Touch-Screen oder Tasten beim Lift: Was ist beliebter?
Thomas Oetterli*: Seit über zehn Jahren verbauen wir Glas-Tableaus mit Touch-Screens. Das Feedback ist im Allgemeinen extrem gut. Vor allem in Nordamerika und Europa. In Asien dagegen schätzen die Kunden einen richtigen Knopf.

Sonstige Unterschiede? Wahren Asiaten die Contenance, wenn der Lift auf sich warten lässt?
Eher umgekehrt: Tendenziell sind Asiaten ungeduldiger. Waren Sie schon einmal in China?

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Ja.
Dann kennen Sie das Chaos beim Ein- und Aussteigen in der U-Bahn. Wenn sich die Türen öffnen, beginnt das Gedränge. Da wartet niemand, bis zunächst alle Fahrgäste aussteigen.

Wie läuft es eigentlich für Schindler in China?
Es sieht gut aus. Im Geschäft mit Neuanlagen ist China der grösste Markt. 60 Prozent aller Neuanlagen weltweit werden in China gebaut.

Gebaut oder verbaut?
Verbaut. Produziert werden noch mehr, weil aus dem chinesischen Markt auch viel exportiert wird. Schindler war die erste Firma überhaupt, die sich im chinesischen Markt versucht hat. 1980 sind wir eingetreten. Seinerzeit waren wir Marktführer.

Das sind Sie heute nicht mehr.
Heute folgen wir unserer klar definierten Wachstumsstrategie und haben vielleicht das beste Momentum unter den Liftunternehmen. Wir waren historisch sehr stark auf Hochhausanlagen und Fahrtreppen spezialisiert.

Was ist für Schindler ein Hochhaus?
Über 100 Meter. 30 Stockwerke.

In Zürich spricht man schon von einem Hochhaus, wenn ein Gebäude 9 Stockwerke hat.
In Küssnacht am Rigi, wo ich wohne, lebt man bereits mit drei Stockwerken in einem Wolkenkratzer.

Zurück nach China.
Richtig. Wir waren also sehr stark bei Hochhausanlagen und Fahrtreppen, aber nicht unbedingt im Wohnungsbereich, der – gemessen an den Stückzahlen – mit Abstand der grösste Markt ist. Wir starteten mit unserem Schindler 3300...

...das ist ein Modell?
Unser Modell für Wohnhäuser. Ein Modell notabene, das ohne Maschinenraum auf dem Dach auskommt. In China aber sind derartige Maschinenräume Standard. Wir hatten also ein Problem: unser Produkt passte nicht in den chinesischen Wohnungsmarkt. Deshalb haben wir vor einigen Jahren die Strategie angepasst. Das Ziel: Wir wollten in China Produkte für China entwickeln, bauen und verkaufen. Deshalb haben wir den Campus in Shanghai gekauft – ein riesiges Areal mit über 300'000 Quadratmetern., neuen Aufzugsfabriken, neue Rolltreppenfabriken, neues R&D-Center, neues Trainingcenter, ein Kundenzentrum und ein lokales Headquarter. Das ist die wahrscheinlich fortschrittlichste Fertigungs- und Forschungsanlage in der Welt. Wir haben sehr viel investiert – über 240 Millionen Franken.

Das brachte die Kehrtwende?
Das war ein wichtiger Schritt, um im Wohnbereich Fuss zu fassen. Wichtig war aber auch, dass wir uns geografisch ausgebreitet haben. Es gibt in China ungefähr 300 richtig grosse Städte – wir waren aber nur in einem kleinen Teil präsent.

Das heisst?
Vor vier Jahren hatten wir rund 70 Niederlassungen im Land. Heute sind es etwa 200.

Warum war der Ausbau notwendig?
Wir operieren in einem sehr lokalen Geschäft. Architekten kaufen vor Ort ein. Es ist unmöglich, das Business zentral zu führen. Das ist weltweit so. Unser Geschäftsmodell ist extrem dezentral. Wir haben weltweit über 1000 Niederlassungen. Der direkte Kundenkontakt, die 1:1-Beziehung, dass man sich gemeinsam über einen Bauplan beugt – das ist enorm wichtig für den Verkaufsabschluss. Wir sind sozusagen ein Anti-Amazon. Eine Produktwebseite mit Kauf-Button funktioniert nicht.

Feines Distributionsnetz und neue Fabrik: Das ist das Erfolgsgeheiminis in Asien?
Ein weiterer wichtiger Punkt: ein hochprofessionelles Kundenmanagement. Die grössten Baufirmen der Welt stammen allesamt aus China. Diese Baufirmen arbeiten im Normalfall mit Rahmenverträgen über zwei Jahre und selten mit mehr als zwei oder drei Partnerfirmen. Wenn Sie also keinen Rahmenvertrag mit den grossen Baufirmen haben, erhalten Sie kaum Aufträge.

Also haben Sie ein paar hübsche Schweizer Uhren gekauft?
Quatsch! Wir haben ein Key-Account-Management-System aufgebaut, das sich sehr dezidiert um die einzelnen Grosskunden gekümmert hat.

Das hat die Pipeline mit Aufträgen gefüllt?
Es war essentiell für unsere Wachstumsaussichten. Was das Volumen angeht, reden wir hier über Stückzahlen, von denen wir in Europa nur träumen können. Wichtig auch: Die Baufirmen hatten vorher einen Rahmenvertrag mit einer anderen Firma. Das heisst, unser Volumen steigt, jenes der Konkurrenten dagegen sinkt. Das ist vor allem dann wichtig, wenn der Markt nicht mehr stark wächst – was in den letzten beiden Jahren der Fall war.

Was ist Ihre Prognose für 2017 und 2018? Laut Medienberichten ist China an einem Wendepunkt, das Bauvolumen soll so stark anziehen wie seit Jahren nicht mehr.
Die ersten Monate des laufenden Jahres war die Entwicklung relativ flach. Dass die Regierung neue Richtlinien für die Vergabe von Hypotheken eingeführt hat, bereitet uns Sorgen.

Was ist passiert?
Für eine Erstwohnung sind die Vergabe-Kriterien für Hypotheken strenger, eine Zweitwohnung muss gar bar bezahlt werden.

Das würde Thomas Jordan gefallen!
Die Massnahmen könnten dem chinesischen Baumarkt als Ganzes einen Dämpfer geben. Ob er wirklich kommt und wie lange er anhalten wird, bleibt abzuwarten. Wir verfolgen natürlich alle wichtigen Zahlen. Spätestens Mitte 2018 sollte der chinesische Markt aber wieder an Fahrt gewinnen.

Ist China der grösste Markt für Schindler?
Es gibt zwei Perspektiven: Stückzahl der verkauften Produkte und Wert der verkauften Ware oder Leistungen. In Stückzahlen ist China klar der grösste Markt.

Welche Ambitionen hat Schindler in Indien?
In Indien haben wir in etwa das Gleiche gemacht wie in China – einfach in kleinerem Format. Wir haben in Pune eine moderne Liftfabrik gebaut und sind in der letzten Phase einer neuen Fahrtreppenfabrik. Ein Forschungszentrum ist errichtet. Die Kosten belaufen sich in etwa auf 30 Millionen Franken.

Gemessen an der Bevölkerung ist Indien so gross wie China. Wird das Land auch gleich bedeutend werden in Sachen Umsatz und Gewinn für Schindler?
Aktuell ist der indische Lift- und Rolltreppenmarkt etwa neunmal kleiner als der chinesische Markt. Dass er in absehbarer Zeit chinesische Ausmasse annimmt, ist eher unwahrscheinlich – aus politischen und sozialen Gründen. Aber er wird wachsen, wahrscheinlich sogar stark . Es gibt keinen guten Grund, weswegen der Markt langfristig neunmal kleiner bleiben soll. Deshalb ist Indien sehr wichtig für uns.

Der Aufbau von China ist die Errungenschaft von Ihrem Vorgänger und heutigem Verwaltungsratspräsidenten Silvio Napoli. Wird Indien Ihre Legacy?
Silvio Napoli hat auch das Fundament für Indien gelegt. Er hat den Markt selbst erschlossen. Am Anfang arbeitete unser Team in einer Dreierzimmerwohnung. Heute beschäftigen wir mehr als 3000 Mitarbeiter im Land.

In fünf Jahren werden es 15'000 sein?
Das ist schwierig abzuschätzen. Wir haben kein Ziel, was die Zahl der Mitarbeiter angeht. Unser Ziel ist es, weiter zu wachsen. In den letzten Monaten war das nicht ganz einfach wegen der Abschaffung der 500-Rupie- und 1000-Rupie-Banknoten.

Das hat das Geschäft von Schindler ausgebremst?
Das hat dämpfend gewirkt. Der ganze Immobilienmarkt basierte auf Cash-Transaktionen. Die Leute haben eine Wohnung in bar gekauft. Im Augenblick, als die beiden höchsten Noten von einem Tag auf den anderen für ungültig erklärt wurden, brach der Markt ein. Für ein paar Wochen lief gar nichts.

Ihre Prognose für Indien?
Ich gehe davon aus, dass der Markt im zweiten Quartal 2017 wieder zur Normalität zurückkehrt und anziehen wird. Die Aussichten sind sehr gut.

Was die Mitarbeiterzahl auf Konzernebene angeht, hat Schindler im ersten Halbjahr 1000 neue Stellen geschaffen. Wo schaffen Sie dieses Wachstum?
Grösstenteils in der Region Asien-Pazifik. Teilweise auch in einzelnen europäischen Ländern. Dabei arbeiten die meisten Personen, die wir neu anstellen, in unseren Service-Einheiten. Das sind Mitarbeiter, die neue Lifte und Rolltreppen installieren oder ältere Modelle unterhalten.

Bilden Sie die Personen zentral aus?
In jenen Ländern, die kein Lehrlingswesen kennen, haben wir Systeme eingeführt, die sich am europäischen Standard orientieren. Wir haben eigene Trainingszentren, wo wir unsere Handwerker wochenlang ausbilden. Um zu messen, wie gut unsere Mechaniker sind, haben wir konzernweit ein Farbsystem eingeführt – analog dem Karate-Gurtsystem.

Ihre Techniker tragen je nach Ausbildung einen anderen Gürtel?
Es ist kein eigentlicher Gürtel. Aber wir sagen, jemand trage einen «yellow belt», einen «green belt», «red belt» oder einen «black belt» – je nach Ausbildungsstand. Die Farbe ist dann sichtbar auf der Kappe, die der Techniker trägt.

Wie viel investieren Sie in das Lehrlingswesen?
Es ist sehr wichtig für uns, entsprechend handelt es sich um Millionen. Wir arbeiten sehr intensiv daran, dass unsere Servicetechniker bestmöglich ausgebildet sind. Im gesamten Konzern sind die Techniker mittlerweile in der Mehrheit. Sie repräsentieren den Firmennamen im Feld. Das ist essentiell für die Reputation der Firma. Alleine in der Schweiz bilden wir rund 300 Lehrlinge in 12 Berufen aus.

Ist das Reputationsrisiko im Service-Geschäft grösser als im Business mit Neuanlagen?
Nicht unbedingt. Wenn Sie einen neuen Lift gekauft haben, muss der tadellos funktionieren. Tut er das nicht, hilft auch kein netter Service-Techniker. Der Kunde wird nur in Erinnerung haben, dass das Produkt am Anfang fehlerhaft war.

Ist das Unterhaltsgeschäft einträglicher?
Ja, tendenziell ist die Marge im Service-Geschäft höher als im Neuanlagengeschäft.

Weil die Konkurrenz beim Neuanlagengeschäft gross ist, der Bauherr eine gewisse Nachfragemacht hat?
Grundsätzlich ist es so: Der Preis ist hart umkämpft. Das gilt insbesondere für Grossprojekte. Weil die Konkurrenz grösser ist. Aber auch weil der Kunde professioneller ist in Sachen Einkauf.

Wie wichtig ist der Preis bei einem Investitionsgut wie einem Lift?
Er ist nur ein Faktor. Vor allem bei Hochhäusern geht es auch darum, wie effizient ein Liftsystem Personen transportieren und welche Kosten ein Bauherr damit sparen oder zusätzlich generieren kann. Es geht also auch stark um Technik, um Reputation und Vertrauen. Viele Bauherren betreuen dutzende Bauprojekte. Sie lassen sich in ihrer Wahl von Lift-Consultants beraten, die den Markt genau kennen.

Lift-Consultants?
In den angelsächsischen Ländern ist dieses Berufsbild weit verbreitet. Das sind Industrieexperten, die vielfach jahrelang in einem Liftunternehmen gearbeitet haben und ihr Knowhow jetzt als Berater zur Verfügung stellen.

Was war die teuerste Liftanlage, die Schindler je gebaut hat?
Das weiss ich nicht.

Burj Khalifa?
Das war nicht unser Modell. Es ist auch nicht so, dass der höchste Lift automatisch das teuerste Modell wäre. Wahrscheinlich handelt es sich beim teuersten je von Schindler gefertigten Lift um eine Spezialanfertigung mit besonderem Design – zum Beispiel in Marmor oder Gold .

Derartige Spezialwünsche erfüllen Sie ohne Wenn und Aber?
Der Kunde ist König. Wir haben in der Schweiz ein Team von Spezialisten, das sich ausschliesslich um solche individuellen oder exklusiven Kundenwünsche kümmert.

Wie schnell fährt der schnellste Schindler-Lift?
10 Meter pro Sekunde. Das sind 36 Kilometer die Stunde. Solche Geschwindigkeiten erreichen Sie aber nur, wenn das Haus eine gewisse Höhe hat. Und das ist in etwa auch das Limit des sinnvoll Machbaren. Höhere Geschwindigkeiten sind baulich schwer umzusetzen. Die Verkleidung der Liftkabine muss stärker sein, weil die vom Lift verdrängte Luft links und rechts von der Kabine unglaubliche Kräfte entwickelt. Überdies muss die Form der Kabine leicht konisch konstruiert werden – analog einer Pistolenkugel –, sonst ist der Widerstand zu gross.

Lohnt sich der Zusatzaufwand?
Allerhöchstens bei Häusern, die höher als 500 Meter sind. Bei solchen Bauwerken geht es meistens aber nichts ums Geld, sondern um Prestige. Ein Super-Wolkenkratzer wird gegen oben immer dünner, zum Schluss gibt es fast nur noch Liftschächte, die Fläche drum herum wird immer kleiner.

Stichwort Iran: Wie steht es um die Ambitionen von Schindler im Reich der Mullahs?
Schindler hatte früher eine starke Position im Iran. Wir hatten viele Prestige-Projekte. Dann kam das Embargo und wir mussten das Business ruhen lassen. Der Iran ist aber sehr interessant. Gemessen an den Stückzahlen gehört das Land zu den fünf wichtigsten Märkten der Welt – etwa gleich gross wie der Markt in der Türkei. Wir überlegen derzeit, wie wir diesen Markt neu bearbeiten können.

Warum ist der Markt so gross?
Das ist eine gute Frage. Gemessen an der Bevölkerung ist der Iran vergleichbar mit Deutschland. Aber die Menschen leben eher in grossen Ballungsgebieten. Das begünstigt tendenziell verdichtetes Bauen – und damit auch unser Geschäft.

Schindler könnte via Zukauf wachsen. Wie steht es um Ihr Interesse am Liftgeschäft von ThyssenKrupp? Damit wäre Schindler auf einen Schlag der grösste Serviceanbieter weltweit.
Es gibt keine Joint-Venture-Pläne mit ThyssenKrupp. Über einen Deal in dieser Tragweite müsste ohnehin der Verwaltungsrat entscheiden. Ausserdem ist Grösse nicht alles. Die Kultur zweier Firmen muss zusammenpassen, die Tätigkeiten müssen sich ergänzen.

Wie unabhängig vom Verwaltungsrat können Sie operieren?
Die exekutiven Verwaltungsratsmitglieder sind in ständigem Austausch mit mir und der Geschäftsleitung. Meistens wöchentlich, manchmal auch täglich. Der Fokus liegt klar auf strategischen Fragestellungen.

Machen die Eigentümerfamilien Druck?
Die Familien Schindler und Bonnard sind die Hauptaktionäre der Firma. Sie haben ein ureigenes Interesse, dass das Unternehmen fit ist für die Zukunft.

Gibt es im Liftbusiness eigentlich eine fundamentale Neuerung, die das Zeug hat, die Karten komplett neu zu mischen? Einen Game-Changer?
Ausser Beamen sehe ich kein fundamentales Substitut im Liftgeschäft – und Beamen bleibt wohl ein Traum aus der Science-Fiction-Welt.

Also ist der Lift erfunden?
Die Branche steht nicht still. Es ist klar, dass die Bevölkerung wächst, dass urbane Zentren grösser werden und dass die Flut der Menschen steigt, die täglich transportiert werden muss. Der vertikale Transport wird wichtiger. Und intelligente Liftsysteme werden zum Alleinstellungsmerkmal.

Ein Beispiel?
In unserem Referenzprojekt, dem ICC in Hongkong, arbeiten rund 30'000 Leute. Die kommen alle am Morgen zwischen halb acht und halb neun, gehen nachmittags gegen fünf wieder heim, zur Mittagspause raus. Das sind zigtausende Liftbewegungen, viele davon zur gleichen Zeit. Wir haben unsere Lifte auf diese Bedürfnisse angepasst. Das macht den Personentransport in etwa um 30 Prozent effizienter, die Fahrgäste müssen weniger lang auf einen Lift warten, die Baukosten sind geringer, weil es weniger Liftschächte gibt, deren Konstruktion oft besonders teuer ist, weil härterer Beton und mehr Armierungseisen verbaut sind.

Wenn Sie einen Lift offerieren, dann gehört die Prognose des Personenverkehrs zum Leistungspaket?
Klar. Wir haben Teams, die spezialisiert darauf sind, den Personenfluss zu berechnen und zu optimieren.

Dabei greifen Sie auf Erfahrungswerte aus bereits realisierten Projekten zurück?
Nicht nur. Essentiell sind die Vorgaben des Architekten, der uns sagt, wie viele Personen in etwa wo arbeiten werden. Das Problem ist ja: Derartige Berechnungen passieren sehr früh in einem Baustadium. Sie können nicht mit dem Bauen beginnen und dann in der Mitte des Projektes denken: ein weiterer Lift wäre sinnvoll.

Je höher das Gebäude, desto schwieriger die Planung?
Das kann man so sagen.

Stichwort Digitalisierung: In zahlreichen Branchen gibt es ein Ökosystem von Jungunternehmen, die an der Zukunft arbeiten. Gibt es irgendwo eine Art Elevator Valley?
Im mechanischen Bereich sind alle Komponenten bestimmt: Kabine, Seil, Motor, Gegengewicht. Die Kunst aber liegt in der Software und der Vernetzung der Lifte. Das betrifft fast jede Aktivität von Schindler und verwandelt uns von einer Ingenieurfirma zum digitalen Industrieunternehmen. Wir beschäftigen uns mit Big Data, Datensicherheit oder mit der Fahrgast-Interaktion. Da gibt es viele Firmen, die eigene Lösungen entwickeln. Wir arbeiten mit Huawei und General Electric zusammen.

Fahrgast-Interaktion? Was heisst das konkret? Individualisierte Musik aus dem Lautsprecher?
Ganz anders. Ein Beispiel: Die grösste leere Fläche in einem Shopping-Center sind die Seitenwände einer Rolltreppe. Warum sollte man diesen Leerraum nicht für Promotionen nutzen. Oder ein anderes Beispiel: Intelligente Lifte können massgeschneiderte Werbung anbieten. Oder um ein letztes Beispiel zu erwähnen: Die Bildschirme bei einem Lift können mit Webseiten oder Bildern bespielt werden – eine «Door Show» nennen wir das. Die wartenden Liftpassagiere können die Bilder mit einer Wischbewegung wechseln. Oder auf der Webseite scrollen. Kontaktlos. In Deutschland haben wir das bereits verwirklicht.

Klingt nach Hollywood.
Ein wenig wie in Minority Report, tatsächlich. Wo der Film recht hatte: Die Welt verändert sich. Und zwar schnell.

Können Sie Ihre Lifte auch so programmieren, dass VIP-Benutzer Priorität haben?
Selbstverständlich. Moderne Liftsysteme bieten viele Optionen. Und sie können Leben retten – bei Feuer etwa. Wenn es darum geht, ein Hochhaus möglichst schnell zu evakuieren, helfen intelligente Liftsysteme. Sie reagieren auf den Feueralarm und schicken sofort alle Lifte in das betroffene Stockwerk.

Bei Feuer darf man den Lift doch gar nicht benutzen!
Das ist nur teilweise richtig.. Es gibt spezielle Evakuationsprogramme, die für Hochhäuser zur Verfügung stehen.

Entwickeln Sie all das, weil der Kunde das verlangt oder weil Sie damit einen neuen Markt schaffen wollen?
Im Grundsatz versuchen wir, die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen. Manchmal arbeiten wir auch an Ideen, für die es aktuell noch gar keinen Markt gibt. Apple hat es vorgemacht: Bevor das iPhone herauskam, gab es kein Smartphone-Bedürfnis. Heute kann sich niemand ein Leben ohne iPhone & Co. vorstellen.

Apple als Vorbild?
Gerade in der Welt der Kommunikation werden Bedürfnisse generiert, wohingegen im herkömmlichen Lift-Business die mechanische Problemlösung im Vordergrund steht. Und weil moderne Technologien die Interaktion mit dem Lift möglich machen, sind wir mittlerweile auch im Kommunikationsbusiness tätig. Deshalb haben wir ein eigenes Innovationsteam, eine Art Ideenfabrik. Diese Personen arbeiten ausschliesslich daran, das zu verwirklichen, was in Zukunft alle haben wollen. Manche Ideen sind gut, manche bewähren sich nicht.

Zur Zusammenarbeit mit Huawei: Dahinter stecken auch politische Risiken. Der US-Kongress hat die chinesische Telekomfirma vor fünf Jahren als nationales Sicherheitsrisiko bezeichnet. Wie gehen Sie damit um?
Bevor wir die Partnerschaft eingegangen sind, hat sich die Konzernleitung natürlich eingehend mit diesem Problem beschäftigt. Wenn ein Kunde Bedenken hat, gibt es die Substitutionsmöglichkeiten.

Falls die US-Regierung einen Lift bei Schindler bestellt, dann können Sie versichern, dass Huawei nicht involviert ist? Dass Huawei keinen Zugriff auf Server, Daten oder sonstiges hat?
Ganz klar: Die Daten sind unser Eigentum. Keine Drittfirma hat Zugriff. Um die IT-Sicherheitsinfrastruktur kümmern wir uns selbst. Für Notfälle haben wir ein Emergency-Center aufgebaut, das sieben Tage die Woche 24 Stunden erreichbar ist.

Gibt es Fälle von Industriespionage via Lift? Dass Drittpersonen auf die Liftkamera zugreifen zum Beispiel? Gespräche aufzeichnen? Oder einfach festhalten, wer wann in welche Büros geht?
Uns ist kein Fall bekannt.

Wie oft versuchen Hacker, ein Liftsystem zu kapern?
Wir nehmen das Thema Cybersecurity sehr ernst. Gibt es eine 100-prozentige Sicherheit? Natürlich nicht. Aber wir unternehmen alles , um den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten.

Hatten die jüngsten Cyber-Attacken einen Einfluss auf Ihre Systeme?
Nein, kein Computer war lahmgelegt, es kam zu keinen Breakdowns.

Sie geben bestimmt auch Aufträge an Hacker, um das Schindler-Netz zu prüfen, oder?
Wir prüfen regelmässig unsere Netze und unsere Firewall. Für solche Tests bitten wir natürlich auch Cyber-Experten, sich in unsere Systeme zu hacken. Das ist mittlerweile Industriestandard, fast alle machen das. Und wer es nicht tut, wird es bereuen.

Zum Thema Sika: Die Einführung einer statuarischen Angebotspflicht haben die Behörden ausgebremst. Schindler hat angekündigt, das Thema weiter voranzutreiben. Hat sich in der Zwischenzeit etwas getan?
Das ist ein Thema des Verwaltungsrates und hat wenig mit meiner operativen Tätigkeit zu tun.

Stichwort Personen: Die 13-köpfige Konzernleitung kommt ohne Frauen aus. Ist Diversity kein Thema?
Doch, ein sehr wichtiges sogar. Wir wissen aber auch, dass wir hier noch einiges unternehmen müssen. Wir haben Initiativen ergriffen, um Frauen zu fördern. Das sind interne Fördermassnahmen, die auch schon erste Resultate zeigen. Früher hiess es, wir seien im Ingenieurwesen und das sei nun mal eine männerlastige Domäne. Aber das stimmt mittlerweile auch nicht mehr. In anderen Ländern, zum Beispiel China, gibt es genau gleich viele weibliche wie männliche Ingenieure. In Zürich ist die Hälfte der BWL-Studentinnen weiblich. Ein Drittel der ETH-Ingenieure sind Frauen. Das sind wichtige Arbeitskräfte, für die wir ein attraktiver Arbeitgeber sein möchten.

Gibt es eine gläserne Decke bei Schindler?
Ich hoffe nicht. Es ist das klar formulierte Ziel, dass mittelfristig eine Frau in die Konzernleitung aufrücken soll. Eine wichtige Vorbildsfunktion haben die beiden Frauen im Verwaltungsrat.

Die VWL-Professorin Monika Bütler und Rechtsanwältin Carole Vischer?
Frau Bütler und Vischer bringen ihr Wissen ein und helfen dabei, die Firma Schindler auf Kurs zu halten.

Wie sieht es mit der Frauenvertretung auf den unteren Stufen aus?
Es gibt diverse Landesgesellschaften, die von Frauen geleitet werden. Kanada etwa. Oder Benelux, Thailand und Nordchina. Die europäische Supply Chain steht unter Leitung einer Frau.

 

* Thomas Oetterli ist seit 2016 Konzernleiter des Luzerner Liftbauers Schindler. Er trat 1994 ins Unternehmen ein und war zuletzt verantwortlich für das Business in China. Der Betriebswirtschafter mit Abschluss der Uni Zürich hat drei Kinder.

 

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