«Yes, we can – euch fertig machen!», betitelte unbeholfen die Boulevardzeitung «Blick» einen Artikel darüber, wie die USA das Schweizer Bankgeheimnis aushebeln wollen. Mit «Feinde der Schweiz» überschrieb die «Weltwoche» in einer Story über das Bankgeheimnis eine Liste von Namen und ortete als «Feinde» unter anderen den britischen Premier Gordon Brown, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den US-Präsidenten Barack Obama. Das Seilziehen zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz um Bankgeheimnis und Steuerinsel lässt hierzulande die Emotionen hochkochen.

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Weniger martialisch dagegen die Töne aus den USA. Sogar die sich sonst gerne bissig gebende «New York Post» hält sich auffällig zurück. Dennoch lässt sich nicht übersehen: Die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA waren, gelinde gesagt, auch schon besser. Dabei zählen die Vereinigten Staaten zu den wichtigsten Märkten für Schweizer Firmen (siehe «Schweizer Konzerne im Zeichen der Sterne» auf Seite 50). Die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern jedenfalls standen noch nie in derart schöner Blüte wie heute. So exportierte die Schweiz 2008 für den Rekordbetrag von 19,5 Milliarden Franken Güter in die USA, womit die Vereinigten Staaten hinter Deutschland zweitgrösster Exportmarkt sind. Demgegenüber stellten sich die Importe aus den USA auf 9,4 Milliarden. Das ist ebenfalls Rekord – wie auch der Handelsüberschuss von 10,1 Milliarden zugunsten der kleinen Schweiz.

RENDITESCHACHER GIGANT. Bei den Investitionen zählt die Schweiz genauso zu den ganz Grossen. 2007 investierte das kleine Land in den USA 22,8 Milliarden Dollar und war damit viertgrösster Investor. Per Ende 2007 stellten sich die aufgelaufenen Direktinvestitionen der Schweiz in den USA auf 163 Milliarden Dollar, während die USA umgekehrt in der Schweiz 100 Milliarden Dollar an Anlagen zählten. Krasse Differenzen zeigen sich allerdings beim Erfolg der Direktinvestments. Während US-Unternehmen 2006 auf ihren Anlagen in der Schweiz eine ansehnliche Rendite von 12,5 Prozent herausholten, erwirtschafteten die Schweizer auf ihren Investments in den USA magere 2,1 Prozent. 2005 war es mit 2,4 Prozent nur minim mehr.

«In diesen beiden Jahren haben Sonderfaktoren die Renditen der Schweizer Firmen verwässert», gibt Jean-Daniel Gerber, Chef des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), zu bedenken. Tatsächlich schneidet die Schweiz im längerfristigen Vergleich besser ab, vermag aber auch mit einer über fünf Jahre gemessenen durchschnittlichen Rendite von vier Prozent nicht wirklich zu überzeugen. Andere Länder erwirtschaften rund doppelt so hohe Erträge.

Überhaupt sind die Vereinigten Staaten von Amerika gerade für Schweizer Unternehmen ein hartes Pflaster. Über die vergangenen zwei Jahrzehnte haben Schweizer Firmen zig Milliarden Franken an Investitionen in Übersee abschreiben müssen. «Es ist tatsächlich so, dass noch nicht sehr viele Schweizer Unternehmen in den USA echt und nachhaltig Geld verdient haben», sagt Johann Schneider-Ammann, Präsident von Swissmem.

VERZOCKT IN LAS VEGAS. Die Gründe für die trotz riesigen Direktinvestitionen mageren Erfolge sind mannigfaltig. Daniel Küng, CEO der Exportförderorganisation Osec: «Viele Unternehmen bereiten sich nicht genügend vor und machen Fehler bei der Investitionsplanung. Da die USA ein grosser und anspruchsvoller Markt sind, müssen ausreichend Ressourcen eingeplant werden, und zwar sowohl personell wie finanziell.» Gerade bei der finanziellen Planung verhauen sich Schweizer Manager, die hierzulande erfolgreich agieren, in den USA immer wieder.

Beispielsweise Hans Jecklin. Mit Spielautomaten machte er im Heimatland ein Vermögen. Davon setzte er Ende der neunziger Jahre einen grossen Teil aufs Spiel – mit dem Bau eines 25 Hektaren grossen Casino- und Freizeitresorts in Las Vegas: 540 luxuriöse Zimmer, ein 3700 Quadratmeter grosses Spa, 1200 Spielautomaten, 40 Glücksspiele an Tischen, 1800 Angestellte. Das Prunkstück war ein Pub, das Stück für Stück von Irland nach Las Vegas transportiert wurde. Dem Casinokönig aus den Alpen war nichts teuer genug – am Ende haben ihm dann die zu hohen Kosten das Genick gebrochen. Im Herbst 2000, nur ein Jahr nach der Eröffnung, wurde der Betrieb mit Schulden von 420 Millionen Franken unter Gläubigerschutz gestellt. Der Spieler Jecklin verlor im Wüstensand von Nevada seinen Einsatz.

Überhastet ins US-Abenteuer stürzte sich einst auch Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn. Vom Erfolg verwöhnt, setzte der Backhähnchen-König Ende der siebziger Jahre von der Schweiz aus zum Sprung über den Teich an. Der ehemalige Kellner kaufte 633 Restaurants der Pfannkuchenkette Ihop sowie 300 Familienrestaurants der Firma Lums, spezialisiert auf Schnitzel, Gulasch, Hamburger und Meeresfrüchte. Zu den besten Zeiten leitete der Österreicher Jahn vom Holdingsitz in Feusisberg SZ aus einen weltumspannenden Gastronomiekonzern mit 1550 Betrieben und einem Umsatz von 1,8 Milliarden Franken. Doch das in Europa erfolgreiche Wienerwald-Konzept liess sich nicht so ohne weiteres auf amerikanische Verhältnisse adaptieren. Zudem hatte Jahn im Eifer des Gefechts etwas gar viel für die Übernahmen bezahlt. Als die Erträge aus dem US-Geschäft dünner flossen als erhofft, verloren die Banken ihre Nerven und kündigten Jahn die Kredite. Die Wienerwald-Gruppe stürzte wie ein Kartenhaus zusammen und geriet 1982 ins Nachlassverfahren.

Jean-Daniel Gerber vom Seco sieht hinter dem Scheitern von Schweizer Unternehmen in den USA häufig zwei Ursachen: «Die Firma kannte den Markt nicht gut genug und hat daher die Risiken falsch beurteilt. Sodann unterschätzen europäische Manager mitunter die Streitkultur der US-Unternehmen und lassen sich daher nur ungenügend juristisch beraten.» Für Martin von Walterskirchen, Chef des Swiss Business Hub USA in Chicago, der Schweizer Firmen in den USA mit Rat und Tat zur Seite steht, ist die Klagefreude amerikanischer Unternehmen «eine Herausforderung. Ja sie kann sogar gefährlich werden, gehört aber zur US-Gesellschaft. Mit einer angemessenen Rechtsberatung kann man vielen Klagen vorbeugen.»

Diesen Ratschlag hätte sich ABB zu Herzen nehmen sollen. 1989 akquirierte der damals unter Führung von Percy Barnevik stehende Konzern für 2,4 Milliarden Franken die auf Bau und Ausrüstung von Kraftwerken spezialisierte Combustion Engineering, die mit 29  000 Mitarbeitern einen Umsatz von 5,6 Milliarden Franken erwirtschaftete. Dabei wusste ABB, dass gegen die Firma Klagen von Asbestopfern hängig waren; sie hatte Isolier- und Brandschutzmaterial mit Asbest produziert. «Die Klagen beliefen sich auf weniger als einen Tausendstel der Übernahmekosten», wurde damals am Hauptsitz in Baden beschwichtigt. Barnevik verkannte die Risiken: Mit den Jahren sollten sich die vereinzelten Klagen zu einer Lawine ausweiten, letztlich klagten über 100  000 Asbestopfer die US-Tochterfirma auf Schadenersatz ein.

HARTNÄCKIGE US-KLÄGER. Um die Jahrtausendwende stieg ABB aus dem Kraftwerkbau aus, verkaufte ABB Power und die darin enthaltenen Aktivitäten der Combustion Engineering an Alstom – die Schadenersatzforderungen blieben am schweizerisch-schwedischen Konzern kleben. Das Seilziehen um die Milliardenentschädigungen zog sich bis zur Einigung 2006 hin. Insgesamt musste ABB 2,7 Milliarden Franken an die Asbestopfer bezahlen. Dazu kamen weitere schwere Verluste, denn die Flut an Asbestklagen war mit ein Grund, weshalb ABB jahrelang tiefrote Zahlen schrieb und unter der Schuldenlast fast zusammenbrach.

Die Hartnäckigkeit amerikanischer Kläger unterschätzte auch Sulzer Medica. Die von Sulzer abgetrennte Medizinaltechnikfirma liess bei der US-Tochter Sulzer Orthopedics Implantate für Hüft- und Kniegelenke produzieren. Als sich herausstellte, dass die Produkte mit Öl verschmutzt waren, mussten Hunderte Implantate wieder aus Patienten herausoperiert werden. Angeblich hatte die US-Tochter ihre Qualitätskontrolle schleifen lassen. Auf Sulzer Medica prasselte eine Welle von Klagen nieder. Lange beschwichtigte das Management die Aktionäre, man habe die Probleme im Griff, die Versicherungsdeckung werde für die Schadenfälle ausreichen. Für 2001 musste wegen des Gelenkdebakels ein Verlust von 1,2 Milliarden Franken ausgewiesen werden – bei einem Umsatz von 1,4 Milliarden. Eine Umbenennung in Centerpulse brachte keine Beruhigung. Viele Kläger akzeptierten die angebotene Abfindung, weit über 100 Patienten jedoch lehnten ab und trieben die Firma juristisch immer mehr in die Enge. 2003 war Centerpulse sturmreif geschossen, das ausgeblutete Unternehmen wurde verkauft – an Zimmer in die USA.

GUT VERKAUFTE FAULE EIER. Die Angst vor dem US-Rechtssystem kann auch lähmend wirken. Es hat sich herumgesprochen: «Geklagt wird in den USA schneller, die Verfahrenskosten sind deutlich höher, und bei Schuldsprüchen kommt es zu weitaus saftigeren Bussen und Entschädigungszahlungen als in der Schweiz», sagt Osec-Chef Küng. Und weil viele ausländische Firmen in Krisensituationen nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, igeln sie sich zuerst einmal lieber ein. Mit verhängnisvollen Folgen, wie das Beispiel Adecco zeigt. Anfang 2004 machten Gerüchte die Runde, wonach bei der US-Tochter Bewertungsprobleme festgestellt wurden. Auch war die Rede von Unregelmässigkeiten in der Adecco-Buchhaltung und möglichen Milliardenabschreibern. Auf Anraten der Firmenanwälte wurde eine Informationssperre verhängt.

«Aus rechtlichen Gründen kann ich dazu nichts sagen», beteuerte der damalige Präsident John Bowmer während Wochen. Der Kommunikations-GAU war perfekt. Die britische «Financial Times» titelte: «Fears over Adecco». Die Anleger schickten, einen zweiten Fall Enron vor Augen, die Adecco-Aktien auf Talfahrt, Milliarden an Börsenkapitalisierung verpufften. Erst lange Zeit danach stellte sich heraus, dass viel Lärm um wenig gemacht worden war. Doch der Schaden war angerichtet, der weltgrösste Personalvermittler wurde mit Sammelklagen aus den USA eingedeckt.

«Do it the American way.» Das ist für Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, der wichtigste Punkt, den Schweizer Firmen in den USA beachten sollten. «Wer sich mit schweizerischem Denken und Gehabe in diesem Markt bewegt, der muss scheitern», so Naville weiter. Davon kann Ascom ein Liedchen trällern. Vor knapp 20 Jahren träumten die Berner davon, zur globalen Nummer eins bei Daten- und Telefonnetzen für Unternehmen heranzuwachsen. Als 1991 die US-Netzwerkfirma Timeplex zum Verkauf stand, schlug Ascom für 350 Millionen Franken zu. Zwar wurde die Gesellschaft durchleuchtet, aber man vertraute halt auch den Zahlen und Erzählungen des Timeplex-Managements. So kann man in der kleinen Schweiz vorgehen, wo man sich gut kennt. In Amerika aber gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.

Aus den grossmäulig angekündigten Gewinnen wurde nichts. Die Berner merkten schnell, dass sie sich ein faules Ei ins Nest geholt hatten. Timeplex hatte weit weniger in Forschung und Entwicklung investiert als vom Management dargelegt. Der Firmenchef wurde in die Wüste geschickt, Ascom heftigsten Rosskuren unterzogen. Timeplex fuhr dessen ungeachtet immer höhere Verluste ein. Erst 1998 konnte die marode US-Tochter losgeschlagen werden. Das Übersee-Abenteuer kostete Ascom mehrere hundert Millionen Franken und beschleunigte den Niedergang des Unternehmens.

GLÜCKLOSE BANKEN. Mit überteuerten Akquisitionen oder sonstigen Expansionsfehlern in den USA am meisten Geld verloren haben die Grossbanken. So kaufte UBS im Jahr 2000 für rund elf Milliarden Dollar den Vermögensverwalter PaineWebber. Doch die laut dem damaligen UBS-Schrittmacher Marcel Ospel «im Himmel geschlossene Ehe» ist längst zerrüttet. PaineWebber kam beim Ertrag nie richtig auf Touren, ja ist heute ein wesentlicher Teil des US-Problems von UBS. Zwar gibt es PaineWebber als Marke nicht mehr, doch möchte das Schweizer Stammhaus diesen Teil lieber heute als morgen abstossen – zu einem Bruchteil des Preises, den man einst entrichtet hat.

Die Credit Suisse akquirierte ebenfalls im Jahr 2000, just auf der Höhe des Internet-Börsenbooms, die US-Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) für 19,6 Milliarden Franken. Ein viel zu generöser Preis, meinten schon damals einhellig die Analysten. Dazu gesellten sich 1,4 Milliarden an Rückstellungen für Integrationsarbeiten sowie 2,1 Milliarden, um die DLJ-Mitarbeiter bei Laune, sprich bei der CS, zu halten. Knapp drei Jahre später war der Honeymoon vorbei, 5000 Arbeitsplätze waren abgebaut und die Beteiligung einige Milliarden weniger wert. Auch in die vor längerer Zeit mit der CS verschmolzene First Boston mussten die Zürcher Bankiers bereits Milliarden einschiessen.

Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Es gibt einige Schweizer Unternehmen, die sich clever und erfolgreich in den USA bewegen. «Gerade Multis schlagen sich sehr gut. Sie verfügen oft über eine lange Erfahrung in diesem Markt. Zudem kommt Konzernen wie Roche, Novartis und Nestlé entgegen, dass viele Amerikaner überzeugt sind, es handle sich um US-Konzerne», sagt Martin Naville von der Swiss-American Chamber of Commerce. Bei Nestlé ist das nicht verwunderlich: Der Konzern aus Vevey hat 1900 seine erste Fabrik in den USA eröffnet und seither die Präsenz kontinuierlich ausgebaut. Heute beschäftigt der Nahrungsmittelmulti dort 35  000 Mitarbeiter, die 30 Prozent an den Gesamtumsatz der Gruppe beisteuern. Und im Gegensatz zu vielen anderen Schweizer Unternehmen ist bei Nestlé die Ebit-Marge auf dem amerikanischen Kontinent höher als jene im Konzerndurchschnitt.

LANGER ATEM. Nicht weniger erfolgreich, wenn auch in bescheidenerem Mass ist Lindt & Sprüngli. Der Baumeister des Erfolgs ist der CEO: Ernst Tanner holte sich seine Kenntnisse über die Tücken des US-Marktes beim amerikanischen Gesundheitskonzern Johnson & Johnson. Als Tanner 1993 beim Schoggihersteller antrat, erzielte Lindt & Sprüngli in den USA einen Umsatz von 20 Millionen Dollar; heute sind es mehr als 500 Millionen. Lindt und die 1997 erworbene Ghirardelli zählen seit langem zu den am schnellsten wachsenden Schokoladenmarken in Amerika.

Ernst Tanner, wie lautet Ihre Rezeptur für den Erfolg im US-Markt? «Dazu ist eine Mischung nötig, bestehend aus guten Kenntnissen der Marktverhältnisse, der Handelslandschaft, der Konkurrenz, der Gesetze und hier insbesondere des Arbeitsrechts. Dazu sollten sich Qualitätsprodukte, gute Kundenbeziehungen und ein profundes Verständnis des Konsumentenverhaltens gesellen. Des Weiteren muss man langfristig denken und es sich leisten können, einen langen Atem zu haben.» Hätten die Schweizer Firmen solche Instruktionen gehabt, wäre das Milliardengrab Amerika wohl etwas kleiner ausgefallen.