Die Historiker sind sich nicht einig, 
welcher Zwischenfall zu der Erfindung 
des Laugengebäcks führte. Irgendwann im spätmittelalterlichen Bayern oder Schwabenland muss ein Brezelteig unbeabsichtigt in ein Bad mit verdünnter Lauge gefallen sein, die eigentlich für die Reinigung der Bleche 
bestimmt war. Im Ofen entstand dann überraschenderweise ein 
Gebäck mit wunderbar brauner Kruste und erfrischendem Goût.

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Die Investoren wissen wiederum genau, dass die Laugenbrezel der Turnaround-Turbo für Valora war. Es ist nun vier Jahre her, dass der Detailhändler mit dem Kauf von Ditsch/Brezelkönig auf einen Schlag zur europäischen Brezelmacht wurde. Die Bezeichnung, die CEO Michael Mueller heute für das Valora-Geschäft wählt, klingt zwar etwas hölzern, bringt aber die Sache auf den Punkt: «Convenience & Food Service mit einem starken Standbein in der Produktion von Laugen-Backwaren».

Metamorphose geschafft

Valora ist zurück. Investoren finden neuen Gefallen an der Aktie, sogar Mega-Investor BlackRock ist neu mit drei Prozent eingestiegen. Seit Anfang Jahr legte die Aktie um 37 Prozent zu, während der Swiss Performance Index leicht verlor. Jahrelang kämpfte der Händler mit der Marktentwicklung und hatte keine Antworten auf Frankenstärke und Digitalisierung. Inzwischen hat der Wind gewechselt. «Valora hat heute eine klare und verständliche Strategie», sagt Vontobel-Analyst René Weber. «Es ist inzwischen deutlich einfacher, Investoren zu erklären, womit sie es hier zu tun haben.»

CEO Michael Mueller sitzt gelöst am Sitzungstisch seines Eckbüros im farblosen Muttenzer Hauptsitz: «Wenn man zu breit aufgestellt ist, ist es schwieriger, überall der Beste zu sein», sagt der 44-Jährige. Er meint die alte Valora. Zur neuen sagt er: «Wir sind heute eine Firma, die letztlich nur vom Kundenerfolg lebt.»

As Finanzchef zu Valora

Mueller hat den Detailhändler zurück auf den Boden gebracht. Der Basler, der früher für Goldman Sachs Firmen bei Übernahmen beriet und später die Jelmoli Holding mit ihrem Warenhaus- und Immobiliengeschäft führte, kam 2012 als Finanzchef zu Valora und wurde 2014 von VR-Präsident Rolando Benedick (70) in den Chefsessel gehievt.

Während zweier Jahre leitete Benedick das Unternehmen selber, nachdem es CEO Thomas Vollmoeller 2012 verlassen hatte. Vollmoeller hielt zu lange am umständlichen und teuren Vertriebskanal fest. Seine «Valora 4 Growth»-Strategie floppte. 2010 träumte er noch davon, bis 2015 den Umsatz von 2,9 auf 4,8 Milliarden Franken zu heben. Es ging dann in die andere Richtung.

500 Millionen Backwaren

Mueller und Benedick räumten auf. Sie verkauften den Pressevertrieb und stiessen den Grosshandel ab. Gleichzeitig spürten sie das Potenzial des Laugengebäcks und kauften Ditsch/Brezelkönig. In Mainz, Oranienbaum und Emmenbrücke werden inzwischen jährlich 500 Millionen Backwaren produziert. Ein Teil davon wird tiefgekühlt bis in die USA verschifft. Ende 2014 kam Naville mit ihren 175 Westschweizer Kiosken dazu. Jetzt ist Valora wieder ein Retailer. Die orientierungslose Vergangenheit mit Matratzen und Fotolabors spürt man nur noch auf der Konzern-Website im Menu «Unternehmensgeschichte».

Mueller zählt zur modernen Managergeneration. Der Silicon-Valley-Kapuzenpulli ist ihm näher als die Wall-Street-Krawatte. Geprägt von seiner Jelmoli-Vergangenheit, trägt er aber Business Casual – im Winter mit Cardigan zwischen Hemd und Sakko. Ausdrücke wie «contribution» oder «lifetime value» klingen aus seinem Mund nie geschraubt.

Von Visionen will er nichts wissen. Er nutzt das Vokabular kalifornischer Start-ups, und da geht es vor allem um «Schnittstellen». Die wichtigste ist die zwischen Kunde und Unternehmen: «Der Fokus muss einzig auf die Kundenzufriedenheit gerichtet werden», sagt er. Man habe sich früher vor allem in den internen Prozessen ausgetobt, «wo der Endkunde weit weg war». In San Francisco hat er Anfang Jahr einen ehemaligen Swissnex-Mann installiert. Dieser soll Kontakte knüpfen, die Valora mehr Digitalisierungskompetenz verschaffen. Die Stichworte sind E-Commerce und Big Data.

Täglich 1,6 Millionen Kunden

Heute bewegt sich Mueller oft «auf der Fläche», wie er es nennt. Und da hat sich einiges getan. Valora bedient in derzeit 2500 Filialen, verteilt auf zehn Formate in fünf Ländern, täglich 1,6 Millionen Kunden. Brezelkönig hat inzwischen nach Österreich und Frankreich expandiert. In Frankreich sogar unter dem deutschen Namen: «Wir haben es ausführlich getestet, die Leute verstehen das.»

Die Convenience-Marke Avec hat Mueller in Deutschland lanciert. Ein erster Laden steht in Gelsenkirchen, weitere sind geplant. Die Kunden 
reagierten positiv, versichert er: «Wegen der vielen Smoothies, Säfte und Salate wähnen sich viele in einem Bioladen.» Man sei mit dem Format radikaler unterwegs als in der Schweiz. In Hamburg ist Valora jetzt mit der Marke U-Store an Bahnhöfen präsent. Im Fokus seien dezentrale Standorte an Regionalbahnhöfen, wo es kaum Convenience-Läden gebe, das Bedürfnis danach aber gross sei.

Ganz anders das Bild in der Kioskheimat: «In der Schweiz ist das Umfeld kompetitiver und im Convenience-Bereich gesättigt.» Dieses Jahr schloss Valora netto 30 Kioskfilialen. Nächstes Jahr kommen wohl nochmals so viele hinzu. Man will sich auf die zentralsten Lagen fokussieren. Wo die Frequenzen hoch sind, hat Valora den Kiosk vom Presse- und Tabakversorger zur Sandwich- und Fertigsalatstation umgebaut. Zeitungen und Magazine wurden zusammen mit Büchern in die Press-&-Books-Filialen verschoben.

Verhandlungen mit der Post

Für die SBB ist Valora die wichtigste Mieterin an den Bahnhöfen. Die Zusammenarbeit sei aber «herausfordernd», wie das Unternehmen schreibt. Das klassische Kiosksortiment sei unter Druck geraten. Man suche nun zusammen nach neuen Formaten, «die in die Mobilitätskette passen». In Kontakt ist Valora auch mit dem anderen Staatskonzern, der Post. Mueller hat es auf die Postagenturen abgesehen: «Der Kiosk kann in Zukunft ein Ort sein, an dem die Kunden verschiedene Dienstleistungen und Transaktionen abwickeln können.» Die vielen Postschliessungen kommen ihm entgegen. In Deutschland klappe die Kooperation mit der Post bestens. Und Schweizer Kioske nehmen längst Retouren für Onlinehändler entgegen.

Auch das Agenturmodell will er weiter ausbauen. Seit 2010 stieg die Zahl der von Selbständigen geführten Filialen von 81 auf 990. Darunter sämtliche Brezelkönig-Stände. Die 175 von Naville übernommenen Kioske sind längst Agentur-geführt. «Es zeigt, dass das Modell in der Schweiz funktioniert», findet Mueller. Darum sollen die Agenturen «das dominante Modell bleiben».

Die Gewerkschaft sieht das anders und kritisiert seit Jahren die Arbeitsbedingungen in den Kiosken. Sie will das an Valora festmachen. Doch im Februar gab ein Schiedsgericht Valora recht: Die Agenturpartner seien selbständige Unternehmer und darum für die Arbeitsbedingungen verantwortlich. Dass Valora ihre Filialen zunehmend von Selbständigen führen lässt, ist der Grund für den starken Rückgang der Belegschaft. Heute ist kaum noch eine Kioskfrau auf der Valora-Lohnliste.

Kein reiner Retailer

Ein reiner Retailer, wie sich das Unternehmen heute nennt, ist Valora letztlich aber nicht. In Zürich kooperiert man mit der Glarner Kantonalbank. Langzeitbeobachter René Weber stimmt die Fintech-Tochter namens Bob Finance skeptisch: «Das macht eigentlich nur Sinn, wenn man eine gewisse Position im Markt hat.» Mueller entgegnet, das Projekt sei noch keine 18 Monate alt, langfristig angelegt und investitionstechnisch überschaubar. «Wir haben mit der OK-Debitkarte positive Erfahrungen gemacht», erklärt er. «Darum glauben wir auch, bei unseren Kunden genug Kredibilität zu haben, um ihnen einen Konsumkredit zur Verfügung zu stellen.» Skeptiker riechen hier schon die nächste Ausbaustrategie.

Nach neun Jahren als VR-Präsident verlässt Rolando Benedick Ende März 2017 das Unternehmen. Valora gehe jetzt in eine neue Wachstumsphase mit weiteren 
Zukäufen, um ein wichtiger Player im kleinflächigen Handel in ganz Europa zu werden, sagte er im Sommer der «Aargauer Zeitung».

Sein Nachfolger wird Franz Julen (58). Dessen Wahl an der Generalversammlung ist nur noch Formsache. Julen führte 17 Jahre lang den Zehn-Milliarden-Händler Intersport und trat 2007 dem Valora-VR bei. Zu seinem neuen Amt schweigt er. Als Präsident eines börsenkotierten Unternehmens muss er jedes Wort auf die Goldwaage legen. Daran müsse er sich erst noch gewöhnen, räumt er ein. Dass er sich aktiv einbringen wird, daran zweifelt allerdings keiner.