Liebe Leserinnen und Leser

Als der zweite Teil von André Dosés Tagebuch am 10. September per E-Mail auf der
BILANZ-Redaktion eintrifft, sticht mir ein Satz ins Auge: «Unter vier Augen», steht da geschrieben, «ohne irgendjemandem etwas davon zu sagen, begannen Pieter Bouw und ich deshalb im Dezember 2002 ein Alternativszenario zu einem Allianzbeitritt zu diskutieren: den Verkauf von Swiss.» Dies bedeutet: Acht Monate nach dem Take-off der Swiss haben die Spitzenverantwortlichen das mit 2,7 Milliarden Franken Eigenkapital ausgestattete Projekt bereits aufgegeben – nach rund 240 Tagen. Eine Bankrotterklärung für die Topmanager der Swiss und eine Ohrfeige für die Steuerzahler und die Privatwirtschaft, die nach dem Grounding der Swissair Milliarden in eine neue Schweizer Airline investiert hatten.

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Nun wäre es eine zwar schmerzliche, aber immerhin konsequente Einsicht von Bouw und Dosé gewesen, dass sie mit dem Projekt überfordert waren und den Verkauf als einzig möglichen Exit ins Auge fassten. In der Analyse, dass ein Beitritt zu einer Allianz unrealistisch und ein Überleben als Stand-alone unmöglich war, lagen sie – auch aus heutiger Sicht – ja nicht falsch. Nur: Nach aussen, gegenüber der Öffentlichkeit, kaschierten sie ihre eigene Ratlosigkeit.

Im Wissen um ihre Verkaufspläne lesen sich Interviewaussagen aus der Zeit um die Jahreswende 2002/03 natürlich in einem anderen Licht. So meinte Bouw Ende Februar 2003 gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Facts»: «Dosé macht einen hervorragenden Job. Wir haben ausserdem auch die übrige Führungsmannschaft mit kompetenten Persönlichkeiten verstärkt. Dieser Prozess wird weitergehen. In Sachen Management sind wir auf der richtigen Bahn.» Nachvollziehbar an diesem Statement ist immerhin, dass es nach einer Veräusserung der Swiss kein eigenes Management mehr braucht. Und Ende April antwortete Dosé auf die Frage, was er vom Bundesrat erwarte, gegenüber dem «Blick»: «Es braucht klare Worte. Der Bundesrat muss deutlich sagen, welche Bedeutung die Swiss für die Schweizer Volkswirtschaft hat.» Ob er die sieben Vertreter des grössten Aktionärs der Swiss zum Zeitpunkt dieser Aussage wohl darüber ins Bild setzte, dass er selber den Glauben an die Eigenständigkeit der Airline längst aufgegeben hatte?

Selbst wenn ich auf Grund der heiklen Zwangslage, in der sich Dosé und Bouw offensichtlich befunden haben, Verständnis für ein gewisses Mass an Doppelzüngigkeit aufzubringen vermag: Der Vertrauensbildung gegenüber dem Topmanagement der Swiss dient sie nicht. Charles J. Fombrun, weltweit anerkannter Experte in Sachen Reputation-Management, meint jedenfalls im BILANZ-Interview: «Offene und ehrliche Kommunikation ist ein wichtiger Faktor im Reputation-Management. Falsche Versprechen gehören hier zu den grössten Fehlern» (siehe Artikel zum Thema «André Dosé, Teil 2» und «Reputation-Management : Der Wissenschaftler Charles J. Fonbrum über den Wert des guten Rufs»).

Glaubwürdigkeit auf der globalen Bühne bedingt Glaubwürdigkeit im eigenen, alltäglichen Arbeitsumfeld. Deshalb hat die BILANZ-Herausgeberin Jean Frey AG auf den 1. September eine eigene Ombudsstelle eingerichtet und diese mit Karl Lüönd, dem renommierten Publizisten, Buchautor und Co-Präsidenten des Vereins Qualität im Journalismus, besetzt. Der für sämtliche Titel des Hauses tätige Lüönd stellt eine unabhängige Beschwerdeinstanz dar, die von Personen und Institutionen angerufen werden kann, die durch einen redaktionellen Beitrag direkt betroffen und mit der Behandlung ihrer Beanstandung durch den zuständigen Chefredaktor nicht einverstanden sind. Die Ombudsstelle behandelt Beschwerden unbürokratisch und kostenlos. Ihre Stellungnahmen werden bei Bedarf in den betroffenen Presseerzeugnissen publiziert. Eine Entscheidungs- und Weisungsbefugnis hat Lüönd nicht, und er wird auch nicht tätig, wenn ein Beschwerdeführer im gleichen Fall die Gerichte oder den Presserat anruft. Eingaben an Lüönd sind zu richten: Jean Frey AG, Ombudsstelle, Postfach, 8021 Zürich. Das Reglement finden Sie unter www.jean-frey.ch.