Wir kennen es alle aus eigener Erfahrung: Nach einer gut überstandenen Krankheit sind wir nicht nur wieder gesund, sondern ein anderer Mensch. Noch besser lässt sich dies an Dritten beobachten, an unseren Kindern etwa. Während einer Kinderkrankheit oder einer Grippe machen sie oft einen gewaltigen Sprung nach vorn in ihrer Entwicklung. Die Unternehmenskrise ist ein vergleichbarer Vorgang. Viele Unternehmen kommen stärker, besser aufgestellt und ausgerichtet und konkurrenzfähiger aus der Krise.

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Das Sichere an der Krise ist: Sie kommt. Vielleicht in zehn Jahren, vielleicht in einem Jahr, vielleicht auch nächste Woche. Sie wird als Ausnahmezustand, als singuläres Ereignis erlebt. Tatsache ist: Die allermeisten Unternehmen durchlaufen in ihrer Existenz mehrere schwere Krisen. Aus etwas höherer Warte betrachtet, sind Unternehmenskrisen daher nichts anderes als ein Teil der Normalität. Krisensituationen werden als chaotisch empfunden. Sie sind es, folgen aber auch Gesetzmässigkeiten; bei ihrer Bewältigung geht es um immer wieder gleiche Massnahmen und Prozesse. Und dennoch: Jede Krise ist wieder anders und verlangt eventuell nach einem anderen Team. Krisen werden als harter Test gesehen. Und das sind sie in der Tat, besonders für den Realitätssinn und das Durchsetzungsvermögen von Verwaltungsrat und Management.

Blick nach vorne. Das Unternehmensleben ist komplex und vielschichtig. Schnell-Assessments aus der Aussenperspektive bringen hier wenig. Wer eine schwere Unternehmenskrise zu bewältigen hat, steht unter hohem Zeitdruck. Soll die Krise ein Neuanfang und nicht das Ende sein, müssen alle Kräfte nach vorne gerichtet sein. Interpretationen der Vergangenheit, Schuldzuweisungen sind Zeitverschwendung.

Verbündete sind entscheidend. Geht es um den Fortbestand eines Unternehmens, braucht es das 100-prozentige Engagement, den vollen Einsatz des Verwaltungsrates. Mit ein paar Sitzungen nebenher ist da nichts auszurichten. Es braucht Dutzende von Meetings, Dutzende von Telefonkonferenzen und den Mut, folgenreiche Entscheidungen zu fällen und mitzutragen. Es braucht den 100-prozentigen Einsatz der Konzernleitung. Es braucht Aktionäre und Banken, die eine aktive und konstruktive Rolle spielen. Alle müssen eingebunden werden: eine zentrale Aufgabe des obersten Krisenmanagers. Die Krise verlangt Stand- und Durchsetzungsvermögen, auch Flexibilität und diplomatisches Geschick. Nur wenn die Führung der Firma, wenn Mitarbeitende, Aktionäre, Banken, Lieferanten, Kunden und Behörden zusammenstehen, wird die Krise tatsächlich zur Chance. Jede erfolgreiche Krisenbewältigung ist damit notwendigerweise eine Teamleistung. Den Helden gibt es nicht – es gibt nur das erfolgreiche Team. Auch die Medien können ein wichtiger Katalysator sein und Sanierungen beschleunigen.

Beim Kopf ansetzen. Wer ein ins Strudeln geratenes Unternehmen wieder auf Erfolgskurs bringen will, braucht einen klaren und unverstellten Blick auf Ursachen, Potenzial und Chancen. Ohne tief greifende und schnelle Neuorientierung lässt sich ein Fortbestand oft nicht sichern. Und diese kann häufig nur mit dem schnellen Auswechseln aller oder doch eines grossen Teiles der Verwaltungsräte beginnen.

Verwaltungsräte sind auch nur Menschen. Sie haben möglicherweise in früheren Jahren Wichtiges für das Unternehmen geleistet. Jetzt steht ihnen die Vergangenheit im Weg. Was nicht sein sollte, darf nicht sein, basta. Ich habe immer wieder gestaunt, wie intensiv dieser Verdrängungsprozess in obersten Führungsgremien ablaufen kann. Zuerst werden unangenehme Nachrichten ignoriert, dann bagatellisiert, personalisiert, dann zurechtstilisiert. Objektiviert, das werden sie erst viel, viel später. Die notwendige kritische Distanz zum Unternehmen, zu eigenen Entscheiden fehlt; es sind Rücksichten zu nehmen. Es fehlt die Unvoreingenommenheit, die Krise innerlich zu akzeptieren und zeitgerecht und mit aller Entschlossenheit die erforderliche Neuausrichtung an die Hand zu nehmen.

Das richtige Management. Wer ein Unternehmen sanieren will, muss wissen, ob die 5 bis 50 Schlüsselpersonen mitziehen wollen und können. Ein Management-Audit ist zentral. Jeder Manager hat Stärken und Schwächen. Nicht jeder CEO oder jeder Divisionschef ist ein Krisenmanager. Und: Vorbehalte können wir uns in der Krise nicht leisten. Wer Zweifel hat, muss ausscheiden. Das heisst nicht, dass er nicht an einem anderen Ort einen guten Job machen kann.

Ein Club von Ja-Sagern also? Ja, aber nur in den Punkten der Lageeinschätzung, der Strategie zur Neuausrichtung und der Chance für das Unternehmen. Wer sich im Krisenmanagement betätigt, tut dies, weil er davon überzeugt ist, dass das Unternehmen und seine Mitarbeitenden eine Chance verdienen, sich nach einer Erneuerungskur wieder erfolgreich im Markt zu bewegen. Erneuerungskur bedeutet Neues tun, heisst aber auch Rückbesinnung und Fokus auf die Kernkompetenzen, heisst tiefgreifend verändern, Ballast abwerfen, devestieren. Diese Einschnitte müssen breit getragen werden. Die einmal festgelegten Weichenstellungen können bei unveränderter Lage nicht immer wieder neu diskutiert oder in Frage gestellt werden. Hier muss Einigkeit bestehen und intellektuelle Disziplin.

Es muss alles auf den Tisch. Dieses gemeinsame Grundverständnis ist zentral. Genauso zentral ist eine ausgesprochene Kultur der Auseinandersetzung, eine Streitkultur mit klaren Spielregeln innerhalb der Führungsgremien, insbesondere des Verwaltungsrates. Unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen müssen auf den Tisch. Diskussionen müssen geführt werden – offen, sachlich, zuweilen auch schonungslos, immer aber hinter verschlossenen Türen. Erfolgreich sind nicht der Club der Lämmer, der Debattierclub und der Club der Einflüsterer. Erfolgreich ist ein Team, das dasselbe will und den Weg dorthin, auch unter hohem Zeitdruck, nach allen Regeln der Kunst ausdiskutiert, entscheidet – und nach aussen zu schweigen weiss. One company – one voice.

Im Chaos den Überblick behalten. In der akuten Krise kommt alles auf einmal. Multi-Tasking, Kampf an allen Fronten ist angesagt. Ein hohes Tempo ist gefragt. Der Kommunikationsbedarf wächst phasenweise ins Unermessliche. Alle wollen etwas. Alles ist dringend. Alles läuft parallel. Dieses Chaos zu bekämpfen, ist aussichtslos. Wer hier in Charge ist, muss schnell analysieren, sich auf das Wesentliche konzentrieren und priorisieren können. Er muss Vertrauen schenken und Handlungsspielräume geben.

Das operative Geschäft nicht aus den Augen verlieren: Kostenreduktion, um den Break-even-Point zu senken, Bilanzverstärkung durch Verkäufe von Liegenschaften oder Geschäften und Bilanzsanierungsmassnahmen. Die Letztgenannten sind Sofortmassnahmen: überlebensnotwendig, einmalig, kurzfristig. Gleichzeitig muss das operative Grundgeschäft langfristig profitabel gemacht werden. Bei aller Sanierungshektik: Ohne ein profitables operatives Grundgeschäft gibt es keine Gesundung. Diese einfache Wahrheit wird in der Öffentlichkeit oftmals vergessen.

Umsetzung ist alles. In Krisen sind vom CEO Zuverlässigkeit und hohes Tempo in der Umsetzung verlangt. Dies bedeutet hohe Verantwortung und Präsenz. Den Verwaltungsrat interessiert die fristgerechte Umsetzung beschlossener Massnahmen, nicht Analysen, weshalb sie noch nicht umgesetzt werden konnten. Geht ein Weg nicht, ist ein anderer zu finden. Der Verwaltungsrat leistet dabei Unterstützung.

Gleichzeitig im Hier und Jetzt und in der Zeit nach der Krise: Wer ein Unternehmen aus einer Krise führt, befindet sich grundsätzlich in einem Dauerspagat. Während er als Feuerwehrmann überall Brände löscht und neue vermeidet, muss er immer auch an die Zeit nach der Krise denken. Er muss den Ereignissen gedanklich vorauseilen. Wenn das Management noch in der Umsetzung der Sanierungsmassnahmen steckt, denkt er an die Zeit des Turnaround, wenn der Turnaround erreicht ist, setzt er die Messlatte nochmals höher. Sobald das Unternehmen wieder in den schwarzen Zahlen ist, müssen die mittel- und langfristigen Ziele definiert sein. Die Geschäftsprozesse sind neu zu gestalten, Innovationsmanagement und Kundenpflege neu auszurichten. Kostenmanagement, Management des Umlaufvermögens, Margenverstärkung sind zur Daueraufgabe zu erklären. Krisen sind in der Marktwirtschaft angelegt. Technologischer Wandel, Veränderungen im Nachfrageverhalten und Wettbewerb bergen Risiken. Es muss dafür gesorgt werden, dass neue Risiken künftig sofort erkannt und durch schnelles Handeln minimiert werden.

Wenn dann die Unternehmenskrise zum gemütlichen Konversationsthema geworden ist, die Medien den «wahren» Helden und den «wahren» Sanierer identifiziert haben und keiner mehr so genau weiss, wie schlecht es um das Unternehmen gestanden ist, reibt sich der Krisenmanager kurz die Augen und weiss nun mit Sicherheit: Sie ist tatsächlich vorbei, die Krise. Das Team im Unternehmen und die aktiven Aktionäre haben es geschafft. Vieles fand öffentlich statt. Das Innerste allerdings wurde nicht nach aussen gekehrt: Die Momente der grössten Existenzbedrohung hat die Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Und das ist gut so.

Juhani Anttila (50) ist seit Mai 2002 Verwaltungsratspräsident der Ascom Holding in Bern. In dieser Funktion und zwischenzeitlich auch noch als CEO führte er das Telekom-Unternehmen während der letzten Jahre durch eine dramatische Restrukturierung, in der die Anzahl der Beschäftigten mehr als halbiert wurde. Zuvor war der gebürtige Finne als CEO von Swisslog und als Geschäftsführer von Nokia Deutschland tätig.