Vier Jahre lang hat sich Nvidia-CEO Jensen Huang nicht mehr auf einer Bühne blicken lassen – am 29. Mai auf der Computex-Messe in Taipeh kehrte er mit Verve zurück: «Ich bin wieder da», rief er seinem Publikum zu und startete in eine furiose Präsentation von mehr als einem Dutzend Innovationen rund um künstliche Intelligenz.

Der Gründer des Chipkonzerns aus Kalifornien stammt selbst aus Taiwan und begrüsste die Zuschauer auf Chinesisch. Für die Computermesse in der Heimat hatte er sich eine wichtige Ankündigung aufgespart: «Es passiert aktuell ein fundamentaler Umbruch in den Datenzentren der Welt», so Huang.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Zum einen, so Huang, werden klassische Server-Chips nicht mehr schneller. Stattdessen müssen nun immer mehr Chips parallel geschaltet werden, um noch Geschwindigkeitsgewinne zu erzielen. Zum anderen verlangt generative künstliche Intelligenz eine neue Form von Rechenleistung.

Denn die Gleichungen, die für das Training notwendig sind, lassen sich besonders effizient mit Chips rechnen, die einst für Computerspiele erfunden wurden. Sogenannte «Graphic Processing Units» oder auch «GPU» können viele einfache Gleichungen parallel ausführen anstatt hintereinander wie gewöhnliche Chips.

Bekannt ist das bereits seit etwa 2008, und Huang hat mit Forschungsinvestitionen im Milliardenbereich und Zukäufen von Supercomputer-Firmen seit 15 Jahren mit seinem ganzen Konzern darauf gewettet, dass die einstigen Spiele-Chips essenziell für die künstliche Intelligenz sind.

Erst jetzt zahlt sich die Wette wirklich aus – denn seit vergangenem Jahr sind die Algorithmen, die generative künstliche Intelligenz wie das aktuell Furore machende Sprachmodell Chat GPT möglich machen, bereit für den Masseneinsatz.

Nvidias parallel rechnende Grafikprozessoren

Nvidias Aktienkurs explodierte mit der Bekanntgabe der neuesten Quartalsprognose am 25. Mai. Da gab Huang bekannt, dass er aktuell so viele Chips für KI-Berechnung verkauft, wie er nur liefern kann, und dass er bereits vergangenes Jahr zusätzliche Kapazitäten bei seinem Auftragsfertiger TSMC in Taiwan reserviert hat.

Bereits 2016 erklärte der CEO im Interview mit WELT, warum er davon überzeugt ist, dass seine Wette aufgeht: «Ich glaube, dass im Bereich des Parallel-Rechnens – also der Technologie, auf der unsere GPU-Chips basieren – keine physischen Grenzen in Sicht sind», sagte er damals.

«In dieser neuen Technologie-Welt können wir Aufgaben nicht mehr nur mit einem Rechenkommando nach dem anderen abarbeiten, sondern Millionen von künstlichen Neuronen parallel die Lösung suchen lassen. Dieses neue Computer-Modell hat absolut keine Grenzen – und wir haben den idealen Prozessortyp dafür entwickelt.»

Seit dem Gespräch von 2016 hat der Konzern zum einen GPUs entwickelt, die dreissigmal so schnell rechnen wie damals. Zum anderen hat der Konzern durch einen milliardenschweren Zukauf eine entscheidende Technologie für den Bau von parallel rechnenden Supercomputern erworben.

Huang selbst nannte die Investitionen von 7 Milliarden Dollar (6,36 Milliarden Franken) in die israelische Firma Mellanox im Jahr 2019 in seiner Computex-Rede eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen, die er jemals getroffen hat. Denn mit der Mellanox-Netzwerktechnik kann Nvidia nun Supercomputer bauen, in denen bis zu 256 der GPU-Chips vernetzt werden zu einem einzigen virtuellen Superchip.

Nvidia bietet Supercomputer von der Stange

Auf der Computex zeigte Huang, was damit machbar wird: Nvidias neuer «DGX GH200»-Computer ermöglicht es Firmen, einen fertig entwickelten Supercomputer für ihr Rechenzentrum einzukaufen, der sich gegenüber KI-Programmen verhält wie eine einzige, rasend schnelle Super-GPU. Die normalerweise hochkomplexe Steuersoftware für Supercomputer, die den Betrieb in Rechenzentren aufwendig komplex macht, soll weitgehend nicht mehr nötig sein.

Auch das schwierige Design der Netzwerkarchitektur entfällt grösstenteils. Nvidia bietet mit dem GH200 gewissermassen Supercomputer von der Stange.

Damit liefert der Konzern die Schaufeln für den aktuellen Goldrausch der künstlichen Intelligenz. Denn das Training von grossen Modellen wie etwa Chat GPT 4.0 ist derart aufwendig, dass aktuell nicht nur grosse IT-Konzerne wie Facebook, Microsoft oder Amazon an neuen Supercomputern bauen, sondern auch Start-ups wie etwa die deutsche Aleph Alpha bei Nvidia Schlange stehen, um die Spezialchips zu erwerben.

Dank der jahrzehntelangen Forschungsarbeit hat Nvidia ein ganzes Ökosystem rund um künstliche Intelligenz entwickelt. Der Hersteller bietet neben den Chips und Computern auch gleich Simulationssoftware, Netzwerktechnik, Chips für die Anwendung in Endgeräten wie etwa selbstfahrenden Autos an. Dieses Ökosystem hat Nvidia allen anderen Konkurrenten voraus – dementsprechend kann Huang für seine Chips relativ hohe Preise verlangen, ohne dass seine Kunden mit dem Gang zur Konkurrenz drohen können.

Nvidia hat Börsenwert von mehr als einer Billion Dollar

Doch Internetriesen wie Meta oder Google wollen sich nicht dauerhaft von einem einzigen Anbieter abhängig machen. Deswegen erforschen sie selbst Alternativen: Meta kündigte Mitte Mai einen eigenen Chip insbesondere für die Berechnungen rund um die Anwendung fertig trainierter Algorithmen an, und auch Google entwickelt mit seinen «Tensor»-Chips ähnliches.

Nvidias direkte Konkurrenten AMD und Intel arbeiten längst an eigenen KI-Chips. Doch dank Huangs Weitsichtigkeit hat Nvidia einen grossen Vorsprung – zumindest führt momentan beim Training der KI kein Weg an den Chips der Kalifornier vorbei.

Das sehen auch viele Anleger ähnlich. Nvidia hat mittlerweile einen Börsenwert von mehr als einer Billion Dollar (rund 909 Milliarden Franken) erreicht. Der Chiphersteller ist damit in den sehr exklusiven Kreis der Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als einer Billion Dollar vorgestossen. Einen solchen Börsenwert haben ansonsten nur der Technologiekonzern Apple, der Softwareriese Microsoft, der Online-Handelsgigant Amazon, der Google-Mutterkonzern Alphabet und der saudi-arabische Ölkonzern Aramco.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de unter dem Titel «Diese Wette macht Nvidia zum Billionenkonzern».