Ob Wein, Bier, Cidre oder Spirituosen, jeder Schluck Alkohol schade der Gesundheit, warnt die WHO. Kritiker kontern, die WHO berufe sich auf fragwürdige Studien, in Auftrag gegeben von der Prohibitionisten-Organisation Movendi, die wiederum selbst die WHO finanziell unterstütze.
Eine der Ersten, die sich gegen die WHO-Kampagne wehrten, ist Laura Catena. Auf ihrer Website «In defense of wine» schaltet sie Studien, die dem rigiden Kurs der WHO mit Fakten Paroli bieten.
HZ: Frau Catena, was ist so stossend an der Null-Alkohol-Politik der WHO?
Laura Catena: Die WHO soll Informationen und Fakten liefern. Stattdessen lanciert sie im Stil einer PR-Agentur eine Marketing-Kampagne gegen moderaten Alkoholkonsum. Und die internationale Presse greift das auf, ohne die Fakten zu checken.
Welche Fakten unterschlagen die WHO?
2022 veröffentlichte die renommierte medizinische Fachzeitschrift «The Lancet» eine Studie, wonach der Konsum kleinerer Mengen Alkohol bei Menschen über 40 Jahren mit Verbesserungen der Herz-Kreislauf-Gesundheit und einem tieferen Diabetesrisiko verbunden ist. «The Lancet» hat also nicht nur offen gelegt, dass geringe Mengen Alkohol nicht schaden. Das Magazin hat mit der Veröffentlichung der Studie auch einige Vorteile für die Gesundheit durch den Konsum geringer Mengen Alkohol erklärt. Diese Fakten unterschlug die WHO, weil es nicht in ihre Anti-Alkohol-Kampagne passt.
Warum wehren sich die Vertreter der Weinindustrie nicht vehementer?
Die Weinindustrie verteidigt sich nicht, weil ihre Vertreter ausserhalb der Gesundheitsdebatte stehen. Sie sind Produzenten und nicht Mediziner.
Aber der Weinkonsum sinkt, daher kann die WHO-Kampagne nicht im Interesse der Winzer sein
Die WHO-Kampagne ist auch nicht im Sinne der Menschen, die gerne Wein trinken, die mit Freunden und ihren Familien bei einem guten Essen und Wein an einem Tisch sitzen. Ich finde, wir sollten diese seit Hunderten von Jahren gepflegte Kultur nicht präventiv canceln, um die Menschen vor Trinkexzessen zu schützen.
Alkoholismus ist ein gesellschaftliches Problem
Reduzieren Menschen, die zu viel trinken ihren Alkoholkonsum, ist das insgesamt eine sehr gute Sache für die Gesellschaft. Aber ich denke nicht, dass es fair oder durch Datenerhebungen gerechtfertigt ist, moderate Trinker, die ein oder zwei Gläser Wein zu ihren Mahlzeiten geniessen, als ungesunde Menschen zu brandmarken.
Als Ärztin und Winzerin vertreten Sie beide Positionen. Wie gehen Sie damit um?
Ich halte mich an die Fakten. Zu viel Alkohol ist ein Gesundheitsrisiko, das haben Studien bewiesen. Und dass exzessiver Alkoholkonsum viel Schaden anrichtet, ist unbestreitbar. Aber: Das Thema Alkohol passt nicht in ein Schwarz-Weiss-Denken. Dafür ist es zu komplex. Moderater Weinkonsum kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken.
Was heisst moderat in Bezug auf Wein?
Täglich maximal 1,5 Deziliter Wein für Frauen und maximal drei Deziliter für Männer.
Was raten sie ihren Patienten im Umgang mit Alkohol?
Folgendes Beispiel: Ein Paar pflegt seit vielen Jahren ein Abendritual. Bei einem Glas Wein schauen sie die Nachrichten. Anschliessend essen sie zu Abend. Die WHO-Empfehlung verunsichert meine Patienten. Laut WHO müsste ich ihnen als Ärztin das Glas Wein am Abend «verbieten».
Das tun Sie nicht?
Weshalb sollte ich. Was die beiden tun, ist kein Verbrechen. Weshalb sollte ich ihnen diesen Moment der Zweisamkeit vermiesen? Die Fehlinformationen der WHO schaden dem Glück der Menschen. Die Trinkgewohnheiten des Paares ist eine Sache zwischen Arzt und Patienten. Nun übernehmen auf einmal die Medien, angeleitet von der WHO, die Rolle des Arztes und das ist nicht korrekt.
Eine Studie besagt, dass moderater Weinkonsum das Herzinfarkt-Risiko senken kann. Wie funktioniert das in einem erwachsenen Körper?
Die Amygdala ist jener Teil im Gehirn, der durch Ausschüttung der Hormone Cortisol und Adrenalin Stressreaktionen auslöst. Bei chronischem Stress ist die Amygdala stark gefordert und vergrössert sich. Ein Harvard-Forscher untersuchte den Zusammenhang zwischen einer hyperaktiven Amygdala und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Er fand heraus, dass moderater Alkoholkonsum die Hyperaktivität der Amygdala senkt, und so Infarkt-Risiko verringert.
Wein zum Stressabbau ist doch ein Klischee. Es gibt auch andere Methoden zum Entspannen.
Sie denken an Meditation und Bewegung? Okay, kommen wir auf unser Paar mit dem Feierabend-Ritual zurück. Sie schnürt die Laufschuhe und tobt sich beim Trail-Running aus, er meditiert. Die Zeit, die das Paar gemeinsam bei einem Glas Wein verbringt, wird durch individuelle Aktivitäten ersetzt. Diese Veränderung ist nicht unbedingt positiv für das Paar.
Was raten Sie Menschen, die ihren Alkoholkonsum besser kontrollieren möchten?
Definieren Sie Leitlinien. Legen Sie alkoholfreie Tage ein. Messen Sie die Menge Wein ab, die Sie trinken möchten. Versorgen Sie nach dem Einschenken die Flasche im Kühlschrank, nach dem Motto «aus den Augen aus dem Sinn». Geniessen Sie Wein zum Essen, am besten in Gesellschaft.

