Die Wirtschaftskrise macht es möglich: Schon wieder siegt ein Überraschungskandidat. Die Credit Suisse katapultierte sich im vergangenen Jahr an die Spitze der Schweizer Top-100-Unternehmen, mehr als 14,6 Milliarden Franken an Firmenwert für die Aktionäre hat CEO Brady Dougan geschaffen. Mit Dougans Credit Suisse hat ein Unternehmen gesiegt, das seine Aktionäre ansonsten eher enttäuscht als erfreut.

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Das verbindet Dougan mit Novartis-Lenker Daniel Vasella. Beide, Credit
Suisse und Novartis, gehören im langfristigen Vergleich zu den schlimmsten Vernichtern von Aktionärswerten. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg liegen beide auf hintersten Rängen in der Wertschöpfungs-Rangliste. Hierhin ist Novartis bereits 2009 wieder abgestürzt, nachdem der Basler Pharmakonzern noch 2008 den desaströsen Börsenindex SPI, der für die BILANZ-Rangliste massgebend ist, deutlich geschlagen und damit alle Konkurrenten hinter sich gelassen hatte – Vasella avancierte zum Krisengewinner.

Dasselbe Kunststück gelang Dougan nun 2009: Seine Credit Suisse überstand die Explosion der «finanziellen Massenvernichtungswaffen», wie Investor Warren Buffett die komplexen Schrott-Derivate gern bezeichnet, ohne grossen Schaden zu nehmen. Nur einige Schrammen holte sich die Credit Suisse, während andere Banken kräftig bluteten – am heftigsten die UBS, die zum zweiten Mal in Folge das Schlusslicht der Rangliste bildet. 2009 vernichtete die Grossbank zwar nur 14 Milliarden an Wert und damit halb so viel wie im Jahr davor, aber auch das reichte problemlos für die rote Laterne. «Zürich»-Versicherung und Swiss Re, die direkt vor der UBS rangieren, verbrannten jeweils nur halb so viel. Dougans Credit Suisse hingegen schuf 2009 ungefähr ebenso viel an neuen Werten, wie die UBS vernichtete. «Die Credit Suisse hat sich bisher hervorragend aus der Finanzkrise gerettet und gehört klar zu den Gewinnern», bilanziert Pius Zgraggen, Leiter der Finanzberatungsfirma OLZ & Partners. Sie erstellt und berechnet das Wertschöpfungs-Ranking.

Dauerbrenner Nestlé. Zum siebten Mal kürt BILANZ inzwischen die Schweizer Unternehmen, die ihren Aktionären die grösste Wertsteigerung bescheren. Diesen Wertzuwachs – oder den Wertverlust – erheben wir in erster Linie dort, wo es den Aktionär interessiert: auf seinem Anlagekonto. Das heisst, Wertschöpfung betrifft vor allem Börsenkurs und Dividende. Um eine Vergleichbarkeit der jeweiligen Unternehmen herzustellen und so ein faires Ranking überhaupt erst zu ermöglichen, werden zwei Korrekturelemente einbezogen, erstens die Unternehmensgrösse und zweitens das Risiko. Die Grösse geht über die Börsenkapitalisierung in die Berechnung ein, das Risiko wird rückblickend anhand der Schwankungen des Aktienkurses ermittelt. Ein Stromversorger schwankt naturgemäss weniger im Kurs als ein konjunktursensibler Textilmaschinenbauer oder eine forschungslastige Biotechfirma. Letztere arbeiten mit einem höheren Risiko im Geschäftsmodell, deshalb erwartet ein Anleger auch eine höhere Rendite (Details zum Berechnungsmodell unter ' Weitere Artikel').

Hinter dem Jahressieger Credit Suisse rangiert ein Dauergast auf den Spitzenplätzen: der Lebensmittel- und Wellnessmulti Nestlé aus Vevey. Wie Novartis eine klassische defensive Aktie, was sich in einem magenschonend niedrigen Risiko, also Beta-Faktor, ausdrückt. Im Unterschied zum Basler Gesundheitskonzern liefert Nestlé allerdings verlässliche Wertzuwächse ab und liegt im Fünfjahresvergleich sogar ganz vorne. Konzernchef Paul Bulcke, der seit 30 Jahren bei Nestlé arbeitet, brachte es kürzlich auf den Punkt: «Wenn man der Ansicht ist, die Firma sei für einen da und nicht umgekehrt, wird man bei Nestlé nicht alt.» Das ist gepflegte Langeweile zur Freude der Aktionäre. Dabei hilft, dass der Konzern mit seinen Brands vom Billigsegment (etwa Nescafé oder Nido-Milchprodukte) bis zur Luxusmarke Nespresso alle Märkte bedienen kann und damit sowohl in margenstarken Segmenten wie auch in dynamisch wachsenden Entwicklungsländern immer stärker Tritt fasst. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Augenheilmittelherstellers Alcon hat Bulcke einerseits Nestlés Fussabdruck im US-Pizzageschäft vergrössert, andererseits ein neues Aktienrückkaufprogramm aufgelegt. Auch dies wird den Aktionären zugutekommen.

Heiss geliebte Syngenta. Auch die drittplatzierte Syngenta ist ein zuverlässiger Wertlieferant. CEO Michael Mack operiert mit seinem Produktangebot in einem «Sweet Spot». Was er hat, wollen und brauchen immer mehr Menschen: Pflanzenschutzmittel und Saatgut, auch gentechnisch verändertes. Syngentas Agrochemie, wirbt Mack, könne die ständige Gefahr einer Nahrungsmittelknappheit mindern, indem die «Landwirte nicht jedes Jahr ihre Äcker umpflügen», sondern «Herbizide nutzen». Das schütze die Ernte und verhindere ausserdem, dass zu viel Wasser ungenutzt ablaufe. Die frohe Botschaft: Syngenta bekämpft zwei Grundübel der Menschheit zugleich – Ernährungs- und Wasserknappheit. Als Kollateralmassnahme füllt Syngenta-Chef Mack die Aktionärdepots auf.

Nur eine kleine, feine Gruppe hat es, wie Syngenta, geschafft, seit 2004 jedes Jahr Wertzuwachs zu erwirtschaften. Zu ihr gehören der Sanitärtechniker Geberit und der Warenprüfkonzern SGS, bei den Banken sind es vermeintlich langweilige Titel wie St.  Galler oder Luzerner Kantonalbank. Auch deren Schwesterinstitute aus Graubünden und der Waadt beeindrucken mit ihrer Dauerleistung, beide erlitten jeweils nur ein Minusjahr.

Die einst ungeliebte Tochter überflügelt längst ihre Mutter: Syngenta, vor zehn Jahren von Novartis abgespalten und mit dem Agrargeschäft von AstraZeneca verschmolzen, wird von den Aktionären heisser geliebt als die breit aufgestellte Novartis. Deren nackte Performance steht im Kontrast zu den jüngsten Elogen auf den langjährigen Konzernlenker Daniel Vasella, weil dieser nun sein Doppelmandat ablegt. Vasellas Resultate sind zweischneidig: Mag die Gewinn- und Verlustrechnung auch beeindrucken, Aktionär möchte man nicht gewesen sein. Vom positiven Ausrutscher des Vorjahres abgesehen, liegt Novartis langfristig auf dem zweitletzten Platz; nur die Problembank UBS behandelte ihre Eigentümer noch schlechter.

Novartis sieht vor allem im Vergleich mit dem Erzkonkurrenten Roche blass aus, «auf lange Sicht bleibt Novartis ein Flop und Roche top», sagt Pius Zgraggen. Wie Syngenta hat sich Roche mit ihrer Konzentration ausgeprägt auf margenstarke Produkte aus dem Labor ihrer Tochter Genentech fokussiert und damit viel Wert für die Aktionäre geschaffen – von 2005 bis 2009 knapp 12 Milliarden Franken, in der Zeit zwischen 2003 und 2006 waren es sogar 15,4 Milliarden. Novartis, breit aufgestellt mit Generikasparte und Augenheilkunde, hat in denselben Zeiträumen jeweils knapp 23 Milliarden vernichtet. Die schiere Grösse der beiden Konzerne sorgt dafür, dass beide in ihren Schwankungen extreme Werte erreichen, auch deshalb schneidet Roche im Jahr 2009 kaum besser ab als Novartis. Der Unterschied: Roche ist über die Jahre häufiger im Plus als der Basler Konkurrent.

Die Begründung dürfte so einfach wie einleuchtend sein – die Börse traut Novartis weniger zu als Roche. Und wer nach den Crashs der Jahre 2000 und 2008 bezweifelt, dass die Märkte tatsächlich funktionieren, den wird ein Blick auf das Jahr 2007 verblüffen. Damals waren zwar die ersten Abschreiber auf wertlose verbriefte Hypotheken-Derivate bereits sichtbar. Aber das Erdbeben, das die kollabierende Bank Lehman Brothers auslöste, ahnte noch niemand. Dennoch verdampften an den Börsen schon in jenem Jahr riesige Summen an Aktionärswert – als ob die Investoren alles gewusst hätten. Das Fazit von Pius Zgraggen: «Offensichtlich hat der Markt doch recht.»

Am unteren Ende der Rangliste von 2009 finden sich, neben den erwähnten Pharmakonzernen, vor allem Institute der gebeutelten Finanzindustrie. Auch Versicherungen litten unter der Kernschmelze am Derivatemarkt, und ihr Anlagevermögen schrumpfte im Gleichschritt mit den fallenden Börsenkursen.

Kritische Zeit für ABB. Bereits im Vorjahr riss die Krise bei einer anderen Branche tiefe Krater. Die Luxusgüterkonzerne Richemont und Swatch kamen 2008 unter die Räder, Richemont noch deutlich stärker als Swatch, denn der aus Genf geführte Konzern konzentriert sich fast ausschliesslich auf High-End-Marken, darunter die Uhrenmanufakturen A. Lange & Söhne, Vacheron Constantin oder Jaeger-LeCoultre. Die erschwinglichsten Produkte aus dem Haus Richemont dürften die Labels Baume & Mercier oder Dunhill tragen – und auch die sind alles andere als günstig. Swatch ist breiter aufgestellt. Konzernchef Nick Hayek kann von Edeltickern wie Breguet oder Blancpain bis hinunter zu Swatch-Plastikuhren und Flik Flak jeglicher Finanzkraft etwas anbieten. Das zweite Standbein des Konzerns, der Bau und der Verkauf von rohen Uhrwerken, die andere Hersteller in ihre Gehäuse einbauen, stabilisiert den Geschäftsgang zusätzlich. Wobei Swatch auf einem regelrechten Berg an Eigenkapital sitzt, der nahezu 80 Prozent der Bilanzsumme erreicht. Damit liessen sich sogar mehrere der in der Finanzkrise viel zitierten «perfekten Stürme» durchstehen.

Dabei sind die Aussichten hervorragend. Nick Hayek erwartet, dass 2010 für die Swatch Group das beste Jahr überhaupt wird. Und «wenn man sieht, wie schnell sich Swatch 2009 wieder erholt hat, dann wirkt das durchaus realistisch», sagt OLZ-Mann Pius Zgraggen. Swatch avanciert damit zu einem Kandidaten für die vorderen Ränge im kommenden Jahr.

Für ABB, auf der Fünfjahresliste immerhin Zweite, wird 2010 hingegen zu einem Jahr der Schadensbegrenzung. Alte Aufträge werden derzeit abgearbeitet, Konjunkturpakete brachten dem Elektrotechnik-Multi zusätzliches Geschäft im Strommarkt, und das Sparprogramm zeigt Wirkung. 2009 aber hat sich der Auftragseingang deutlich abgeschwächt, und noch immer zögern vor allem industrielle Kunden neue Investitionen hinaus. Die Umsätze dürften also sinken. ABB steht noch eine kritische Zeit bevor.

Dirk Ruschmann
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