Literarische Fertigkeiten zählen nicht unbedingt zum Anforderungsprofil eines Konzernchefs. Doch als Thomas Buberl sich um den Chefposten des französischen Versicherungsriesen Axa bewarb, verlangte der Verwaltungsrat etwas ganz Besonderes: Ein selbst verfasstes Buch. Drei grosse Fragen mussten die Kandidaten beantworten: Wer bist Du? Was ist Deine Vision? Wie setzt Du sie um?

Buberl hatte Erfolg. Die erste Version seines Buches hatte er noch zerrissen, die zweite sass. Mit gerade 43 Jahren wurde der frühere «Zürich»-Schweiz-Chef mit deutschem Pass vor zweieinhalb Jahren zum Chef des mächtigsten französischen Finanzkonzerns gekürt. Und seitdem gilt der dreijährige Auswahlprozess, zu dem zu Beginn sieben Kandidaten angetreten waren, als Vorbild für die Konzernwelt. Buberl: «Viele fragen mich: Wie habt ihr das gemacht?»

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Auch Axel Weber. Der UBS-Präsident traf sich im Herbst mit dem jungen Axa-Chef. Thema: Der perfekte Nachfolgeprozess.

Lange sah es so aus, als verlaufe auch die Nachfolgeplanung bei der UBS in gewohnt ruhigen Bahnen. Doch dann geschah Unerwartetes: Der flamboyante Investment Banker Andrea Orcel verkündete Ende September seinen – mittlerweile geplatzten – Wechsel zur spanischen Grossbank Santander. Und offenbarte damit eine bittere Erkenntnis: Die von Weber so gepriesene «talent bench», die Riege an Nachfolgekandidaten für Bankchef Sergio Ermotti, ist offenbar doch nicht so gut besetzt, wie die UBS immer glauben machen wollte. Dass dann zu Jahresbeginn Gespräche mit dem ehemaligen Bank-of-America-Investment-Banking-Chef Christian Meissner bekannt wurden, von der UBS nicht wirklich dementiert, verstärkte den Eindruck: Da geht was.

Sergio Ermotti, chief executive officer of UBS Group AG, poses for a photograph prior to a Bloomberg Television interview in Shanghai, China, on Monday, Jan. 8, 2018. UBS is in discussions to acquire a majority stake in its Chinese securities joint venture, Ermotti said, as global banks rush to take advantage of Beijing's pledge to further open its financial markets. Photographer: Qilai Shen/Bloomberg

Mit siebeneinhalb Jahren an der Spitze Rekordhalter seit der UBS-Fusion – und nicht amtsmüde: Bankchef Sergio Ermotti.

Quelle: Qilai Shen

Aggressiver Österreicher

Weber versuchte die Debatte zwar via «Bloomberg» einzufangen: Alles normal, wir testen immer Kandidaten, Zeitdruck gibt es nicht. Doch weil er auch erstmals einräumte, dass man darüber nachdenke, «wie wir die Bank unseren Nachfolgern übergeben», konnte er die Wogen dann doch nicht ganz glätten. Das Anlegerblatt «Finanz und Wirtschaft» kürte ihn bereits zur Lame Duck, wie auch Ermotti, der sich jetzt bei seinen öffentlichen Auftritten stets mit der Nachfolgefrage herumschlagen muss. Kein schönes Neujahrsgeschenk für den selbstbewussten Bankchef. Die trübe Aktienperformance – minus 32 Prozent 2018 – nagt schon genug.

Dabei war es Ermotti selbst, der auf Meissner zuging, natürlich nach Rücksprache mit Weber. Der Österreicher versprüht einen speziellen Charme: Er ist – wie auch Ermotti – einer der wenigen Europäer, die es in die Top-Liga der Wall Street geschafft haben, und das noch beim gleichen Haus, bei dem auch Ermotti aufgestiegen war: Merrill Lynch, die heute zum Bankriesen Bank of America gehört. Zudem: Weil sich die Amerikaner von Meissner getrennt haben, braucht ein neuer Arbeitgeber keine gesperrten Salärpakete zu übernehmen – happige Ablösesummen wie im Falle Orcels fallen weg. Und mit 49 Jahren ist Meissner im besten Alter für Höheres.

CHRISTIAN MEISSNER

Christian Meissner: Kandidat fürs Investment Banking – aber nicht mehr.

Quelle: ZVG

Doch auch die Gegenargumente wiegen schwer: Meissner gilt als draufgängerischer Investment Banker – immerhin musste er die Bank of America ja verlassen, weil seine Chefs seine Forderung nach einer aggressiveren Gangart ablehnten. Schon Orcel litt darunter, dass er nur ein Drittel des UBS-Eigenkapitals für die Investmentbank benutzen durfte, und darin lag ein wesentlicher Grund für seinen abrupten Abgang. Die Rekrutierung Meissners würde die Debatte noch verschärfen. Und auch die Referenzen aus Ermottis nahem Umfeld dürften nicht die besten gewesen sein: Orcel selbst, trotz der jüngsten Verwerfungen noch immer eng verbunden mit Ermotti, hält nicht viel von Meissner, den er aus gemeinsamer Zeit bei Merrill Lynch kennt. «Sie haben sich regelrecht bekriegt», erinnert sich ein gemeinsamer Weggefährte.

Weber und Ermotti haben einen Deal: Sie informieren sich ein Jahr vorab über den Wechsel.

Dass die Verhandlungen bekannt wurden und Meissner gleich als potenzieller Ermotti-Nachfolger lanciert wurde, erhöht seine Anstellungschancen nicht. Ermotti hatte mit ihm nur über eine Rolle im Investment Banking gesprochen, und dass die Bank selbst diese Gespräche nicht offiziell bestätigen will, dürfte vor allem daran liegen, dass sie die frisch gekürten Orcel-Nachfolger Piero Novelli und Robert Karofsky nicht düpieren will.

An der Abmachung zwischen den beiden Banklenkern ändert die Episode dann auch nichts. Weber und Ermotti haben einen Deal: Sollte der Verwaltungsrat den CEO auswechseln wollen oder sollte der CEO seinen Rückzug beschlossen haben, wird die Gegenseite ein Jahr vorher informiert. Beides ist bisher nicht passiert, wie aus dem Verwaltungsrat zu vernehmen ist. Und das bedeutet: Es gilt weiterhin die Ansage, die Weber vor zwei Jahren machte. Er wolle bis 2022 bleiben – zusammen mit Ermotti. Kurz vor Weihnachten bestätigte Weber dieses Abschiedsdatum nochmals ausdrücklich im «Tages-Anzeiger».

Jeden Montag Jour fixe

Intern geht die Zeitrechnung jedoch noch weiter, und diese Planspiele haben durch die Aufregung um Meissner an Bedeutung gewonnen: Weber deutet an, dass selbst ein Verbleib bis 2024 möglich sei. Die UBS-Statuten geben das her: Weber selbst war es, der die Amtszeitbeschränkung im Verwaltungsrat von zehn auf zwölf Jahre anheben liess, vor allem um die Abgänge aus dem Kontrollgremium besser staffeln zu können. Doch diese Neuregelung gilt natürlich auch für ihn – und verschafft ihm eine grosse Flexibilität für beide Leitungsfunktionen. Denn es geht ja nicht nur um die Ermotti-Nachfolge, sondern auch um seine eigene – für die Ermotti wiederum ein Kandidat ist. Wieder mal hängt alles mit allem zusammen.

Zwar hat Weber festgelegt, dass Ermotti erst eine Cooling-off-Periode von etwa zwei Jahren absolvieren muss, wenn er selbst VR-Präsident werden will. Das schreibt zwar die Schweizer Gesetzeslage nicht vor, aber als einstiger Präsident der Deutschen Bundesbank und heutiger Chef des globalen Bankenverbandes IIF will Weber keine Abstriche bei der Best Practice machen. Doch ein mögliches Amtszeitende Webers erst im Jahr 2024 würde für Ermotti bedeuten: Er könnte noch drei Jahre CEO bleiben und dann noch immer als Präsident antreten.

Der Weggang von Andrea Orcel (l.) und Jürg Zeltner schwächte die UBSErsatzbank – die Investoren murren.

Die Abgänger: Der Weggang von Andrea Orcel (l.) und Jürg Zeltner (2. v.l.) schwächte die UBSErsatzbank – die Investoren murren.

Quelle: Bloomberg; Gian Marco Castelberg / 13 Photo

Jeden Montag haben die beiden Bankgranden ihren Jour fixe, mindestens eine Stunde, oft auch länger, wenn nötig via Skype oder Telefon. Nach draussen dringt davon nichts, doch als gesichert gilt, dass die beiden so verschiedenen Charaktere eines der innigsten Führungsduos der Konzernwelt bilden. Das sei wie eine gute Ehe, betont Weber stets, um die müsse man auch kämpfen. Intern gibt er die Losung vor: Zwischen die Banklenker dürfe kein Millimeter Papier passen. Beide halten ihre Karten bei der Nachfolgefrage eng an der Brust, und die Übereinkunft lautet derzeit: Ermotti kümmert sich um die Erneuerung der Konzernleitung – und Weber schliesst die Lücken im Verwaltungsrat. Mehr steht erst mal nicht an. Klare Botschaft: Wir lassen uns nicht drängen. Wir sind UBS.

Die Frage ist nur, ob die Märkte dem Duo so lange Zeit geben. Der heftige Kurseinbruch im letzten Jahr zerstörte die stets von der Bankführung als Qualitätssiegel verkaufte Prämie auf den Buchwert: Die Bank wird heute an der Börse nur noch auf der Höhe ihres Eigenkapitals gehandelt – nicht gerade ein Vertrauensvorschuss in die Führung des weltgrössten Vermögensverwalters. Die letzte strategische Neuausrichtung liegt bereits mehr als sechs Jahre zurück, und auch der Investorentag von Ende Oktober brachte nur wenige neue Impulse.

Eine weitere radikale Schrumpfung des Investment Bankings, nach dem Abgang Orcels eine valable Möglichkeit, wurde verworfen, genauso wie eine Abspaltung des darbenden Asset Managements. Die Schlüsselsparte Wealth Management ist vor allem mit dem Kampf gegen die Margenerosion beschäftigt, und die Zusammenlegung des Amerika-Geschäfts mit seinen deutlich höheren Kosten mit dem restlichen Wealth-Management-Geschäft ist intern weiter hochumstritten und hat an der Börse wenig bewirkt.

Trauriger Kurs

Weil die Sanierungsphase abgeschlossen ist, will Ermotti auch partout kein formales Kostensenkungsprogramm auflegen, auch wenn die Sparschraube intern nochmals angezogen wurde. Und Weber drängt ihn offenbar nicht, denn für ihn gilt vor allem die Devise: Safety first. Dass der einstige Ökonomieprofessor die Bank nach aussen brillant vertritt, ist unbestritten: Seine Analysen zählen zum Besten, was die Bankenwelt zu bieten hat, sein Netzwerk ist weitläufig, seine Schweiz-Zuneigung echt. Als UBS-Botschafter ist Weber eine Idealbesetzung.

Doch nach innen tritt der einstige Behördenchef nicht als Hardliner auf. Die einzelnen Sparten pflegen noch immer ein ausgeprägtes Silodenken und leisten sich grossflächige Stabsfunktionen. Und was besonders vielen Mitarbeitern im eher kärglich entlöhnten Schweiz-Geschäft missfällt: Der Bonuspool von mehr als drei Milliarden Franken ist sakrosankt und dürfte auch in diesem Jahr wieder steigen. Ermotti ist mit 14 Millionen Franken der höchstbezahlte Bankchef Europas, Weber mit 6 Millionen sogar der höchstbezahlte Präsident der Welt. Es bleibt die übliche Börsenarithmetik: Aktienrückkäufe, Dividendenerhöhungen. Doch weil die Bank bei jeder Zuckung der Finanzmärkte in Sippenhaft genommen wird, ist hier jeder rationale Investor bei einer «Zürich» oder Nestlé besser aufgehoben. Die traurige Wahrheit ist: Der Aktienkurs liegt heute nur wenig höher als zu Webers Amtsantritt vor fast sieben Jahren.

UBS Schweiz-Chef Axel Lehmann und Asset-Management-Lenker Ulrich Koerner (r.).

Die Veteranen: Verkörpern nicht die nächste Generation: Schweiz-Chef Axel Lehmann (l.) und Asset-Management-Lenker Ulrich Körner.

Quelle: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo; Eddy Mottaz

Dass der Grat zwischen Beständigkeit und Behäbigkeit schmal ist, zeigt sich auch bei der Nachfolgeplanung. Für sie ist laut Reglement Weber verantwortlich – er leitet auch das Nominierungskomitee. Und hier stehen seine beiden wichtigsten Mitstreiter vor dem Abgang: Lead Director David Sidwell muss spätestens nächstes Jahr gehen, die Ablösung wird aber schon in diesem Jahr erwartet. Und für Vizepräsident Michel Demaré ist spätestens in zwei Jahren Schluss.

Und auch in der Konzernleitung ist im Kernteam in den letzten Jahren die Vitalisierung ausgeblieben: Finanzchef Kirt Gardner und Schweiz-Chef Axel Lehmann werden dieses Jahr 60 Jahre alt, die anderen Schlüsselspieler an der Front glänzen ebenfalls mit grosser Erfahrung: Asset-Management-Chef Ulrich Körner (57) sowie die beiden Wealth-Management-Chefs Martin Blessing (55) und Tom Naratil (57). Zwar will sich die Bank nicht in eine Altersdebatte drängen lassen. «60 ist doch das neue 40», behauptet Weber gern mit einem Lächeln und präsentiert schon mal eine Liste mit dem Alter der Bankchefs. Da liegt auch der 58-jährige Sergio Ermotti im Mittelfeld. J.P.-Morgan-Vormann Jamie Dimon, Leitwolf der globalen Bankenszene, verkündete letztes Jahr, noch fünf Jahre bleiben zu wollen, er wäre dann bei seinem Abschied 66 Jahre alt. Und Goldman Sachs kürte gerade mit David Solomon einen 56-Jährigen zum neuen Chef.

Co-Chefs der globalen Vermögensverwaltung bei der UBS: Martin Blessing (l.) und Tom Naratil sind die ersten Anwärter auf die CEO-Position. Doch die Skepsis ist gestiegen – gegenüber beiden.

Die Anwärter: Co-Chefs der globalen Vermögensverwaltung: Martin Blessing (l.) und Tom Naratil sind die ersten Anwärter auf die CEO-Position. Doch die Skepsis ist gestiegen – gegenüber beiden.

Quelle: Bloomberg; Keystone

Doppeltes Problem

Dennoch hat die UBS hier ein doppeltes Problem: Zum einen ist die Pipeline für den Nachwuchs zu dünn. Bezeichnend war der Umbau der Konzernleitung vor gut einem Jahr: Nach dem Abgang des Vermögensverwaltungschefs Jürg Zeltner rückte niemand aus der neuen Generation nach – es war ein Stühlerücken der bewährten Köpfe. Wo ist die Generation der 40-Jährigen? Wichtigster Manager aus der zweiten Führungsetage ist noch Joe Stadler, der Chef der UHNWI-Sparte, des Geschäfts mit den Superreichen. Doch er ist auch schon 55 Jahre alt und gilt im Umgang als nicht immer pflegeleicht.

Webers Hauptproblem bei der Nachfolgeplanung lautet jedoch: Sein bisheriger Favorit Blessing hat an Glanz verloren. Weber kannte den Ex-Commerzbank-Chef aus den Tagen der Finanzkrise, und dass er seinen Landsmann als Ermotti-Nachfolger aufbauen wollte, galt in der Bank als ausgemacht, auch wenn der Präsident das natürlich niemals zugeben würde. Vom Schweiz-Chef wurde Blessing Ende letzten Jahres zum Co-Chef des Wealth Managements befördert. Mit Jürg Zeltner ersetzte er einen verdienten Manager, der bis dahin aus Investorensicht als erster Anwärter auf die Ermotti-Nachfolge gegolten hatte. Mit heute 51 Jahren hätte er vom Alter her bestens gepasst, zudem ist er Schweizer.

Die Gründe für den Abgang wurden nie offen kommuniziert, an den Zahlen lag es nicht. Es ging wohl vor allem um Führungs- und Beziehungsfragen. Doch dass Zeltner nicht das einzige Konzernleitungsmitglied mit Defiziten in diesen Bereichen ist, gilt in der Bank als offenes Geheimnis. Der grosse Nutzniesser war Blessing – er sass plötzlich in der Poleposition.

Webers Vermächtnis

Doch dann ging Orcel, und das war nach Zeltner einer zu viel. Plötzlich musste Weber einsehen, mit wie viel Misstrauen die Investoren die Personalie Blessing sehen. Orcel war einer der letzten Starbanker in der Londoner City, fachlich das beschlagenste Mitglied der UBS-Konzernleitung und für jeden Investor ein valabler CEO-Kandidat. Mehr als zwei Drittel der UBS-Aktien liegen in angelsächsischer Hand (siehe Tabelle), und auch wenn das Aktionariat zu zersplittert ist, um aktiv in die Nachfolgefrage einzugreifen, so kann Weber doch ein geballtes Murren der ohnehin schon gebeutelten Grossanleger nicht ignorieren.

Und in der grossen Finanzwelt ist Blessing kein Player, der die Investoren beeindruckt. Deutschland gilt im Banking als grosse Leidensgeschichte, und vor allem der Niedergang der Commerzbank kratzt an Blessings Nimbus. Dass die Bank aus dem deutschen Leitindex DAX flog, trifft auch den Mann in Zürich, obwohl er schon lange nicht mehr an Bord ist. Weber musste klar sein: Wenn er mit so langem Vorlauf nur den Ex-Chef einer deutschen Mittelstandsbank als Ermotti-Nachfolger präsentiert, gilt das kaum als grosser Wurf.

Zudem ist Blessings Stellung auch intern nicht unumstritten. Als Schweiz-Chef war er beliebt, er liess seinem Team grosse Freiheiten. Doch das globale Wealth Management ist sehr international, und die Frontleute im Asset Management und im Investment Banking begegnen ihm mit Misstrauen. Derweil warten die eigenen Mitarbeiter auf Impulse. Bisher fällt auf, dass er vor allem die Initiativen seines Vorgängers stoppte – etwa das Projekt Smartwealth oder das Frauen-Investprogramm Unique.

Den Posten des globalen Wealth-Management-Chefs muss er sich dazu auch noch mit dem Amerikaner Tom Naratil teilen, der lange der engste Vertrauensmann von Ermotti war und als früherer COO und CFO die Bank deutlich besser kennt als Blessing. Am Investorentag war es dann auch Naratil, der die Präsentation des Bereichs einleitete und beendete – das Revier war markiert. Dass zudem der Ausbau des US-Geschäfts die wichtigste Ankündigung des gesamten Tages bildete, stärkte Naratil weiter.

Doch als Ermotti-Nachfolger kommt auch der treue Tom kaum in Frage. Den Analysten am Investorentag fiel auf, dass er seit seiner Rückkehr nach New York deutlich an Leibesfülle gewonnen hat, was den Eindruck eines gewissen Spannungsabfalls verschärfte. Zudem schätzt es der fünffache Familienvater ausserordentlich, nach den Jahren in Zürich wieder in seinem geliebten New York zu leben. Dass er ein zweites Mal in die Schweiz umzieht, gilt als höchst unwahrscheinlich. Zudem wäre auch er nur ein Übergangskandidat – er ist nur ein Jahr jünger als Ermotti.

SABINE KELLER BUSSE

Sabine Keller-Busse: Kostensenkerin im Corporate Center.

Quelle: Gabi Vogt / 13 Photo

Und so stehen hinter den beiden Frontrunnern grosse Fragezeichen: Naratil ist zu amerikanisch, Blessing zu wenig international. Und von den anderen Konzernleitungsmitgliedern käme, Stand heute, nur Sabine Keller-Busse in Frage, die als COO das Corporate Center auf Kosteneffizienz trimmt. Doch auch ihr fehlt es an internationaler Erfahrung – und sie hat noch nie operativ einen grossen Frontbereich geführt. Webers Problem lautet also: Zeltner wurde von der Ersatzbank verwiesen, Orcel ging freiwillig, und die verbleibenden Spieler sind kaum CEO-tauglich.

Dabei geht es für Weber um viel. Die Nachfolgeplanung ist die Königsdisziplin eines jeden VR-Präsidenten und die Bestellung des Ermotti-Nachfolgers damit die wichtigste Entscheidung in seiner gesamten Amtszeit. Ermotti war noch von seinem Vorgänger Kaspar Villiger gekürt worden, auch wenn er eingebunden war. Jetzt geht es um sein Vermächtnis. Und Weber wäre nicht Weber, wenn er nicht auch hier besonders ehrgeizig wäre – das zeigt sein Besuch bei Axa-Chef Buberl. Orchestriert wurde der Prozess vom langjährigen Axa-Lenker Henri de Castries, dem Vorsitzenden der legendenumwobenen Bilderberg-Konferenz und einflussreichen VR-Mitglied beim Paradekonzern Nestlé. Auch dort gibt es ein leuchtendes Vorbild: Die Berufung von Mark Schneider war ein Abschiedsfeuerwerk des grossen Peter Brabeck. Die Messlatte liegt hoch.

Profiteur Ermotti

Ein Hauptdarsteller, der durch all die Spekulationen eigentlich geschwächt erscheint, könnte aus diesem Prozess als Sieger hervorgehen: Sergio Ermotti. Er hat Zeit gewonnen mit dem Auftrag, frisches Blut in die Konzernleitung zu holen, und gelingt ihm das, ist er der erste Anwärter auf das VR-Präsidium, sofern er es überhaupt anstrebt. Auch enge Weggefährten können ihm dazu keinen Kommentar entlocken. Als wahrscheinlichste Variante gilt, dass er sich selbst noch nicht entschieden hat.
Doch noch immer – und in diesen globalisierungskritischen Zeiten vielleicht erst recht – gilt die ungeschriebene Regel, dass einer der beiden Banklenker Schweizer sein sollte – ein weiteres Argument für einen VR-Präsidenten Ermotti.

Noch fliesst alles, sicher ist nur: Wie Weber wirkt auch Ermotti alles andere als amtsmüde. Man könnte auch sagen: Die Nachrichten über seinen Abgang sind verfrüht.

Dieser Text erschien in der Februar-Ausgabe 02/2019 der BILANZ.

Dirk Schütz
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