Hammam. Valet Parking. Eine Rezeption in geknöpftem Chesterfield-Leder: Wenn Touristiker Hotels planen, träumen sie gerne gross. Daniel Renggli träumte nicht. Er rechnete. Die Rezeption subtrahierte er gleich zu Beginn weg. 

Nach drei Jahren Planungs- und Bauzeit hat der Beherbergungs-Betriebswissenschafter sein Hotel eröffnet. Mit dem «Revier» auf der Lenzerheide will Renggli einiges anders machen als konventionelle Herbergenväter und -mütter.

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Als Erstes fallen beim Eintritt lockere Lingua und Atmosphäre auf: Die Angestellten sind hier «Gang Members». Der Hoteldirektor ist der «Revier Chief». Die Rezeption: Abgeschafft. «Der Kontakt zum Gast ist wichtig», sagt Renggli. «Aber dafür braucht es keinen Schalter.» Wer ein Zimmer bucht, wird vorab elektronisch eingecheckt und erhält statt eines Zimmerschlüssels einen Code aufs Smartphone. In diesem Revier mag man lieber ein schnelles Chopfab Amber von der Bar statt Papierkram.

In einer Zeit, da vor allem die Mittelklasse der alpinen Hotellerie Mühe hat, wetterunabhängig stabile Erträge zu generieren und so Investitionen in die Zukunft vorzunehmen, verfolgt Renggli mit seinem Revier eine Mission: «Beweisen, dass man ein Saisonhotel noch profitabel führen kann – am Berg.» Dazu plante er den Betrieb auf dem Reissbrett. Es galt, «extrem viele Schräubchen richtig einzustellen, damit unter dem Strich etwas bleibt».

Inspiration in der Stadt geholt

Renggli, der noch nie eine Hotelfachschule von innen gesehen hat, speckte ab, wo es nur ging. Bei den Baukosten. Beim Vertrieb. Beim Energieverbrauch. Und vor allem beim Personal. 15 Angestellte kümmern sich um das 96-Zimmer-Hotel. «Jede und jeder kann überall eingesetzt werden», sagt der Revier-Mastermind, im Notfall könnten zwei Personen den Betrieb aufrechterhalten. Kurzer Blick in die Prozesslandkarte: «In der klassischen Hotellerie würden hier wohl 36 Leute arbeiten.»

Wo ihn nicht die Zahlen lenkten, liess sich der Beizersohn vom linken Zürichseeufer von den Trendsettern der europäischen Stadthotellerie inspirieren: «Vorbilder waren Konzepte wie Citizen M und 25hours Hotels. Eigentlich könnte das Revier auch in Berlin stehen.»

Es ist kein Zufall, dass der Hotelplaner, der früher für Outgoing-Reiseveranstalter arbeitete und als Sanierer aktiv war, für seine Bergherberge ins Tal sperberte. Denn die Post in der Hotellerie geht heute in den Metropolen ab.

Konzepte wie Motel One, Ruby, Prizeotel oder B&B sorgen für den stärksten Hoteltrend der letzten Jahre. Budget-Design nennt sich das Genre dieser schnell wachsenden Ketten. Es sind Hotels, die ihre Zimmer klein schneiden und frugal einrichten, dafür aber ihre Lobbys attraktiv als Hangout und Arbeitszone gestalten. Hotels für Gäste, denen stabiles WLAN mehr wert ist als der Föhn. Aufgepeppte Garnis für urbane Nomaden, die aufs Zimmer-TV pfeifen. Sie haben ja ihr Tablet mit.

Was die Gäste wollen: ein gutes Bett. Eine gute Community-Zone. Und vor allem: einen guten Preis. Renggli wusste, dass er hier liefern musste. Dafür griff er das Thema der täglichen Zimmerreinigung früh auf und fragte sich, was der Gast wohl bevorzuge. Tägliche Zimmerreinigung inklusive oder lieber 30 Franken Reduktion? Conclusio: «Wir dachten uns, dass wohl 90 Prozent der Gäste lieber die Reduktion wollen.» Die anderen 10 Prozent zahlen 30 Franken. Auch deshalb sind Rengglis Preise attraktiv – die Nacht im kleinen Zimmertyp, dem 16 Quadratmeter grossen Smart Cabin: ab 79 Franken.

Daniel Renggli

Revier-Chef und -Initiator Daniel Renggli

Quelle: Jannis Chavakis/13Photo

Solide Zwei-Sterne-Einrichtung im Schlafgemach, gefühlte vier Sterne im Aufenthaltsbereich – und das Ganze zu einem Preis, der unter dem liegt, was die klassische Drei-Sterne-Hotellerie verlangt. Um das möglich zu machen, lassen Motel One und Co. vieles weg, was nicht unbedingt nötig ist: kein Restaurant, keine Konferenzund Sitzungszimmer, keine Wellnessoase, Personal. Die Easyjets der Hotellerie, aber mit Schmiss. Das Rezept der abgespeckten Beherbergung mit Coolness-Faktor hat den Kontinent im Sturm erobert: «Die Formel Budget-Design war in Europa der grösste Boom-Markt der letzten Jahre», sagt Michael Lidl, geschäftsführender Partner der deutschen Gastro- und Hotelberatung Treugast. «Erfolg hat, wer so kostengünstig wie möglich arbeiten kann – und dabei aus Gästeperspektive nicht minderwertig erscheint.»

Die Spar-Verknalltheit wirkt sich stark auf die Rendite aus, sagt Lidl: «Die operative Marge liegt in der Budget-Hotellerie bei durchschnittlich 45 bis 50 Prozent, während die Vollhotellerie bei rund 33 bis 38 Prozent liegt.»

Ihre gute Belegung und ihre stabile finanzielle Feuerkraft macht die jungen Hotelkonzepte auch hierzulande zu gesuchten Partnern von Immobilienentwicklern: Swiss Prime Site partnert mit Motel One in Basel und Zürich und bringt Prizeotel nach Bern; PSP Swiss Property entwickelt Liegenschaften in Genf mit Citizen M und mit Ruby in Zürich. Dass hiesige Betongold-Fürsten beim Thema Budget-Design stets auf ausländische Hotelkonzepte zurückgreifen, lässt sich leicht erklären: Die Schweizer hatten lange nichts zu bieten.

Eigentlich erstaunlich. Immerhin wird die Schweiz weltweit gepriesen für ihre erstklassigen Hotelfachschulen, hiesige Hospitality-Profis sind rund um den Globus ebenso gesucht wie geschätzt. Und doch stammt kein einziger der Budget-Design-Champions aus der Schweiz. Warum nur? «All diese Konzepte sind in dynamischen grossen Städten entstanden – und an solchen Metropolen mangelt es der Schweiz nun einmal», glaubt Renggli. Guglielmo Brentel, einstiger Präsident von Hotelleriesuisse und heute unter anderem als Präsident von Zürich Tourismus und als Verwaltungsrat des Flughafens Zürich aktiv, sieht es ähnlich: «Weil der Heimmarkt zu klein ist.» Und vielleicht auch, weil in der Budget-Design-Liga nicht Perfektion zählt. Sondern der eiserne Wille, dort zu sparen, wo es der Gast nicht spürt: «Schweizer wollen alles so gut wie möglich machen. Ausländer machen es so gut wie nötig.»

Noch etwas ist typisch für die Budget-Design-Turbos: Sie zielen immer aufs flache Land. Gefragt sind Lagen in Städten, an Flughäfen und allenfalls an grossen Verkehrsadern. Von den Bergen halten sie sich fern, weil dieses Gelände ungleich diffiziler ist als die City: «Städte funktionieren ganzjährig und sind nicht an Saisons gebunden», erklärt Michael Lidl. «Der Mix aus Business- und Freizeitgästen erzeugt ein ganzjähriges Grundrauschen.»

Ein Zimmer im Hotel Revier

Ein Zimmer im Hotel Revier.

Quelle: Jannis Chavakis/13Photo

Der Berg als schwieriges Gelände

Am Berg hingegen spielen Faktoren wie Saisons, Witterung und Urlaubskalender eine viel wichtigere Rolle. Man lebt zumeist von Feriengästen; das attraktive Segment der Geschäftsreisenden, das die Betten der Stadthotellerie von Montag bis Freitag füllt, fällt fast ganz weg. Lidl hat deshalb seine Vorbehalte zum Thema Budget-Design am Berg: «Internationale Gäste anzuziehen, ist schwierig. Es wäre schon ein Erfolg, wenn ein solches Konzept preisbewusste Schweizer im Inland halten könnte.» Guglielmo Brentel, Elder Statesman des Schweizer Tourismus, zeigt sich angriffslustig: «Es ist herausfordernder als in der Stadt. Aber mit dem richtigen Businessplan geht das.»

Der Unternehmer plant mit seiner Firma Gastgeber 3.0 ein Budget-Design-Haus an der Furtschellas-Seilbahn-Talstation in Sils Maria: Dabei werde Gastgeber 3.0 die Konzeption übernehmen und später das Management des Hotels Furtschellas. Die Sache komme jetzt ins Rollen, sagt Brentel: «Demnächst wird ein Projektwettbewerb lanciert.» Wenn man das Gästeerlebnis konsequent in den Mittelpunkt stelle, die Kosten trimme und das Marketing elektronisch ausrichte, «kann es klappen am Berg».

Derweil ist Renggli mit seinem Masterplan schon weiter. Seine Zahlenpyramide zum Revier zeigt den Break-even zum Ende des dritten Jahres, also 2020. Und er strebt eine Expansion an: «Fünf Betriebe in den nächsten fünf Jahren.» Der Revier-Meister weiss, dass er ein schwieriges Spielfeld betritt. Angelaufen sei sein Pilotprojekt gut. Im Januar habe man eine Belegungsrate von über 50 Prozent erzielt, im Februar 64 Prozent. Bis Ende der Wintersaison sei jedes Wochenende voll ausgebucht.

Zur ersten Härteprobe wird der Sommer. Renggli weiss, wie schwierig es ist, wenn die Lenzerheide mit Ibiza, Mykonos und Ayia Napa konkurrenzieren muss. Mut macht er sich so: «Lange hatten die Berge das Image eines karierten Wanderhemdes. Wir wollen sie wieder sexy machen.»

17 Millionen Franken investierte die Immobilienfirma Fortimo ins Hotel Revier. Die Zimmermodule wurden von einer spezialisierten österreichischen Firma gebaut. Eine weitere Eröffnung ist in Adelboden geplant für Dezember 2019. In drei Jahren ist zudem ein erstes Hotel Revier in Dubai geplant.

Andreas Güntert
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