BILANZ: Das World Economic Forum (WEF) 2005 ist vorbei. Was war für Sie das herausragende Ereignis?

Mirjam Schöning: Dass wir achtzig Sozialunternehmer hier in Davos hatten. Eingeladen wurden sie von der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship, einer Stiftung, die von WEF-Gründer Klaus Schwab und seiner Frau Hilde gegründet worden ist. Diese Sozialunternehmer brachten neuen Wind in den Spirit of Davos.

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Inwiefern das?

Sehr viele Diskussionen in Davos finden auf der Makroebene statt. Die Social Entrepreneurs arbeiten an weitgehend unbekannten, konkreten Projekten überall auf der Welt.

Sharon Stone outete sich als Gutmensch im Blitzlichtgewitter der Weltpresse. Von Ihren Social Entrepreneurs dagegen hört man nichts.

Es sind Unternehmer, die vom Radar der Öffentlichkeit nicht erfasst werden. Sie setzen das vor Ort um, wovon hier am WEF geredet wird. Es ist eine Bewegung von unten nach oben.

Zufall, dass dies auf dem Höhepunkt der Kritik der Globalisierungsgegner am WEF geschah?

Das hat nichts miteinander zu tun. Wir wollten damals nicht als das Feigenblatt des WEF gesehen werden, um zu zeigen, dass das Forum angesichts der öffentlichen Kritik auch soziale Themen zu integrieren im Stande ist. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren unsere Arbeit eher im Stillen getan. Es mag sein, dass heute unsere Tätigkeit mit dem allgemeinen Zeitgeist wieder kompatibler ist.

Was heisst das konkret?

Uns geht es darum, überall auf der Welt herausragende Sozialunternehmer zu finden und zu fördern. Wir übersetzen Social Entrepreneur lieber mit Sozialunternehmer als mit sozialem Unternehmer. Es sind Männer und Frauen, die unternehmerisch handeln. Ihr Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Maximierung des sozialen Nutzens.

Was bringt da die Foundation?

Als wir im Jahr 2001 erstmals eine Gruppe von Social Entrepreneurs nach Genf einluden, wollten wir das überzeugendste Projekt mit einer Million Dollar auszeichnen. Wir haben zu unserem Erstaunen eine Revolution von unten erlebt. Die Auserwählten wollten nämlich kein Geld.

Wie bitte? Die wollten die Million nicht?

Genau. Sie wollten keine Dollars, sondern Kontakte. Zugang zu Davos, zum globalen Netzwerk des World Economic Forum und Auftritte in den Panel-Diskussionen, um ihre Ideen und Erfahrungen bekannt zu machen. Natürlich auch, um Geldgeber und Investoren zu finden.

Wer ist denn der typische Social Entrepreneur?

Er ist, überspitzt gesagt, eine Kombination aus Mutter Teresa und Bill Gates. Soziales Denken muss sich mit unternehmerischer Kraft verbinden.

Geben Sie uns ein Beispiel.

Microfinance ist mittlerweile sicher die bekannteste Form von Social Entrepreneurship. In der ersten Runde hat uns eine Organisation aus Bangladesch sehr beeindruckt, die unter anderem im Bereich Microfinance tätig ist. Sie vergibt Kleinstkredite hauptsächlich an Frauen. Frauen bekamen so Zugang zu Krediten und konnten unternehmerisch aktiv werden. Die eine Frau bürgte für die nächste, so wurden auch die Ärmsten kreditwürdig. Die Rückzahlung der Kredite lief erst noch besser als bei konventionellen Krediten.

Ein Modell für die Dritte Welt?

Nein. Überhaupt nicht. Die Idee des Social Entrepreneurs existiert auch in der Schweiz. Denken Sie an die Raiffeisenbanken, die im vergangenen Jahrhundert auch nichts anderes taten, als Kleinkredite an Bauern auf dem Land zu vergeben. Oder an die Migros, die billige Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs in die ländlichen Gegenden brachte. Beides Beispiele von Sozialunternehmertum.

Und beide datieren aus dem letzten Jahrtausend.

Richtig. Was nicht heisst, dass es in der Ersten Welt, in Europa und der Schweiz, keine Beispiele von Sozialunternehmern gäbe. In den USA ist dies bereits in grösserem Stil der Fall, und auch in Europa wird der Bedarf angesichts leerer öffentlicher Kassen zunehmen.

Kennen Sie Beispiele in der Schweiz?

In Basel existiert die Job Factory, ein marktwirtschaftliches Unternehmen, das von Büro- bis Schreinerarbeiten eine ganze Palette an Dienstleistungen anbietet. Ausgeführt werden die Arbeiten von arbeitslosen Jugendlichen unter professioneller Anleitung. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit in der Nordwestschweiz ist dies ein gutes Beispiel von Social Entrepreneurship und nicht das einzige in der Schweiz.

Mirjam Schöning (34) ist Betriebswirtin HSG und Master of Public Administration (MPA) der Harvard University. Heute ist sie Direktorin bei der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship.