Die gigantische Rückrufaktion des Schokoriegel-Herstellers Mars ist nach Ansicht von Marketing-Experten gerechtfertigt. Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) warnt aber davor, Rückrufe für falsche Zwecke zu instrumentalisieren.

Eine deutsche Kundin findet in einem Schokoriegel ein Kunststoffteilchen und löst beim Mars-Konzern vor knapp einer Woche eine Rückrufaktion für ihre Produkte Mars, Snickers, Celebrations, Milky Way in sage und schreibe 55 Ländern aus.

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In der Automobilindustrie oder auch bei Arzneimitteln und Medizinalprodukten kommen globale Rückrufaktionen aus Sicherheitsgründen sehr häufig vor. Im Food-Bereich sind sie aber selten.

Sicherheit ist Konsumenten äusserst wichtig

Überrascht vom Umfang der Rückrufaktion zeigt sich Michael Boenigk, Dozent für Marketing an der Hochschule Luzern. Ihm sei keine ähnlich umfangreiche Rückrufaktion bei Konsumgütern bekannt.

«Sicherheit bei Lebensmitteln wird in der Wahrnehmung der Konsumierenden immer wichtiger», konstatiert Raymond Dettwiler, Dozent für Marketing an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Lokale Skandale in der Verarbeitung – etwa bei Fleisch und Wurstwaren – erschreckten Konsumenten in jüngster Zeit immer wieder.

Entscheidend ist die schnelle Reaktion

«So gesehen hat Mars sicherlich richtig reagiert», folgert Dettwiler. Da es sich um einen freiwilligen Rückruf handle, habe Mars zudem negative Folgen der Aktion durch rasches Handeln etwas abgeschwächt.

Auch für Michael Boenigk und Bruno Bucher, Dozent für Marketing an der Berner Fachhochschule, hat Mars mit dem Rückruf als Weltbrand grundsätzlich richtig gehandelt. Bucher betont, wenn Grosskonzerne nicht umgehend reagieren würden, drohten Shitstorms in Sozialen Medien. «Firmen sind daher heute eher vorsichtig, entscheiden rasch und reagieren schnell, da Shitstorms massive Schäden verursachen können», stellt Bucher fest.

Aus Fehlern anderer gelernt

Ein rascher Rückruf werde von der Öffentlichkeit auch positiv aufgenommen, glaubt Bucher. Der Marketingexperte hält einen Missbrauch der Aufmerksamkeit und den Versuch sich mit einem Rückruf ins rechte Licht zu rücken für möglich. Im aktuellen Fall, bei dem Produkte in 55 Ländern betroffen seien, bestehe der Verdacht, dass mit «sehr grossen Kanonen auf Spatzen» geschossen werde.

Bucher erinnert an den Skandal um den Schokoriegel Kitkat, der 2010 von Nestlé zunächst nicht ernst genommen wurde. Greenpeace berichtete, die Palmölproduktion für Kitkat zerstöre den Lebensraum von Orang-Utans und lancierte eine weltweite Kampagne gegen Nestlé und Kitkat. Nestlé zog später Konsequenzen: Seit 2012 screenen in Vevey 15 Mitarbeitende Social-Media-Plattformen und verfolgen aufmerksam, was dort über einzelne Nestlé-Marken veröffentlicht wird.

Verhältnismässigkeit muss gewahrt sein

Sauer aufgestossen ist der Umfang des Mars-Rückrufs insbesondere der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Sie hält ihn ganz klar für überdimensioniert und kritisiert, dass Rückrufe an Wirkung verlören, wenn sie für falsche Zwecke instrumentalisiert würden.

Unbestritten sei, dass der Rückruf einen grossen materiellen Schaden für die Firma darstelle und ein eben so grosser Verschleiss von Lebensmitteln sei. Mars gelinge es damit aber auch, sich als verantwortungsvollen Produzenten darzustellen.

Möglicher Einfluss der Behörden

SKS-Präsidentin und SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo stellt dem Bundesrat die Frage, wie weit das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen die Verhältnismässigkeit der Rückrufe steuern könne. In einem ähnlichen Fall vor zwei Jahren habe Mars einen Konsumenten lediglich mit Schokolade und der Begleichung der Zahnarztrechnung entschädigt.

Auch Marketing-Fachmann Michael Boenigk hält die Rückrufaktion grundsätzlich für überdimensioniert. Er räumt aber ein: «Freiwillig machen die bestimmt nicht eine solche Aktion».

Mars Schweiz gibt sich zu den Kosten bedeckt

Bei Mars Schweiz hält man wie erwartet die grossangelegte Rückrufaktion für notwendig und verhältnismässig. Qualität und Lebensmittelsicherheit stünden bei Mars an erster Stelle, betonte Sprecherin Julia Henner auf Anfrage.

Die Konsumenten zeigten Verständnis für den Rückruf. Derzeit liegen noch keine Angaben vor zur Menge der retournierten Produkte und zu den Kosten, die dem Konzern dadurch entstehen. «Die Kosten in diesem Fall sind sekundär», heisst es lediglich bei Mars Schweiz.

«Ein gewisser PR-Effekt» gehört laut Dettwiler bei Rückrufen immer dazu, weil dadurch potenzieller Imageschaden abgewendet werden soll. Das sei Mars gelungen, da man sofort direkt und wirkungsvoll über die Medien die Konsumenten informiert habe.

Konsumenten haben schlechtes Gedächtnis

Der Konzern habe glaubhaft machen können, dass Qualität und Lebensmittelsicherheit in seiner Prioritätenliste ganz oben stünden, stellt Dettwiler fest. Kurzfristig würden vielleicht andere Produkte in der gleichen Kategorie gekauft, mittelfristig sei mit keinen negativen Auswirkungen für den Konzern zu rechnen.

Auch Boenigk und Bucher gehen davon aus, dass Konsumenten in der Regel Rückrufe sehr schnell wieder vergessen. «Das ist auch im Fall von Mars zu erwarten. Hier geht es ja nicht – wie beim 'Marketing-Klassiker' um eine Maus im Hamburger oder um Schlachtabfälle in Büchsen-Raviolis wie 1978 – also um etwas besonders Ekelerregendes, das lange in der Erinnerung haften bleibt», sagt Bucher.

(sda/jfr/gku)