Am 2. August hatte Sunrise-Chef Kim Frimer endlich die Erfolgsmeldung, die er so dringend benötigte. «Bedeutende operative Verbesserungen» konnte er für das zweite Quartal verkünden, «steigende Kundenzahlen und Einnahmen» vermelden und schliesslich resümieren: «Die Fusion von Sunrise und Diax ist ein Erfolg.» Die Zahlen mögen ihm Recht geben: Das Finanzergebnis von Sunrise fiel besser aus als erwartet. Zudem bekommt Frimer die aufgeblähten Kosten des Unternehmens in den Griff: Bereits im letzten Quartal dieses Jahres will Sunrise schwarze Zahlen schreiben (auf Ebitda-Basis). Bemerkenswert schnell und entschlossen hat Frimer die einstigen Konkurrenten Sunrise und Diax zur neuen Sunrise zusammengeführt, der unbestrittenen Nummer zwei auf dem Schweizer Telekommarkt. Doch so gut das Ergebnis auf dem Papier auch aussieht – hinter den Kulissen herrscht nach dem monatelangem Gerangel um Strukturen und Strategien die grosse Frustration. Denn Kim Frimer und seine dänische Crew haben mit ihren unzimperlichen Methoden in dem Schweizer Unternehmen verbrannte Erde hinterlassen. Die Folge: Wichtige Leistungsträger haben die neue Sunrise verlassen, zahllose weitere Mitarbeiter sind auf dem Absprung. «Der Geist des Unternehmens ist tot», wie es ein Kadermann ausdrückt.

Das Zusammengehen der beiden Telcos stand von Anfang an unter einem schlechten Stern: Unter dem Zeitdruck der UMTS-Auktion mussten die Fusion und der anschliessende Mehrheitsverkauf an Tele Danmark in nur drei Wochen durchgepeitscht werden. Strategie, Struktur und der Businessplan des neuen Unternehmens, die entscheidenden Eckpfeiler eines jeden Fusionsprozesses, konnten dabei nicht mehr rechtzeitig geklärt werden. Nicht einmal der Name und die Positionierung des zweitgrössten Schweizer Carriers waren bekannt, als Tele-Danmark-Chef Henning Dyremose am 14. November den Zusammenschluss verkündete.

Noch gravierender war freilich die Tatsache, dass der designierte CEO, Ex-Sunrise-Chef Urs Fischer, nur einen Monat später den Bettel hinwarf und zu Ascom wechselte. Stephan Howeg, Kommunikationschef und damit für die interne Abwicklung der Fusion eine Schlüsselfigur, ging gleich mit. Kaum aus der Taufe gehoben, stand das neue Unternehmen führungs- und konzeptlos da. «Eine denkbar schlechte Ausgangssituation für die Bewältigung der Integration», sagt ein Unternehmensberater.

Bereits einen Monat im Verzug, konnte Tele Danmark nicht lange nach Ersatz suchen: Eine Woche nach Fischers Abgang wurde Kim Frimer, der das Unternehmen bereits von 1997 bis 1998 interimistisch geleitet hatte, als neuer CEO präsentiert. Auch die neue Unternehmensstruktur gab ihm Tele Danmark gleich mit auf den Weg. Frimer verlor keine Zeit: Nach zwei Wochen hatte er die Mitglieder der Geschäftsleitung bestimmt, die zweite Ebene war einen Monat später besetzt. Auch die neuen unternehmensinternen Abläufe hat er rasch neu definiert. «Wie aus dem Lehrbuch», beurteilt ein ehemaliger Kadermann die Geschwindigkeit, mit der die Fusion Gestalt annahm.

Als wenig lehrbuchhaft empfinden die Mitarbeiter hingegen die menschliche und kulturelle Abwicklung der Fusion. Denn das Management vernachlässigte sträflich die weichen Faktoren. Etwa die goldene Regel, dass sich bei einem Zusammenschluss keine Seite als Verlierer vorkommen darf. Denn was offiziell als «Fusion unter Gleichen» angekündigt war, endete als faktische Übernahme von Diax durch Sunrise. In der fünfköpfigen engeren Geschäftsleitung sitzen nur Sunrise- und Tele-Danmark-Vertreter; die Diax-Manager müssen sich mit Stabsstellen begnügen. Jean-Jacques Vouga, seit Unternehmensgründung die treibende Kraft hinter der Diax-Mobilfunksparte, wurde gar zum interimistischen Leiter des Rechtsdienstes degradiert (er hat das Unternehmen inzwischen verlassen).

«Das Diax-Management zählte plötzlich nichts mehr», sagt einer, der selbst als Nonvaleur behandelt wurde und daraufhin dem Unternehmen ebenfalls den Rücken kehrte. Zwei der drei in der erweiterten Geschäftsleitung verbliebenen Diaxler, nämlich Personalleiter Markus Zürni und Kommunikationschefin Monika Walser, rutschten gar nur in ihre Position, weil die eigentlich dafür vorgesehenen Sunrise-Leute vorzogen, das Unternehmen zu verlassen.

CEO Kim Frimer selbst hat bei der Diax-Belegschaft, speziell in der Mobilfunkabteilung, ein Glaubwürdigkeitsproblem. Führte er doch das Sunrise-Team an, das sich 1998 um die GSM-Mobilfunklizenz bewarb und Diax unterlag. Nun soll der damalige Verlierer den Gewinnern sagen, was Sache ist. Schlimmer noch, der trockene Däne tat nach Amtsantritt alles, um seine Akzeptanz weiter zu unterminieren. «Mein Name ist Kim Frimer, ich bin der Boss, und Sie müssen mich akzeptieren!» Mit diesen wenig gewinnenden Worten stellte er sich beim ersten Mitarbeitertreffen vor.

Noch fataler war die Get-together-Party, die Frimer Ende März für die beiden Fusionspartner veranstaltete. Nicht nur organisatorisch gab sie ein schlechtes Bild des neuen Managements ab. Vor allem zwei Videofilme erregten die Gemüter. Der eine zeigte eine Schildkröte, zerquetscht und in einer Blutlache liegend, mit dem Swisscom-Logo. Der zweite einen impotenten Jüngling, auf dessen Schlappschwanz ebenfalls der Name der Konkurrenz zu lesen war. «Ein oberpeinlicher Event» (ein Mitarbeiter), der Frimer massiv Sympathien kostete. Der will die Filme vorher nicht gesehen haben und distanziert sich im Nachhinein davon. «I was pissed off when I saw it», sagt er. «Das ist nicht unser Stil.»

Wie der neue Stil ausschauen sollte, war den Mitarbeitern allerdings lange Zeit nicht klar. Kaum an Bord, tauchte Frimer mit seiner Führungscrew während Wochen erst einmal unter. Mit seinen Mitarbeitern kommunizierte er fast ausschliesslich über E-Mail. «In einer solch kritischen Phase gehört der Kapitän auf Deck», kritisiert ein ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied, «doch da war Frimer nie zu sehen.» Für seine Untergebenen blieb der hagere Däne nicht greifbar. «Man sieht ihn nicht, man hört ihn nicht, man spürt ihn nicht», beschreibt es ein Mitarbeiter. Mit fatalen Folgen für die Motivation: Anfang November, nach Bekanntgabe der Fusion, herrschte Euphorie in beiden Lagern – als klare Nummer zwei wollte man den Schweizer Telekommarkt noch einmal so richtig aufmischen. Doch dann kam wenig aus dem neuen Hauptquartier in Rümlang.

«Innert weniger Wochen schlug die Stimmung unter den Mitarbeitern erst in Ratlosigkeit, dann in Depression um», sagt ein Kadermann. Erst im März, über ein Vierteljahr nach seiner Amtseinsetzung, begab sich Frimer auf Goodwilltour und klapperte die vierzig Standorte des Unternehmens ab. Rückblickend akzeptiert Frimer die Kritik. «Aber was sollen wir den Leuten auch mitteilen», sagt er, «wenn wir noch gar nicht entschieden haben?»

Doch auch die getroffenen Beschlüsse wurden bisweilen nur unzureichend kommuniziert. Peter Frauenknecht, IT-Chef der alten Sunrise, erfuhr erst auf Anfrage, dass seine Position im fusionierten Unternehmen von Diax-Rivale Marcel Walser übernommen werden sollte. Anderen Mitarbeitern, die jahrelang Unterschriftsberechtigung hatten, wurde diese Befugnis entzogen, ohne sie davon zu informieren. Trauriger Höhepunkt in einer Reihe von Pannen war jene Aktion im März, als Sunrise aus Angst vor Frustreaktionen Sicherheitsbeamte aufbot, um fünf entlassene Call-Center-Agenten am letzten Arbeitstag aus dem Büro zu führen. «Ein dummer Fehler, wir haben uns dafür entschuldigt», sagt Frimer.

Auch als Integrationsfigur ist Kim Frimer wenig geeignet. Er spricht weder Deutsch noch Französisch, sein Englisch ist geprägt von Nuscheln und Stottern, und er strahlt (im Gegensatz zu seinem Vorgänger Fischer) nicht jene Selbstsicherheit aus, die für eine Führungsfigur unerlässlich ist, um die eigene Mannschaft hinter sich zu scharen.

Die ist nach wie vor in zwei Lager gespalten. In jenen Bereichen, die von Diax-Mitarbeitern dominiert sind (wie die Personal- oder die Mobilfunkabteilung), lebt die alte Diax-Kultur weiter: Sie ist gekennzeichnet durch lockere, amerikanisch geprägte Umgangsformen, aber träge Hierarchien und ein nur wenig ausgeprägtes Kostendenken. Die Sunrise-Abteilungen (grosse Teile des Fixnetz- und Internetbereiches) gelten als schlank und effizient und sind in ihren Umgangsfomen geprägt von dem ehemaligen Grossaktionär British Telecom. Wie schnell es Frimer gelingt, daraus eine neue Kultur aufzubauen, wird für den Zusammenhalt des neuen Unternehmens essenziell sein. Das berüchtigte Beispiel in der Branche liefert Ascom, wo noch Jahre nach der Fusion die alten Zellweger-, Hasler- und Autophon-Kulturen weiterlebten. Keine leichte Aufgabe für die neue Sunrise-Crew: «Mit einem Topmanagement, das zu 80 Prozent aus Ausländern besteht, kann man in der Schweiz keine eigene Identität aufbauen», sagt ein Consultant. Noch unverblümter drückt es der CEO eines anderen grossen Schweizer Telekomunternehmens aus: «Einen Dänen da hineinzupflanzen, der wenig Verständnis für die Schweizer Kultur hat, war keine gute Idee.»

Tatsächlich führt Tele Danmark, die bislang kaum internationale Erfahrung hat, ihr grösstes Auslandsengagement an extrem kurzer Leine. Viele Entscheide werden direkt aus Kopenhagen vorgegeben. Deswegen hatte auch Urs Fischer das Unternehmen fluchtartig verlassen. «Hilfe, die erbracht wird, ohne angefordert worden zu sein, ist keine Hilfe, sondern Kontrolle», sagte er damals. Den Rest entscheidet das dänische Triumvirat (CEO Kim Frimer, Mobilfunkchef Gert Rieder, CFO Klaus Pedersen) an der Sunrise-Spitze häufig im Alleingang. Kritik wird kaum wahrgenommen. «Elfenbeinturm statt Kooperation», nennt es die ehemalige Personalchefin Beatrice Brack, «Teambildung ist denen fremd», sagt ein anderes Ex-Kadermitglied. Das ist für die langjährigen Mitarbeiter, die aus der Pionierphase gewohnt waren, selber Dinge bewegen zu können, besonders frustrierend. Frimer freilich bestreitet, einen autoritären Führungsstil zu haben. Er sieht die Ursache für diese Wahrnehmung im Zeitdruck und im unumgänglichen Stellenabbau (250 Entlassungen): «Vielleicht mögen deswegen manche denken, ich sei ein kaltes Ekel», sagt Frimer.

Erschwerend kommt hinzu, dass seit der Fusion in dem Unternehmen ein brutaler Kostendruck herrscht. «Sunrise wird jetzt fast ausschliesslich über die Finanzen geführt», sagt ein Kadermann. «Wir machen grössere Investitionen nicht deshalb, weil einer sagt, das ist eine gute Idee», sagt Frimer. «Er muss es uns erst durch einen Business-Case beweisen.» Dies und die fehlende Managementkapazität führten dazu, dass viele strategische Projekte erst einmal auf die lange Bank geschoben wurden (beispielsweise die Entwicklung von GPRS-Diensten für das mobile Internet) oder einen stillen Tod sterben (zum Beispiel WLL oder das internetbasierte Dienstleistungsangebot MPLS, der frühere Diax-Stolz). Frustriert haben deswegen nicht wenige Schlüsselpersonen das Unternehmen verlassen. «Kosten sparen war Sunrise wichtiger als der drohende Know-how-Abfluss», sagt ein ebenfalls abgewanderter Projektleiter. Erst jetzt beginnt sich Frimer wieder um die Zukunftsbereiche zu kümmern. Insgesamt 800 Millionen Franken will er heuer investieren, hauptsächlich ins GSM-Netz.

Dass die neue Sunrise-Crew beim Durchziehen der fusionsbedingten Reorganisation die weichen Faktoren sträflich vernachlässigte, hat Folgen: Die Personalfluktuation liegt immer noch bei gewaltigen 25 Prozent (im Dezember waren es sogar 30 Prozent). Viel zu hoch: «Mehr als 15 Prozent darf sie bei einem Carrier dieser Grösse nicht sein», sagt Jörg Halter, Consultant bei der Berner Telekomberatung IKI. Der gewaltige Braindrain des Unternehmens ist noch nicht ausgestanden: Bei Telefónica, die eine der vier Schweizer UMTS-Lizenzen ersteigert hat, sollen 200 wechselbereite Sunrise-Mitarbeiter bereits ihre Dossiers eingereicht haben. Übrig geblieben sind viele demotivierte, frustrierte Angestellte. Auf der Website www.exdiax.org, eigentlich als Kommunikationsforum für ehemalige Mitarbeiter eingerichtet, lassen sie ihrem Unmut freien Lauf: «Habe versagt im Kampf gegen die Management-Mafia», heisst es da, «The sun goes down», oder, in Anlehnung an den Werbespruch, «Diax, die schlechteste Wahl».

Sunrise ist kein Einzelfall: «Die kulturelle Integration und die menschlichen Faktoren werden bei einer Fusion häufig vernachlässigt», sagt Andreas Hürlimann, Schweizer Chef des Telekombereichs bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little. «Die Folgen davon zeigen sich erst langfristig.» Frimer ist sich der Versäumnisse bewusst. «Ich hätte gerne mehr auf die menschlichen Aspekte geachtet», antwortet er auf die Frage, ob er im Integrationsprozess Fehler begangen habe. Zu spät. Immerhin ist zu erwarten, dass die letzten wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen einen Ruck durch die Belegschaft gehen lassen. Sunrise wird ihn brauchen, um seine Vergangenheit hinter sich lassen zu können.
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