und habe einige Erfolge mit seiner Firma gehabt. Es sei jetzt an der Zeit, etwas zurückzugeben.

Sie schlugen jahrelang Geld von Sponsoren partout aus. Wer hat sich verändert, Colbert oder die Firmen?

Ich habe stets geglaubt, keine Firma sei in der Lage, meine Sprache zu finden. Es gibt nun Firmen, die verstehen, dass falsches Sponsoring toxisch sein kann. Rolex hat das zuerst begriffen.

Welche Bedingungen stellten Sie?

Es darf beim Museum keinerlei Branding geben. Das Rolex-Logo fehlt.

Was bedeutet Sponsoring ohne Logo?

Ich bin mir nicht sicher, ob Rolex wirklich realisiert, was sie da tut. Sie öffnet die Büchse der Pandora. Unbewusst sagen sie, Kunstsponsoring war bis anhin reine Hurerei. Damit legen sie offen, was die Künstler und die Firmen doch längst wissen. Mit ihrem Engagement setzt Rolex die Latte für Sponsoren auf eine neue Höhe.

Was haben Sie davon?

Mein Museum steht in Chelsea, gleich neben dem wichtigsten Kunstmarkt der Welt. Ich könnte hier eine Tonne Geld verdienen, aber ich tue es nicht. Ich komme ganz ohne Kommerz aus. Das ist der komplette Hirnfick. Es ist Dadaismus. Man kann, aber man tut es nicht. Damit will ich aufzeigen, dass Kunst etwas anderes ist als Aktien.

Viele sehen Kunst als Investition.

Es gibt nichts Hirnrissigeres, als in Kunst zu investieren. Man sollte Kunst kaufen, weil man sie mag, nicht weil man Geld anlegen will. Wer Geld anlegen will, ist mit Pferderennen besser dran. Kunst ist ein Ausdruck der eigenen Sensibilität. Menschen umgeben sich mit Bildern, hören Musik oder schauen sich Filme an, weil all das ihre Herzen anspricht. Bankiers oder Fabrikarbeiter, die am Tag ihr Herz nicht einsetzen können, brauchen abends Kunst.

Sie produzieren Ihre Kunst sehr aufwändig und sind darauf angewiesen, dass Leute in Ihre Kunst investieren.

Es gibt eine hervorragende Tradition, um grossartige Kunst herzustellen: das Mäzenatentum. Ursprünglich wollte Papst Julius von Michelangelo nur, dass er die Sixtinische Kappelle mit Weintrauben bemalt.Michelangelo malte zusätzlich menschliche Figuren. Julius sagte: «Interessant, mach weiter.» Er malte mehr Menschen, die dem Papst gefielen. Der Papst ermutigte ihn, vier Jahre lang daran zu arbeiten. Niemand überlegte sich, Michelangelos Werk von den Wänden zu reissen und für das Zehnfache zu verkaufen. Kunst hatte eine Funktion. Dorthin will ich zurück. Mir ist das bisher mit Privatleuten gelungen, mit Autokraten, die keine Angst haben vor ihrer Sensibilität. Rolex kann das tun, weil die Firma frei und nicht börsenkotiert ist.

Gewisse Kritiker werfen Ihnen nun vor, kommerziell geworden zu sein.

Ein grosses Wort. Ich lasse alles zu, was dem Geist des Projekts entspricht. Nie und nimmer erlaube ich aber eine kommerzielle Verwendung der Bilder. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel mir dafür geboten wurde.

Kann ich mir vorstellen.

Nein, das können Sie nicht.

Sind Sie reich?

Es ist nicht gut, zu viel oder zu wenig Geld zu haben. Ich habe genug Geld und spüre keinerlei materielles Verlangen. Eine Person ist dann reich, wenn sie am Morgen aufsteht und weiss, was sie macht, das gerne macht und abends mit dem Wissen ins Bett geht, das morgen wieder machen zu können. Ich weiss, im Juli fotografiere ich Orang-Utans, im September Jaguare, im Oktober Pinguine. Insofern bin ich sehr reich. Viele Menschen sind frustriert, weil in unserer Gesellschaft offenbar derjenige gewinnt, der mit dem grössten Besitz stirbt.

Warum wollen Sie ein Museum, das mit der Kunst reist? Sie könnten die Kunst ins Museum bringen.

Hätte es einen Raum gegeben, der seine Wurzeln im Himmel hat, hätte ich nie ein Museum bauen lassen. Es gab ihn nicht. Ich wollte einen Ort, der sich demokratisch anfühlt. Eine Piazza für Menschen und für Tiere.

Die Ausstellung steht auf dem Pier, an dem die «Titanic» hätte anlegen sollen. Zufall oder genau geplant?

Als ich das herausfand, war mir klar, es ist der perfekte Ort für den totalen Wahnsinn.

Ihr nomadisches Museum ging fast gleichzeitig auf wie der Neubau des Museum of Modern Art. Zufall?

Das Museum of Modern Art ist der weisse Vatikan. Ich habe eine Armada von Schiffscontainern aufeinander gestellt, was Ketzerei gleichkommt. Nun haben wir genauso viele Besucher wie das neue MoMA. Unlängst hat mir der Philanthrop und MoMA-Financier David Rockefeller gesagt: «Vielleicht haben wir einen kolossalen Fehler gemacht. Wir haben eben eine Milliarde Dollar ausgegeben, um die Leute zur Kunst zu bringen. Vielleicht hätten wir das Geld ausgeben sollen, um die Kunst zu den Leuten zu bringen.» Ich bringe die Kunst zu den Leuten.

Inwiefern unterscheidet sich das wandernde Museum sonst noch von einem herkömmlichen Museum?

Es ist ein Ort der Intuition. Wer drinnen steht, steht innerhalb der Kunst. Es ist kein weisser Würfel, in dem man Kunst wie aufgespiesste Insekten inspiziert. Es ist ein Tempel für die Natur.

Sie nennen es Tempel. Andere haben es als «erste Kathedrale des 21. Jahrhunderts» bezeichnet. Die Ausstellung reist in den Vatikan. Sie sprechen von der «Harmonie zwischen Mensch und Tier». Ist Ihre Kunst religiös?

Nicht religiös, sakral.

Sind Sie religiös?

Nein, ich bin ein Elefant. Ich kenne keine absolute spirituelle Wahrheit. Selbst wenn ich eine fände, wäre es für mich nicht angemessen, mich dazu zu äussern. Wahr ist für mich aber, dass wir die Luft nicht aufbrauchen dürfen, die in Zukunft geatmet werden soll.

Dann sind Sie auf einer Mission?

Ich möchte die Leute inspirieren. Meine Fotos sagen jedoch nicht, tut dies und das nicht. Gibt es in der Nähe einen Fluss, wo Sie aufgewachsen sind?

Ja, die Limmat.

Wenn Sie sagen, werft keine Abfälle in die Limmat, hört niemand zu. Wenn Sie aber sagen, die Limmat ist eure Mutter, hören sie alle hin. Niemand wirft Abfall in die eigene Mutter. Vor vierzig Jahren konnten Schwarze nicht vom selben Wasserhahn trinken wie Weisse. Das ist heute undenkbar. Hoffentlich wird es in vierzig Jahren undenkbar sein, über Tiere zu denken, wie wir das heute tun. Wäre ich ein guter Redner, würde ich vor das Museum treten und wie einst Martin Luther King sagen: Ich habe einen Traum – dass Tiere gleichberechtigt werden.

In Ihren Bildern suchen Sie nach Schönheit. Schönheit ist ein gefährliches Feld in der Kunst.

Es ist ein Tabu.

Die letzte grosse Fotografin des Schönen war Leni Riefenstahl.

Riefenstahl war eine Künstlerin und Filmemacherin, die glaubte, sie sei nicht verantwortlich für das, was sie tut. Dabei spielt es eine enorm grosse Rolle, was ein Künstler tut und wie er seine Kunst präsentiert.

Ist Schönheit das richtige Werkzeug, Verantwortung zu übernehmen?

Schönheit ist kein Werkzeug. Es ist eine Reflexion. Die Natur ist erhaben. Der französische Maler Eugène Delacroix hat einmal gesagt, sie sei ein Wörterbuch. Ich sehe die Natur als grossartiges Gedicht. Wenn du aber nur die Schönheit siehst, siehst du die Grazie nicht. Die Grazie liegt in der Aktion, etwa beim Tanz. Ich will nicht Schönheit um der Schönheit willen. Ich mache keine Propaganda. Die Leute können mit meinen Bildern tun, was sie wollen. Da unterscheide ich mich von Leni Riefenstahl.

Warum inszenieren Sie Ihre Fotos?

Inszenieren ist ein Wort, das ich nie verwende.

Was verwenden Sie?

Zusammenarbeit. Wenn Sie sagen, ich inszeniere, muten Sie mir zu viel zu. Wie soll man einen wilden Elefanten inszenieren? Oder einen Wal? Bitte, minimieren Sie den Beitrag der Tiere nicht. Wir sind nicht die einzige Art auf der Erde, die sich entzücken lassen will. Elefanten sind sehr generöse Tiere. Wir hingegen verlieren die Fähigkeit, uns nonverbal auszudrücken. Da wir mit E-Mail und dem Telefon kommunizieren, treffen wir nicht mehr aufeinander. Wer kann denn heute noch Gesichtsausdrücke lesen? Es sind die Walfische, die Albatrosse oder Jaguare.