Als Folge der Ablehnung der Rentenreform im vergangenen Jahr ist die Mehrwertsteuer seit 1. Januar 2018 von 8,0 auf 7,7 Prozent gesunken. Der Steuersatz für Lebensmittel, Bücher und Güter des täglichen Bedarfs bleibt bei 2,5 Prozent.
Nach dem Scheitern der Rentenreform an der Urne kündigten die beiden Platzhirsche im Detailhandel – Migros und Coop – bereits im Herbst an, die Senkung der Mehrwertsteuer «vollumfänglich in Form von Preissenkungen» an die Kundschaft weiterzugeben, wie auch die Handelszeitung berichtete. Immerhin müssen die Detailhändler ab diesem Jahr rund 800 Millionen Franken weniger Abgaben an den Staat abdrücken.
Konsumentenschutz wehrt sich
Von dieser angekündigten Preissenkung sei bisher aber nichts zu spüren, schreibt die Stiftung für Konsumentenschutz in einer Mitteilung. Stichproben von Preisvergleichen bei diversen Anbietern, die der Konsumentenschutz durchgeführt habe, hätten gezeigt: Die Detailhändler hätten bei keinem einzigen Produkt die Preise gegenüber dem Vorjahr gesenkt.
Hätten Migros und Coop die Anpassungen vorgenommen, würde beispielsweise ein Fernseher für 4000 Franken um zwölf Franken und ein Bett für 1400 Franken immer noch um etwas über vier Franken günstiger werden. Auch wenn es sich dabei um kleine Beträge handle, sei der Unterschied bei grösseren Anschaffungen zu spüren, schreibt der Konsumentenschutz.
Der Stichprobentest zeige, dass es die Schweizer Wirtschaft mit der Weitergabe der Mehreinnahmen nicht eilig hat und die verdeckte Preiserhöhung «stillschweigend einheimse», so der Konsumentenschutz. Er fordert von den Detailhandelsunternehmen umgehend eine Anpassung.
Migros und Coop verweisen auf getätigte Preissenkungen
Auf Anfrage der «Handelszeitung» verweisen beide Detailhändler auf vorgenommene Preissenkungen Anfang Januar 2018: «Wir haben die Senkung des Mehrwertsteuersatzes vollumfänglich in Form von Preissenkungen an unsere Kunden weitergegeben» sagt Andrea Bergmann, Mediensprecherin von Coop. Dabei hätte das Unternehmen diejenigen Produkte im Preis gesenkt, die besonders beliebt seien oder nach denen eine verstärkte Nachfrage bestehe.
So koste 25 Kilogramm Salz bei Coop noch 14.95 anstatt 15.00 Franken. Das entspricht genau der Senkung von 0,3 Prozent, die der Unterschied vom alten zum neuen Mehrwertsteuersatz beträgt. Auch ein Fernseher von Sony, im Angebot bei der Coop-Divison Interdiscount, koste noch 2'499 anstatt 2'999 Franken. Das entspricht einer Senkung von 20 Prozent. Oder ein Waschautomat von Novamatic bei Fust, auch ein Tochterunternehmen von Coop, koste 1'699 statt 1'799 Franken. Das sind 5,9 Prozent Preisunterschied.
In einem Interview in der hauseigenen «Coop Zeitung» erläutert Philipp Wyss, Leiter der Direktion Marketing/Beschaffung bei Coop, die Preissenkung: «Beim Einkauf von Lebensmitteln wie zum Brot, Fleisch, Käse, Konserven, Softgetränken, Obst und Gemüse ändert sich nichts. Insgesamt aber hat Coop die Steuersenkung bei 1200 Artikeln in Form von Preissenkungen weitergegeben». Wyss fügt auch an: «Da die Senkung erst ab 16 Franken Verkaufspreis 5 Rappen ausmacht, lässt sich der niedrige Steuersatz nur bei teureren Produkten weitergeben».
In der Tat: Der niedrige Satz ist erst bei einer gewissen Summe tatsächlich spürbar. Im täglichen Einkauf fallen die minimalen Beträge kaum auf.
Migros verringert die Preise staffelweise
Die Migros bläst ins gleiche Horn: «Die Migros wird bei Sortimenten, bei denen sich Effekte aus der tieferen Mehrwertsteuer ergeben, sämtliche Vorteile in Form von tieferen Preisen an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben», sagt Mediensprecher Luzi Weber. So kostet ein Rasenmäher von MioGarden rund hundert Franken weniger, ein Dyson Staubsauer 279 anstatt 299 Franken oder Gummiboot bei SportXX 109 anstatt 119 Franken.
Bei den Fachmärkten, etwa das Möbelhaus Interio oder Micasa, würden die Preisanpassungen jedoch gestaffelt vorgenommen werden, so Weber. Bei den beiden genannten Möbelläden werden die Preise erst am 12. Februar 2018 reduziert. «Zudem werden die Preisanpassungen auf gezielten Sortimenten weitergeben, damit die Anpassungen für die Kunden auch wirklich spürbar sind».
Alle Preise ab sofort runter
Für Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz ist dieser Vorgang unverständlich: «Der neue Mehrwertsteuersatz gilt seit über zwei Wochen. Das heisst, es müssten komplett alle Produkte, die vorher acht Prozent Mehrwertsteuer hatten, jetzt nur noch 7,7 Prozent haben. Und zwar restlos alle», betont die Konsumentenschützerin.
Coop habe «vordergründig» bei 1200 Artikeln die Preise gesenkt, sagt Stalder und gibt zu Bedenken: «Coop hat mehrere Hunderttausend Artikel im Sortiment. Nicht alle sind von der Steuer betroffen, aber viele». Besonders bei teureren Produkten falle der Mehrwertsteuersatz im neuen Jahr tiefer aus. «Wir wissen auch von Rechnungen für Weiterbildungen bei der Migros-Klubschule aus dem neuen Jahr. Dort werden weiterhin 8 Prozent Mehrwertsteuer berechnet» sagt Stalder.
Auch wenn Migros und Coop darauf verweisen, Preisanpassungen gemacht zu haben, die sogar weit mehr als 0,3 Prozent betragen, ist das für Stalder keine Entschuldigung: «Niemand hat gefordert, sie müssten die Preise um mehrere Prozente senken. Sondern lieber einfach konsequent ab sofort bei komplett allen Produkten, bei denen die Mehrwertsteuer vorher 8 Prozent betrug, um die angebrachten 0,3 Prozent».
Stufenweise Senkung ist ärgerlich
Sara Stalder ist bei der Stiftung für Konsumentenschutz seit rund zehn Jahren im Amt. Sie sagt, sie beobachte immer dasselbe Muster: «Bei Preissenkungen gehen die Detailhändler stufenweise vor. Wenn es aber Gründe für eine Preiserhöhung gibt, sind die Produkte bereits am nächsten Tag teurer».
Das sei unfair gegenüber den Konsumenten. «Warum sollte man für ein Bett, das vor dem 31. Dezember 2017 4000 Franken gekostet hat, auch im neuen Jahr den gleichen Preis bezahlen, obwohl die Änderung bei dem neuen Mehrwertsteuersatz nun in Kraft getreten ist».
Migros und Coop haben ihre Position unter den 50 grössten Detailhändlern der Welt leicht verbessert. Beide rückten auf der Deloitte-Jahresliste zwei Ränge vor, Migros auf Platz 39 und Coop auf Rang 43. Klar an der Spitze bleibt Walmart.
Die am Montag veröffentlichte Zusammenstellung des Unternehmensberaters Deloitte führt das amerikanische Unternehmen Walmart mit einem Jahresumsatz von 485,8 Milliarden Dollar weiterhin an erster Stelle. Auf dem zweiten Platz steht schon mit deutlichem Abstand die US-Firma Costco mit einem Umsatz von 118,7 Milliarden Dollar.
Die 250 weltgrössten Detailhändler zusammen erzielten 2016 einen Umsatz in der Höhe von 4400 Milliarden Dollar, eine Zunahme um 4,1 Prozent. In den Top 10 finden sich aus Deutschland die Schwarz-Gruppe mit Lidl auf Rang vier und Aldi auf Rang acht sowie Carrefour aus Frankreich auf Platz neun. Die übrigen der zehn grössten Detailhändler sind amerikanische Unternehmen.