Als sich die beiden Männer das letzte Mal trafen vor dem Unglück, gab es keine Signale. IWF-Chefin Christine Lagarde war an diesem 7. Mai zu einem Vortrag an die Universität Zürich gekommen, und das hatte nicht nur die üblichen Globalisierungsgegner zur Demonstration inspiriert, sondern auch die Schweizer Wirtschaftselite angelockt. Nach dem Vortrag empfing die IWF-Chefin zum Diner im Zürcher Nobelhotel Baur au Lac. Mit dabei: Urs Rohner, seit einem Jahr VR-Präsident der Credit Suisse, und Thomas Jordan, gerade zweieinhalb Wochen zuvor zum regulären Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gekürt.

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Die beiden kannten sich gut. Elf lange Monate rangen sie in der Too-big-to-fail-Kommission des Bundes über die neuen Kapitalvorschriften für UBS und CS. Zwar pflegte Rohner zum gestürzten Jordan-Vorgänger Philipp Hildebrand ein engeres Verhältnis. Doch auch mit Jordan war er per Du. Man tauschte sich aus.

Doch es gab keinerlei Hinweise von Jordan, dass sich in der SNB ein Sturm gegen die zweitgrösste Schweizer Bank zusammenbrauen würde. Seine Mitarbeiter im zweiten Departement, das der Romand Jean-Pierre Danthine gerade erst von ihm übernommen hatte, feilten bereits an der wichtigsten Publikation des Hauses, welche die SNB stets im Juni veröffentlicht: dem 25-seitigen Bericht zur Finanzstabilität. Und der sollte für die CS einen bösen Befund mit einer noch böseren Forderung bringen: Ihr habt zu wenig hartes Eigenkapital – und ihr müsst bis Ende Jahr mehr davon aufbauen. Sogar das Schreckenswort, das Banker gemeinhin selbst unter Androhung der Todesstrafe nicht in den Mund nehmen, sollte darin erscheinen: Kapitalerhöhung. Denn es ist eine Garantie für den Sturz der Aktie, von der auch das Topmanagement viele in den Depots hält. So kam es dann auch: Mehr als zehn Prozent rauschte der Titel am Tag der Veröffentlichung nach unten, mehr als zwei Milliarden Franken Börsenwert verdampften.

Die Attacke trifft die CS im Mark, nicht nur wegen des Angriffs auf den schon zuvor dramatisch eingebrochenen Kurs. Vor allem zerstörte sie das in den letzten Jahren aufgebaute Image: Wir sind der Musterschüler der Regulierung. Der Hauptgrund für den darbenden Aktienkurs, so das Mantra von Konzernchef Brady Dougan, sei die mangelhafte Umsetzung der neuen Basel-III-Vorschriften durch die Konkurrenten. Diese glaubten noch immer an eine Verwässerung, und der Markt teile diese Einschätzung. Die CS dagegen habe alle Vorschriften als erste Bank der Welt umgesetzt, und wenn auch die Rivalen das tun müssten, würde der CS-Kurs automatisch steigen. Dougan bot sogar Wetten an, dass die Amerikaner bis 2013 die neuen Basel-III-Regeln anwenden würden. Er war der einzige Bankchef der Welt, der die Umsetzung scharfer Vorschriften herbeisehnte.

CEO auf Abruf. Und nun musste er sich von der eigenen Nationalbank anhören, dass seine Bank zu wenig Kapital habe. Schon vorher stiessen die Durchhalteparolen des asketischen Banklenkers bei der Belegschaft zunehmend auf Missmut, doch jetzt stahl ihm die Aufsichtsbehörde seine Börsenstory – und machte ihn damit endgültig zum CEO auf Abruf. Wie erschüttert er war, zeigt sein Gegenangriff. «Ich bin enttäuscht von der Nationalbank», schäumte er in der «SonntagsZeitung» und brach damit mit seinem ehernen Grundsatz, nie auf Konfrontationskurs mit den Regulatoren zu gehen. Dass Oswald Grübel als UBS-Chef oder J.P.-Morgan-Lenker Jamie Dimon offen gegen schärfere Vorschriften wetterten, hatte Dougan immer für einen grossen Fehler gehalten – einen Krieg, der nicht zu gewinnen war. Doch jetzt zog er selbst in den Krieg. Er habe den «Revolver am Kopf», titelte das «Wall Steet Journal», und diese Schlagzeile trifft den Amerikaner, der in der Finanzwelt bisher ein gutes Image genossen hat, stärker als die Frage des «Blicks» auf der Titelseite: «Ist die CS noch sicher?»

Auch für Urs Rohner ist die Attacke schmerzlich. Der Bericht der SNB beförderte ihn auf einen Schlag vom Musterschüler zum Prügelknaben. Während andere Banken noch ums Überleben kämpften, positionierte sich die CS mit ihren Pflichtwandelanleihen namens Cocos als Pionier der globalen Regulierung. Rohner persönlich überzeugte Jordan in der Expertenkommission vor zwei Jahren von diesem neuen Instrument, von dem die UBS nichts wissen wollte, und die SNB lobte die CS mehrfach ausdrücklich für diese Unterstützung. Selbst international trat Rohner als Pionier auf: Beim Bankenverband IIF leitete er eine Arbeitsgruppe zur Regulierung und warb auch dort für die Cocos. Da mag der Verwaltungsrat zwar ausdrücklich Dougan das Vertrauen aussprechen: Für die Kapitalausstattung war er mindestens genauso verantwortlich.

Doch den Schaden hat nicht nur die CS. Auch die SNB muss sich Fragen gefallen lassen. Es stärkt das Ansehen des Finanzplatzes nicht, wenn die für die Stabilität verantwortliche Institution mit einem Schlag mehr als zwei Milliarden Franken Börsenwert vernichtet. Dass die Währungshüter von einer Überreaktion des Marktes sprechen, offenbart nicht gerade ausgeprägtes Marktgespür. Und vor allem: Wenn die Nationalbank aufgrund des neuen Euro-Sturms das von ihr selbst verabschiedete Regelwerk plötzlich als zu lax empfindet: Hätte sie das nicht den Grossbanken, vor allem der CS, vorab mitteilen können? Auch ist es sicher keine Glanzleistung, dass Journalisten vor der CS informiert wurden – und die Börse deshalb jetzt sogar eine Untersuchung wegen Insidergeschäften prüft.

SNB unter Druck. Wie konnte es so weit kommen? In den letzten Jahren war der SNB wiederholt vorgeworfen worden, in ihren Aussagen nicht klar genug zu sein und nicht deutlich genug vor der Krise gewarnt zu haben. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats kritisierte das Kommunikationsverhalten explizit. Zudem stand die SNB nach den Tumulten der letzten Monate unter extremem Druck, alles besonders gut zu machen. Jordan, der neue Präsident, wurde vom Bundesrat völlig unnötig über zwei Monate hingehalten, bevor er Mitte April endgültig bestimmt wurde. Der neue Vizepräsident Danthine hatte heikle Devisengeschäfte getätigt, woraufhin die SVP seinen Rücktritt forderte – das alles in einer der heikelsten Phasen der SNB-Geschichte, in der die Währungshüter den Mindestkurs von 1.20 Franken zum Euro verteidigen mussten.

Im zweiten Departement in Bern, das den Bericht zur Finanzstabilität erstellt, herrschte jedoch Kontinuität. Zwar ist Danthine bereits der dritte Chef in zweieinhalb Jahren, und er hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt kaum mit Bankenregulierung befasst. Doch die Abteilung Finanzstabilität war stabil: Geleitet wird sie seit 2002 von Bertrand Rime, seine Stellvertreter Jürg Blum, verantwortlich für systemrelevante Banken, und Robert Bichsel, verantwortlich für das Bankensystem, sind seit mehr als zehn Jahren dabei. Blum und Bichsel gelten als Verfechter einer harten Linie gegenüber den Grossbanken. Schon 2001 forderten sie im Quartalsheft der SNB, dass die Grossbanken mit einer ungewichteten Eigenkapitalquote von drei Prozent als «unterkapitalisiert» eingestuft werden müssten, und 2005 kritisierten sie die international vorherrschende Praxis der risikogewichteten Eigenkapitalausstattung scharf.

Doch bis dahin hatten sich bei der Formulierung die Hardliner nicht durchsetzen können. Zwar wurde etwa 2010 der UBS bescheinigt, die Erholung der Profitabilität sei bei ihr «in besonderem Masse» nicht sehr wahrscheinlich, worauf die Grossbank bei der SNB eine Erklärung einforderte, zumal sie wenige Tage später das beste Halbjahresresultat seit Ausbruch der Finanzkrise verkündete. Doch bei den so sensiblen Passagen zur Eigenkapitaldeckung wurden UBS und CS im Gleichschritt erwähnt. Beide Grossbanken sollten «gut in der Lage sein, das zusätzlich nötige Kapital aufzubauen», hiess es im Juni 2011. Jordan, damals selbst noch Vorsteher des zweiten Departements, sprach noch im Dezember 2011 davon, dass beide Grossbanken durch die Beschleunigung der Reduktion ihrer Risiken «ihre Kapitalsituation rasch und substanziell verbessern» könnten. Von Dividendenverzicht oder gar einer Kapitalerhöhung war nirgends die Rede. Seitdem hat sich die Kapitalsituation der CS sogar verbessert. Dennoch wurde die Grossbank zum Prügelknaben.

Zeichen gesetzt. Denn diesmal setzten sich die Hardliner durch – mit bewusster Billigung des Führungsduos. Jordan und Danthine wollten ein Zeichen setzen. Sie diskutierten die Wortwahl, die ihnen von Rime und Blum vorgelegt wurde, intensiv im Direktorium und entschieden sich ganz bewusst dazu, die CS einzeln herauszugreifen und ihr die Forderung – Aufbau von hartem Kapital bis Ende Jahr – nicht vorab mitzuteilen. Wir sind die Schweizerische Nationalbank, so das neue Selbstbewusstein, wir verhandeln nicht über unsere Positionen.

Warum diese Verschärfung? Der Wunsch, nach den Turbulenzen im eigenen Haus als besonders durchsetzungsstark dazustehen, dürfte eine zentrale Rolle gespielt haben. Dazu kam die Verdüsterung der Wirtschaftslage durch die heftige Rückkehr der Eurokrise: Auf einmal stand die CS mit ihrer Strategie, eher auf hybrides Kapital als auf hartes Eigenkapital zu setzen, als überholt da (siehe «Hochwertiges statt Cocos»).

Ende Mai war der Bericht fertig und wurde an die Finma geschickt, mit der Bitte um Stellungnahme. Die Regulierungsbehörde fügte mehrere Kommentare an. Laut einem Insider aus dem Umfeld der Finma soll sie auch vor der Marktrelevanz der Aussagen zur CS gewarnt haben. Offiziell bestätigt die Finma das nicht. Fakt ist: Die heiklen Forderungen im Bericht wurden nicht gestrichen.

Am 7.  Juni trafen sich Jordan und Danthine mit der CS-Spitze zu ihrer turnusgemässen Lagebesprechung, die alle sechs Monate stattfindet. Dougan und Risikochef Tobias Guldimann waren dabei, Rohner musste passen, weil er in Kopenhagen an einem IIF-Treffen teilnahm. Jordan und Danthine hielten sich strikt an ihre Absprache, die CS-Manager über die konkreten Forderungen nicht vorab zu informieren. Sie teilten den CS-Männern aber unmissverständlich mit, dass die Grossbank ihre Kapitalbasis stärken müsse.

Am Montag, dem 11.  Juni, folgte der traditionelle Presselunch der SNB. Seit 2008 informiert die SNB drei Arbeitstage vor der Veröffentlichung ihres Berichts ausgewählte Journalisten, um ihnen einen besseren Einblick in die sehr technische Materie zu geben. Der stellvertretende Direktor Jürg Blum referierte und teilte den mehr als 30 Journalisten im Zürcher Zunfthaus zur Waag unverblümt mit, dass die SNB der CS noch in diesem Jahr eine Aufstockung des Eigenkapitals empfehle. Das Schreckenswort der Kapitalerhöhung war im Umlauf. Die CS wusste noch immer von nichts. Die SNB händigte den Journalisten den Bericht allerdings nicht aus, sondern verschickte ihn abends mit der Post. Die Grossbanken bekamen ihn am nächsten Morgen per E-Mail zugestellt.

Doch bei der CS harzte es an diesem Dienstag mit dem Postempfang: Der zuständige Mitarbeiter im Rechtsdienst war nicht im Büro. CS-Chef Dougan hörte deshalb erstmals bei einem Hintergrundgespräch mit einem «NZZ am Sonntag»-Journalisten am Dienstagmorgen von den brisanten SNB-Forderungen. Erst am Mittwochmorgen lag der CS das SNB-Papier vor. Rohner traf sich an diesem Tag zu einem Lunch mit dem neuen UBS-Präsidenten Axel Weber, und auch der langjährige Chef der Deutschen Bundesbank soll überrascht gewesen sein, dass seine ehemaligen Kollegen von der SNB so explizite Forderungen an ein einzelnes Institut richteten. Am Mittwochnachmittag informierte die Bank ihre Schlüsselmitarbeiter über den Bericht, den Jordan und Danthine am nächsten Tag im Rahmen ihres alljährlichen Mediengesprächs präsentierten.

Nachdem die CS-Aktie um zehn Prozent eingebrochen war, rief Urs Rohner noch am selben Tag Thomas Jordan an. Sie verabredeten sich zu einem Treffen. Am Samstag fand sich Rohner im holzgetäfelten Büro des SNB-Präsidenten im dritten Stock an der Zürcher Börsenstrasse ein. Es war das erste Treffen der beiden Männer seit dem Diner mit Christine Lagarde sechs Wochen zuvor. Jordan soll von einer Überreaktion des Marktes gesprochen und klargemacht haben, dass die SNB keine Attacke gegen die CS reite. Rohner soll die Kommunikation als unwürdig kritisiert und der SNB-Führung mangelndes Marktgespür vorgeworfen haben. Am Sonntag erschien dann das Trotz-Interview von Dougan mit der klaren Absage an die SNB-Forderungen: nein zur Dividendenaussetzung, nein zur Kapitalerhöhung.

Doch das wird nicht reichen. Denn an ihrer Kernaussage, dass die CS zu wenig hartes Eigenkapital habe, hält die SNB unverrückbar fest. Die Aktie ist mit einem Kurs von unter 20 Franken weiter dramatisch tief bewertet. Für die CS besonders hart: Sie hat Dividenden gezahlt und auf eine Kapitalerhöhung verzichtet, um den Kurs zu pflegen. Doch die Aktie sank stärker als diejenige der UBS, die ihre Dividende einbehielt. Selbst das Argument, dass die CS-Aktie seit Beginn der Finanzkrise nicht so schlecht gelaufen sei, überzeugt nicht: Andere Gewinner der Finanzkrise wie J.P. Morgan oder Goldman Sachs liegen teilweise deutlich besser (siehe Grafik unter 'Downloads'). Selbst hochrangige Manager räumen ein, dass die CS die Krise schlecht genutzt habe.

Die UBS ist wieder die klare Nummer eins im Land. Die CS kämpft nicht nur mit der amerikanischen Justiz im Steuerstreit, sondern auch mit ihrem chronischen Kostenproblem. Jetzt kann sie sich nicht einmal mehr brüsten, Musterknabe der Regulierung zu sein. Auch ihre Managementdecke ist dünn: Dass die zentralen Bereiche Private Banking und Schweiz von demselben Manager – Hans-Ulrich Meister – geleitet werden, spricht nicht gerade für einen gut gefüllten Talentpool. Und schliesslich ist auch das Eigenkapital-Problem ein Déjà-vu-Erlebnis: Schon unter Rainer E. Gut, dem Baumeister der heutigen CS, galt die Bank in den achtziger und neunziger Jahren als unterkapitalisiert.

Kapitalerhöhung. Wie weiter? Zwar gilt es als wahrscheinlich, dass die Pflichtwandelanleihe der Grossinvestoren Qatar Holding und Olayan Group über 5,6 Milliarden Franken, die für Oktober 2013 geplant war, um ein Jahr vorgezogen wird. Doch das löst das Problem nicht. «Die Investoren würden wohl reines Kernkapital vorziehen», betont Morgan-Stanley-Analyst Huw van Steenis. Er geht davon aus, dass die CS im nächsten Jahr ihre Dividende aussetzen wird – und schliesst eine Kapitalerhöhung nicht aus.

Doch auch die SNB wird ihre Kommunikation überdenken müssen. Sie hat selbst bewiesen, dass es auch anders geht. Im März 2009 forderte sie die UBS zur Erhöhung des Eigenkapitals auf, was zum widerwilligen Verkauf der brasilianischen Pactual führte. Die Diskussion darüber wurde nicht vor grossem Publikum ausgetragen. Vor einer möglichen Immobilienblase kann die SNB nur öffentlich warnen. Doch die speziellen Probleme eines einzelnen Instituts müssen nicht auf dem Marktplatz ausgebreitet werden.

Zwar geben sich beide Seiten versöhnlich. Doch der nächste Clash ist programmiert. Die SNB hat die CS aufgefordert, ihre Kapitalausstattung wie die UBS gemäss den neuen Basel-III-Regeln auszuweisen, obwohl diese erst 2019 voll in Kraft treten. Man lasse sich von der SNB nicht die Rechnungsstandards vorschreiben, hallt es von der CS trotzig zurück. Der nächste Quartalsbericht erscheint am 26. Juli. Einer wird verlieren.

Dirk Schütz
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Erik Nolmans
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