Von seinem Büro aus sieht Guillaume de Seynes über ganz ParisEiffelturm inklusive. Doch aktuell richtet sich sein Blick auf die Schweiz. Ab heute nimmt Hermès am Salon International de la Haute Horlogerie in Genf teil – zusammen mit den Marken der Richemont-Gruppe und einigen unabhängigen Uhrmachern wie Audemars Piguet oder Ressence. Für Hermès – bekannt für seine Lederwaren und seine Seiden-Kollektionen – ist es eine Premiere. Bislang präsentierte der in Paris kotierte Luxus-konzern seine Uhrenkollektion an der Baselworld.

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Herr de Seynes, warum kehren Sie der Baselworld den Rücken?
Guillaume de Seynes*: Ich würde eher sagen, dass wir uns dem SIHH anschliessen. Wir stehen seit vielen Jahren in Kontakt mit der Fondation de Haute Horlogerie und sind auch Mitglied. Wir waren seit 1995 in Basel. Die Messe hat es uns ermöglicht, in der Uhrenwelt zu wachsen und an Bedeutung zu gewinnen. Aber unser Geschäft hat sich weiter entwickelt. Als wir nach Basel kamen, produzierten wir zu 95 Prozent Quarz-Uhren für Frauen. Unsere Mengen waren höher, aber der Durchschnittspreis war deutlich niedriger.

Heute positionieren Sie sich mehr im Segment der mechanischen Herrenuhren. Ist diese Strategie mit der Baselworld unvereinbar?
Überhaupt nicht. Die Zusammenarbeit mit den Teams der Messe Basel war sehr gut. Sie waren loyale Partner, die uns drei Mal mehr Ausstellungsfläche  gaben. Aber Hermès bleibt ein bescheidener Akteur in der Uhrenbranche. Und vielleicht interessieren sich nicht alle Messebesucher für uns.

Was reizt Sie an Genf?
Die Teilnahme am SIHH ist ein logischer Schritt in der Strategie, die wir seit 15 Jahren verfolgen. Im Jahr 2006 haben wir 25 Prozent der Manufaktur Vaucher gekauft. (Die restlichen 75 Prozent gehörten der Sandoz-Familienstiftung, die Red.) Ab 2010 haben wir dann sukzessive den gesamten Gehäuse-Hersteller Joseph Erard in Le Noirmont und den Zifferblatthersteller Natéber in La Chaux-de-Fonds übernommen. Ende letzten Jahres haben wir unsere neuen Räumlichkeiten in Le Noirmont eingeweiht, in denen wir unsere Kompentenzen zusammenführen. Unsere Bemühungen haben sich ausbezahlt, denn wir wurden von unseren Kollegen mit Preisen beim Genfer Grand Prix der Uhrmacherkunst gewürdigt – 2011 und 2015. Heute ist Hermès nicht mehr nur ein französischer Luxuskonzern, sondern auch ein Schweizer Uhrmacher!

Aber Sie verkaufen weiterhin auch Quarz-Uhren für 1900 Euro.
Wir stellen schöne Uhren her, nicht unbedingt Haute Horlogierie. Dank seiner geringen Grösse ermöglicht Quarz einen aussergewöhnlichen Formen- und Erfindungsreichtum.

Und ihr Marken-Image? Besteht nicht die Gefahr, dass es verschwimmt?
Das ist eine wichtige Frage. Aber wir haben bei Hermès den Willen, Qualität zu allen Preisen herzustellen. Bei den Lederwaren verkaufen wir Krokodil-Taschen, die stundenlang hergestellt werden müssen und deren Verschlüsse aus Diamanten bestehen, aber auch Taschen, die fast ohne Nähen von Hand gefertigt werden. Die Preisunterschiede – zwischen rund 1000 und 120'000 Euro – sind ähnlich wie in der Uhrmacherei. Wir haben ohnehin keine Politik, über den Preis Marketing zu machen. Unsere Preise spiegeln unsere Kosten und unseren Qualitätsanspruch. Wir sind gerne bereit, dies unseren Kunden zu erklären....

Verstehen sie es?
Ja, mit unseren Preisen haben wir kein Problem.

Aber womit?
Manchmal sind ein wenig frustriert darüber, dass der männliche Konsument nicht den Hermès-Reflex hat, wenn er sich den Kauf einer schönen mechanischen Uhr vorstellt. Aber das ändert sich langsam, vor allem in Asien. Bei den Uhren machen wir immer noch drei Viertel unseres Umsatzes mit Produkten für Frauen. Auf Gruppenebene liegt das Verhältnis bei 60 zu 40. Aber wir sind in einigen Männersegmenten sehr stark. Zum Beispiel verkaufen wir 6500000 Krawatten pro Jahr.

Uhren machen nur 3drei Prozent des Gesamtumsatzes von Hermès aus. Was sind Ihre Wachstumsziele?
Ich werde Ihnen keine Zahlen nennen. Heute ist die Gruppe in einer Dynamik, die hauptsächlich von den Lederwaren getrieben wird. Sie machen rund 50 Prozent des Umsatz aus. Aber langfristig werden Uhren und Schmuck eine Rolle bei unserem Wachstum spielen. Unser Ziel in der Uhrenindustrie ist es, das Wachstum durch die Professionalisierung unseres Vertriebses zu fördern. Es ist ja viel schwieriger, eine mechanische Uhr zu verkaufen als eine Krawatte.

Die Manufaktur Vaucher leidet unter Überkapazitäten. Macht Ihnen das Sorgen?
Ja, Vaucher musste Anfang 2016 eine Restrukturierung durchführen. (37 der 150 Mitarbeiter wurden entlassen, die Red.) Vielleicht haben wir alles etwas zu gross gesehen. Doch angesichts des rasanten Wachstums des chinesischen Marktes ist dies ein Vorwurf, der sich an die gesamte Uhrenindustrie richten kann.

Ist die Situation von Vaucher nun stabil?
Es ist ein Unternehmen, das in der Lage wäre, mehr Kunden zu bedienen. Aber aktuell sind keine weiteren Massnahmen nötig.

2017 war geprägt von einer deutlichen Zunahme des Online-Verkaufs von Uhren. Wie beobachten Sie das?
Wir sind seit 2001 online. Wir haben nie daran gezweifelt, dass es wichtig ist, Luxusprodukte online zu verkaufen, auch wenn wir feststellen, dass es bei bestimmten Produkten – Seide, Parfüms – besser funktioniert als bei Uhren. Wir arbeiten an einem globalen Projekt, um unsere Website so umzugestalten, dass sie viel mobiler wird.

Und wie sieht es mit der physischen Distribution aus? Die Anzahl Ihrer Filialen – Ende 2017 waren es 317 – ist stabil. Sie erwirtschaften 60 Prozent des Umsatzes in eigenen Läden. Wie sehen Sie die Entwicklung?
In unseren wichtigsten Märkten – also in Europa, Nordamerika und Japan – verfolgen wir die Strategie, die durchschnittliche Fläche der Läden zu vergrössern, aber nicht deren Anzahl. Entweder wir ziehen um oder wir kaufen einen zusätzlichen Boden. Wir benötigen grosse Flächen, mindestens 350 Quadratmeter. In China werden wir uns in neuen Städten niederlassen. Und in Afrika sind wir immer noch völlig abwesend.

Hermès hat ein Armband für die Apple Watch lanciert. Was können Sie uns über diese Zusammenarbeit sagen?
Diese Partnerschaft war eine einzigartige Ausnahme in der Geschichte unserer Marke. Noch nie zuvor hatten wir eine Partnerschaft mit einem anderen Unternehmen geschlossen und ich denke, das Gleiche gilt für Apple. Aber da wir immer wieder überraschen wollen, passt es gut zu uns. Der Kontakt zwischen Apple und uns wurde durch eine Person bei Apple hergestellt, die wir gut kannten. Die Produkte werden bei Apple als auch bei Hermes verkauft. Wir haben unsererseits eine gewisse Erneuerung der Kundschaft beobachtet. Junge Frauen kamen für dieses Armband in unsere Boutiquen, um Hermès zu entdecken.

Zwischen 2010 und 2014 versuchte Bernard Arnault, Konzernchef von LVMH, erfolglos die Kontrolle über Hermès zu übernehmen. Hat das die Art und Weise, wie Sie arbeiten, verändert?
Seitdem wir vor 25 Jahren an die Börse gegangen sind, sind unsere Ergebnisse öffentlich. Und da wir uns im florierenden Luxussegment befinden, konnte jeder unseren spektakulären finanziellen Erfolg beobachten. Das mag Begehrlichkeiten hervorgerufen haben. Aber man unterbricht eine Traditionskette  von sechs Generationen nicht mit einem Fingerschnippen. Diese heikle Zeit hat unsere Philosophie nicht grundlegend verändert, sondern den Zusammenhalt in unserer Familie gestärkt. Vielleicht hat sich dadurch auch unser Wunsch, unseren Weg eigenständig zu gehen, weiter verfestigt, was ein Ausdruck der Einzigartigkeit unseres Unternehmens ist. Wir wussten das natürlich. Aber wir erkennen es jetzt noch mehr.


*Guillaume de Seynes ist der Vize-Chef von Hermès. Er wurde am 14. Oktober 1957 in Paris geboren und hat zwischen 1984 und 1997 unter anderem bei Lacoste und der Champagner-Marke Henriot gearbeitet. 1997 wurde er Marketingched bei La Montre Hermès, 1999 stieg er zum Chef aus. Seit April 2006 ist er Vize-Chef des gesamten Konzerns. De Seynes vertritt die sechste Generation der Besitzerfamilie von Hermès, die noch immer zwei Drittel des börsenkotierten Konzerns hält. Neben Axel und Pierre-Alexis Dumas gilt de Seynes als der starke Mann beim Luxushaus.

Das Interview ist zuerst in «Le Temps» unter dem Titel «Hermès est aussi un horloger suisse» erschienen.