«Evolution statt Revolution» hatte Bayer-Chef Werner Baumann kurz vor seinem Amtsantritt im Frühjahr als Devise für den Pharma- und Chemiekonzern ausgegeben. Nur wenige Monate später stellt er das Leverkusener Traditionsunternehmen mit der 66 Milliarden Dollar schweren Übernahme des US-Saatgutriesen Monsanto auf den Kopf.

Bayer könnte mit dem Mega-Deal zum Weltmarkführer für Saatgut und Pflanzenschutzmitteln aufsteigen. Experten und Investoren fürchten aber, dass damit das traditionsreiche Pharmageschäft des Aspirin-Hersteller ins Hintertreffen geraten könnte. «Der Aufwand für die Integration von Monsanto könnte leicht dazu führen, dass das Pharmageschäft vernachlässigt wird», sorgt sich Greg Herbert von der britischen Fondsgesellschaft Jupiter Asset Management, die zu den 30 größten Bayer-Investoren gehört.

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Keine finanzielle Flexibilität mehr

Vor allem für grössere Zukäufe im Arzneimittelbereich dürfte den Leverkusenern nun erstmal das Geld fehlen. «Nach einem Monsanto-Deal wäre es weitgehend ausgeschlossen, dass Bayer über die nächsten zwei bis drei Jahre die finanzielle Flexibilität für Zukäufe im Pharmabereich behält», sagt Fondsmanager Markus Manns von Union Investment. Dafür bestehe derzeit aber auch nicht «dramatische Notwendigkeit», vielmehr müsse sich das Management nun auf die Integration von Monsanto konzentrieren.

Wenn Baumann die Übernahme von Monsanto erfolgreich unter Dach und Fach bringt, werden sich die Gewichte bei Bayer deutlich zugunsten des Agrarchemiegeschäfts verschieben. Der Bayer-Konzern - ohne die Kunststofftochter Covestro - erzielte im vergangenen Jahr im Pharmageschäft noch 45 Prozent seines Umsatzes und 30 Prozent im Agrargeschäft CropScience. Zusammen mit Monsanto würde der Umsatzbeitrag des Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäfts dagegen auf fast 50 Prozent steigen.

«Bayer muss da jetzt auch liefern»

Baumann, der mit Monsanto die grösste Übernahme stemmt, die ein deutsches Unternehmens je getätigt hat, versucht, Bedenken zu zerstreuen. Das Pharmageschäft werde unter dem Milliardenzukauf nicht leiden und zugunsten des Agrargeschäfts vernachlässigt werden, hatte er bereits im Mai bei Bekanntgabe der Übernahmepläne gesagt. «Wir werden auch künftig unser Pharmageschäft weiter entwickeln.» Vor allem Produkte im frühen oder mittlerem Stadium der klinischen Entwicklung sollen vorangetrieben werden. Denkbar sind auch ergänzende Zukäufe oder Allianzen.

Versprechen, an denen sich Baumann wird messen lassen müssen. «Bayer muss da jetzt auch liefern, dass keine Kürzungen kommen», sagt Analyst Ulrich Huwald von MM Warburg. Immerhin: 4,5 Milliarden Euro will Bayer dieses Jahr in Forschung und Entwicklung stecken, 58 Prozent davon ins Pharmageschäft.

Warten auf neue Pharma-Blockbuster

Analysten haben dennoch Zweifel. Zwar hat Bayer seit 2009 fünf neue Medikamente auf den Markt gebracht, die teils wie der Blutgerinnungshemmer Xarelto und das Augenmittel Eylea Milliardenumsätze erzielen. Der Nachschub an neuen Medikamenten in der Pipeline mit vergleichbarem Potenzial sei aber dünn, urteilen die Analysten der Deutschen Bank.

Sie sehen gegenwärtig nur zwei bis drei neue Produkte in der Pipeline mit Blockbuster-Potenzial, diese seien aber noch weit von der Marktzulassung entfernt. «Das wirft Fragen auf, wie Bayer plant, seine Pipeline zu erneuern, vor allem wenn der Monsanto-Deal abgeschlossen ist und Pharma-Investitionen hemmt.» Statt diese Frage zu klären, habe sich das Management entschieden, diese Sorge zu einem kleineren Problem innerhalb einer größeren Gruppe zu machen, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.

«Unwahrscheinlicher geworden, dass Bayer übernommen wird»

Zum grossen Schlag im Pharmageschäft hatte Bayer vor zehn Jahren mit der 17 Milliarden Euro schweren Übernahme des Berliner Arzneimittelherstellers Schering ausgeholt - der bis dato grösste Zukauf in der mehr als 150-jährigen Unternehmensgeschichte. Vor zwei Jahren hatten die Leverkusener ihr Gesundheitsgeschäft weiter deutlich ausgebaut und für 14,2 Milliarden Dollar die Gesundheitspräparate-Sparte des US-Pharmakonzerns Merck übernommen.

Viele Investoren hatten Bayer deshalb als Pharma-Investment gesehen. «Zur Zeit sind überwiegend Investoren dabei, die am Healthcare-Geschäft interessiert sind», stellt Fondsmanager Manns fest. Diese dürften sich nun bei den Leverkusenern verabschieden. Schwinden dürften aber auch die Spekulationen, dass Bayer - eher einer der mittelgrossen Wettbewerber im weltweiten Pharmamarkt - einmal von einem grösseren Rivalen aus den USA übernommen werden könnte. Mit der Übernahme von Monsanto werde Bayer wieder ein Stück mehr zum Mischkonzern, sagt Manns. «Damit ist es jetzt deutlich unwahrscheinlicher geworden, dass Bayer übernommen wird.»

Schweigen in Berlin

Und die Mitarbeiter? Am Sitz der Bayer-Pharmazentrale in Berlin herrscht Schweigen. Dort haben die Beschäftigten offenbar einen Maulkorb verpasst bekommen. Befragt nach der Stimmung am Standort wollten sie sich nicht äussern - es sei ihnen verboten worden, über die Monsanto-Übernahme zu sprechen, sagte mehrere Mitarbeiter zu Reuters.

(reuters/ccr)