Das Webradio Gwendalyn sendet von Chiasso aus abseits des Mainstreams und bietet Platz für Nischenmusik, ethnische Vielfalt und alternatives Kulturschaffen. Mitgründer und Regisseur Alan Alpenfelt hofft ab Herbst auf einen Dauersendeplatz im privaten DAB+.

Das kleine Studio von Radio Gwendalyn in Chiasso liegt versteckt hinter einem Grafikbüro gegenüber dem Bahnhof und Park&Ride. Insider betreten die Räumlichkeiten durch eine kleine Glastür vom Innenhof aus. Draussen liegt staubige Hitze über der Grenzstadt. Im orange-rot gehaltenen Studio, das mit seinen Bistrotischen an ein alternatives Studentencafé erinnert, ist es dagegen angenehm kühl.

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Livesendungen beginnen am Abend

Alan Alpenfelt bereitet einen Espresso zu, während er über seine Arbeit berichtet. Im Hintergrund laufen afrikanische Rhythmen: Radio Gwen im Stream. «Es sind Klänge aus dem westafrikanischen Benin», sagt Alpenfelt. Musik, die er selbst von Reisen und Projekten mitgebracht habe. «Die Livesendungen mit Moderation dagegen beginnen erst am Abend», erläutert der schottisch-schweizerische Soundkünstler. Denn alle Mitwirkenden müssten tagsüber ihren Jobs nachgehen.

Entsprechend sind die beiden Tonstudios am Nachmittag noch verwaist. Dafür bereitet an einem der Computer ein junger Mann mit Kopfhörern seine Sendung vor. Alpenfelt: «Radio Gwen ist für viele Mitarbeiter zum Karrieresprungbrett geworden. Einige arbeiten beispielsweise inzwischen beim Tessiner Radiosender RSI. Weil bei Gwen jeder alles machen muss, Moderation, Technik und Programm, sei der Learning-By Doing-Effekt sehr hoch. Das mache die - immer ehrenamtliche - Mitarbeit attraktiv.

Minimum an künstlerischer Leitlinie

Rund 20 Personen wirken aktuell an den Sendungen mit. Radio Gwen mit einem «offenen Kanal» zu vergleichen, bei dem jeder seinen Sendeplatz füllen könne, wie er wolle, sei aber nur bedingt richtig, erläutert Alpenfelt, der das Webradio im Jahr 2005 gemeinsam mit einem Freund gründete.

Der nichtkommerzielle, unabhängige Sender soll zwar Raum für Nischenmusik, alternatives Kulturprogramm und diverse, im Kanton präsente Kulturen und Sprachen bieten. Aber die einzelnen Programme seien nicht völlig frei in ihren Inhalten. «Ein Minimum an künstlerischer Leitlinie ist vorgegeben.»

In der Umsetzung sehe das folgendermassen aus: «Wenn jemand Interesse an der Gestaltung einer Sendung hat, stellt er oder sie das Programm erst einmal dem Komitee aus fünf Personen vor. Anschliessend wird eine Pilotsendung aufgenommen, um zu testen, ob die Idee wirklich funktionieren kann.»

Der Radiogründer ergänzt: «Früher haben wir den einzelnen Teilnehmern komplett freie Hand gelassen.» Inzwischen bestehe aber ein gewisser Anspruch an Qualität, weshalb mehr auf die Inhalte geachtet werde.

Hoffen auf Radiofrequenz

Das hat seine Gründe: Radio Gwen ist als privates Webradio bisher nur über das Internet zu empfangen. Einmal im Jahr gibt es allerdings eine Ausnahme: Während des einwöchigen Festivals «Gwenstival» mit ganztägigen Radiosendungen und Livekonzerten bekommt Gwen eine kurzzeitige Radio-Frequenz auf FM und ist im Tessin noch über das normale Radio zu empfangen.

Schon seit einer gewissen Zeit setzt sich Alpenfelt für eine ganzjährige FM-Frequenz ein, die allerdings bisher an der Lizenzvergabe durch das Bundesamt für Kommunikation gescheitert ist.

Entsprechend erhält «Gwen» auch keine Zuschüsse seitens der öffentlichen Hand. Stattdessen ist geplant, dass der Radiosender ab Herbst im Tessin über DAB+ zu empfangen ist. Eine erfolgreiche Crowdfunding-Aktion macht den Einstieg auf den privaten und kostenpflichtigen Sendeplatz möglich. Ob Gwen sich dort finanziell dauerhaft halten könne, müsse sich allerdings erst zeigen, so Alpenfelt.

Seiner Meinung nach kann der Kanton ein Radio, das sich inhaltlich vom Mainstream unterscheidet, gut gebrauchen. Entsprechend hofft er auf Unterstützung durch die kantonalen Behörden.

Flüchtlinge sollen einbezogen werden

Alpenfelt vergleicht Gwen mit unabhängigen Stationen in anderen Kantonen, wie beispielsweise Radio X Basel, Radio Dreifach Luzern oder Radio Cité Genf. «Unser nächstes Projekt ist der Einbezug von Flüchtlingen», sagt Alpenfelt. «Ab Winter wird es 'Radio Chiara' mit Sendungen in Fremdsprachen geben.»

Migranten sollen die Möglichkeit bekommen, im Studio eine Ausbildung zu absolvieren. Die Pläne, Sendungen in verschiedenen Sprachen anzubieten, beziehe sich aber nicht nur auf Flüchtlinge. Grundsätzlich besteht das Interesse, allen im Kanton lebenden Nationen und Kulturkreisen eine Stimme zu geben. «Denjenigen Raum geben, die bisher keine Stimme im Tessin haben», sei das Prinzip. Die Inhalte der Sendungen sollen immer einen regionalen Bezug haben und sich um Leben und Kulturveranstaltungen im Tessin drehen.

Tessin als ideale Region

Alpenfelt hofft auf diese Weise einen Beitrag zur Integration zu leisten. Der schweizerisch-britische Doppelbürger selbst lebt in der Südschweiz, im Mendrisiotto, seit er elf Jahre alt ist. Vorher wuchs er im Kanton Bern auf. Seine Mutter ist Schottin, sein Vater Italiener.

Familiär geprägt wurde er durch die schrecklichen Erfahrungen, die sein Vater als Kind in einem Konzentrationslager erlebte. Die Biografie des Vaters sei der Grund, weshalb seine Familie in der Schweiz lebe. Das Tessin gilt für ihn als ideale Region, nämlich «italienischsprachig» und «aussenpolitisch neutral».

Soziale und kulturelle Verantwortung

Die Vernetzung von Radio Gwen in und ausserhalb des Kantons verweist auf das Selbstverständnis des Webradios hinsichtlich sozialer und kultureller Verantwortung. So gibt es überregional einen Austausch mit Radio Vostok in Genf, um über Sprach- und Kantonsgrenzen hinweg das Kulturschaffen des jeweils anderen Kantons sichtbar zu machen.

Weitere Zusammenarbeit, auf lokaler Ebene, besteht mit Radio Casvegno, einem Radio der sozialpsychiatrischen Organisation Mendrisio, und mit Nettune, dem Netzwerk kleiner unabhängiger Schülerradios aus Lugano.

Die Finanzierung der Aktivitäten des nicht-kommerziellen Senders erfolgt über Projekte, durch Zuschüsse der Stiftung für Radio und Kultur Schweiz und durch Spenden.

Grenzen zwischen Schau- und Hörspiel verwischen

Auch Alan Alpenfelt verdient seinen Lohn nicht durch sein Engagement für Radio Gwen. Die beruflichen Aktivitäten des Regisseurs und Soundkünstlers sind aber eng an seine Radioarbeit geknüpft. Bei ihm verwischen sich die Grenzen zwischen Schau- und Hörspiel. Mit seiner Theaterkompanie VXX Zweetz setze er beispielsweise «Words und Music» von Samuel Beckett in Szene - sowohl für die Bühne als auch für Radioübertragungen.

Er produziert zudem Hörspiele für die RSI und Bühnenstücke für «Lugano in scena» und «Chiasso letteraria». Mit seinem Label «Pulver & Asche Records» unterstützt er Künstler und bringt «Lautpoesie» heraus. «Töne und Klänge bilden letztendlich immer den Mittelpunkt meiner Arbeit», ergänzt er.

(sda/ccr)