Ende Juni schrieb 
Daniel Loeb seinen Geldgebern, er habe für mehr als 3,5 Milliarden Dollar Nestlé-Aktien gekauft. Zwar habe das Unternehmen womöglich den am besten positionierten Mix an Produkten und Märkten seiner Branche, doch bei der Aktionärsrendite «Return» hinke es den meisten Konkurrenten seit Jahren hinterher. Nestlé sei nun «reif für Verbesserung und Wandel».

Loeb präsentierte auch gleich seine Vorschläge: Nestlé solle sich explizite Renditeziele setzen und die Betriebsgewinnmargen in Richtung 20 Prozent steigern. Nestlé solle mehr Schulden aufnehmen, damit Aktien vom Markt kaufen und so den Börsenkurs hochtreiben. Nestlé solle die Geschäftsaktivitäten, 2000 Marken umfassend, auf wachstumsstarke Bereiche konzentrieren und andere dafür abstossen. Und schliesslich solle Nestlé ihren 23-Prozent-Anteil am Kosmetikkonzern L’Oréal verkaufen. «Monetizing the L’Oréal Stake» würde den Aktionären überlassen, ob sie nur in Nestlé oder in eine Kombination aus Nestlé und L’Oréal investiert sein wollten, und es würde zudem viel Geld freisetzen (zum Beispiel für Aktienrückkäufe).

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Viel Spektakel

Es war ein Paukenschlag, auf den das Publikum gewartet hatte. Vor einigen Monaten hatte der US-Lebensmittelriese Kraft Heinz einen 135-Milliarden-Dollar-Angriff auf den Konkurrenten Unilever gestartet. Zwar stehen hinter Kraft Heinz die Multimilliarden-Investoren Warren Buffett und Jorge Lemann, dennoch griff hier der Kleine den Grossen an; Unilever wiegt an der Börse 188 Milliarden Franken.

Ebenfalls seit Monaten attackiert der Hedge Fund Trian, der gerade einmal zehn Milliarden Dollar kontrolliert, mit einem satten Drittel seiner verwalteten Gelder den noch grösseren Konsumgütermulti Procter  &  Gamble (215 Milliarden Franken Börsenwert). Eben erst verlangte Fondsmanager Nelson Peltz einen Sitz im Verwaltungsrat. Dass sich in Zukunft auch einer an Nestlé (250 Milliarden) heranwagen würde, war nur eine Frage der Zeit.

Als sich Loeb schliesslich zu Wort meldete, ging dennoch ein Raunen durch die Märkte: Wie schnell der Gigant vom Genfersee ins Fadenkreuz geraten war, überraschte dann doch. Dass Loeb gerade mal 1,25 Prozent an Nestlé kontrolliert und mit seinem 17 Milliarden Dollar umfassenden Fonds wohl auch nicht mehr viel zulegen kann, ging ein wenig unter. Nestlé under attack, das war zu spektakulär.

Fremdkörper L'Oréal

Inhaltlich sind Loebs Forderungen allerdings kalter Kaffee. Seit vielen Jahren fordert die Finanzgemeinde Nestlé genauso beharrlich zu Wachstums- und Renditestärkungsmassnahmen auf, wie Nestlé sich Einmischungen aller Art stoisch verweigert hat.

Doch das neue Führungsduo Paul Bulcke und Mark Schneider präsentierte schon einen Tag nach Bekanntwerden von Loebs Einstieg ein «künftiges Wertschöpfungsmodell», das einige von Loebs Forderungen aufzunehmen schien und vor allem ein bombastisches Aktienrückkaufprogramm über 20 Milliarden Franken ankündigte. Besonders die hohe Summe legt nahe, dass Schneider dieses Programm, wie behauptet, tatsächlich unabhängig von Loeb plante: Nicht einmal Nestlé bekommt von der SIX die Genehmigung für einen derart gigantischen Rückkauf innerhalb weniger Tage.

Das Interessanteste ist deshalb eine Lücke – zu einem zentralen Programmpunkt Loebs verliert Nestlé kein Wort: L’Oréal kommt 
im «Wertschöpfungsmodell» nicht vor. Die Beteiligung am französischen Kosmetiker wirkt seit jeher wie ein Fremdkörper im Nahrungsmittelhersteller. Schon die Historie passt nicht zum verschwiegenen 
Eigenbrötler-Dasein in Vevey. Eine Legende besagt, L’Oréal-Chef François Dalle habe den Einstieg 1974 
mit Nestlé-Chef Pierre Liotard-Vogt als vorbeugende Massnahme eingefädelt, weil Frankreichs Sozialisten damals die Verstaatlichung wichtiger Unternehmen betrieben. Eine andere sagt, Gründertochter Liliane Bettencourt selbst sei es gewesen, die den Schweizer Hafen als Schutz vor übernahmewilligen US-Multis gesucht habe.

Verabschiedung in Raten

Das Investment lohnte sich jedenfalls: Beim Einstieg, der einen Anteil von rund 26,4 Prozent an L’Oréal umfasste, zahlte Nestlé 260 Millionen Franken. 2014 verkaufte Nestlé allerdings einen Teil der 
Aktien den Franzosen zurück und strich dafür nicht nur 3,4 Milliarden Euro in bar ein, sondern auch die zweite Hälfte des Hautpflege-Pharmaunternehmens Galderma, das L’Oréal und Nestlé bis dato je hälftig besessen und als Joint Venture geführt hatten. Die verbliebenen 23,3 Prozent sind aktuell 26 Milliarden Franken wert.

Dass Nestlé mit diesem Teilverkauf «zum Rückzug bläst», wie das Schweizer Fernsehen behauptete, stimmte jedoch nicht. Nestlé-Präsident Peter Brabeck hatte den Franzosen lediglich ein Stück Freiheit eingeräumt: L’Oréal konnte nun 
Aktienrückkaufprogramme aufsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass Nestlé zu einem Übernahmeangebot verpflichtet würde.

Lukratives Geschäft bewahren

Denn im Umgang mit den stolzen Franzosen ist spätestens seit 1992 Vorsicht oberstes Gebot. Damals hatte Brabecks Vorgänger Helmut Maucher als Konzernleiter offen davon gesprochen, L’Oréal übernehmen zu wollen, und 1993 an der Bilanzpressekonferenz nachgelegt, er würde zu einem Mehrheitsanteil an L’Oréal «sicher nicht Nein sagen».

Nicht nur Madame Bettencourt fand solche Ambitionen des Maggi-Verkäufers Maucher impertinent. Auch ihre treuen Leutnants an 
der operativen Konzernspitze, zunächst Lindsay Owen-Jones und heute Jean-Paul Agon, wollten ihre Eigenständigkeit nie verlieren. Und schon gar nicht wollten sie die Welt der Topmodels und Superstar-Markenbotschafter ins Reich von Tierfutter und Tiefkühlpizza eingliedern, das wäre der Grande Nation kaum angemessen und brächte ihre hoch bezahlten Chefjobs in Gefahr. Allein Owen-Jones hat sich beim Kosmetikkonzern L’Oréal in Form von Gehalt, Aktien und Mitgiften der greisen Firmenerbin eine gute halbe Milliarde Franken Vermögen zusammengeschminkt.

Wilde Spekulationen

Dennoch ist die Diskussion um die Zukunft der L’Oréal-Beteiligung so alt wie die Beteiligung selbst. Als L’Oréal 2006 von Firmengründerin Anita Roddick die Kette The Body Shop übernahm (die sie erst vor einigen Wochen wegen nachhaltiger Erfolglosigkeit wieder abstiess), liess Roddick öffentlich wissen, dass sie dies nur «im Vertrauen auf Jean-Paul Agon» tue – weil dieser ihr zugesichert habe, dass ihre Firma nie in die Hände von Nestlé fallen würde. Dass diese Absprache öffentlich wurde, war wohl eine gezielte Demütigung für die Schweizer.

Vielleicht trug dies dazu bei, dass Peter Brabeck im Dezember 2007 in der «Financial Times» von «interessanten Synergien» mit L’Oréal und einem «umfassenden Konzept» sprach, das er sich vorstellen könne. Und in der vorallem ab 2008 ausgetragenen schmutzigen Familienfehde zwischen Liliane Bettencourt und ihrer Tocher Françoise Bettencourt-Meyers verhielt sich Nestlé still. Die Tochter wollte die zunehmend demente Mutter, die echte und wohl auch weniger echte Freunde mit Millionengaben beschenkte, für geschäftsunfähig erklären lassen. Dafür wurde die Tochter zum möglichen Einfallstor Nestlés für eine feindliche Machtübernahme dämonisiert. Nestlé bot den Rückzug nicht an – L’Oréal hätte sich den Kauf der eigenen Aktien problemlos leisten können. Hier zeigte Nestlé Standfestigkeit.

Auch die Presse versuchte sich immer wieder an dem Thema. 2008 erklärte die «Weltwoche», Nestlé und L’Oréal würden «eigentlich perfekt zusammenpassen». Im Januar 2014 hingegen schrieb die «SonntagsZeitung» von ominösen «Marktkennern», die einen Verkauf des gesamten Nestlé-Pakets «in 
diesem Jahr für immer wahrscheinlicher» hielten. Und befand zugleich, der Ausstieg «aus dem mit L’Oréal gemeinsam gehaltenen Joint Venture Galderma wäre naheliegend» für Nestlé, denn «mit dermatologischen Produkten» dürften die Chefs in Vevey «wenig anzufangen wissen». Es kam bekanntlich eher umgekehrt.

Respekt vor greiser Besitzerin

Was L’Oréal-Vormann Jean-Paul Agon denkt, machte er 2014 deutlich, als er Nestlés Beteiligung an L’Oréal mit dem Neun-Prozent-Engagement von L’Oréal beim Pharmakonzern Sanofi verglich: Seit 40 Jahren sei man dort «sehr glücklich» investiert. Das Paket ist als reine 
Finanzbeteiligung eingestuft, der Nestlé-Besitz an L’Oréal jedoch «strategisch» – was Agon nicht von seiner gewagten Analogie abhielt: «Wir haben einen Stake an Sanofi, das ist ein wenig wie Nestlé an L’Oréal. Da gibt es interessante Parallelen.»

Allerdings nähern sich die Nestlé-Bosse heute wieder dem Gedanken, L’Oréal zu übernehmen, wie ein Insider berichtet – auch wenn der Eintritt in den Markt für dekorative Kosmetik ein ruckartiger Strategieschwenk wäre, zumal mit überschaubaren Schnittmengen zum aktuellen Geschäft. Bis Matriarchin Liliane, die im Oktober 95 Jahre alt wird, das Zeitliche segnet, wird Nestlé aber schon aus Respekt stillhalten; eine Vereinbarung untersagt zudem Aktienkäufe bis sechs Monate nach Bettencourts Ableben.

Zwei gegen drei

Im Verwaltungsrat von L’Oréal, den Nestlé-Gegner Jean-Paul Agon führt, ist die Familie klar in der Überzahl: Nestlé-Präsident Paul Bulcke und seine französische Deutschland-Chefin Béatrice Guillaume-Grabisch stehen Françoise Bettencourt-Meyers, ihrem Ehemann Jean-Pierre Meyers sowie deren gemeinsamem Sohn Jean-Victor gegenüber. Im Nestlé-Verwaltungsrat ist die French Connection überschaubar. Hier sitzt mit Ex-Axa-Chef Henri de Castries zwar eine einflussreiche Managerikone – aber dass de Castries in seinem Heimatland Türen für eine Übernahme des Kosmetikers öffnen könnte, falls er es überhaupt wollte, wäre schon sehr viel erwartet.

Einige Finanzanalysten spekulieren, CEO Mark Schneider werde sich beim Nestlé-Investorentag Ende September zur L’Oréal-Frage äussern. Schneiders Aussage im deutschen «Manager Magazin», Nestlé sei mit der L’Oréal-Beteiligung «mehr als 40 Jahre ausgesprochen gut gefahren», deutet nicht auf überraschende Richtungswechsel hin. Als viel wahrscheinlicher gilt, dass Schneider dort mit gemessenen Worten Loeb klarmachen wird, dass er sich den L’Oréal-Verkauf abschminken kann. Das wäre jedenfalls typisch Nestlé.

Dirk Ruschmann
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