BILANZ: In Kürze tagt das World Economic Forum erstmals nicht mehr in Davos, sondern in New York. Verspüren Sie eine gewisse Angst?
Klaus Schwab:
Sicher nicht Angst! In enger Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden haben wir alles Menschenmögliche vorgekehrt, um die Sicherheit und gleichzeitig die Bewegungsfreiheit der Teilnehmer zu garantieren. Persönlich fühle ich eine innere Spannung, wie ein Intendant vor einer wichtigen Premiere mit 2000 Gästen.

Und das Stück verspricht viel …
Ich bin überzeugt, dass das Jahrestreffen in New York eine noch grössere Wirkung und einen grösseren Nutzen zeitigen wird als die vorgängigen Konferenzen in Davos.

Wie ist die Sicherheit organisiert?
Da bin ich glatt überfragt – um die Sicherheit habe ich mich nicht kümmern müssen. Nachdem die Amerikaner für die Veranstaltung grünes Licht gegeben haben, liegt sie diesmal fast ausschliesslich in den Händen des Gastgeberlandes. In Davos hatte sie mich viele Stunden und einige schlaflose Nächte gekostet.

Insofern sind Sie gar nicht unglücklich, dass sich das WEF zumindest in diesem Jahr nicht in Davos versammeln muss …
Ich hatte lange grosses Vertrauen, dass die Schwierigkeiten in Davos gelöst werden können. Erst nach den Gesprächen im Oktober vor Ort und in Chur musste ich ein Fragezeichen machen, insbesondere was die Sicherheit betrifft. Erst dann wurde auch die Alternative New York geboren, die dann sofort auf grosse Begeisterung gestossen ist – in New York selbst und auch bei den Ausschüssen unserer Mitgliedsfirmen. Kein Mitglied hat explizit gesagt: Bleibt!

Hat es gleichwohl einige Abmeldungen gegeben?
Am Anfang schon, aber dann konnten wir uns der Anmeldungen kaum erwehren: Alle wollen in New York dabei sein.

In Davos hätte es wahrscheinlich viele Absagen gegeben …
Sicher. Doch nun zeigen wir unsere Verbundenheit mit New York nach dem 11. September. Gleichzeitig unternehmen wir alles, damit die Schweiz als Gewinnerin dasteht: Wir heben die schweizerisch-amerikanische Partnerschaft hervor; beide Länder sind Gastgeber; wir eröffnen das Forum gemeinsam mit Bundespräsident Villiger; auch den traditionellen Länderabend bestreitet die Schweiz.

Eigentlich verrückt, wie schnell das jahrelang erfolgreiche Forum in der Schweizer Öffentlichkeit zur Disposition gestellt worden ist. Wie erklären Sie sich das?
Lassen Sie mich etwas ausholen. Ein Grund ist sicher, dass sich nach dem Fall der Mauer 1989 eine neue Epoche aufgetan hat, in der plötzlich das Primat der Wirtschaft galt. Wirtschaftliche Ziele rückten auf Kosten der politischen Ziele in den Vordergrund, oder es wurde zumindest so empfunden. Für Fragen der Sicherheit, der Gerechtigkeit und des Friedens schien es plötzlich keinen Platz mehr zu haben. Ein wachsender Teil der Bevölkerung hatte damit Mühe. Es entstand eine Bewegung, die empfand, dass etwas nicht mehr in Ordnung ist.

Meinen Sie das selbstkritisch?
Ich war einer der Ersten, die bereits 1996 öffentlich vor Rückschlägen der Globalisierung gewarnt und auf die Vernachlässigung gesellschaftlicher Ziele hingewiesen haben. Die Protestaktionen haben sich dann leider nach Seattle und Prag fälschlicherweise auch das Forum zum Ziel genommen, obwohl unser Motto stets lautet: «Enterpreneurship in the global public interest» – Unternehmertum ja, aber immer den sozialen und gesellschaftlichen Interessen untergeordnet.

Was Sie besonders irritieren musste, war die breite – explizite oder zumindest latente – Sympathie, welche die WEF-Gegner in der Bevölkerung genossen haben und wohl immer noch geniessen.
Ich habe vor zwei Jahren klar darauf hingewiesen, dass wir eine internationale Organisation und eine internationale Konferenz mit Standort Schweiz sind – die Teilnehmer in Davos kamen in den letzten Jahren stets zu gut 95 Prozent aus dem Ausland. Durch die Proteste wurden wir jedoch plötzlich innenpolitisch vereinnahmt. Plötzlich waren wir eine schweizerische Konferenz und nicht mehr das Aushängeschild der Schweiz für das Ausland. Wir sind in eine ideologische, innenpolitische Auseinandersetzung zwischen rechts und links geraten.

Hat das Forum nicht auch zu lange dem Zeitgeist gehuldigt, was beispielsweise die New Economy betrifft?
Einverstanden! Wir waren wohl alle zu euphorisch, was dies betrifft. Man hat manche Dinge nicht mehr realistisch gesehen. Aber bereits 1999 hat bei uns das Thema geheissen: «Responsible globality». Wie schafft man eine Globalisierung mit einer humanen, sozialen Dimension?

Offenbar wollte das in Davos aber niemand hören.
Man muss differenzieren und nuancieren. Unter den rund 1000 Mitgliedsfirmen finden Sie alle Schattierungen, obwohl wir sehr wählerisch sind und schwarze Schafe ausschliessen. So haben wir sehr sozial eingestellte Unternehmen bis hin zu solchen, die reinen Shareholder-Value predigen und praktizieren. Unsere Aufgabe ist es, so zu wirken, dass die soziale Verantwortung einen grösseren Stellenwert bekommt.

Nun hatte man auch innerhalb des World Economic Forum von Dissonanzen gehört, die mit der Neuausrichtung zusammenhingen und mit Ihnen als Führungsperson. Wie autoritär müssen Sie sein?
Weniger, als Sie denken! Ich kann manchmal autoritär sein und schäme mich überhaupt nicht dafür. Ich bin stolz, dass es uns in den letzten beiden Jahren gelungen ist, die Organisation grundlegend zu wandeln. Die ersten 30 Jahre haben wir vor allem Events kreiert und gemanagt, vielleicht besser als jemand anders auf der Welt. Aber das hat nicht mehr gereicht. Unsere Mitglieder wollen mehr von uns als ein perfekt organisiertes Davos. Sie verlangen von uns breit abgestützte intellektuelle Kapazitäten, die sich systematisch mit den relevanten Dingen beschäftigen, die auf der Welt anstehen und ablaufen. Vor zwei Jahren waren wir 80 Mitarbeiter mit einem Big Boss und Leuten, die ausgeführt haben. Heute sind wir 160 Mitarbeiter, 120 davon mit akademischer Ausbildung, und relativ dezentral organisiert. Ich bin «nur» noch Chairman und Chief Strategist. Die Geschäfte werden von einem starken, fünfköpfigen Board geführt. Auch auf der zweiten Ebene gibt es 30 Topleute.

Ist das Forum damit auf dem Weg, ein Think-Tank zu werden?
Nein, davon gibt es so viele. Wir müssen der Schwamm sein, der das Wissen aufsaugt, ein führender Hub, der stets weiss, wo die besten Think-Tanks sind und die relevanten Entscheidungsträger, um die von uns definierten 180 globalen Herausforderungen angehen zu können. Wir können nicht Leute gebrauchen, die sich wie bei Think-Tanks für eine gewisse Zeit in stille Kämmerchen vergraben und einem Problem nachgehen. Wir brauchen Konzeptleute, die wissen, wenn man beispielsweise von Bioethik spricht, welches die weltweite Gesetzgebung ist, und die entsprechenden Kontaktnetze etablieren können, damit wir stets auf dem höchsten Wissensstand in Bezug auf ein Problem sind.

Was machen Sie dann damit?
Wir bringen dieses Wissen in die Arbeitsgruppen ein und in die Programme der Events. Wir garantieren, dass unsere Mitglieder mit dem neusten Wissenstand versorgt werden und nicht mit irgendwie zusammengewürfelten Meinungen. So können wir Pflöcke einschlagen, sichtbare Spuren legen, aber auch Wegweiser sein. Das WEF stellt inzwischen eine einzigartige intellektuelle Plattform zur Verfügung, mittels deren Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam globale Herausforderungen definieren und wenn möglich Antworten und Lösungen finden können.

Diese «Forum plus»-Formel hat zur Folge, dass Sie mehr hoch qualifizierte Mitarbeiter benötigen. Wer bezahlt das?
Die Mitglieder bezahlen für die Teilnahme an den Arbeitsgruppen eine so genannte Partnerschafts-Fee. Mit einer zweiten Stiftung, die komplementär zum Forum wirken soll, versuchen Sie mehr an die Basis heranzukommen. Warum? Das Forum wird attackiert, eine Veranstaltung der Eliten zu sein. Das sind wir auch: We are for leaders, not for everybody. Das genügt aber nicht, wenn Sie die Welt verbessern wollen. Sie brauchen auch eine Stärkung der Leute an der Basis, die wirklich etwas tun, um die Welt sozial voranzutreiben. Darum gründeten meine Frau und ich die Stiftung Social Entrepreneurship.

Doch wie steht es mit der Finanzierung, nachdem sich die dafür vorgesehenen Beteiligungen an Think Tools oder i2i wertmässig in Luft aufgelöst haben?
Das ist ganz einfach: Anstelle dreistelliger Millionenvermögen, wie wir sie uns ursprünglich erhofft haben, müssen wir im Moment mit viel, viel weniger leben. Das heisst, das Geld ist in vier bis fünf Jahren aufgebraucht. Doch ich zerbreche mir nicht den Kopf, wie es danach weitergehen soll. Mir nahe stehende Personen haben bereits zugesagt, die weitergehende Finanzierung zu sichern.

Ihr Engagement für Think Tools hat zu für Sie ärgerlichen Kommentaren geführt. Warum haben Sie sich überhaupt darauf eingelassen?
Als Professor für Unternehmensstrategie an der Universität Genf war ich fasziniert, wie man mit Hilfe von Think Tools komplexe strategische Situationen besser verständlich strukturieren konnte. Gerade diese Eigenschaft machte Think Tools für Gruppenarbeiten an unseren Veranstaltungen so attraktiv.

Aber das Businessmodell hat nicht funktioniert!
Erst nach meinem Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat wurde deutlich, dass es hoch qualifizierte Moderatoren braucht, um die Software erfolgreich einzusetzen. Diese haben leider gefehlt, nachdem leitende Mitarbeiter im Herbst 2001 gegangen waren. Danach verloren auch die Top-Beratungsunternehmen wie Bain, Arthur D. Little und andere ihr Interesse, die Software zu lizenzieren. Niemand war da, der sie trainieren konnte. Ich mache mir manchmal selbst Vorwürfe, den Niedergang nicht vorausgesehen zu haben.

Doch Aktionär sind Sie noch?
Die Stiftung für Social Entrepreneurship hat ihren Anteil von fünf Prozent bis heute gehalten und gehört zu denjenigen, die hoffen, dass das neue Management mit neuem Businessmodell die eingetretenen Verluste zumindest teilweise wieder ausgleichen kann.

Und wie sieht es mit dem Budget für New York aus?
Der kurzfristige Umzug ist mit grossen Zusatzkosten verbunden, womit New York wesentlich teurer wird als Davos. Doch wir sind zuversichtlich, diese Kosten insbesondere über Partnerschaften und Sponsoren abdecken zu können.

Welche Botschaften rücken Sie ins Zentrum der Veranstaltung?
Der 11. September hat definitiv gezeigt, dass die Welt wegen der Möglichkeiten des Terrorismus fragiler geworden ist. Repetitionen des 11. September in anderer Form sind nicht auszuschliessen, wenn man sich der vorhandenen Massenvernichtungswaffen bewusst ist. Diesen Themenkreis werden wir behandeln. Dann geht es um die Wurzeln des Terrorismus wie Armut und mangelnde Erziehung. Wenn wir keine Fortschritte machen, werden wir oder unsere Kinder darunter leiden. Wir haben nicht nur eine neue Verwundbarkeit, wir haben auch eine neue Verbundenheit.

Öffnet sich das Forum auch kulturell?
Wir sind der festen Überzeugung, dass gewisse Grundwerte global geteilt werden müssen. Andererseits gilt es, bestimmte kulturelle Unterschiede zu respektieren. Den Dialog zwischen den Kulturen zu führen, ist in New York sehr wichtig.

Kommt da der Wirtschaftsgipfel, für den Davos bis jetzt gestanden hat, nicht zu kurz?
Überhaupt nicht! Wir stecken ja mitten in einer Rezession, und niemand weiss so richtig, wann mit dem Aufschwung zu rechnen ist oder ob wir sogar in eine tiefere Krise hineinfahren. Um auf der Welt soziale Probleme lösen zu können, brauchen wir Wachstum. Das wird ein grosser Diskussionspunkt sein.

Der schnelle Erfolg der Amerikaner in Afghanistan hat dazu geführt, dass weit herum die Meinung herrscht, der Courant normal sei zurückgekehrt. Teilen Sie diese Ansicht?
Überhaupt nicht. Gewisse Dinge müssen sich grundlegend ändern. Für mich ist 2002 das entscheidende Jahr. Wir können zurückfallen in einen Status quo, oder wir nehmen das Ereignis vom 11. September als Chance für Veränderungen. In Manhattan appellieren wir an die Leadership für einen Neubeginn.
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