Markus Spillmann, der neue Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung» («NZZ»), schreitet nicht, er geht voraus, und zwar unglaublich schnell. Um nicht abgehängt zu werden, müssen die Besucherinnen auf dem Weg vom Empfang bis ins spillmannsche Arbeitszimmer an der Falkenstrasse 11 in Zürich immer wieder in den Laufschritt wechseln.

Es wartet ein grosser, leerer Raum. Keine Aussicht, keine Bilder, keine Bücher und ausser dem hölzernen Modell eines Zweimasters nichts Persönliches. «Das ist ein Provisorium», sagt Spillmann. Sein späteres Büro – Eckraum, mit freiem Blick auf See und Üetliberg – ist noch belegt, von seinem Vorgänger, Hugo Bütler. Am 1. April hat dieser zwar das Chefredaktorenamt an Spillmann weitergegeben, nicht aber das Chefbüro. Was die einen süffisant als «Phänomen Bütler» bezeichnen, geht bei Spillmann als «völlig normal» durch: «Hugo Bütler war über 20 Jahre in diesem Büro. Es zu räumen, braucht entsprechend Zeit.»

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Egal. Einem wie Spillmann kommt es auf so etwas nicht an. «Ich bin sowieso nicht der Typ, der sich im Büro vergräbt.» Mit ihm bekommt beim Traditionsblatt einer das Sagen, der Inhalte wichtiger findet als die Form und bei dem Sein mehr zählt als Schein.

Da er nun in seiner neuen Rolle als Chefredaktor der «NZZ» ins Rampenlicht tritt, hat er sich aber doch überlegt, was er von sich zeigen will, was nicht. Hier ein paar Eckpunkte seiner Biografie: Er kam 1967 in Basel zur Welt und ist dort aufgewachsen. Als er 16 war, übersiedelte die Familie Spillmann ins damals noch bernische Laufental ins Elternhaus des Vaters. Spillmann studierte an der Uni Zürich politische Wissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaft. Er ist verheiratet und Vater von drei kleinen Kindern, ein Nautikfan und Hobbykoch. Anderes lässt er sich im Laufe des Gesprächs entlocken. Etwa, dass er kein eigenes Auto besitzt, sondern Mitglied bei Mobility ist. Dass er sich als moderner urbaner Mensch sieht, an Mode interessiert ist – und eine Schwäche hat für elektronische Gadgets.

Während der Studienzeit schnupperte Spillmann in der PR-Branche, obschon er gewusst habe, dass dies nicht sein Metier sei. Schon von Kindesbeinen an sei für ihn nämlich klar gewesen, dass er einmal Journalist würde. Oder Pilot.

Zum Piloten hat es nicht gereicht, «ich habe die Aufnahmeprüfung als Militärpilot nicht bestanden». Seinen Militärdienst leistete er stattdessen bei der Fliegerabwehr. Sein Ersatztraum wurde 1995 wahr: Nach ein paar Monaten als Inlandredaktor beim «Badener Tagblatt» erhielt er eine Stelle am Dienstpult der «NZZ»-Auslandredaktion. «Ich wollte immer zur ‹NZZ›.»

Spillmann lebte 1997 vorübergehend als Korrespondent in London und beschäftigte sich nach seiner Rückkehr ins Mutterhaus als Redaktor vor allem mit Fragen der internationalen Sicherheitspolitik. 2001 hätte er für die «NZZ» nach Südafrika gehen können – oder aber Mitglied des Projektteams «NZZ am Sonntag» werden. Die neue Zeitung hat ihn mehr gereizt. Er wurde dort stellvertretender Chefredaktor und Leiter des Ressorts International. Als er im letzten Sommer angefragt wurde, ob er sich dem Auswahlverfahren für den Posten des «NZZ»-Chefredaktors stellen wolle, musste er nicht lange überlegen. «Ich habe intuitiv Ja gesagt.» Dass er gewählt worden ist, freut ihn. Dennoch: «Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, es nun geschafft zu haben, im Gegenteil.»

Auf Spillmann lastet die Erwartung, dass es wieder aufwärts gehen sollte. Das Stammblatt «NZZ» schreibt zwar immer noch schwarze Zahlen, aber immer kleinere. Seit 226 Jahren behauptet sich die Tageszeitung im Markt, und das, ohne je gross auf Markttrends eingegangen zu sein. Die Konsumenten sind immer weniger loyal, sie haben eine immer grössere Auswahl. Die Konkurrenz wird immer härter – und lauter. «Alle machen mehr Lärm, und wir wirken immer stummer», sagt ein junger «NZZ»-Redaktor, «teilweise heisst es ja schon, wir schnarchten.» An der Falkenstrasse 11 wird in nächster Zukunft über Themen nachgedacht wie die «Art der Informationsaufbereitung», und es werden Aspekte diskutiert wie jener, dass sich Leser immer weniger Zeit zum Lesen nähmen und die Schreiber daher aufgefordert seien, schneller auf den Punkt zu kommen.

Markus Spillmann muss Antworten finden auf die Herausforderungen von Internet, Gratiszeitungen und Anzeigenschwund. «Wir müssen uns dem Strukturwandel stellen», sagt er. Ein entsprechendes Konzept hat er noch nicht parat – das würde auch nicht zu ihm passen.

Spillmann weiss aus seiner Anfangszeit als Vize bei der «NZZ am Sonntag», wie wichtig es ist, seine Leute hinter und nicht gegen sich zu haben. «Damals hat er den Ton zum Teil nicht getroffen und viele vor den Kopf gestossen», erinnert sich einer, «das hat sich dann aber rasch geändert.» Inzwischen wird Spillmann als um- und vor allem zugänglich beschrieben, als jugendlich, jovial, als Gute-Laune-Mensch, auch als Schnelldenker, als einer, der sich durchzusetzen vermag, ohne stur zu sein. Und als Chef ohne Allüren und Berührungsängste. Im Gegenteil: Damals, als die «NZZ am Sonntag» gegründet worden ist, hat er sich auch ausserhalb des Publizistischen ins Zeug gelegt. «Spillmann persönlich hat die Pläne gezeichnet für das USM-Haller-Mobiliar», erzählt eine Redaktorin.

Seit der Ankündigung von Spillmann als Bütler-Nachfolger sind vier Monate vergangen. Diese lange Zeit hat für ihn gearbeitet. Am Anfang seien sie sehr, sehr skeptisch gewesen, sagt ein «NZZ»-Schreiber, inzwischen herrsche eine eher positive Einstellung vor – mit Betonung auf «eher», denn «die Anerkennung muss er sich zuerst verdienen». Spillmann weiss das und geht vorsichtig an die Arbeit heran. Nachdem er bereits Anfang Februar sein Provisorium bezogen hatte, verbrachte er viel Zeit damit, den Draht zu seinen künftigen Kollegen aufzunehmen. Er lud die Ressorts ein zum Gespräch, fragte nach ihren Erwartungen und erzählte von seinen eigenen. Etwa, dass die Ressorts eine gewisse Eigenständigkeit behalten könnten, gleichzeitig aber auch die Zeitung als Ganzes im Auge haben müssten. Bei all dem war er betont nicht der Chef, sondern allenfalls der künftige Chef. Das Einzige, was er in dieser Vorlaufzeit bereits befohlen hat, war die Vorverschiebung der täglichen Redaktionssitzung von 11.30 auf 9.30 Uhr.

Spillmann leidet nicht unter der in der Medienwelt weit verbreiteten Profilneurose. Schon als Journalist ist er nie gross aufgefallen, weder als exzellenter Schreiber noch als Querdenker. Ideologische Reflexe gibt es beim 38-Jährigen keine, «dafür ist er viel zu weitsichtig», sagt ein Freund. Spillmann selber bezeichnet sich als Liberalen, der FDP wird er aber nie beitreten: «Das widerspräche meinem journalistischen Selbstverständnis.» Die Nähe zwischen «NZZ» und FDP ist für Spillmann zwar etwas Natürliches: «In diesem Land gibt es eine Zeitung, die sich dem liberalen Gedankengut verpflichtet fühlt, das sind wir. Und es gibt eine Partei, die sich dem verpflichtet fühlt, das ist die FDP.» Aber: Kritik gegenüber der FDP werde er nicht scheuen, «wenn diese aus Sicht der ‹NZZ› vom Pfad der Tugend abweicht».

Spillmann ist nicht nur nicht Mitglied der FDP, sondern gehört auch sonst keinem Machtzirkel an. «Ich bin innenpolitisch sicher noch nicht so gut vernetzt wie andere», sagt Spillmann, «bis jetzt war ich vor allem mit dem internationalen Geschehen beschäftigt.» In seiner jetzigen Funktion wird sich diesbezüglich manches ändern. Markus Spillmann ist nämlich ausser «NZZ»-Chefredaktor auch Vorsitzender der Geschäftsleitung der NZZ AG. In dieser Rolle trägt er die Verantwortung für den kommerziellen Erfolg des Blattes und wird allein schon deshalb an seinem Beziehungsnetz arbeiten müssen. «Das ist Teil meiner Aufgabe», sagt er. Dabei denkt er gar nicht in erster Linie ans Anzeigengeschäft, sondern sieht die Chance, für seine Redaktionskollegen fortan als Türöffner fungieren zu können. Wie betont Markus Spillmann doch immer? «Unsere Priorität ist eine publizistische, nicht Gewinnmaximierung.» Beneidenswert.

Iris Kuhn Spogat
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