Darüber zu sprechen, wie Blockchain unser Leben prägen wird, ist vergleichbar mit einer Diskussion über das Potenzial des Internets im Jahr 1992. Viele kluge Köpfe hatten zu jener Zeit erkannt, dass dieses Ding gross sein wird. Aber haben sie Google vorausgesehen? Facebook? Das iPhone?

Zu jener Zeit schossen Skeptiker wie Enthusiasten über das Ziel hinaus. Die einen erwarteten den Untergang der Zivilisation, die anderen die Erlösung der Menschheit. Debatten über Blockchain tragen heute oft ähnliche Züge. Auch deshalb, weil ähnlich wie damals die Technologie präsent, aber ihre Anwendungsmöglichkeiten längst nicht ausgelotet sind.

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Blockchain ist die nächste Internet-Generation

«Blockchain ist die zweite Generation des Internets», sagt Alex Tapscott an der «Blockchain Valley Conferenz» am Dienstag in Zürich. Der Kanadier hat gemeinsam mit seinem Vater ein Standardwerk zum Thema geschrieben und ist derzeit als Sprecher in Europa, Kanada und den USA gefragt. Er sagt: «Was das Internet für die Kommunikation war, ist Blockchain für geschäftliche Transaktionen.»

Die Kryptowährung Bitcoin ist dabei die erste bekannte Anwendung von Blockchain. Wie weit die Möglichkeiten der Technologie reichen können und wie viel das mit unserem eigenen Leben zu tun hat, zeigen folgende fünf Beispiele:

1) Unsere Aktienkäufe

Das Besondere an Blockchain ist, dass Geschäftsabschlüsse keinen Mittelsmann mehr brauchen. Das gilt auch für Investitionen. Die Kapitalbeschaffung per Börsengang ist für viele Startups der Ritterschlag. Doch der Weg dahin ist mühsam und teuer.

In den vergangenen vier Jahren hat sich eine Parallelstruktur dazu entwickelt, der ICO. Das Initial Coin Offering. Dabei werden Firmenanteile an Investoren verkauft, um Geld für die technische Entwicklung zu erhalten. Crowdfunding, aber abgesichert per Blockchain. Darum erreichen ICOs deutlich höhere Summen als andere Crowdfunding-Intiativen.

Ethereum erhielt 2014 auf diese Weise Kapital. ICOs sind derzeit äusserst beliebt, es gibt rund 20 im Monat. Das israelische Startup Bancor knackte gerade den Rekord und erhielt in der Kampagne bis am Montag 153 Millionen Dollar (148 Millionen Franken). Knapp 11'000 Geldgeber investierten. Darin liegt das Versprechen von ICO: Privatanleger können sich global direkt persönlich beteiligen und Firmen können weltweit Geldgeber für ihr Projekt suchen.

2) Unsere Identität

«Mein digitales Ich kennt mich besser als ich mich selbst», sagte Alex Tapscott am Dienstag auf dem Podium im Gottlieb Duttweiler Institut, halb im Scherz. Was er meinte: Das digitale Ich in der Blockchain speichert Ereignisse exakt und eindeutig – und kann sie nach Jahren lückenlos wiedergeben, anders als unser löchriges Gedächtnis.

Damit empfiehlt sich laut Tapscott die Blockchain zum Beispiel als Ersatz für den Bonitätsindex. «Dieser soll Auskunft geben über Ihre Kreditwürdigkeit... dabei ist die Berechnung äusserst fehleranfällig», heisst es in «Die Blockchain-Revolution». 

Die Datenerhebung dafür sei äusserst eingeschränkt, einige wesentliche Informationen fehlten in der Bewertung und sie könnten dazu noch veraltetet sein. «Wenn jemand mit 20 eine Rate verspätet gezahlt hat, sagt das nur wenig über das Kreditrisiko aus, dass er mit 50 verkörpert.»

Dieses und andere Probleme, bei denen ein Identitäts- oder Reputationsnachweis nötig ist, könnte die Blockchain laut Tapscott lösen. Denn diese ist in der Lage «einzigartige Identitäten zu schaffen mit vielen verschiedenen Attributen». Das ist auch relevant in vielen Schwellenländern, in denen ein fehlender Pass Menschen an der finanziellen Teilnahme hindert. 

3) Unsere Demokratie

Obwohl selbst schwer unter Verdacht, was die Einmischung russischer Hacker in die vergangenen US-Wahlen anbelangt, streut US-Präsident Donald Trump gern Gerüchte über angebliche Millionen illegaler Wähler, die ihn die Mehrheit nach Wahlstimmen gekostet hätten (die an Hillary Clinton ging).

Dass diese Unwahrheit verfangen kann, ist ein weiterer Bereich für das Klima der Unsicherheit, das in den USA herrscht. Das Misstrauen der US-Bürger begründet sich unter anderem in wiederholten Problemen mit Wahlcomputern. Zuletzt hatten Computer in Virginia Stimmen falsch gezählt.

Hier könnte die Blockchain helfen, indem sie die Stimmabgabe eindeutig registriert und nicht wiederholbar macht. Das US-Startup Followmyvote hat eine entsprechende Technologie entwickelt. Der Trick ist dabei die dezentrale Speicherung: Selbst wenn jemand die Stimmabgabe an einem Wahlcomputer manipulieren würde, wäre die Originalstimme noch auf den anderen Computern gespeichert. Das System würde bei Manipulation Alarm schlagen.

4) Unsere Arbeit

Viel ist bereits geschrieben worden darüber, wie die Industrie 4.0 die Berufe und Arbeitsplätze der Zukunft verändert und in welch rasantem Tempo. Jetzt fügt auch die Blockchain noch ihren Teil hinzu.

Es wird auch in Zukunft Unternehmen geben, zeigt sich Alex Tapscott überzeugt. «Aber sie werden sich dramatisch verändern». Nobelpreisträger Ronald Coase hat Anfang des 20. Jahrhunderts erforscht, warum es Unternehmen gibt.

 

Die Antwort: Weil Arbeiten ausserhalb vom Unternehmen teurer sind als innerhalb vom Unternehmen. Besser gesagt: Es ist kostengünstiger, eine Sekretärin fest anzustellen, als jedes Mal aufs Neue Sekretariatsdienstleistungen am Markt einzukaufen. Das sind die Transaktionskosten.

Mit der Jobvermittlung über Blockchain kann dagegen die Gig Economy befeuert werden. Suchportale können zum Beispiel eine Arbeit anbieten und dezidiert beim Bewerber Informationen zwecks der Aufgabe nachfragen – ohne dass dieser sein Name, Standort oder Geschlecht preisgeben müsste. Das ist ein Schub für die Gig Economy.

Unternehmen wird es auch in Zukunft geben, heisst es in «Die Blockchain-Revolution», aber vielleicht eher als flexible Unternehmenseinheiten, die sich nach Bedarf in Gruppen zusammentun, um gemeinsam Projekte umzusetzen.

5) Unsere Lieblingsmusik

Das Urheberrecht ist sehr schwierig durchzusetzen. Davon zeugen zahlreiche Plattformen, die Filme zum Download anbieten. Musik wird heute gestreamt, woran die grossen Konzerne erheblich mitverdienen.

Die Künstler aber stehen in vielen Fällen am Ende der Nahrungskette, erhalten nur einen Bruchteil der Einnahmen. Urheberrechtsverletzungen sind ausserdem schwer zu ahnden.

Die Plattform Ujo hat sich zum Ziel gemacht, dass zu ändern. Auf ihr können Künstler ihre Musik anbieten. In den Codes der einzelnen Musikstücke ist ein Smart Contract eingebettet. Er legt zum Beispiel fest, dass eine Zahlung ausgelöst wird, sobald der Song abgespielt wird. Oder eine Zahlung in anderer Höhe, wenn er heruntergeladen wird.

Künstler sollen, so die Überzeugung von Jesse Grushak, Co-Gründer von Ujo Music, eine gerechte Entlohnung für ihr Werk erhalten. Mit Blockchain wird es möglich, so die Vision, die Rechnung gleich mit in den Song zu programmieren – Abbuchung erfolgt automatisch.

Arbeit in Zukunft: