Beim Thema «Sparquote» haben die Vereinigten Staaten und China das genau entgegengesetzte Problem. Die beiden Platzhirsche der globalen Wirtschaft könnten hinsichtlich ihrer Position in puncto Sparen gegensätzlicher nicht sein. Während die knausrigen Chinesen das Sparen bis zum Exzess getrieben haben, häuften die ausgabefreudigen Amerikaner gewaltige Schuldenberge an. Keine dieser Haltungen ist auf Dauer wünschenswert, da sie zur Destabilisierung von Volkswirtschaft und Politik in beiden Ländern führen. Eine bessere Balance tut vielmehr Not: China muss den Konsum und die Binnennachfrage ankurbeln, die USA müssen zügig ihren Kaufrausch einschränken und die Kunst des Sparens neu erlernen.

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Die Zahlen lassen wenig Zweifel an der gegensätzlichen Sparphilosophie beider Volkswirtschaften: Allein im vergangenen Jahr legte die Volksrepublik China rund die Hälfte ihres Bruttosozialprodukts auf die hohe Kante (rund 1,1 Billionen Dollar). Die USA dagegen sparten nur 13 Prozent (rund 1,6 Billionen Dollar). Mit anderen Worten: Die einzig verbliebene Supermacht, deren Volkswirtschaft ungefähr sechsmal so gross ist wie die Chinas, konnte nicht einmal doppelt so viel Rücklagen schaffen wie der ökonomische Aufsteiger aus Fernost.

Bei den privaten Haushalten zeigt sich die Situation noch dramatischer: Unter Chinas Bürgern lag die Sparquote im vergangenen Jahr bei über 30 Prozent, so hoch wie seit Einleitung der Wirtschaftsreformen vor 28 Jahren nicht; in den USA dagegen wurde 2005 gar nicht gespart (–0,4 Prozent). Noch nie seit den dunkelsten Tagen der Depression im Jahre 1933 haben amerikanische Verbraucher so wenig (beziehungsweise gar nichts) auf die hohe Kante gelegt. Ähnlich gross ist die Schere, betrachtet man den Anteil des privaten Konsums am Bruttoinlandprodukt, dem Spiegelbild der privaten Sparquote: Hier erreichten die USA seit Anfang des Jahres 2002 die Rekordquote von 71 Prozent, während der private Konsum in China im Jahre 2005 gerade mal 50 Prozent ausmachte.

In China wird das Wachstum mehrheitlich durch Investitionen und Exporte erzeugt. Beide Bereiche machen mehr als 75 Prozent des Bruttosozialprodukts aus, beide wachsen mit 25 Prozent pro Jahr. Dieses Wachstumsmodell aus hoher Sparquote und Auslandinvestitionen ist auf Dauer aber nicht tragfähig. Eine weitere Erhöhung des Exportüberschusses könnte schnell zu protektionistischen Reaktionen auf Seiten der Handelspartner führen. In Washington sind heute schon deutliche Tendenzen in diese Richtung zu spüren. Mehr noch: Ein weiterer Anstieg chinesischer Investitionen könnte irgendwann zu einer Deflation im eigenen Land führen.

Die niedrige Sparquote in den USA ist ihrerseits von vergleichbarer Brisanz. Die amerikanischen Verbraucher haben die rasante Wertsteigerung ihrer Immobilien in den vergangenen Jahren mit Sparen verwechselt. Angesichts eines nur schwachen Wachstums am Arbeitsmarkt – die tatsächlichen Lohnsteigerungen im privaten Sektor sind im Vergleich zu vergangenen Wirtschaftszyklen um 360 Milliarden Dollar zurückgefallen – haben sich die Amerikaner mehrheitlich auf die Refinanzierung ihres Wohneigentums verlassen, um ihren Konsum weiter finanzieren zu können. Die Beleihung der eigenen vier Wände hat dabei nie zuvor erlebte Höhen erreicht – sowohl im Hinblick auf den Anteil am privaten Einkommen als auch auf die Zinsen, die Amerikaner zur Bedienung dieser Kredite aufbringen müssen.

Amerikas geringe Sparquote hat zu einer einmaligen Abhängigkeit vom Rest der Welt geführt, weil die USA darauf angewiesen sind, dass andere Länder mit den im Export verdienten Dollars US-Anleihen kaufen und so den Konsum und das US-Budgetdefizit finanzieren. Amerikas Defizit stieg im vergangenen Jahr denn auch auf das Rekordniveau von 6,5 Prozent des Bruttosozialproduktes und könnte in diesem Jahr leicht die 7-Prozent-Marke überschreiten. Übersetzt heisst das: Die Amerikaner hängen am Tropf ausländischer Investitionen in Höhe von drei Milliarden Dollar pro Tag.

Das aber ist die heimtückische Seite der unterschiedlichen Sparmentalität in China und den Vereinigten Staaten: Die chinesischen Sparer finanzieren letztlich den Kaufrausch von Amerikas Verbrauchern. Um seine auf Export basierende Wirtschaft auf Wachstumskurs zu halten, hat China sich zu einer Politik der Fixierung des Wechselkurses an den Dollar entschieden. Und muss dabei ständig grosse Teile seines Sparvermögens in Dollaranleihen stecken – eine Investitionsstrategie, die Amerika hilft, die Zinsen niedrig zu halten, was wiederum den zinssensiblen amerikanischen Immobilienmarkt lange Zeit nach oben getrieben hat.

Die Situation ist aber nicht nur gefährlich für die USA, sondern auch zunehmend riskant für China, weil sie zu einer gewaltigen Kreditexpansion geführt hat. Diese zusätzliche Liquidität schwappt langsam in das chinesische Finanzsystem über und führt zu gefährlichen Spekulationsblasen wie beispielsweise heute schon im Immobilienmarkt in küstennahen Regionen. Gleichzeitig setzt sich China der potenziellen Gefahr einer scharfen Abwertung seines Anleihenportfolios aus, sollte es irgendwann zu einer drastischen Abwertung des Greenback kommen.

Es kann nicht im Interesse beider Länder sein, auf dem jetzigen Kurs zu verharren. Im Gegenteil: Die Rollen müssen schleunigst getauscht werden. Die US-Bürger müssten mehr sparen und weniger ausgeben. Und Chinas Verbraucher mehr konsumieren. Das stellt eine gewaltige Herausforderung an die politische Führung beider Länder dar, ist aber immer noch besser als die zunehmend bedrohlichen Alternativen.

Die amerikanische Regierung muss alles daransetzen, ihre Bürger zu einer vermehrten Sparfreude zu bewegen. Die Einführung einer nationalen Verbrauchssteuer wäre ein entscheidender Schritt und das effektivste Rezept (vorausgesetzt, dass Ausnahmeregeln für Familien mit geringem oder moderatem Einkommen geschaffen werden). Es würde die Binnennachfrage drosseln, die Sparquote erhöhen und helfen, das Haushaltsdefizit zu senken. Leider gibt es wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich Washington in absehbarer Zeit zu einer Politik des Sparens durchringen könnte. Das Haushaltsdefizit schwillt derweil weiter munter an. Und der Mangel an politischer Unterstützung für eine nachhaltige Steuerreform dämpft jegliche Hoffnung auf einen baldigen Durchbruch.

Auch in China bedarf es durchgreifender politischer Initiativen, hier allerdings um die Binnennachfrage anzukurbeln. Gefragt sind Vorstösse an zwei Fronten: zum einen die Etablierung eines sozialen Sicherungsnetzes, um der allgemeinen Verunsicherung im Zuge weiterer Privatisierungen von Staatsunternehmen gegenzusteuern; zum anderen die Schaffung neuer Jobs insbesondere im noch unterentwickelten Servicesektor, um die private Kaufkraft weiter zu stärken.

Tatsächlich scheint es sich die chinesische Führung zur Aufgabe gemacht zu haben, das Wachstumsmodell in Richtung des privaten Konsums zu verschieben. Pilotprojekte für ein allgemeines Sozialversicherungssystem sind bereits in Gang gesetzt worden. Im Zuge des Beitritts Chinas zur WTO dürfte die Öffnung des Servicesektors für ausländische Investoren – insbesondere in Bereichen wie Handel und Versicherungen – in den kommenden drei bis fünf Jahren für die Schaffung weiterer Arbeitsplätze sorgen.

Chinas politischer Wille zur Veränderung steht indes in scharfem Kontrast zu Washingtons scheinbarer Gleichgültigkeit gegenüber jeglicher Förderung der privaten Sparquote. Das ist Besorgnis erregend. Denn sollten Chinas angehäufte Sparguthaben zunehmend in den privaten Konsum fliessen, wird das Land über weniger überschüssiges Kapital verfügen, um Amerikas Versäumnisse beim Sparen zu finanzieren. Mit anderen Worten: China würde den Kaufrausch der amerikanischen Verbraucher nicht weiter alimentieren. Das dürfte die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung des US-Dollars und der amerikanischen Wirtschaft erhöhen, mit schlimmen Folgen für eine immer noch an den USA orientierte Weltwirtschaft. Die USA und China müssen ihre Sparinitiativen umsetzen, ehe es für beide zu spät ist – zum Wohle der restlichen Welt.