Boomende Nachfrage, hohe Innovation und Wertschöpfung, technologisch an der Weltspitze mit dabei – die Medizintechnik ist eine anerkannte und allseits umworbene Zukunftsbranche der Schweizer Wirtschaft. Und trotzdem gerät die Medtech-Branche der Schweiz unter Druck.

Mit ihrer einseitigen Kostenoptik in einem überholten System schwächt die schweizerische Gesundheitspolitik den Heimmarkt und bremst zunehmend die Entwicklung. Wenn Fehler, die andernorts bereits begangen worden sind, vermieden werden sollen, braucht es eine gezielte Koordination zwischen Wirtschafts-, Gesundheits-, Bildungs- und Finanzpolitik auf nationaler Ebene. Es muss unbedingt verhindert werden, dass die Medizintechnik der übermässigen Regulierung anheim fällt. Sonst würde in der exportorientierten Medtech-Branche immer weniger für den Verbleib in der Schweiz sprechen.

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Der drohende Schaden ist immens. Über 500 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Franken sind in unserem Land in der Medizintechnik tätig, als Handels-, Produktions- und Dienstleistungsfirmen mit einer breiten Palette von End- und Zwischenprodukten, von künstlichen Gelenken über Verbandstoffe bis hin zu Herzschrittmachern. Sie beschäftigen rund 40 000 Personen, sind mehrheitlich Klein- und Mittelbetriebe und weisen ein durchschnittliches jährliches Wachstum von sieben Prozent aus.

Die Branche ist ausserordentlich innovativ – mit rund 40 000 Patenten pro Jahr – und investiert im Schnitt gegen zehn Prozent ihrer Umsätze in Forschung und Entwicklung. Mit durchschlagendem Erfolg: So ist, ein weiteres Beispiel, der Herzschrittmacher in der Schweiz erfunden worden. Der Innovationswettbewerb ist intensiv, und die Lebenszyklen der Produkte sind relativ kurz. Wirtschaftspolitisch interessant sind insbesondere die Absatzstrukturen der Schweizer Medtech-Branche. Während der Heimmarkt Schweiz ein Absatzvolumen von jährlich etwa 1,6 Milliarden umfasst und dieses zudem zu rund 90 Prozent mit Importprodukten abgedeckt wird, beträgt das Exportvolumen aus Schweizer Produktion über fünf Milliarden Franken.

Tatsache ist: Der Heimmarkt entwickelt sich eher verhalten, die Umsätze stagnieren. Sein hoher Importanteil erklärt sich mit dem konstanten Bedarf an Lowtech-Verbrauchsgütern, deren Inlandproduktion aus Kostengründen kaum wettbewerbsfähig wäre. Im Hightech-Bereich mit seiner hohen Wertschöpfung sind die hiesigen Medtech-Firmen hingegen an der Weltspitze mit dabei. Hier werden die Zuwachsraten erzielt, und zwar primär im Export.

Die Entwicklung des Heimmarktes bleibt auch im Hightech-Bereich eher verhalten, nicht zuletzt auf Grund einer wenig innovationsfreundlichen, vorab auf die Kosten beschränkten Gesundheitspolitik. Obwohl die Medizinprodukte anerkanntermassen von überdurchschnittlich hohem medizinischem und volkwirtschaftlichem Nutzen sind, bleibt ihre Kostenwirkung insgesamt beschränkt. Weltweit beträgt ihr Anteil an den Gesundheitskosten unter fünf Prozent. Daher sind sie auch ein wenig ergiebiges Sparobjekt und schon gar keine Kostentreiber, im Gegenteil.

Der schweizerische Medtech-Markt ist hoch fragmentiert. Die Branchenstruktur mit vielen kleinen und mittleren Betrieben und ihrer Durchmischung mit in- und ausländisch beherrschten Unternehmen ist ausgewogen und verhindert Abhängigkeiten. Dies, verbunden mit der hohen Wertschöpfung im Inland und der überdurchschnittlichen Exportorientierung, qualifiziert die Medtech-Branche für unser Land als volkswirtschaftliche Perle – und müsste an sich auf eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft schliessen lassen. Entsprechend wird die Branche auch von Analysten, Investoren und Wirtschaftsförderern intensiv umworben. Wir propagieren den schweizerischen Medtech-Cluster, lancieren Förderprogramme auf Bundes- und Kantonsebene, und wer in der Finanzgemeinde etwas auf sich hält, publiziert Studien zum grossen Potenzial der Schweizer Medizintechnik.

Die Branche selbst erfüllte die Erwartungen bislang weitestgehend und entwickelte sich kontinuierlich zu einem volkswirtschaftlich massgebenden Faktor unseres Landes. Die gängigen Indikatoren zeigen nach wie vor nach oben. Warum also sollte diese Erfolgsbranche nunmehr unter Druck kommen?

Auf den Weltmärkten ist die schweizerische Medtech-Branche keineswegs unter Druck. Sie mag zwar in einem harten Wettbewerb stehen und im einen oder anderen Fall in der Wachstumsfinanzierung auch an Grenzen stossen. Insgesamt scheint sie allerdings sehr gut positioniert und wird ihren Platz im Kreise der Weltspitze behaupten und sogar ausbauen können. Angesichts der Entwicklungen im Schweizer Gesundheitsmarkt stellt sich hingegen eine ganz andere Frage: Wie lange und in welchem Ausmass bleibt die Schweizer Medtech-Branche noch schweizerisch? Unter Druck steht nicht die Branche selbst, sondern vielmehr der Gesundheitsmarkt Schweiz, was letztlich auch Folgen für die Branche haben wird. Die heutige Gesundheitspolitik ist grösstenteils der Kostenoptik verpflichtet und scheint wirtschaftspolitische Aspekte ausser Acht zu lassen. Sie führt zu einer schleichenden Erosion des Heimmarktes Schweiz, was die national orientierten Unternehmen letztlich auch unter Druck setzen und bei den exportstarken Firmen sukzessive zu einem Exodus führen wird. Jede erfolgreiche Branchenentwicklung stützt sich massgeblich auf einen intakten Heimmarkt. Dies gilt auch für die schweizerische Medizintechnik, die wie jede andere Branche in ihrem nächsten Umfeld geeigneter kommerzieller, personeller und finanzieller Rahmenbedingungen bedarf.

Dieses Umfeld ist heute für die Schweizer Medtech-Branche nach wie vor intakt, der Heimmarkt Schweiz steht jedoch unter starkem politischem Druck und erodiert zunehmend. Die Politik ruft zwar nach mehr Markt und mehr Wettbewerb. Ein Wunschdenken, denn die Wirklichkeit sieht anders aus. Wenn wir im schweizerischen Gesundheitswesen überhaupt noch von einem funktionierenden Markt sprechen können, dann in der Medizintechnik, die in aller Regel nicht die Endkunden, sondern die Leistungserbringer beliefert. Die Kostenoptik orientiert sich jedoch an der Gesamtleistung zu Gunsten dieses Endkunden, und auf dieser Stufe fehlt in der Tat der Markt. Die vergüteten Kosten der Medizinprodukte umfassen auch Margen der Leistungserbringer, was die Politik und die Kostenträger zu ignorieren scheinen und was dazu führt, dass auch noch die letzte Bastion der freien Marktkräfte im schweizerischen Gesundheitswesen reguliert wird. So werden sich zum Beispiel die behördlich verordnete Senkung der Höchstvergütungsbeträge für Medizinprodukte und der geplante Einschluss in die Fallpauschalen als Bumerang erweisen. Die Lieferpreise von Industrie und Handel liegen bis 50 Prozent unter den letztlich vergüteten Kosten. Deren Senkung und der Einschluss in Fallpauschalen werden einen Trend zu Billigprodukten auslösen, um die Dienstleistungsmargen zu sichern, was den Hightech-Markt Schweiz schwächt.

Diese für eine Wachstumsbranche negativen Tendenzen sind klar erkennbar. Dem gilt es heute entgegenzuwirken, schon aus rein volkswirtschaftlichen Überlegungen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf, so wird über kurz oder lang auch die Medizintechnik der übermässigen Regulierung anheim fallen. Die inlandorientierten Medtech-Unternehmen werden unter den besagten Druck kommen und auf die regulierte Versorgung beschränkt. Für die exportorientierten Firmen werden wenig Gründe zu Gunsten des Standortes Schweiz bleiben. Man wird gezwungenermassen in die Wachstumsmärkte abwandern und zu einem grossen Teil Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Know-how mitnehmen. Kostenpolitisch mag damit eine kurzfristige Entlastung verbunden sein; vergütet werden nur noch die günstigsten Importprodukte. Der Wettbewerb wird auf die Preisfrage reduziert, und es entstehen Monopole und Abhängigkeiten, die – wie aus anderen Branchen bekannt – mittelfristig die Kosten wieder steigen lassen. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Branche geht hingegen verloren.

Wie gesagt, die Medtech-Branche der Schweiz ist nicht unter Druck, ihr Heimmarkt aber schon. Wenn wir nichts dagegen tun, wird ein grosser Teil der Branche über kurz oder lang nicht mehr schweizerisch sein, und auch der nationale Markt wird – regulatorisch seiner Vielfalt beraubt – schrumpfen. Ein schwarzes, aber nicht unrealistisches Szenario. Der Gesundheitsmarkt ist ein Wachstumsmarkt von höchster volkswirtschaftlicher Bedeutung. Er darf nicht nur gesundheits- und kostenpolitisch denkenden Akteuren ausgesetzt bleiben. Es braucht zusätzlich ein wirtschaftspolitisches Sensorium. Seit Jahren wünscht sich die Medtech-Branche eine gezielte Koordination zwischen Wirtschafts-, Gesundheits-, Bildungs- und Finanzpolitik auf nationaler Ebene, bislang ohne Erfolg. Die Wirtschaftspolitik fördert, die Gesundheitspolitik bremst. Der Heimmarkt wird zunehmend unattraktiv und mit ihm der Wirtschaftsstandort Schweiz. Es ist an der Zeit, unser System als solches zu überdenken und die Marktkräfte wieder spielen zu lassen, was dem Gedanken der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit in keiner Weise widersprechen muss. Es besteht Handlungsbedarf im Interesse des schweizerischen Gesundheitswesens ebenso wie in jenem des Wirtschaftsstandortes Schweiz.

Nicolas Markwalder ist Fürsprecher in Bern und Präsident von Fasmed (Dachverband der schweizerischen Medizinaltechnik).