Im Warenhaus Pacific in Shanghai tanzt Visagist Jin Jia am Stand der Kosmetikfirma MAC elegant um seine Kundinnen. Ganz in Schwarz gekleidet, hantiert er zu Hip-Hop-Rhythmen von Eminems «Lose Yourself» lässig mit Wimperntusche und Puderbürste. Dutzende junger Kundinnen schauen fasziniert dem Treiben zu. Vermutlich wissen sie nicht, dass MAC eine Tochtergesellschaft von Estée Lauder ist. Sicher ist, dass sie die Produkte dieser Firma «ku» finden – einfach cool.

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Die meisten Frauen, die sich von Jin Jia stylen lassen, kaufen anschliessend etwas ein – einen Lidschatten für umgerechnet 25 Franken oder eine Gesichtscrème für 55 Franken. Nicht gerade billig. Aber ungeheuer chic. Willkommen im Shanghai des 21. Jahrhunderts. Pulsierende Boomtown. Drei Generationen nachdem die Stadt schon einmal die Modehauptstadt Asiens gewesen ist. Jetzt erstrahlt das «Paris des Fernen Ostens» langsam wieder in altem Glanz. Es gibt nicht viele in Shanghai, die sich noch an die vorkommunistische Ära erinnern. Damals, als die Frauen ihre Qipao-Kleider bis zum Oberschenkel aufschlitzten und ihre Lippen tiefrot anmalten.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Kaufhausganges erläutert die Beraterin von Shiseido mehreren Interessentinnen gerade die Vorzüge einer auf Kräutern basierenden Gesichtscrème, die speziell für die dermatologischen Bedürfnisse chinesischer Frauen entwickelt wurde. Jene Frauen, denen es am Stand von MAC etwas zu laut und hektisch zuging, scheinen sich hier in dieser eher traditionellen Umgebung wohler zu fühlen.

Modernität und Tradition – so lauten die Fronten in der Schlacht, welche die globalen Schönheitskonzerne derzeit ausfechten, um das Gesicht der chinesischen Frau zu gewinnen. Da kämpft der französische Kosmetikriese L’Oréal gegen Japans Shiseido, beide werden herausgefordert von Estée Lauder aus den USA und einigen chinesischen Firmen, die dem Bedürfnis nach eher traditionellen Hautverschönerungsmitteln nachkommen.

Die Werbebanner der Kontrahenten pflastern Shanghais Nanjing Road, und fast jedes Wochenende findet vor einem der grossen Kaufhäuser die Einführung irgendeines neuen Produktes statt – tanzende Models und kostenlose Make-up-Beratung inklusive. Auch Dior aus Frankreich ist im Rennen und nicht zuletzt die US-Firmen Amway und Avon. Sephora, der Kosmetikarm des Luxuskonzerns LVMH, eröffnete im April 2005 den ersten Laden in Shanghai und will bis zum Jahr 2010 in China mindestens 100 weitere Filialen aus dem Boden stampfen.

Und das sind nur die Davids. Mit Procter & Gamble beackert ein wahrer Goliath seit Jahren im weiter gefassten Segment der Kosmetik- und Pflegeartikel das Feld. Und hält dort derzeit die Führungspositionen. Zum Beispiel mit dem Oil of Olay, das dem Wunsch vieler Chinesinnen nach einer blassen Haut entgegenkommt. Oder mit den Shampoos (Rejoice, Head & Shoulders und Pantene), die auf dem chinesischen Markt die drei obersten Verkaufsränge einnehmen. Seit März ist Procter & Gamble auch im Kosmetikbereich präsent und tritt mit Cover Girl und Max Factor in Konkurrenz mit L’Oréals Maybelline. Ein viel versprechendes Business: Einschliesslich ihrer hochwertigen SK-II-Hautpflegeserie und der anderen Haushalts- und Nahrungsmittelmarken erwirtschaftete Procter & Gamble im Jahre 2004 schon knapp 2,6 Milliarden Franken.

Eine echte Revolution hat da stattgefunden. Denn vor einem Jahrzehnt benutzte kaum eine Chinesin Kosmetika. Das hat sich seit Anfang der neunziger Jahre stetig geändert. Damals gaben die staatlichen Behörden es auf, Lippenstift und andere Make-up-Utensilien als «dekadente Zeichen westlicher Schönheitsideale» zu brandmarken. Und Chinas Frauen liessen sich nicht zweimal bitten: Mit dem Ergebnis, dass sich der Markt für Schönheitsprodukte und Kosmetika in China in atemberaubendem Tempo entwickelt hat – auf heute über zehn Milliarden Franken. Laut Einschätzung des Marktforschungsunternehmens Access Asia dürfte der Umsatz bis zum Jahr 2009 auf 12,5 Milliarden Franken steigen. Vor allem in den grossen Metropolen geben Millionen Frauen heute schon zehn Prozent oder mehr ihres Einkommens für Gesichtscrème, Lippenstift oder Wimperntusche aus. Insbesondere in Shanghai boomt das Geschäft, hier investieren Frauen pro Kopf 50-mal mehr in Kosmetik als ihre Geschlechtsgenossinnen im Rest des Landes. Wer als Anbieter früh den Markt bearbeitet hat, kann heute schon die Früchte ernten: L’Oréals Verkäufe stiegen im Jahr 2004 auf umgerechnet 450 Millionen Franken (ein Plus von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Shiseido setzte im letzten Jahr 265 Millionen Franken um, eine Verbesserung von 27 Prozent.

Das Geschäft mit der Schönheit gilt allgemein als Frühindikator für den Markt der Verbraucherprodukte. «Kein anderes Segment in China kann es hinsichtlich der Dynamik derzeit mit der Kosmetik aufnehmen», bestätigt Jacques Penhirin vom Beratungsunternehmen McKinsey. «Und wir gingen davon aus, dass hier noch ein gewaltiges Entwicklungspotenzial von mindestens 70 Prozent schlummert.»

Gemäss alter Tradition wird Schönheit von chinesischen Frauen mit zarter und vor allem bleicher Haut gleichgesetzt. «Unsere chinesischen Kundinnen sind noch verrückter nach hellen Make-up-Tönen, als es Japanerinnen sind», sagt Tadakatsu Saito, Leiter des Chinageschäfts von Shiseido.

Der Wunsch nach heller Haut wird oft als Sehnsucht missverstanden, den Schönheitsidealen der westlichen Welt nachzueifern. Tatsächlich ist das Ideal tief verwurzelt: Alte höfische Aufzeichnungen berichten von Kräuterrezepten, mit denen Kurtisanen am Kaiserpalast für die Aufhellung ihrer Gesichter sorgten. Heute geben Frauen, die es sich leisten können, so viel Geld für Gesichtscrème aus wie für Kleidung. Zum Vergleich: Greifen Amerikanerinnen zu Hautpflegeprodukten, so haben die meisten noch nie in ihrem Leben mehr als 25 Franken für eine Crème ausgegeben.

Kein Wunder, dass sich im Plaza 66, einer teuren Shopping Mall in Shanghai, den ganzen Tag lang Frauen am Stand von La Mer (der Edelmarke des Estée-Lauder-Konzerns) tummeln und sich mit teurer Feuchtigkeitscrème eindecken. Eine von ihnen, Qiao Hong (42), ordert einen Tiegel Gesichtcrème (370 Franken) und eine

Augencrème (540 Franken). Sie ist Universitätsprofessorin, ihr Ehemann besitzt eine Kleiderfabrik. Auch wenn die Hongs gut situiert sind: 910 Franken sind kein Pappenstiel für ein paar Tinkturen, nicht nur in China. Die Verkäuferin am Stand bestätigt, dass Kundinnen wie Qiao hier nicht die Ausnahme sind: An einem normalen Tag lassen zwei Dutzend Frauen ähnliche Summen für die Schönheit springen.

Yue Sai Kan, eine in ganz China bekannte Fernsehdiva, hat einen Rat für alle internationalen Kosmetikkonzerne, die in China Fuss fassen wollen: «Kommen Sie mit guten Produkten. Aber denken Sie auch daran, dass Chinesen sehr stolz auf sich und ihre Traditionen sind. Die beste Sache, die Sie uns Frauen in China geben können, ist der Glaube an uns selbst.» Und 37 rote Farbtöne zur Auswahl.