Bei im In- oder Ausland kotierten schweizerischen Aktiengesellschaften wird alljährlich ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter von der Generalversammlung gewählt. Er ist für die kollektive Vertretung von Aktienstimmen verantwortlich. Schon 1991 wurde der institutionelle Stimmrechtsvertreter eingeführt, weil man Aktionäre motivieren wollte, ihr Stimmrecht auch ohne persönliche Anwesenheit wahrzunehmen.

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Art. 95 BV besagt seit Annahme der Minder-Initiative, dass dies «zum Schutz der Volkswirtschaft, des Privateigentums und der Aktionärinnen und Aktionäre sowie im Sinne einer nachhaltigen Unternehmensführung» so geregelt sei.

Die Autorin

Monika Roth ist Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Luzern. Die Anwältin und Mediatorin führt auch ein eigenes Advokaturbüro, amtiert als Vizepräsidentin des Strafgerichts im Kanton Basel-Land und ist u.a. im Wissenschaftlichem Beirat der Fachzeitschrift «Risk, Fraud & Compliance». Monika Roth ist Kolumnistin in der «Handelszeitung».

Novartis pflegt hier eine sehr spezielle Praxis. Der Stimmrechtsvertreter gibt die Stimmen weisungsgemäss an der GV ab, nachdem ein äusserst zweifelhafter Umgang mit den Couverts an ihn und mit seinem Wissensvorsprung gepflegt worden ist.

«Die Geschäftsleitung wird über den Abstimmungstrend vorgängig nicht informiert, mit Ausnahme des General Counsel der Novartis AG, falls sich im Vorfeld rechtliche Fragen stellen», so der Stimmrechtsvertreter in einem Mail an die «Rundschau» von Fernsehen SRF: «Die Geschäftsleitung wird über den Abstimmungstrend vorgängig nicht informiert, mit Ausnahme des General Counsel der Novartis AG, falls sich im Vorfeld rechtliche Fragen stellen. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsratspräsident und sofern erforderlich der Verwaltungsrat ebenfalls informiert werden. Dies ist notwendig, damit der Verwaltungsrat seine unübertragbaren gesetzlichen Pflichten im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung wahrnehmen kann.»

Elementare Regeln der Corporate Governance

Damit verletzt Novartis elementare Regeln der Corporate Governance. Einige wenige Stichworte: ungebührlicher Einfluss auf die Wahl des Verwaltungsrates oder auf die Genehmigung der Entschädigungen. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass es zur Anfechtung von Beschlüssen der letzten Generalversammlung kommen wird. Die Frist ist aber kurz: 2 Monate. 

Weiter steht die Frage der Nichtigkeit von Beschlüssen im Raum, weil mit diesem Vorgehen zentrale Regeln verletzt wurden – und Beschlüsse somit gar nicht gültig zustande gekommen sind.

Stimmrechtsvertreter war nicht unabhängig

Der Stimmrechtsvertreter war ganz offensichtlich nicht unabhängig, womit es an der Kernvoraussetzung für die Wahrnehmung seiner Aufgabe fehlte. Er hat mit diesem Vorgehen eben gerade nicht zum Schutz der Aktionäre gehandelt, weshalb die Integrität des ganzen Prozedere bei den entsprechenden Generalversammlungen zur Debatte steht. Für die Geltendmachung der Nichtigkeit bestehen keine Fristen. 

Wie auch immer: Der Verwaltungsrat hat die Rechts- und Reputationsrisiken von Novartis unnötig massiv vergrössert. Letztlich ging es ihm wohl um Macht und um Deutungsherrschaft.