Am 11. September 1955 trafen sich der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der russische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow auf einer Datscha nahe Moskau zum Frühstück. Es war der vierte Tag von Adenauers Moskau-Reise und ein wichtiges Thema auf der politischen Agenda war noch nicht besprochen: die Heimkehr von 10'000 Kriegsgefangenen.
Die «Frühstücke» und andere gesellschaftlichen Empfänge dauerten oft mehrere Stunden. Sie verlangten dem Kanzler und seinen Begleitern einiges ab. Adenauers aussenpolitischer Berater, Herbert Blankenhorn, schreibt in seinen Protokollen von ausufernden Trinkgepflogenheiten. Zuerst Wein, dann Wodka.
Trinkfest in Moskau
Adenauer hielt mit. Er mochte den schweren georgischen Rotwein. Anschliessend kurierte er sich im Hotel mit «grossen Massen von Tee, um den Alkohol aus dem Magen zu vertreiben». Und die Diplomaten waren vorbereitet: In der Reiseapotheke wurden auch Medikamente gegen «Alkoholwirkung und Schwindelzustände» mitgeführt.
Beim historischen sechsgängigen Frühstück am 11. September 1955 auf einer Datscha nahe Moskau war zumindest weintechnisch Leichtigkeit angesagt. Zu Gänseleberpastete, Schildkrötensuppe, Holsteiner Schinken, gekochtem Lachs, Rehkeule mit Wacholder-Tunke und Schwarzwälder Kirschpudding wurden deutscher Sekt, französischer Rotwein und Riesling von Rhein und Mosel ausgeschenkt.
Bernkasteler Doctor als Diplomatie-Booster?
Besonders der 1953er Bernkasteler Doctor Riesling Spätlese vom Gutshaus der Weingüter Wegeler an der Mittelmosel schmeckte Chruschtschow und seinem Stab.
Wertvolle Flasche mit Historie: Die Riesling Spätlese 1953 aus der Mosel-Spitzenlage Bernkasteler Doctor wurde in Boston für 25'000 Dollar versteigert.
Es darf spekuliert werden, ob die Weindiplomatie zu einem entsprechenden Abkommen verhalf. Doch im Oktober 1955 passierten die ersten Spätheimkehrer die innerdeutsche Grenze.
Anlässlich des siebzigsten Jahrestages des historischen Frühstücks gaben die Weingüter Wegeler eine Flasche des Weins mit diplomatischem Background zur Versteigerung. Für 25'000 Dollar ruht sie nun in einem privaten Keller.
(W)eingeschenkt
Dieser Artikel ist im neuen Weinchannel (W)eingeschenkt der Handelszeitung erschienen, der von Mövenpick präsentiert wird. Weitere aktuelle Beiträge zum Thema Wein finden Sie hier.