Jahresrückblicke brauchen Gravitas, und um unsere Belesenheit gleich zu Beginn unter Beweis zu stellen, beginnen wir mit dem Schlüsselsatz aus Lampedusas Monumentalwerk «Il Gattopardo»: «Es muss sich alles ändern, damit alles bleiben kann, wie es ist» heisst es in der tiefschichtigen Epochensaga. Die Adaptation für den aufreibenden Jahrgang 2018 lautet: «Es scheint sich alles zu ändern, doch tatsächlich bleibt alles, wie es ist». Eine steile These in diesen rasant-disruptiven Zeiten, gewiss. Dafür braucht es gute Gründe – hier sind zehn:

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1. Die ewige Salami

Spätestens seit der Antike versuchen es aufgeflogene Missetäter immer wieder mit der Salami-Masche: Nur eine kleine Scheibe zugeben – und hoffen, dass der Sturm vorüberzieht. Dieses Jahr produzierte mit Susi «sorglos» Ruoff, Pierin «einer geht noch» Vincenz und Pierre «Ich wurde verraten» Maudet wahre Prachtexemplare. Transparenz ist die erste Lektion in jedem Seminar zur Krisenkommunikation. Trotzdem wollen selbst gestählte Medienprofis davon nichts wissen, wenn sie selbst betroffen sind: Eine Konstante der Menschheitsgeschichte.

In Krisen reden sich Manager und Politiker um Kopf und Kragen:

In Krisen reden sich Manager und Politiker um Kopf und Kragen: Susanne Ruoff, Patrik Gisel, Monika Ribar und Pierre Maudet (v.l.).

Quelle: Keystone

2. Herdentrieb rules

Gab es vor einem Jahr irgendeinen berufsmässigen Finanzmarkt-Propheten, der nicht ein strahlendes Jahr vorhersagte? Synchroner weltweiter Aufschwung, tiefe Zinsen, gesunde Firmenbilanzen: So lautete das Mantra auf breitester Front. Die Euphorie hielt genau fünf Wochen, dann kam der Februar-Crash, gefolgt vom Oktober-Gemetzel und Dezember-Absturz. Auch dieses Jahr hat sich damit die alte Contrarian-Weisheit bestätigt: Der Herdentrieb taugt vor allem als Kontra-Indikator. Da dürfen wir es als gute Nachricht werten, dass jetzt alle ein miserables Börsenjahr 2019 prophezeien.

3. Die Notenbanker sind die Chefs

Die Notenbanker sind noch immer die Könige der Weltwirtschaft. Die heraufbeschworene Normalisierung der Geldpolitik fiel auch dieses Jahr aus. Für kurze Zeit kratzte der Franken zwar die 1.20-Marke zum Euro, doch längst hat sich der Wert wieder bei 1,12 eingependelt, und ein Ende der Negativzinsen ist nicht in Sicht. Selbst die Zinswende in den USA verliert an Kraft, und es häufen sich die Studien, dass die höheren Zinsen dort ohnehin nur von kurzer Dauer sein werden, weil die nächste Rezession vor der Tür steht. Diese Prognose wage ich: Tiefe Zinsen sind die neue Normalität.

Thomas Jordan, Praesident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank SNB, spricht am Jahresend-Mediengespraech der SNB, am Donnerstag, 13. Dezember 2018, in Bern.  Die Schweizerische Nationalbank belaesst ihre Geldpolitik unveraendert expansiv. Der Zins auf Sichteinlagen bei der Nationalbank betraegt weiterhin -0,75% und das Zielband fuer den Dreimonats-Libor liegt unveraendert zwischen -1,25% und -0,25%. Die Nationalbank bleibt bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv. (KEYSTONE/Anthony Anex)

SNB-Chef Thomas Jordan: Für kurze Zeit kratzte der Franken die 1.20-Marke zum Euro.

Quelle: © KEYSTONE / ANTHONY ANEX

4. Yes, America first!

Auch von der grossen Abkopplung der USA wurde viel fabuliert – politisch durch die Flegelattacken Donaldos gegen die Europäer, wirtschaftlich durch die Heimholung vieler Konzerne. Doch Fakt ist: Der Dollar bleibt Leitwährung und Knebelinstrument par excellence, und wenn die Wall Street hustet, kriegen alle anderen die Grippe. Abkopplung? Unsinn. America first!  

WASHINGTON, DC - DECEMBER 6: (AFP-OUT) President Donald Trump reacts as he speaks during a Hanukkah reception in the East Room of the White House on December 6, 2018 in Washington, DC. (Photo by Oliver Contreras-Pool/Getty Images)

America first: US-Präsident Donald Trump.

Quelle: 2018 Getty Images

5. Macron auf der Strasse

Der grosse europäische Aufbruch blieb aus – Frankreich ist eben Frankreich. Kein Präsident der westlichen Welt hat eine Machtfülle wie der Herrscher im Elysée, keiner hat allerdings auch eine so undemokratische, unlegitimierte und schändliche Opposition: die Strasse. Im ersten Herbst hielt Macron die Protestwelle noch zurück, dafür trifft sie ihn im zweiten mit doppelter Wucht. Dass sich der Bundesrat angesichts des tristen Zustands der EU da beim Rahmenabkommen windet, mag Brüssel ärgern. Doch die Schweiz agiert hier wie so oft: Erst mal abwarten. Wahrscheinlich weise.

French President Emmanuel Macron speaks during a media conference at an EU summit in Brussels, Thursday, Oct. 18, 2018. EU leaders met for a second day on Thursday to discuss migration, cybersecurity and to try and move ahead on stalled Brexit talks. (AP Photo/Alastair Grant)

Sieht sich einer Protestwelle gegenüber: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Quelle: Copyright 2018 The Associated Press. All rights reserved

6. Zu wenig Frauen

Und dann: die Frauenfrage. Die Superlative konnten nicht gross genug sein, als am 6.Dezember zwei Frauen in den Bundesrat gewählt wurden. Aber halt: War da nicht was? Genau: 2011 hatte die Schweiz vier Bundesrätinnen – eine mehr als jetzt. Wo ist da die Revolution? Und leider findet sie auch an den Firmenspitzen nicht statt – da war 2018 sogar ein schlechtes Jahr. Vorzeigechefin Ruoff musste unrühmlich abtreten, SBB-Präsidentin Ribar wankt nach ihren unappetitlichen Angola-Geschäften, und die Frauenquote in Spitzenjobs ist sogar rückläufig. Tristesse comme toujours.

 

Viola Amherd, links, und Karin Keller-Sutter, freuen sich ueber ihre Wahlen zu den 118. und 119. Mitgliedern des Bundesrates waehrend der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundesversammlung, am Mittwoch, 5. Dezember 2018 im Nationalratssaal in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Die Bundesrätinnen: Viola Amherd und Karin Keller-Sutter.

Quelle: © KEYSTONE / ANTHONY ANEX

7. Hasenfüsse an der Spitze

Auch wenig neu: Unsere hasenfüssigen Konzernchefs. 2018 war ein M&A-Rekordjahr, doch die Schweizer Weltfirmen trauen sich nicht. Dabei hat doch alles gestimmt: Tiefe Zinsen, der stahlharte Franken als Akquisitionswährung, wenig Verschuldung. Doch was machen ABB, Nestlé oder CS? Aktienrückkäufe. Boldness in business? Wir doch nicht.

8. Böse Banken ohne Ende

Ebenfalls ein bekanntes Stück: Das Trauerspiel der Banken. Seit der Finanzkrise ist die Schweizer Paradeindustrie zu einer Leidensgeschichte mutiert, und die Zählerstände zum Jahresschluss müssen sich die Bankchefs schon mit sehr viel Festtags-Champagner schöntrinken: Minus 40 Prozent bei Bär, minus 35 bei CS, minus 30 bei UBS. Das Problem: Die Vermögensverwaltung wächst zu schwach, die Dividenden sind noch immer zu tief, und bei jedem Zucken der Konjunktur werden die Banken in Sippenhaft genommen. Wie sagte mir doch ein langjähriger Investor? «Bankaktien? Verkaufen – sofort und zu jedem Preis». Niemand in der Schweiz ist mehr stolz auf unsere einstige Parade-Industrie. Traurig.  

9. Vas hält durch

Ein Konzernchef hat mich bei einem Treffen zu Jahresbeginn besonders beeindruckt: Der neue Novartis-Chef Vas Narasimhan. Der indisch-stämmige Amerikaner steht für ein hochspannendes Sozial-Experiment: Lässt sich Idealismus und Bodenhaftung als Chef eines Weltkonzerns bewahren? Bei unserem Interview vor elf Monaten wohnte er in einer Mietwohnung in der Basler Innenstadt, arbeitete im Grossraumbüro und fuhr seine Kinder zum Sport. Diese Woche der Check via «Handelsblatt»-Interview: Mietwohnung, Grossraum-Büro, Kinder-Taxi – alles noch da. «Geld korrumpiert», sagte einst Novartis-Übervater Daniel Vasella. Noch widersteht Vas – trotz 9-Millionen-Salär.

Vas Narasimhan.

Novartis-Chef Vas Narasimhan.

Quelle: Gian Marco Castelberg / 13 Photo

10. Eine Flasche Bordeaux

Und auch eine Sache hat sich nicht geändert, obwohl es lange so aussah: Es gibt noch Weihnachts-Präsente für den darbenden Journalisten-Stand. In den letzten Wochen herrschte auf unseren Redaktionsfluren eher Flaute – die vorweihnachtlichen Firmengaben in Form von Pralinés, Wein oder anderen Überraschungen flossen dieses Jahr spärlich. Doch gestern erreichten uns Signale der Hoffnung: Ein Hersteller Schweizer Luxusuhren liess uns drei Töpfe feinsten Honig zukommen, und von einer Genfer Privatbank kam eine Flasche Wein. Ja, die üppigen Zeiten sind vorbei: Rüde Sparkommissare und bärbeissige Compliance-Officer machen ihre Arbeit zu gut. Doch allen Richtlinien zum Trotz: Diese eine Flasche Bordeaux muss weg! Ich stosse auf Sie an, liebe Leserinnen und Leser – und wünsche Ihnen gesegnete Feiertage.

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