Im Sommer mussten Sie die Weltumrundung mit der Solar Impulse in Hawaii unterbrechen und können erst diesen April weiterfliegen. Sind Sie enttäuscht?
Bertrand Piccard*: Ich weiss noch nicht, ob ich enttäuscht sein muss. Das müssen Sie mich fragen, wenn wir fertig sind. Vielleicht ist es besser die Weltumrundung in zwei Jahren zu machen, weil damit mehr Begeisterung ausgelöst wird. Die Menschen sind gespannt, ob wir es schaffen werden. Zudem haben wir durch die Verzögerung länger Zeit, unser Anliegen der erneuerbaren Energien zu kommunizieren.

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Die schwierigste Etappe hat Ihr Kollege André Borschberg bereits hinter sich gebracht. Ist es überhaupt noch nötig weiterzufliegen?
Haben Sie schon einmal ein Team gesehen, das die erste Halbzeit gewonnen hat und deshalb nicht zur zweiten Halbzeit antritt? Die Welt zu umrunden ist ein wunderbares Symbol. Die Etappe von Japan nach Hawaii war bis jetzt die schwierigste und die wichtigste, weil wir demonstrieren konnten, dass unser Flugzeug mehrere Tage und Nächte in der Luft bleiben kann. Aber wir wissen nicht, was uns noch erwartet. Auch beim Flug über den Atlantik müssen wir auf Überraschungen gefasst sein.

Schon vor dem Defekt in Hawaii mussten Sie die Reise mehrmals für längere Zeit unterbrechen. Haben Sie erwartet, dass es so schwierig wird?
Wir wussten, dass es nicht einfach wird. Wenn es leicht wäre, hätte es schon jemand vor uns gemacht. Die Weltumrundung ist ein Abenteuer, bei dem wir keine Vergleichswerte haben. Wir müssen alles selber herausfinden. Und grosse Pionierleistungen sind immer schwierig. Denken Sie ans erste Auto, ans erste Flugzeug oder an die erste Herztransplantation. Alles Dinge, die heute so normal sind, dass man fast vergisst, wie es einmal begonnen hat.

Haben Sie nie Angst, wenn Sie in der Luft sind?
Ich liebe es, mit Solar Impulse zu fliegen. Das Flugzeug ist absolut fantastisch. Natürlich habe ich mich lange vorbereitet und viel im Flugsimulator und mit anderen Flugzeugen und Helikoptern trainiert. Aber meine grosse Angst ist nicht, mit einem Solarflugzeug abzustürzen. Meine grosse Angst ist, in einer Welt zu leben, wo jede Stunde eine Million Tonnen Erdöl verbrannt werden.

Auch mit Solar Impulse ist die kommerzielle Nutzung von Solarflugzeugen aber noch sehr weit entfernt. Oder sehen Sie das anders?
Als die Brüder Wright vor 112 Jahren das Flugzeug erfanden, glaubten die Menschen auch nicht, dass diese Technologie eine Zukunft haben würde. Trotzdem hat das kleine Holz- und Stoffflugzeug von 1903 den Weg bereitet für die Luftfahrt, bis hin zur Reise zum Mond.

Glauben Sie wirklich, dass Solarenergie eine Zukunft hat in der Luftfahrtindustrie?
Eine Revolution in der Luftfahrt ist nicht mein erstes Ziel. Primär will ich die Geisteshaltung der Menschen ändern. Es geht um die Art und Weise, wie wir über Energie denken. Heute verschwenden wir Energie. Verbrennungsmotoren und Glühbirnen sind 100-jährige Technologien und sehr ineffizient. Mit Solar Impulse wollen wir zeigen, was mit sauberen Energien und Energieeffizienz erreicht werden kann.

Also keine Solarflugzeuge im Linienverkehr?
Vielleicht wird das irgendwann kommen. Aber die Luftfahrt macht nur 3 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus. Wir müssen bei den restlichen 97 Prozent auf der Erde und auf dem Wasser ansetzen.

In Ihrem Flugzeug steckt ja eine Menge neue Technologie. Gibt es dabei auch Anwendungen, die schneller kommerziell genutzt werden können?
Natürlich. Covestro, das ehemalige Bayer Material Science, hat einen Isolationsschaum für unser Cockpit entwickelt. 30 Ingenieure wurden monatelang für das Projekt eingesetzt. Dieser Schaum kam zuerst bei uns zum Einsatz und wird jetzt in Kühlschränken verwendet.

Gibt es weitere Beispiele?
Die Elektromotoren von Solar Impulse haben einen Wirkungsgrad von 97 Prozent. Nur 3 Prozent der zugeführten Energie wird nicht genutzt. Ein Verbrennungsmotor in einem Auto verliert dagegen rund 70 Prozent.

Dafür sind Solarzellen nicht gerade effizient.
Das stimmt, aber die Energie ist gratis und unbeschränkt verfügbar. Effizienz ist deshalb weniger wichtig als beim Öl. Der riesige Markt für die Wirtschaft liegt in Maschinen, die einen Grossteil der zugeführten Energie nutzen können. Die Revolution der sauberen Technologien wird die Welt grundlegend verändern, vergleichbar mit der industriellen Revolution.

Solar Impulse hat selber aber keinen direkten Nutzen.
Als die Amerikaner zum Mond geflogen sind, ging es auch nicht um eine touristische Erschliessung des Mondes. Die USA haben viele Milliarden Dollar ausgegeben, um zwölf Menschen auf den Mond zu bringen. Das war einerseits eine grossartige Demonstration, dass Träume wahr werden können. Und andererseits sind später viele Technologien des Apollo-Programms an anderen Orten zum Einsatz gekommen.

Und Solar Impulse?
Hier gilt genau das Gleiche. Das Flugzeug ist ein Symbol. Wir transportieren keine Passagiere und die Leute werden wahrscheinlich nicht bald im Solarflugzeug fliegen. Aber unsere Technologien können die Welt sauberer und effizienter machen und wir können Politiker und Wirtschaftsvertreter inspirieren. Die Menschheit hat heute die technologischen Möglichkeiten, um die weltweiten CO2-Emissionen zu halbieren. Solar Impulse gibt uns die Chance, Umweltfragen auf eine spektakuläre Weise anzusprechen.

Noch basiert unsere Wirtschaft aber auf fossilen Brennstoffen. Wenn alternative Energien so gut sind, warum hat die Welt nicht schon lange umgestellt?
Das ist die Macht der Gewohnheit. Grosse Neuerungen werden zuerst immer bekämpft, weil gewisse Leute nicht verstehen, wohin die Reise geht. Doch nur wer sich anpasst, wird überleben. Wer auf saubere und effiziente Technologien setzt, wird in Zukunft mehr Gewinn machen. CO2-Emissionen sind ein Ausdruck von wirtschaftlicher Ineffizienz.

Das mag für die reichen Länder gelten. Aber was ist mit Schwellenländern wie China, die auf schnelle und billige Methoden zur Energieproduktion angewiesen sind?
Es wäre falsch mit dem Finger auf China zu zeigen. Das CO2 in China ist unser CO2, weil wir dort produzieren lassen. Natürlich gibt es dort noch Kohlekraftwerke. Aber China installiert jedes Jahr mehr neue Solarzellen als der gesamte Rest der Welt. Niemand investiert mehr in Sonnen-, Wind-, und Wasserkraft. Der Umbau der chinesischen Wirtschaft ist in vollem Gang.

Zurück zu Solar Impulse. Ist es nicht schwierig, Geld für ein derart symbolisches Projekt aufzutreiben? Was haben die Sponsoren davon?
Wir verkaufen Visibilität. Alle Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, helfen uns auch auf der technologischen Seite. Das ist ein sehr gutes Modell, weil das Geld nicht für Marketing alleine ausgegeben wird, sondern in Forschung und Entwicklung investiert wird. Ich bin froh, dass Solar Impulse viel Geld kostet. Das erlaubt mir, mehr Leute zu bezahlen und mehr KMU Arbeit zu geben. Das Geld wandert nicht in meine Tasche. Ich bezahle mir keinen Lohn aus. Das ganze Geld geht ins Projekt.

Kommen die Firmen von selbst zu Ihnen?
Fast alle Partner sind nach Vorträgen und persönlichen Treffen auf mich zugekommen. Das ist mein grosser Beitrag in diesem Projekt, während André Borschberg für die technische Seite zuständig war.

Sehen Sie sich eigentlich als Abenteurer oder als Umweltaktivist?
Weder noch. Ich sehe mich als Erforscher. Risiko und Adrenalin bedeuten mir nichts. Mich interessiert das Unbekannte, neue Arten zu denken und zu handeln. Was die Umwelt betrifft, bin ich mehr logisch als ökologisch. Ich glaube, dass man mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz mehr Geld verdienen und Arbeitsstellen schaffen kann, als mit fossilen Energieträgern und veralteten Technologien. Das ist für mich völlig klar.

*Der Schweizer Bertrand Piccard ist Psychiater und Luftfahrtpionier. Zusammen mit Brian Jones umrundete er als erster Mensch die Erde in einem Ballon. Aktuell versucht Piccard zusammen mit André Borschberg eine Weltumrundung im Solarflugzeug. Solar Impulse gelangte in acht Etappen von Abu Dhabi nach Hawaii, wo der Flieger wegen eines Defekts überwintern muss. Der nächste Flug ist für April 2016 vorgesehen.