Wenn wir die Blockchain-Technologie mit der Entwicklung des Internets vergleichen, in welchem Jahr wären wir?
Brian Behlendorf (lacht.): Ungefähr im Jahr 1998. Das heisst: Blockchain wird bereits für kommerzielle Zwecke eingesetzt, gleichzeitig ist die Technologie noch sehr jung. Damit die Entwicklung vorankommt, braucht es viele Firmen, die zusammenarbeiten. Das ist auch eine Motivation von Hyperledger: die Kooperation von Firmen bei der Entwicklung der Blockchain zu unterstützen.

Wird die Blockchain-Community vom gleichen Enthusiasmus getragen wie die Dotcom-Gründer in jener Zeit?
Von der Atmosphäre her fühlt es sich an wie März 2000. Das war die Zeit, in der Gründer im Silicon Valley mit jeder Art von Businessplan Kapital bekommen konnten. Auch der Investmentmarkt um Blockchain heute ist definitiv überhitzt. Die gute Seite ist, dass auf diese Weise viel Kapital fliesst, um Software weiterzuentwickeln. Die schlechte Seite ist, dass daraus Erwartungen entstehen, die auf kurze Sicht schwer zu erfüllen sind. Die Hälfte aller ICOs aus dem Jahr 2017 ist bereits gescheitert.

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Scheitern gehört bei Startups dazu.
Aber das Gründermodell von ICOs an sich ist problematisch, ob für Investoren oder die Startups selbst. Wir schauen mit Hyperledger überhaupt nicht auf den ICO-Markt oder den Markt der Kryptowährungen. Wir schauen allein auf das Potenzial der Blockchain-Technologie.

Warum?
Wir wollen, dass Entwickler auf der technischen Grundlage aufbauen können, die wir anbieten. Auch Projekte in einem streng regulierten Sektor sollen möglich werden, und disruptive Geschäftsmodelle.

Was sind die Geschäftsmodelle mit der Blockchain, die neben dem ICO-Hype zu wenig Beachtung finden?
Um Lieferketten prüfen zu können, müssen zum Beispiel einzelne Sensoren im Internet of Things entlang der Lieferkette identifiziert und validiert werden. IBM und andere Unternehmen arbeiten daran, dies mit Blockchain umzusetzen. Anders als früher kann aber nicht länger eine Firma alleine eine Lösung finden. Das ist eine der Herausforderungen: Die Technologie muss firmenübergreifend eingesetzt werden. Oft erfordert das Kooperation von Unternehmen, die bisher Rivalen waren.

Wer kontrolliert die Daten in der Blockchain?
Diese Frage ist zentral für viele Dienste, die mit der Blockchain denkbar wären. Ein kluger Aufbau einer nutzerzentrierten Identität ist hier entscheidend.

Brian Behlendorf

Brian Behlendorf ist eine der prägenden Figuren der Open-Source-Bewegung. Seit 2003 ist er Vorstandsmitglied der Mozilla-Stiftung, die den gleichnamigen Webbrowser verantwortet und unterstützt. Er war einer der ersten Programmierer des Apache Webservers, eine der Grundlagen für das WWW, beriet Barack Obama als technologischer Berater in seiner ersten Präsidentschaftkampagne und diente dem World Ecnomic Forum 2011 für gut 20 Monate als CTO. Heute ist Brian Behlendorf Executive Direktor von Hyperledger. Das Blockchain-Kollaborationsprojekt vereint heute mehr als 200 Firmen weltweit, darunter die Swisscom aus der Schweiz.

Brian Behlendorf
Quelle: ZVG

Das heisst?
Eine Blockchain ist immer ein Ökosystem, mit mehreren beteiligten Parteien. Vor allem, wenn das Projekt Individuen anspricht, Nutzer, Abonnenten. Zu wissen, wer diese Teilnehmer sind, ist wirklich wichtig.

Also doch wieder die Macht für eine Zentrale, die alle Teilnehmer kontrolliert?
Das ist der naive Weg. Der kluge Weg wäre der nutzerzentrierte. Das bedeutet, dass meine Daten nicht länger irgendwo auf einem Server gespeichert sind, wie es bei meinem Google- oder Facebook-Account der Fall ist. Ich möchte nicht, dass sensitive Daten auf einem Server der Regierung gelagert werden, wenn ich über ein Online-Portal meine Steuern zahle. Wenn eine Regierung ein System der nationalen Identität verwendet wie zum Beispiel Indien, tendieren diese dazu, als Silos zu funktionieren und eine Menge Daten zu speichern, die der Endnutzer vielleicht nicht gespeichert haben möchte. Eine nutzerzentrierte Identität kehrt diesen Prozess um. Das bedeutet, ich sammle meine persönlichen Daten selbst und generiere dann Schlüssel, die ich zur Identifikation verwende.

Also meinen eigenen digitalen Ausweis, den ich überall hin mitnehme?
Nicht nur einen Ausweis, mehr eine digitale Wallet. Und ich kann dann steuern, welchen Teil meiner digitalen Identität ich wem gegenüber preisgebe. Ausserdem behalte ich einen digitalen Nachweis, mit wem ich welche Information geteilt habe. Wenn ich also zum Beispiel in den Ferien einen Unfall habe und zum Arzt gehe, dann sollte ich meine Patientenakte mitbringen können, sie mit ihm teilen und die richtige Behandlung erhalten. Aber ich sollte wissen, dass und welche Daten ich mit dem Arzt geteilt habe und auch, dass ich diese Daten vom Arzt zurückziehen kann, wenn mein Urlaub vorbei und ich wieder zu Hause bin.

Wie funktioniert das in der Praxis?
Hier kommt die Blockchain ins Spiel. Diese Daten sind vielleicht in meinem Hauptaccount gespeichert und über mehrere Geräte verteilt. Nach Bedarf kann ich die Daten teilen. Andere, mit denen ich die Daten vorher geteilt habe, bestätigen deren Echtheit. Diese Bestätigungen werden dezentral gespeichert, nicht meine Daten selbst.

Wird es Bitcoin in fünf Jahren noch geben?
Es gibt auch Yahoo noch. Die Firma macht immer noch ein paar Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. Es ist nicht gesagt, dass Bitcoin und Co. verschwinden. Aber ich weiss nicht, was der Langzeitnutzen von Bitcoin sein wird. Es werden nicht alle Kyrptowährungen überleben.

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Als CTO des WEF haben Sie zwei Jahre in der Schweiz gelebt. Beobachten Sie das «Crypto Valley Zug»?
Faszinierend, ja. Die Unternehmen dort sind sehr fokussiert auf Kryptowährungen, auch wenn es Vorstösse gibt, um Landrechte und Bürgerregistrierung anzugehen. Es ist interessant, Regierungen im Wettbewerb darum zu sehen, wer die beste Umgebung für den boomenden Blockchain-Sektor bietet.

Sehen Sie die Schweiz in Sachen Blockchain auf einem guten Weg?
Die Schweiz hat den Vorteil des kantonalen Systems, das sehr viele Entscheidungen auf lokaler Ebene möglich macht. In den USA haben wir das nicht in der gleichen Weise. Wir haben etwa die «Illinois Blockchain Initiative», diese organisiert Blockchain auf einer Bundesstaaten-Ebene, bis hinunter zu Gemeinde und Stadt, auch Geburtsurkunden, Landurkunden und so weiter. In Dubai wiederum hat der Kronprinz angekündigt, dass bis 2021 jede Regierungsfunktion auf der Blockchain angesiedelt sein sollte, die dort sinnvoll wäre. Das ist gut, macht aber zugleich auch deutlich, warum Projekte mit nationalen digitalen Identitäten sauber aufgesetzt sein müssen.

Wird Zug ein Hub für Blockchain sein?
Hub für Blockchain ist ein Widerspruch in sich.

Aber auch das globalisierte Internet hat sein Zentrum der Innovation mehr als 20 Jahre lang im Silicon Valley gehabt.
Das kann ich sagen: Die kommende Welle der Technologieentwicklung wird nicht vom Silicon Valley geprägt werden. Das Silicon Valley ist zu voll mit Firmen, die der Nabel der Welt sein wollen. Viele Firmen im Silicon Valley haben einen Blindspot, wenn es um Blockchain geht.

Das heisst?
Tech-Riesen wie Google, Amazon oder Facebook werden Blockchain ohne Zweifel aufgreifen und daraus Business Modelle generieren können. Ich denke aber, dass das Innerste von Blockchain - als dezentralisierte Technologie - ihre Marktmacht schmälern wird.

Was braucht es, damit die Tech-Konzernen Blockchain aufgreifen? Alles noch zu früh?
Für Konzerne wie Google oder Amazon ist es das sicherlich nicht. Sie sind sehr gut darin, neue Technologien zu adaptieren. Sie haben auch verstanden, wie Cloud Computing funktioniert und welches Potenzial es hat. Und hier gibt es viele direkte Anknüpfungspunkte - Blockchain zum Beispiel als Cloud Service anzuwenden. Zu sagen, wir übernehmen die komplette Infrastruktur für euch, gegen eine Gebühr. Das ist ein sehr offensichtliches Business Modell.

Warum dann die Zurückhaltung bisher?
Viel im Bereich der Blockchain ist B2B-Integration, davon haben sich die Tech-Riesen immer ferngehalten. Die aktuellen Themen treffen eher, was Accenture macht oder eine Startup-Beratung als das Hochmargen-Geschäft von Google und Co. Sie würden Partner brauchen, um Blockchain-Projekte zu lancieren. Das mag einer der Gründe für die Zurückhaltung sein.

Wenn Sie heute mit jungen Gründern in Zug sprächen, was wäre Ihr Tipp?
Holt euch Kapital, wo ihr es bekommen könnt. Aber seid ehrlich mit euch selbst und euren Investoren und haltet nach langfristiger Wertentwicklung Ausschau. Lasst euch nicht ablenken durch die Idee, dass ICOs in grossen Profiten münden. Letztlich geht es um die klassische Frage für Startups: Was macht euch einzigartig? Was bietet ihrer anderes als alle anderen? Was braucht der Kunde? Ist Blockchain die richtige Technologie dafür und in welchem Zeitrahmen? Versucht, praxisorientiert bei dem zu sein, was ihr aufbaut. Man kann auch die richtige Idee haben, nur eine Generation zu früh.