Beide leiten einen Telekomanbieter. Beide haben ihren Chefposten in der Schweiz gerade erst angetreten. Beide sind hierzulande völlig unbekannt. Beide sollen einer Private-Equity-Gesellschaft zu einer höheren Rendite verhelfen. Beide ziehen dafür erst einmal einen Stellenabbau durch. Beide haben auf dem Markt gegen die Nummer eins seit Jahren keine Chance. Beide können deshalb nur gewinnen, wenn der jeweils andere verliert.

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Das ist die ungemütliche Ausgangslage für Johan Andsjö, den neuen Orange-Chef, und für Libor Voncina, den neuen Sunrise-Chef. Hier der 39-jährige Schwede, der vom spanischen Billiganbieter Yoigo kam. Er hat vor allem strategische Probleme zu lösen. Dort der 50-jährige Slowene, der den belgischen Anbieter BASE leitete und die letzten zwei Jahre als Berater unterwegs war, auch für Sunrise. Er hat vor allem operative Probleme zu lösen: «Meine obersten Prioritäten werden sein, den Kundendienst und die Netzqualität zu verbessern», zählt er auf.

Frustrierte Sunrise-Kunden. Da hat er einiges zu tun. Schon seit 2007 schneidet Sunrise, der zweitgrösste Schweizer Carrier, im Telekom-Rating der BILANZ jeweils klar unterdurchschnittlich ab, was den Kundendienst angeht. Damit nicht genug: «Die Beschwerden über Sunrise haben letztes Jahr stark zugenommen», sagt Doris Huber vom Beratungszentrum der Ombudszeitschrift «Beobachter». Fehlerhafte Rechnungen, falsch vermerkte Kündigungen, unklare Zuständigkeiten, nicht eingehaltene Zusagen: Die Probleme in der Administration seien offensichtlich. Nun will Voncina alle wichtigen Prozesse im Kundendienst komplett neu aufstellen. Ein sehr komplexes Unterfangen – von einer «Reparatur des Wagens während der Fahrt» spricht Sunrise-Präsident Dominik Koechlin.

Den Schraubenschlüssel ansetzen muss Voncina noch an einer anderen zentralen Stelle: dem Mobilfunknetz. Dessen Qualität hinkt der Konkurrenz weit hinterher; von allen in Europa verglichenen Anbietern landete Sunrise im Test der Fachzeitschrift «Connect» auf dem vorletzten Platz. Mit dem neuen LTE-Netz soll nun alles besser werden, verspricht Sunrise. Der Grund für die Misere ist – ebenso wie beim Kundendienst – klar: Unter dem früheren Besitzer TDC schob man nötige Investitionen jahrelang auf und machte Sunrise attraktiv für einen möglichen Käufer, aber nicht für die Konsumenten. Die logische Folge: Kundenverlust. Die Abwanderung, im Branchenjargon Churn genannt, «war 2012 mindestens so gross wie der Neukundenzuwachs», sagt ein Insider. Besonders im Privatkundengeschäft hat das Spuren hinterlassen.

Immerhin sucht die Firma aktiv neue Geschäftsfelder, bietet Glasfaserdienste an und hat ein eigenes TV-Produkt lanciert. Auch wenn Letzteres eher der Kundensicherung dient denn als Cash Cow: Weil Swisscom und Cablecom das digitale Grundangebot gratis offerieren, kann auch Sunrise dafür kein Geld mehr verlangen.

Komplexes Portefeuille. Lukrativer ist der Geschäftskundenmarkt. Swisscom beherrscht ihn mit 80 Prozent Marktanteil – eine Dominanz, die jedem Anhänger der freien Marktwirtschaft Tränen in die Augen treibt. Sunrise ist – auch durch den Kauf von NextiraOne – Nummer zwei mit zehn Prozent. Doch manche Angebote in diesem Bereich hat Sunrise erst mal gestrichen: «Das Business-Portfolio von NextiraOne war viel zu komplex», sagt Koechlin. «Wir reduzieren in einem ersten Schritt die Servicepalette, um später zu schauen, welche Dienste wir wieder dazunehmen, wenn wir das Grundangebot voll im Griff haben.» Ein Insider drückt es anders aus: «Man will sich von allem verabschieden, was in den nächsten drei Jahren keinen Ebitda-Beitrag erwarten lässt.»

Der Geschäftskundenbereich leidet unter den ständigen Managementwechseln – wer sich mit seiner ganzen Telekommunikation an einen Carrier bindet, hasst es, ständig neue Ansprechpartner und andere Abläufe vorgesetzt zu bekommen. Voncina ist bereits der achte CEO in der 14 Jahre jungen Firmengeschichte. Sein Vorgänger Oliver Steil tauschte die gesamte Geschäftsleitung aus, manche Positionen gleich mehrmals – «eine Unruhe, die sich durch das ganze System fortpflanzt» (ein Mitarbeiter). Erst wenn endlich Stabilität einkehrt, hat Sunrise wieder Wachstumschancen.

Es ist eine wenig komfortable Ausgangslage, die Voncina vorfindet, zweifellos. Aber die seines Kontrahenten Johan Andsjö ist noch viel ungemütlicher. Die Stellschrauben, die Sunrise als Vollanbieter wenigstens noch hat, fehlen Orange als reinem Mobilfunkanbieter. Für solche sehe er keine Zukunft, höhnte der sonst diplomatische Swisscom-Chef Carsten Schloter jüngst in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger», «höchstens in einer Nische». Bundle-Pakete, etwa ein Mobilfunkabo kombiniert mit einem Festnetzanschluss und TV-Versorgung, kann Andsjö nicht schnüren, und auch von wichtigen Wachstumsmärkten wie Glasfaserangeboten bleibt seine Firma abgeschnitten. Ein grosser Nachteil. Selbst Vodafone, grösster Mobilfunkanbieter der Welt und bis vor wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation, hat deshalb die Strategie geändert und kauft nun vermehrt Festnetzanbieter.

Das kann Andsjö nicht. So fährt der Schwede eine eher defensive Strategie. In der Deutschschweiz, wo der Marktanteil unterdurchschnittlich ist, will er mehr Shops eröffnen und stärker ins Netz investieren. Den Service will er speziell im Segment der Geschäftskunden verbessern: «Die haben wir bislang nicht gut genug bedient», sagt Andsjö. So bekommen alle KMUs ab 50 Angestellten einen dedizierten Ansprechpartner. Ähnliches freilich bietet Sunrise schon seit Jahren.

Neuer Schub für Orange. Schlimmer noch: Als Orange Schweiz an Apax verkauft wurde, blieb der Geschäftskundenarm Orange Business Services bei France Télécom. Multinationale Konzerne kann man aus der Schweiz nun nicht mehr alleine bedienen. Dabei verdankt es Orange ihrer traditionell grossen Zahl an Geschäftskunden, dass sie mit nur 17 Prozent Marktanteil einen annähernd so hohen Umsatz erwirtschaftet wie Sunrise mit 22 Prozent. Auch den Zukunftsmarkt Mobile Payment, in dem Sunrise und Swisscom dieses Jahr die ersten Angebote starten, ignoriert Andsjö: «Wir werden dort nicht die Pionierrolle spielen.»

Dabei galt Orange einst als modern und frisch. Doch in den letzten Jahren ist die Positionierung unklar geworden. Eine der Hauptaufgaben Andsjös ist es, die ehemaligen Werte wieder zu schärfen: Einfachheit, Effizienz, Frische, Ehrlichkeit und aussergewöhnlichen Service. «Dafür stand Orange vor langer Zeit», sagt Andsjö. «Da wollen wir wieder hin.» Sein Problem: Die Rechte zur Nutzung der Marke Orange laufen in vier Jahren aus. Egal, welches Markenbild Andsjö bis dahin aufbaut: Danach muss er es auf einen anderen Brand übertragen. Ein Billigimage aufbauen, wie er das von seinem früheren Arbeitgeber in Spanien kennt, will er nicht. «Ich bin nicht hier, um das Gleiche zu machen wie bei Yoigo!»

Es würde hierzulande auch nicht funktionieren. «Solange der Schweizer halbwegs zufrieden ist, wechselt er nicht seine Frau, nicht sein Auto und nicht seinen Telekomanbieter», so lautet ein Branchenbonmot. So muss Orange auf das allgemeine Marktwachstum hoffen. In der Schweiz hat jeder Einwohner statistisch 1,3 SIM-Karten, in nordischen Ländern sind es 1,5 bis 1,6. Einen Schub könnte UPC Cablecom bringen, die ihr Mobilfunkangebot dieses Jahr lancieren und dazu das Orange-Netz benutzen wird. Gut für Andsjö: So wird seine Infrastruktur besser ausgelastet. Schlecht für Andsjö: Sehr viel Geld bringt das nicht. Denn ein grosser Teil der Wertschöpfung fällt bei UPC Cablecom an, entsprechend niedrig sind die Margen für Orange. Und: Das neue Angebot wird auch und gerade bisherige Orange-Kunden anziehen. «Eine erfolgreiche UPC dürfte zu einem Problem für Orange werden», sagt Jörg Halter von der Telekomberatung Ocha.

Nicht, dass Orange und Sunrise das Wasser bis zum Hals stünde. Beide Firmen sind profitabel und können sich selber tragen. Doch beide Firmen stecken in einer strategischen Sackgasse, die auch gestandene Unternehmensberater verzweifeln lässt. Einer von ihnen drückt es so aus: «Das Schwert, das den gordischen Knoten der beiden zerschlägt, gibt es nicht.» Lachender Dritter ist Ex-Monopolist Swisscom. Der Konzern hat laut «Connect» das beste Mobilfunknetz und auch am meisten Mittel, um den Vorsprung zu vergrössern. Jedes Jahr investiert er rund 300 Millionen in den Ausbau. Bei Sunrise sind es 200 Millionen, Orange muss sich mit 140 Millionen begnügen. «Die Situation wird für die beiden Unternehmen jedes Jahr schlimmer», sagt Halter. Besonders für Sunrise. Die Firma hat die Frequenzen für die nächste Mobilfunkgeneration LTE viel zu teuer ersteigert: 482 Millionen Franken muss sie hinlegen, Geld, das nun für den Netzausbau fehlt. Swisscom kam mit 360, Orange mit 155 Millionen davon. Als «schlichtes Unvermögen bei Sunrise» wertet ein Teilnehmer der Auktion das Ergebnis.

Fusionsgelüste. Während Swisscom sich auf ihre Kunden und Zukunftsmärkte wie Glasfaser konzentrieren kann, sind die Herausforderer derzeit hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Neue Geschäftsleitungsmitglieder müssen sich einarbeiten, zudem laufen Reorganisationen und Stellenabbauprogramme. In beiden Firmen müssen jeweils 140 Leute gehen, um den finanziellen Spielraum zu erhöhen.

Natürlich lässt sich die Zitrone immer noch ein bisschen mehr auspressen, natürlich kann man sisyphusmässig hier noch einen Firmenkunden gewinnen und dort noch eine Produktnische besetzen. Sunrise-Präsident Koechlin etwa verweist darauf, dass seit dem Kauf im Jahre 2011 so das Ebitda von Sunrise bereits um 100 Millionen Franken gestiegen sei und der Firmenwert damit um rund 700 Millionen.

Viel Geld – aber der grosse Hebel für Sunrise-Eigner CVC und Orange-Besitzer Apax liegt woanders: Eine Fusion brächte Synergien von 3,2 Milliarden Franken. Vor vier Jahren hatten die beiden Carrier diesen Schritt schon einmal versucht, doch damals verbot die Wettbewerbskommission den Deal.

Inzwischen sind die technischen Voraussetzungen für einen Zusammenschluss schlechter als 2009. Bis vor kurzem liessen beide Operators ihr Netz von Alcatel-Lucent betreiben – eine Zusammenlegung wäre technisch und organisatorisch vergleichsweise einfach gewesen. Kürzlich aber hat Orange den Ausbau des Netzes an Nokia Siemens und den Betrieb an Ericsson ausgelagert, Sunrise beides an Huawei. Die hoch dotierten Verträge laufen jeweils über fünf Jahre. Eine Neuauflage der Fusion ist für beide Player denn auch offiziell kein Thema. Sunrise visiert einen Börsengang im Jahr 2015 an, bei Orange bleibt das Exit-Szenario – auch intern – völlig unklar: «Da frage ich Apax gar nicht danach», sagt Johan Andsjö. «Dafür ist es viel zu früh. Wir wollen zuerst weiterwachsen und zur Nummer zwei werden im Markt.»

Doch früher oder später wird die betriebswirtschaftliche Logik Sunrise und Orange dazu zwingen, einen neuen Anlauf zu nehmen. Fraglich ist, ob die Wettbewerbskommission dann einen Zusammenschluss genehmigen würde. Dafür spricht, dass sie inzwischen einen neuen Präsidenten hat und dass sich die Marktanteile im Mobilfunkmarkt seit Jahren nicht bewegt haben (siehe Grafik «Ein Markt wie Zement» unter 'Downloads'). Dagegen spricht, dass die Weko als stur gilt und dass die Preise seither gesunken sind, also der Wettbewerb spielt.

Bis dahin werden Libor Voncina und Johan Andsjö alles tun, um sich die unangenehme Lage gegenseitig noch unangenehmer zu machen.