Oskar Holenweger, schillernder Privatbankier im Fadenkreuz der Bundesanwaltschaft, tat sich schwer beim Aufbau seiner Tempus Privatbank – zur Sanierung fehlte die Zeit.

Einen Beweis blieb Oskar Holenweger (61) schuldig. Taugt er als selbständiger Privatbankier? Bevor er sich auf dem Finanzplatz durchsetzte, nahm ihn die Bundesanwaltschaft in U-Haft. Und als er wieder draussen war, ging seine Bank an die Konkurrenz.

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Zuvor verlor seine Tempus Privatbank über Jahre rasant an Reserven. Ende 2003 war das Eigenkapital auf 10,2 Millionen Franken geschmolzen, wie in einem KPMG-Bericht vom Januar 2004 nachzulesen ist. Es bestehe das Risiko, dass die Bank die Mindestkapitalschwelle von zehn Millionen nicht mehr halten könne.
Was war geschehen?

Die Tempus Bank, das zeigen ihre Bilanzen, schrieb seit ihrer Gründung 1998 rote Zahlen. Bei einem Start-up nichts Aussergewöhnliches – die ersten vier Jahre, so die Erfahrung, muss mit Verlusten gerechnet werden.

Der Verlustvortrag per Ende 2001 betrug über elf Millionen Franken, in den zwei Jahren danach liefen weitere Verluste auf. 2003 betrug das Defizit noch 1,9 Millionen. Verpasst war Holenwegers Plan, bis ins Jahr 2000 rentabel zu sein.

Der harzige Geschäftsgang machte 2002 einen Kapitalschnitt notwendig, von 30 auf 20 Millionen. Im Sommer 2003 – vor seiner Verhaftung – erschien die Tempus auf dem Radarschirm der Bankenkommission. Die Behörde stellte finanzielle Probleme und organisatorische Mängel fest.

Als Holenweger seine Bank anschob, war das Umfeld garstig. Akienkurse brachen ein und liessen die Erträge in der Branche schmelzen. Auch Kapital floss ihm nicht in solchem Masse zu, wie es sich der erfolgshungrige Banker vorgestellt hatte. Insgesamt soll die Bank 600 Millionen an Kundengeldern betreut haben. In der Branche ist man sich einig: viel zu wenig, um rentabel zu sein.

Schade, Holenweger blieb keine Zeit, um sich der Bankenwelt zu beweisen. Der (Über-)Eifer der Bundesanwaltschaft zerstörte seine Ambitionen. Das definitive Aus kam Wochen nach seiner Verhaftung: Im Frühling 2004 wurde die Tempus von der M.M. Warburg Bank übernommen – zu lädiert war der Ruf. Im Verkaufsvertrag steht: «Die Tempus wird ohne Liquidation aufgelöst.»

Über den Verkaufspreis herrscht Stillschweigen. Geht man vom damaligen branchenüblichen Richtwert von 2,5 Prozent des verwalteten Vermögens aus, lag der Wert der Bank bei 15 Millionen Franken. Da Holenweger in höchster Not verkaufen musste, hat er wohl weniger gelöst.

Dabei hatte er sich viel vorgenommen. Sein Arbeitskollege bei der Bank Vontobel, Martin Ebner, war mit seiner BZ Bank längst zum wichtigen Player der Finanzwelt aufgestiegen. Dessen Kompagnon Ernst Müller-Möhl hatte es mit der Bellevue Bank ebenfalls nach oben geschafft. Ende der neunziger Jahre wollte auch Holenweger Chef im eigenen Unternehmen sein.

Zuvor hatte er stets starke Besitzer über sich – und das ging nicht nur gut. Bei der Bank Vontobel schied er 1995 im Unfrieden aus, weil er sich mit Hans-Dieter Vontobel überwarf. Im Abgangs-Communiqué – nach über 20 Jahren Firmentreue – kein Wort des Dankes. Das war kaum nach dem Gusto des erfolgsverwöhnten Bankers.

Auch schmeckte ihm nicht, dass sein nächster Arbeitgeber, die mächtige Sandoz-Stiftung, ihn in den Senkel stellte. Nachdem er mit einer «namhaften Beteiligung» an ihrer Banque Edouard Constant geblufft hatte, verkündete die Stiftung trocken: «Seine Beteiligung ist verschwindend klein.»

Sticheleien unter Egos, ansonsten durfte die Sandoz-Stiftung mit der Arbeit ihres Bankers zufrieden sein. Er brachte ihre Schatzkammer, die Privatbank Edouard Constant, auf Vordermann.

Wie sehr Holenweger um den grossen Auftritt besorgt war, zeigt ein Beispiel aus der Tempus Bank: In einer VR-Sitzung pochte er auf Einführung Respekt heischender Titel für die zehnköpfige Belegschaft. Er argumentierte mit den Erfahrungen bei der Banque Edouard Constant. «Dort wurden mit der titellosen Philosophie schlechte Erfahrungen gemacht. Der Titel soll nach aussen präsentieren», ist im VR-Protokoll nachzulesen.

Ins Bild passt auch, dass der Tempus-Chef bei Anwerbegesprächen von Bankern von verwalteten Kundengeldern in doppelter Höhe – von einer Milliarde Franken – gesprochen haben soll, wie «Cash» schrieb.

Dabei bestach das Konzept durchaus. Man bot sich als unabhängige Boutique an, die auf vermögende Familien abzielte. Das Risikomanagement basierte auf der Expertise von Professor Heinz Zimmermann, der im Tempus-VR sass.

Brillant, ehrgeizig, kantig, ungeduldig sind Attribute, die man Holenweger zuschreibt. Persönliches Jahresziel war, wie er in einem seiner raren Interviews einst betonte, der Engadiner Skimarathon. Zwei Stunden galten als Richtmarke.

Zielgerichtet ging es im persönlichen Gespräch zu. Wollte er sich erklären, griff er zum nächsten Fetzen Papier und skizzierte einen Entscheidungsbaum. Dann ging es an die Umsetzung. Nichts hat ihn mehr geprägt als die Armee, wo er es bis zum Obersten im Generalstab brachte.

Beachtlich war, wie er als Nicht-Thurgauer das Kommando des traditionsreichen Thurgauer Infanterieregiments 31 übernahm. Dort baute er seine Kontakte nach allen Seiten hin aus. Selbst Schriftsteller Niklaus Meienberg, Kritiker des Finanzestablishments, lernte er kennen. Im November 1991 lud er diesen in den WK ein, um mit ihm und dem Offizierskorps über die bevorstehende Armeeabschaffungs-Abstimmung zu streiten. Drei Tage später dankte er Meienberg auf Vontobel-Briefpapier, beigelegt war ein Check über 1000 Franken.

Im Militärdienst lernte er Hans-Dieter Vontobel, Nikolaus Senn, Robert Holzach, Peter Spälti und Ernst Mühlemann kennen. Über diese Militärschiene schaffte er es bei der Bank Vontobel als erstes Nichtfamilienmitglied nach ganz oben, zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung. Die Finanzbranche horchte auf.

Sein Netzwerk war filigran und flächendeckend. Besonders tüchtig strickte er daran am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, wo er regelmässiger Gast des Hausherrn Klaus Schwab war. Er kannte den WEF-Gründer aus gemeinsamer Vontobel-Zeit, Schwab sass bis 2002 im Verwaltungsrat der Vontobel Holding. In jenem Jahr weilte Holenweger am WEF in New York. Auf der Terrasse des Waldorf-Hotels plauderte er mit einem Reporter der «New York Times» und kommentierte die Anti-Globalisierungs-Demo auf der Park Avenue: 1968, da habe er noch selber in San Francisco gegen den Vietnamkrieg demonstriert. «Heute aber fehlt der gute Grund», meinte er.

Am WEF lernte er Chefredaktoren grosser Schweizer Medien kennen, mit ihnen traf er sich regelmässig unterm Jahr. Mit dem früheren «Cash»-Chefredaktor Markus Gisler ist er befreundet, mit einer Ringier-Journalistin seit Jahren liiert.

Holenwegers Kontakte reichen weit über WEF und Medien hinaus: Er pflegte Beziehungen zu Marc Rich und dessen Adlaten Thomas Frutig; Holenweger sass im Verwaltungsrat der Marc Rich + Co Finance. Aus der Politik kannte er Adolf Ogi und Christoph Mörgeli.
Kein Zweifel, der bestens vernetzte Holenweger legte eine Karriere hin, die in der Schweiz aussergewöhnlich war. Vom KV-Stift über die Geschäftsleitung der Bank Vontobel bis zum Privatbankier in Zürich. Professionell geprägt haben ihn die Vontobel-Jahre. Er galt als formidabler Stratege und forscher Akquisiteur: Nach dem Sturz des Schahs 1979 akquirierte «Holi», wie man ihn intern nannte, «erhebliche Mengen Neugeld». Anschliessend baute er das Lateinamerika-Geschäft auf und war schon bald verantwortlich fürs Privatkundengeschäft. Stets trat er mit braunem Teint, Charme und Forschheit auf.
Auf Auslandkundschaft setzte er auch bei der Tempus Bank. Ein Teil der Klientel – sie stammte zumeist aus den USA, Deutschland, Tschechien, Frankreich – schleuste ihr Vermögen am heimischen Fiskus vorbei. Die KPMG schreibt, dass etliche Kundengelder unversteuert waren – Schwarzgeld also, aber nicht aussergewöhnlich für den Finanzplatz Schweiz.

Derweil war Bundesanwalt Valentin Roschacher in der Causa Holenweger nicht zu bremsen. Er setzte einen luschen Informanten und einen zweifelhaften V-Mann auf ihn an. Auf Roschachers schwarze Liste rutschte auch die Revisionsgesellschaft Ernst & Young, die für die Tempus Bank die Abschlüsse tätigte. In einer Aktennotiz vom 11. November 2003, einen Monat vor Holenwegers Verhaftung, schrieb die Bundesanwaltschaft: «Auf keinen Fall dürfen Ernst & Young mit der Auswertung der Bankunterlagen beauftragt werden: Es besteht die Möglichkeit, dass diese Revisionsgesellschaft ‹problematische› Akten wird verschwinden lassen.»

Problematisch war zumindest die Orthografie der forschen Fahnder. In Akten der Bundesanwaltschaft mutiert Ernst & Young mehrmals zu «Ernest & Young».
So kam die KPMG zum amtlichen Auftrag, die Tempus Privatbank zu röntgen. Ihre akribische Arbeit förderte wenig Spektakuläres zu Tage: Aus ihren drei Berichten geht hervor, dass die Bank zwar unversteuertes Kapital verwaltete und dass das Eigenkapital bedrohlich schrumpfte – strafrechtlich Relevantes hat die KPMG nicht gefunden.

Für leichtsinnig halten ihn selbst kritische Weggefährten nicht. Er sei zwar aggressiv und egozentrisch, habe aber stets die Grenzen respektiert. Schon gar nicht wollte er etwas mit Geldwäscherei zu tun haben. «Eine kleine Bank überlebt selbst den kleinsten Skandal nicht», gab er intern mehrmals zum Besten. Standards werden auch im Einvernahmeprotokoll indirekt bestätigt: «Er war sehr bedacht auf Ethik und Integrität», sagte ein ehemaliger Tempus-Mitarbeiter bei der Bundesanwaltschaft aus. Und: «Er hat sogar selber Geldwäscherei-Fälle aufgedeckt» (Quelle: «Weltwoche»).

Nach siebenwöchiger U-Haft im Berner Regionalgefängnis war für Oskar Holenweger die Welt eine andere: Der Bankier musste seine Bank verkaufen, er trennte sich vom Ferienhaus in Champfèr GR und verlor all jene Freunde, die sich fürchteten, ihre Telefonnummer könnte in den Untersuchungsakten der Bundesanwaltschaft landen.

Oskar Holenweger selbst lässt durch seinen Anwalt seine Unschuld beteuern. Reden werde er erst, wenn das Verfahren abgeschlossen sei.
Stefan Barmettler und Monica Fahmy