Charlotte Bilger, Untersuchungsrichterin in Paris, kennt keine Petitessen. Geht es um Schwarzgeldkonten bei der Bank HSBC in Genf oder streiten sich die beiden Luxus-Ikonen Hermès und LVHM um Millionen, so sind das Fälle für Bilger. Auch im Fall des französischen Industriekonzerns Lafarge ist sie mit Hochdruck am Ermitteln. Lafarge soll in Syrien mit der Terrormiliz IS geschäftet haben.

Mal verkaufte man Zement an die Gotteskrieger, mal zahlte man Strassenzoll, mal eine Betriebssteuer oder man debattierte mit der Terrorbande über eine 10-prozentige Umsatzsteuer. Insgesamt zahlte Lafarge in der Bürgerkriegszeit von 2011 bis 2014 umgerechnet 15 Millionen Dollar an die Kriegsparteien.

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Ziel der Franzosen war es, die Produktion in der Anlage unweit der IS-Hochburg Rakka am Laufen zu halten – koste es, was es wolle. Ein paar Jahre zuvor hatte Lafarge 680 Millionen in die Fabrik investiert.

«Eine Zeit grösster Spannungen»

Bilger ermittelt in der Causa Lafarge auch gegen Eric Olsen, den ehemaligen Personalchef von Lafarge. Dieser machte Karriere: Nach der Fusion von Lafarge mit Holcim im Jahr 2015 wurde Olsen zum ersten CEO des schweizerisch-französischen Baustoffkonzerns. Allzu lange blieb er nicht: Nach nur zwei Amtsjahren musste er seinen Chefposten räumen. Freiwillig, wie er und Lafarge Holcim behaupteten.

Recherchen zeigen nun, dass der Rücktritt nicht freiwillig war. Vielmehr erodierte das Vertrauen in den Franko-Amerikaner immer mehr. Er entpuppte sich zunehmend als Micro-Manager, der wenig Schwung in den neuen Zementkoloss brachte. Noch grösser wurden die Differenzen rund um die Aufarbeitung der Syrien-Affäre. Während der Verwaltungsrat auf schonungslose und neutrale Aufarbeitung drängte, hielt Olsen nach Kräften dagegen. Das wiederum war nicht nach dem Gusto von Olsens oberstem Chef, VR-Präsident Beat Hess. Von einem Zwist zwischen CEO und VR-Präsident zeugen Protokolle aus dem Verhör mit Untersuchungsrichterin Bilger und Mails, die der «Handelszeitung» vorliegen.

Auszug aus dem Verhörprotokoll vom 18. April 2018

«Ich war im Visier von Gérard Lamarche und Beat Hess.» Auszug Verhörprotokoll vom 18. April 2018.

Quelle: Handelszeitung

Olsen wurde Mitte April 2018 zur Syrien-Affäre befragt. Zu diskutieren gab der Bericht der Anwaltskanzlei Baker McKenzie, den Lafarge Holcim zur Aufarbeitung der Geschehnisse in der syrischen Lafarge-Fabrik in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht – intern «Projekt Alpha» genannt – war laut Olsen Auslöser für seinen Rücktritt, aber nicht nur, weil der Inhalt ihn belastete, sondern weil er Krach mit dem Verwaltungsrat brachte.

Im Zuge der Aufarbeitung verschlechterte sich das Arbeitsklima zwischen Olsen und Hess. «Es gab eine Zeit grösster Spannungen zwischen mir und dem Verwaltungsrat über die Art, wie die interne Untersuchung geführt wurde», gab Olsen in Paris zu Protokoll.

Die Spannungen begannen laut Olsen im Februar 2017. Ein erster Entwurf des Berichts belastete ihn persönlich, und zwar in seiner Rolle als HR-Direktor von Lafarge, die er bis August 2013 ausgefüllt hatte. Auf die Frage der Untersuchungsrichterin, warum seine Nachfolgerin als Personalchefin, Sonia Artinian, im Untersuchungsbericht besser wegkomme als er – obwohl diese doch während einer äusserst schwierigen Zeitspanne zwischen 2013 und 2014 verantwortlich gewesen war –, meinte Olsen: «Weil ich im Visier von Gérard Lamarche und VR-Präsident Beat Hess war. Aus Gründen, die ich noch nicht kenne.»

Eric Olsen und Beat Hess an der GV 2017

Schlechtes Arbeitsklima: Eric Olsen und Beat Hess anlässlich der GV 2017 (Keystone)

Quelle: Keystone

Lamarche war VR bei Lafarge und sitzt seit der Fusion mit Holcim auch im neuen VR. Im Verhör vom 18. April äussert sich Olsen erbost über das Vorgehen von Hess und Lamarche – nicht nur, weil er zu hart angefasst werde, sondern auch über die Art der Untersuchung. «Es ist eine Governance-Absurdität, ausgerechnet einen ehemaligen Lafarge-Verwaltungsrat (Lamarche) diese Untersuchung leiten zu lassen, der während der fraglichen Zeit selber Verantwortung für Syrien hatte.»

«Die interne Untersuchung war eine Governance-Absurdität.» Auszug Verhörprotokoll vom 18. April 2018.

Lamarche war auch im Visier der belgischen Justiz. Doch mit seiner Aussage versucht Olsen wohl abzulenken. Denn es waren Hess und der Gesamtverwaltungsrat, die eine externe Untersuchung durch die US-Kanzlei Baker McKenzie in die Wege leiteten. Pikant ist auch, dass Olsen Mitglied des Lafarge-Sicherheits-Ausschusses war, der spätestens ab September 2013 über Finanzforderungen der Terrormilizen IS und Al-Nusra-Front im Bild war.

Olsen hoffte auf Sawiris

Olsen muss realisiert haben, dass die unabhängige Untersuchung für ihn nicht gut lief. In der Not suchte er Verbündete im Verwaltungsrat. «Ich habe Nassef Sawiris kontaktiert, der mir bestätigte, dass es sich um eine Falle handle und mir sagte, ich müsse kämpfen», berichtete Olsen der Richterin. «Sawiris hat mich daraufhin im Verwaltungsrat unterstützt.»

Sawiris ist mit knapp 6 Prozent an Lafarge Holcim beteiligt. Olsen kennt ihn seit 2008, als er bei Lafarge noch HR-Chef und als solcher für die Integration von Sawiris’ Orascom Construction verantwortlich war. Der Ägypter hatte seine Orascom Constructions im Jahr 2007 für sagenhafte 13 Milliarden Dollar an Lafarge verkauft; im Portfolio lag auch das Syrien-Werk, das die Lafarge-Spitze im Bürgerkrieg partout in Betrieb halten wollte.

Auszug aus dem Verhörprotokoll vom 18. April 2018

«Nassef Sawiris bestätigte mir, dass es sich um eine Falle handle und ich kämpfen müsse.» Auszug Verhörprotokoll vom 18. April 2018

Quelle: Handelszeitung

Im Frühling 2017 begann der Stuhl von Olsen bedrohlich zu wackeln. Mails von VR-Präsident Hess an CEO Olsen und den Lafarge Holcim-Verwaltungsrat zeigen, dass Olsen intern Obstruktion betrieb und Forderungen stellte: Er verlangte umfassenden Zugang zu internen Untersuchungsergebnissen und einen Auftritt im Verwaltungsrat, um dort persönlich seine Sicht der Dinge darlegen zu können.

In einem harschen Mail vom 24. März 2017 – knapp einen Monat vor Olsens Rücktritt – schrieb Hess mit verärgertem Ton an den Noch-CEO und die Verwaltungsratskollegen: «Ich hoffte, ich könnte die VR-Mitglieder von einem Mail- und Briefkrieg verschonen. Doch habe ich nun das Bedürfnis, einige Dinge klarzustellen.» Hess wirft Olsen faktisch ein Falschspiel vor. Er habe im Brief an den Verwaltungsrat verschwiegen, dass er selber Olsen schon am Vortag telefonisch vollständigen Zugang zum Untersuchungsdossier versprochen habe.

«Der Verwaltungsrat ist kein Tribunal»

Der Präsident schlug eine Aussprache vor. Dazu sollten neben ihm auch VR Lamarche, CEO Olsen sowie Baker McKenzie-Anwälte dabei sein. Zudem solle Olsen Anfang April dem Gesamt-VR seine Sichtweise zur Syrien-Untersuchung präsentieren und erklären, wo er denn «Lügen, Ungenauigkeiten und falsche Anschuldigungen» sehe.

Hess macht klar, dass er von der Forderung Olsens, auch seine Anwälte in die Sitzung mitzunehmen, nichts halte. «Der Verwaltungsrat ist kein Tribunal», schrieb er im Mail.

Olsen trat schliesslich am 4. April 2017 vor dem Lafarge Holcim-Verwaltungsrat an und präsentierte seine Sicht der Dinge. Überzeugend war der Auftritt kaum. Lafarge Holcim gab zwanzig Tage später Olsens Rücktritt bekannt. Der Richterin in Paris erklärte er: «Ich hatte kein Vertrauen mehr in Hess und Lamarche. Und sie wohl auch keines mehr in mich. Es hiess: Entweder sie oder ich, also bin ich gegangen.»

Die Untersuchung:

Lafarge Holcim äussert sich zum Verfahren der französischen Behörden gegen Lafarge-Verantwortliche nicht. Sprecher Beat Werder betont, dass die interne Untersuchung ergebnisoffen und nicht gegen einzelne Personen gerichtet gewesen sei. «Die Leitung der Untersuchung lag ausschliesslich in den Händen von Baker McKenzie.» Der Bericht sei in jeder Hinsicht unabhängig und Verwaltungsrat Lamarche nur die Anlaufstelle für die untersuchenden Experten gewesen.

Die Justiz in Paris untersucht, ob Lafarge-Verantwortliche bei Zahlungen an die Terrormiliz IS in Syrien informiert waren und gar ihren Segen gaben. Für alle Involvierten gilt die Unschuldsvermutung. Lafarge Holcim ist nicht Teil des Verfahrens.

LafargeHolcim_Syrien

Fabrik von Lafarge in Syrien: Möglicherweise ist Geld an Terroristen geflossen.

Quelle: Keystone