Seit Monaten werde ich mit Stellenangeboten eingedeckt», wundert sich Edmondo Tommasina. Obwohl der 25jährige Tessiner sein Informatikstudium an der Fachhochschule Aargau noch gar nicht abgeschlossen hat, stehen Personalvermittler, Banken und andere Dienstleister Schlange. Das höchste Angebot hinterlegte ein Unternehmensberater: über 90 000 Franken Jahresgehalt - für einen Informatiker mit null Praxis! «An der ETH Zürich haben in diesem Jahr rund 70 Studenten in Informatik abgeschlossen. Das ist noch die Hälfte aller Studenten, die einst angefangen haben. Ein absoluter Tiefpunkt.» Carl August Zehnder, Professor am ETH-Institut für Informationssysteme und Präsident des Schweizerischen Verbands der Informatikorganisationen SVI/FSI, führt die hohe Ausfallquote nur teilweise auf die anspruchsvolle Informatikausbildung zurück. Am Bestand zehrt auch, dass die Studiosi «tolle Angebote aus der Wirtschaft erhalten, worauf viele ihr Studium abbrechen».

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Der Grund für das Buhlen um EDV-Spezialisten: Der Arbeitsmarkt für Informatiker ist knochentrocken. Während die Statistik über 120 000 Arbeitslose auflistet, schreit die Wirtschaft nach Fachleuten für Informationstechnik, kurz IT genannt. 10 000 bis 12 000 offene Stellen wären zu besetzen, Tendenz stark steigend. Im Informatikbereich werden etwa 110 000 Personen beschäftigt. Doch die Struktur ist überaltert. Laut Zehnders Schätzungen sind alleine von den bestehenden Stellen wegen Fluktuationen jährlich deren 7000 neu zu besetzen. Der kolossalen Nachfrage steht ein spindeldürres Angebot gegenüber: Im vergangenen Jahr sind gerade mal 850 frisch ausgebildete Informatiker auf den Markt gekommen, alle Kanäle wie Hochschulen, HTL, Lehrabschlüsse und sonstiges mitgezählt. Dabei könnten in der Schweiz «mittelfristig Arbeitsplätze für zusätzliche 100 000 Informatiker geschaffen werden, wären nur die Leute vorhanden», moniert der ETH-Professor.

Dabei ist kaum eine Industrienation derart abhängig von EDV-Fachleuten wie die Schweiz: Seit den sechziger Jahren belegte unser Land, gemessen am Informatikeinsatz im Verhältnis zur Bevölkerung, hinter den USA Rang zwei. Bei Banken und Versicherungen stehen ohne den Einsatz modernster Informationstechnologie die Räder still. Deshalb wird lieber geklotzt als gekleckert. Die Credit Suisse Group weist für dieses Jahr einen Informatiketat von über drei Milliarden Franken aus, bei der UBS dürfte er noch bedeutend höher liegen. Banken und Versicherer binden denn auch am meisten Informatiker. Die UBS führt mehr als 4000, die Credit Suisse Group über 3000 IT-Mitarbeiter auf der Lohnliste. Die Zurich Financial Services Group beschäftigt gar rund 6000 IT-Spezialisten. Bei solch misslichen Rekrutierungsverhältnissen sieht sich eine wachsende Zahl von Unternehmen gezwungen, IT-Projekte auszulagern. Zumal die Situation noch verschärft wird durch Computerprobleme mit dem Jahrtausendwechsel und der Euro-Umstellung. Lachende Dritte sind Beraterfirmen für Informationstechnologie - die Branche boomt, die Zuwachsraten wecken Neid. Beispielsweise Cambridge Technology Partners: Die US-Gesellschaft ist ein Wachstumsbolzer aus dem Bilderbuch. Obwohl erst zarte sieben Jahre alt, werden in weltweit 52 Niederlassungen 4200 Mitarbeiter beschäftigt, der Umsatz dürfte in diesem Jahr 600 Millionen Dollar überschreiten. Jahr für Jahr steigen Einnahmen und Personalbestand um gut 50 Prozent, nicht zuletzt dank emsiger Akquisitionen.

Die Schweiz ist für Cambridge Technology Partners Neuland. 1996 wurde eine Niederlassung in Genf eröffnet, im vergangenen Jahr folgte Zürich. Dessen ungeachtet, umfasst die Mitarbeiterliste bereits 170 Namen. «Der Personalmarkt ist unser grösster Flaschenhals. Wir könnten das Doppelte an Leuten beschäftigen», meint Group Business Director Bruno von Rotz. Auf das firmenübliche Expansionstempo abgestellt, rechnet von Rotz zur Jahrtausendwende dennoch mit über 300 Angestellten. Allein mit dem Dienstleistungsangebot, das sich wenig abhebt von der Konkurrenz, ist Cambridges Erfolg nicht zu erklären (siehe «Zehn Top-Beratungsunternehmen für Ihre IT-Probleme»). Wettbewerbsvorteile zieht das Unternehmen dagegen aus seiner schnellen Umsetzung von Technologien und Anpassungen von Geschäftsprozessen. Unter dem Motto «It’s about time» lockt Cambridge mit Zeiträumen von drei bis zwölf Monaten, der Branchenschnitt liegt bei zwei bis drei Jahren. Damit es nicht bei leeren Versprechungen bleibt, wird für jede Projektphase eine Preis- und Zeitgarantie abgegeben. Bei 91 Prozent aller Aufträge geht die Rechnung auf, bei neun Prozent muss Cambridge jeweils für Überschreitungen geradestehen.

Diese Zahl liegt weit über dem Standard. Denn die Branche der IT-Consulter hat weltweit einen schlechten Ruf, was Budgets und Termine anbelangt - aber auch den Erfolg von Projekten. Eine Untersuchung der Standish Group, die nur den US-Markt abdeckt, aber Anhaltspunkte für andere Länder liefert, sorgt für Ernüchterung. Danach werden von allen Vorhaben zur Entwicklung neuer Informatiklösungen 31 Prozent vorzeitig abgebrochen. 53 Prozent geraten aus dem Ruder, sind im Durchschnitt 89 Prozent teurer und benötigen 122 Prozent mehr Zeit als geplant. Einzig magerste 16 Prozent aller IT-Projekte laufen preis- und zeitkonform.

Die Gründe für diese kümmerliche Erfolgsbilanz sind vielfältig und reichen von unklarer Zielsetzung des Auftraggebers über schludrige Ausführung bis zu technologischer Inkompetenz des IT-Consultants. Dabei liessen sich manche Fehler vermeiden, wenn beide Seiten überlegt, zielgerichtet und seriös an neue Informatiklösungen herangingen (siehe «Abc der IT-Berater-Suche» rechts). Manches Projekt scheitert auch daran, dass sich der IT-Berater einem rein technologieorientierten Ansatz verschrieben hat. Schnee von gestern. «Informationstechnologie wird nicht mehr nur als Instrument zur Rationalisierung und Automatisierung eingesetzt. Heute lautet die Hauptfrage, wie sich Informatik als wesentlicher Bestandteil in die Unternehmensstrategie einbinden lässt», erläutert Ulrich F. Kunz, CEO der zu 60 Prozent von UBS und 40 Prozent von Perot Systems in Dallas beherrschten Systor. Übrigens eine weitere wachstumsfreudige IT-Beraterfirma: Seit 1993 hat sich der Umsatz auf 305 Millionen Franken verneun- und die Beschäftigten auf 970 verzehnfacht.

Bei Andersen Consulting, einer der weltweit führenden Unternehmensberater für Management und Technologie, ist dieses Denken seit Jahren oberste Maxime. «Wir betrachten unsere Dienstleistungsbereiche nicht einzeln, sondern integriert. Dieses Konzept ist revolutionär», meint selbstsicher Günter Conrad, Vorsitzender der Geschäftsleitung Schweiz und einer von weltweit über 1000 Partnern. Das Schwergewicht bei Andersen Consulting, 1998 durch Spin-off von Arthur Andersen entstanden, liegt bei Finanzdienstleistungen. Das Unternehmen spielt denn auch eine zentrale Rolle bei der Elektronisierung und Vernetzung der europäischen Börsen. Andersen Consulting zehrt vom positiven Image bei Studenten, holt sich viele Mitarbeiter gleich bei Universitäten ab. Hochschulabsolventen werden zuerst für vier Wochen in das konzerneigene Schulungszentrum St. Charles bei Chicago geschickt. Auch sonst wird Aus- und Weiterbildung grossgeschrieben. Ein teures Unterfangen, das jährlich gegen zehn Prozent des Umsatzes verschlingt.

Gleichwohl ist der leergefegte Arbeitsmarkt beim Nobelbetrieb ein Thema. Dazu Conrad: «Der Wettbewerb entscheidet sich momentan primär im Arbeitsmarkt, nicht im Kundenmarkt.» Den Bedarf in der Schweiz veranschlagt er auf 100 Leute. Doch weil diese fehlen, müssen Projekte zurückgesetzt werden und «Kunden warten, bis wir wieder freie Kapazitäten haben». Andersen Consulting leidet auch weltweit unter Personalmangel. «Hätte ich heute 15 000 Mitarbeiter mehr, könnte ich sie innerhalb von sechs Monaten alle beschäftigen», brüstete sich Managing Partner und CEO George T. Shaheen in der «Neuen Zürcher Zeitung». Dessen ungeachtet wächst Andersen Consulting mit jährlichen Raten von über 20 Prozent und erzielte 1997 mit 59 000 Mitarbeitern einen Umsatz von 6,6 Milliarden Dollar.

Der schweizerische IT-Berater-Markt ist fest in der Hand einiger weniger grosser und mittlerer, fast ausnahmslos ausländischer, namentlich amerikanischer Unternehmen. «Das Hard- und Softwaregeschäft kommt aus dem Ausland, Amerika hält bis heute seinen Vorsprung. Zudem wollen viele Schweizer Multis eine internationale Ausrichtung in ihrem IT-Bereich, da eignen sich Consulter mit globalen Netzwerken», liefert Rudi Lichtenberger, General Manager bei EDS, die Begründung. Die Firma zählt seit der Übernahme von Fides Informatik zu den führenden IT-Dienstleistern der Schweiz. Auch EDS liefert die Erträge nach Übersee, ist Teil der von Ross Perot, dem Enfant terrible der amerikanischen Politszene, 1962 gegründeten EDS Corp. Und auch EDS verdient das Prädikat «wachstumsstark»; Umsatz plus 79 Prozent auf 15,2 Milliarden Dollar - innert vier Jahren.

Dafür dominiert Heimgestricktes im mehrere tausend kleiner und kleinster Vertreter starken Feld der IT-Boutiquen. Da ist nicht Unternehmungsberatung total, sondern Nischenpolitik pur angesagt. Wie bei 4 screen. Der Fünfmannbetrieb logiert in einem älteren Haus mitten in der Luzerner Neustadt, Jugendstil im Treppenhaus, stuckverzierte Wohnung, zum Büro umfunktioniert, knarrender Parkettboden, Sicht auf Park. Der Fokus bei 4 screen liegt auf Informatiklösungen mit Schwergewicht Marketing- und Verkaufsanwendungen, die Kernkompetenz beim Datenmanagement. «Wir verkaufen dem Kunden zuerst die Beratung, danach die Technologie», erläutert Tom Suter, Technischer Leiter und Geschäftsleitungsmitglied. Was manchmal zum Verlust von Aufträgen führt. Denn der Beratungsansatz führt vielen Kunden vor Augen, dass ihre IT-Probleme weitaus grösser sind als angenommen - worauf das Projekt neu zu überdenken ist. Auch die Betriebsgrösse der Luzerner weckt bei manchen Unternehmen Zurückhaltung, «wenn es darum geht, unternehmensweite IT-Lösungen zu entwickeln», führt Geschäftsleiter Patrik Döös an. Dabei arbeitet 4 screen zusätzlich in einer netzwerkgestützten Organisation mit rund 12 Partnern aus den verschiedensten Bereichen zusammen. Für Klagen besteht kein Anlass, dem Jungunternehmen geht die Arbeit nicht aus.

Wie auch der gesamten IT-Branche nicht. Niemand befürchtet Einbrüche, wenn nach dem Jahr 2000 die Umstellung des Datums oder der Wechsel zum Euro keine Einnahmen mehr abwerfen. Dazu ist die technische Entwicklung zu rasant. Zudem liegt gerade bei KMU in Sachen Internet, Intranet und Extranet noch vieles im argen. Auch das Geschäft mit E-Commerce steht erst am Anfang. Und die Fusionswelle sorgt bei IT-Beratern für Beschäftigung. Viel Geld in die Kassen der Branche spült der sich verstärkende Trend zum Outsourcing im Informatikbereich. Denn neben Kostendruck und Informatikermangel konzentrieren sich die Unternehmen wieder vermehrt auf Kernkompetenzen. Zudem sieht sich manche IT-Abteilung von technologischen Innovationsschüben überfordert. Eine Studie von MSM Schaffhausen veranschlagt das Volumen an IT-Outsourcing in der Schweiz per 1997 auf 577 Millionen Franken. Bis zur Jahrtausendwende wird mit rund 800 Millionen gerechnet. Weltweit soll sich der Outsourcing-Markt auf über 100 Milliarden Dollar belaufen.

Womit Beratung in der Informationstechnologie ein teures Unterfangen bleibt. «Die Preise sind klar überdreht», meint Ulrich Kunz von Systor. Eigentlich müsste er daran seine helle Freude haben. Hat er aber nicht. Denn unter der kaum zu befriedigenden Nachfrage «leidet die Qualität der Branche. Die Gefahr ist gross, dass bei einzelnen Projekten nicht mehr seriös und effizient gearbeitet wird.» Zudem zieht der Wachstumsrausch immer neue Anbieter an. «Wer heute IT buchstabieren kann, bietet morgen seine Dienste an.» Doch Kunz vertraut auf die natürliche Auslese: «IT-Consulting ist ein People business, das steht und fällt mit der Kompetenz der Leute.»