Wer ein rechter Politiker ist, weiss, wo der Staat überall nichts verloren hat. Er beginnt bei der Entwicklungshilfe, erwähnt manchmal die Landwirtschaft, meistens die Elektrizitätswirtschaft, sicher Gebäudeversicherungen oder Kinderkrippen und macht in der Regel exakt vor der eigenen Haustür Halt. Sobald es um die eigenen vier Wände geht, ist alles anders. Hier beginnt der Bereich, der offenbar staatlichen Schutz verdient.

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Nächster Termin ist Sonntag, 16. Mai. Die Schweiz, «ein Volk von Mietern», stimmt über ein Steuerpaket ab, das zu einem schönen Teil aus der Förderung des Wohneigentums besteht und gerade deshalb Chancen hat, durchzukommen. Denn wer ein rechter Mieter ist, hat einen Wunsch frei: Eigentümer zu werden. Zwar ist deren Zahl in der Schweiz so gering wie sonst kaum wo. Ewig schwankte sie um die 30 Prozent, bis sie sich in den Neunzigerjahren von 31,3 auf 34,6 Prozent erhöht hat. Ein später Erfolg der staatlichen Wohneigentumsförderung, die den jungen Familien zugute kommen soll? Leider nein. Neu auf dem Markt zugelangt haben, wie eine neue Studie der Credit Suisse darlegt, vor allem Senioren zwischen 50 und 75 Jahren. Zudem boomt besonders das Stockwerkeigentum, das, 1965 erst eingeführt, gesetzlich etwas gelockert wurde.

Damit zeigt sich, wie der Staat tatsächlich eine Entwicklung positiv beeinflussen kann: indem er kluge Spielregeln setzt. Dann ergibt sich der Rest von selbst.

Bei der Förderung des Wohneigentums beschränken sich die Politiker leider nicht auf Spielregeln, sie locken mit Subventionen. Weil dieses Wort anrüchig tönt, reden sie von «Steueranreizen». Dazu äussern sich sogar die liberalen Ökonomen, die sonst alles besser wissen, nur zurückhaltend und verklausuliert: «Staatsziel Wohneigentumsförderung» verspricht der Titel des St.-Galler Professors Jörg Baumberger über einem NZZ-Artikel. Darunter heisst es kleinlaut, dass die «frankenmässig hohen Steuersubventionen überwiegend Haushalten zufliessen, die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse ohnehin Eigentümer wären», was «den willkommenen Effekt» habe, «die Progression ein wenig zu mildern, aber wenig zur Erhöhung der Zahl der Eigenheimbesitzer» beitrage.

Im Klartext: Es profitieren die Falschen. Nämlich diejenigen, die erstens reich sind und zweitens das eigene Haus bereits haben. Alle andern, die davon nur träumen, gehen leer aus.

Musterbeispiel dafür ist der Kanton Baselland. Hier müssen die Wohneigentümer heute die mit Abstand tiefsten Eigenmietwerte zahlen, dürfen trotzdem alle Kosten für den Unterhalt abziehen, sogar für gewisse Ausbauten, die als Energiesparmassnahmen getarnt werden. Junge, gut verdienende Leute werden im Baselbiet mit zusätzlichen Steuerabzügen zum Bausparen motiviert. Eine einseitige Politik, die einen Verlust an Freiheit mit sich bringt: Man muss sich brav so verhalten, wie es der Staat verlangt. Man muss ins Wohneigentum investieren; wer nicht gehorcht, wird bestraft – und zahlt volle Baselbieter Steuertarife, die weit über dem Schweizer Durchschnitt liegen.

Nun soll die Schweiz dem Baselbieter Modell folgen. Zwar verspricht das Steuerpaket vom 16. Mai eine so genannte Steuersenkung. In Wahrheit freilich wird kein einziger Tarif gesenkt, im Gegenteil. Nur die bereits privilegierten Wohneigentümer sollen nochmals privilegiert werden, was zu Steuerausfällen führt, die wohl teilweise sogar kompensiert werden müssen.

Das ist eine verkehrte Politik. Wer Steuern senken will, muss Steuertarife senken. Diese Lektion begriffen hat Franz Marty, der zwanzig Jahre lang Finanzminister in Schwyz war und achtmal die Steuertarife gesenkt hat. Er sagt heute: «Ich plädiere für ein Steuersystem, das wenig Abzüge zulässt und damit das möglichst ganze Steuersubstrat erfasst. Dann sind tiefere Steuersätze möglich.»

Also ist nur gerade der erste Teil des Steuerpakets sinnvoll: Der Staat schafft den Eigenmietwert ab, entlastet die Hauseigentümer damit finanziell und administrativ. Der ganze Rest hat mit Steuergerechtigkeit nichts mehr zu tun. Obschon die Eigentümer künftig keinen fiktiven Eigenmietwert mehr versteuern müssen, dürfen sie künftig ihre Unterhalts- und Renovationskosten weiterhin vom Einkommen abziehen. Das ist eine Einladung zur Steuerminimierung, die genutzt wird, wie alle Erfahrung zeigt. Laut einem offiziellen Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements renovieren vor allem Leute mit mehr als 150 000 Franken Einkommen besonders gern. In Zukunft lohnt sich das erst recht. «Sicherlich muss man sagen, dass der in der nächsten Abstimmung vorgeschlagene Systemwechsel den Subventionscharakter deutlich verstärkt», kritisiert der St.-Galler Ökonomieprofessor Heinz Hauser.

Die bisher erlaubte Hypozins-Regelung war freilich auch keine Lösung.

Alles, was vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden darf, ist eine Einladung zum Steuernsparen, die prompt genutzt wird. Kein Wunder, sind die Schweizerinnen und Schweizer, misst man die Hypothekarverschuldung pro Kopf, Weltmeister. Das wird sich sicher ändern. Kommt das Steuerpaket durch, soll der Abzug für Hypozinsen nur noch beschränkt und nur noch während der ersten zehn Jahre möglich sein.

Gewisse Politiker haben das Problem erkannt: «Ökonomisch gesehen sind Ausnahmen und Vergünstigungen bei den Steuern nichts anderes als Subventionen», schreibt der ehemalige FDP-Präsident Franz Steinegger als «Blick»-Kolumnist. Und Subventionen wirken kaskadenartig: Wer genügend Immobilien unterhält, kommt im Extremfall, obschon er eigentlich viel Geld verdient, auf null Franken steuerbares Einkommen. Prominentes Beispiel im Jahr 2001 ist Filippo Leutenegger, FDP-Nationalrat und CEO der Jean Frey AG (Herausgeberin der BILANZ). Wer aber null Einkommen versteuert, hat automatisch Anspruch auf Verbilligung für die Krankenkasse (worauf Filippo Leutenegger verzichtet hat). In einigen Kantonen kommen Kinder aus noblem, aber renoviertem Haus sogar zu Stipendien, womit die angebliche Wohneigentumsförderung den Sozialstaat ad absurdum führt.

Am Ende profitieren sogar die Handwerker mit. Kunden, die alle Kosten von den Steuern abziehen dürfen, kümmern sich wenig darum, diese Kosten möglichst tief zu halten. Resultat sind die höchsten Handwerkertarife der Welt. In Deutschland wird eine ähnlich dumme Politik angewendet: «Warum wohl haben wir uns einen im internationalen Vergleich so teuren Wohnungsbau leisten können?», fragt Oswald Metzger, Finanzexperte der deutschen Grünen. «Ganz richtig, weil die riesigen Subventionen die hohen Grundstückspreise und die teure Bauleistung gerade noch bezahlbar machen. Wenn es vom Staat Geld gibt, bleibt immer genügend in den begünstigten Branchen liegen – in Gestalt überhöhter Preise.» Hier zu
Lande nennt man das «mangelnden Binnenmarkt».

Und wer verliert? Alle ohne Wohneigentum, also die Mehrheit. Ist es denn staatspolitisch verwerflich, nur Mieter zu sein? Das behaupten nicht einmal rechte Politiker – und greifen «korrigierend» ein. Mit fatalen Folgen: Derselbe Staat, der Wohneigentümer begünstigt, begünstigt dann auch Mieter. Kantone, Gemeinden, ja sogar der Bund werden aktiv. Dies alles im Namen der Verfassung, Artikel 108: «Der Bund fördert den Wohnungsbau, den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum …» Ergänzt wird diese Absicht durch ein Sozialziel, Artikel 41 der Bundesverfassung: «Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können.»

Im Alltag kann diese Politik direkt in die Pleite führen. Von 1991 bis 1994 wurden 45 000 Wohneinheiten im ganzen Land gefördert, beruhend auf einem angeblich «dynamischen System» von «periodisch steigenden Mieten». Am Ende, da sich die Mieten in der Immobilienkrise nicht anheben liessen, kam es zur Konkurswelle. Der Staat hat sich verspekuliert. Allein der Bund musste 650 Millionen Franken Verluste nachschiessen, und die Spätfolgen dauern an. Von 2004 bis 2006 muss die Eidgenossenschaft weitere 40 Millionen Franken jährlich zur Verlustdeckung nachzahlen.

Politiker werden auch aus solchen Totalschäden nicht unbedingt klüger. Just der angeblich neoliberale Pascal Couchepin wollte, als er sich noch «Wohnbauminister» nennen durfte, neue 500 Millionen für ein nächstes Förderprogramm aufwerfen. Das Parlament hat diese Pläne gestoppt – nicht aus Einsicht, sondern aus Finanznot.

Immerhin blieb genug Geld übrig, damit der Bund 2004 und 2005 weitere 85 Millionen Franken in so genannte Fonds de Roulement stecken kann, die «dauerhaft den Bedarf an Wohnraum zu tragbaren Bedingungen» befriedigen sollen.

Die Folgen dieser Politik wurden in Zürich wissenschaftlich untersucht.

Resultat: Insgesamt hat der Kanton Zürich 8731 Wohnungen gefördert. Das hört sich imponierend an, beschränkt sich aber auf einen Marktanteil zwischen 0,6 und 10,5 Prozent, je nach Gemeinde, je nach Kategorie. Das ist zu wenig, damit der Staat die Preise auf dem Markt nach unten drücken könnte, wie die Studie ergab.

Es profitiert damit nur eine ganz spezielle Minderheit. Nämlich jene Leute, die sich eine staatlich geförderte Wohnung ergattern können – und damit zwischen 15 und 35 Prozent weniger Miete zahlen, als auf dem freien Markt üblich ist. Diese Wirkung sei «nachhaltig», heisst es stolz in der Studie, denn selbst nach Auslaufen der staatlichen Fördergelder bleiben die Mieten günstiger. Konkret: Bei den Ein-Zimmer-Wohnungen sparen die Glücklichen zwischen 120 und 230 Franken im Monat, bei den Vier-Zimmer-Wohnungen 350 bis 550 Franken im Monat. Das Büro Wüest & Partner rechnete hoch, dass der Kanton Zürich und die Gemeinden 33,6 Millionen Franken im Jahr in den Wohnungsbau stecken und damit die Mieten um insgesamt 45,4 Millionen Franken verbilligen. Echo in den Medien: «Die staatliche Förderung rentiert.»

Die Frage ist nur, für wen. Denn wer sitzt in den vergünstigten Wohnungen? Leute mit den richtigen Connections, um sich eine Wohnung zu mischeln, wie es im Jargon heisst. Nur jede dritte staatlich geförderte Wohnung, die neu vermietet wird, wird ausgeschrieben, der Rest läuft unter der Hand. Die Studie aus dem Jahr 2001 zeigt denn auch klar, dass Outsider in Zürich keine Chancen haben: Ausländer sind klar untervertreten, und sogar die tiefsten Einkommensklassen haben nur kleine Chancen.

Dafür schaffen es, wie jüngst in der Presse nachzulesen war, auffallend viele Politiker: sieben Gemeinderäte (fünf SP, ein Grüner und ein Freisinniger), dazu CVP-Nationalrätin Kathy Riklin, während die grüne Nationalrätin Zürichs, Ruth Genner, von einer Baurechtssausschreibung der Stadt profitieren durfte, ähnlich wie die grüne Nationalrätin Berns, Therese Frösch. Dem dortigen Stadtpräsidenten Klaus Baumgartner gefiel es gar, eine Mietzinserhöhung in seiner vergünstigten Stadtwohnung gerichtlich anzufechten.

Mit Sozialpolitik hat diese Art Wohnförderung natürlich nichts zu tun. Jeder Ökonomiestudent lernt: Will der Staat etwas für die Armen tun, gibt er denen das Geld lieber direkt (Subjekthilfe), anstatt verbilligte Wohnungen zu bauen (Objekthilfe).

Ein Staat, der das Wohneigentum fördern will, verstrickt sich in Widersprüchen. «Auf der grünen Wiese zu bauen, ist heute meist nach wie vor billiger als die verdichtete Bauweise in städtischen und zentralen Lagen. Deshalb weichen viele Familien und Unternehmen in ländliche Lagen aus, wo zuweilen auch tiefere Steuersätze locken», analysiert der Basler Regionalökonom René L. Frey. Diese Einfamilienhäuser verbrauchen viel Bauland, zersiedeln die Landschaft und benötigen eine teure Infrastruktur: die Abwasser-, Wasser- und Stromversorgung kann pro Kopf bis zu dreimal höhere Kosten verursachen, als dies bei einer verdichteten Bauweise der Fall wäre, zeigte eine Ecoplan-Studie. Daraus fordert René L. Frey: «Würden den Bauherren auf der grünen Wiese die wahren Kosten vollständig verrechnet, verginge vielen das Bauen in der Agglomeration.»

Das passiert nicht, im Gegenteil, der Einfamilienhausbau wird sogar steuerlich gefördert. Pro Sekunde geht zurzeit ein Quadratmeter Land verloren. Die ganze Schweiz ist nirgendwo mehr richtig Land, aber auch nirgendwo richtig Stadt. Das Mittelland verkommt «zu einem europäischen Los Angeles», warnt die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung. Wollte das der Staat verhindern, sollte er nicht das Wohneigentum fördern, sondern kluge Spielregeln setzen: indem er die Leute dazu anhält, dass sie «in die Höhe bauen statt in die Breite», fordert der Basler René L. Frey. Und zitiert genüsslich die NZZ, die neulich den Titel setzte: «Zürichs erstes Hochhaus seit 20 Jahren.»

Die Schweizer Wohneigentums- und Wohnbauförderung ist sehr teuer, sozial ungerecht, und raumplanerisch geht sie in die falsche Richtung. Beste Anschauung bietet eine Genossenschaft in Zürich Wiedikon in der Nähe des Goldbrunnenplatzes. Hier sind jüngst gleich zwei Haushalte aus dem subventionierten Teil der Überbauung, also aus Sozialwohnungen, ausgezogen. Nachdem diese beiden Haushalte genügend lange von den stark verbilligten Mieten profitieren durften, leisteten sie sich Wohneigentum. Weg von der Stadt, draussen auf der grünen Wiese.

Literatur zum Thema

  • Statistisches Amt des Kantons Zürich: Wirkungen und Nutzen der Wohnbauförderung im Kanton Zürich. 2001, als PDF-Datei unter www.statistik.zh.ch.
  • Ecoplan: Siedlungsentwicklung und Infrastrukturkosten. 2000, als PDF-Datei unter www.ecoplan.ch.
  • René L. Frey: Städtewachstum: In die Breite oder in die Höhe? 2004, als PDF-Datei unter www.avenir-suisse.ch.